OGH 23Os1/15t

OGH23Os1/15t9.11.2015

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 9. November 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Konzett und Mag. Brunar sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Sailer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wüstner als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 12. November 2014, GZ D 15/13 (DV 18/13)‑10, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Kammeranwalts Dr. Hirsch, des Disziplinarbeschuldigten und seines Verteidigers Prof. Dr. Wennig zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0230OS00001.15T.1109.000

 

Spruch:

Der Berufung wegen Nichtigkeit wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wegen Schuld und Strafe wird der Disziplinarbeschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Verstoßes gegen die Bestimmungen des § 9 (Abs 1) RAO und des § 2 RL‑BA der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder (richtig:) Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt, weil er als Rechtsvertreter der Ehegatten Roman und Elfriede J***** in Anträgen auf Aufschiebung der Zwangsversteigerungen für seine Mandanten vom 5. September 2013 in näher bezeichneten Verfahren des Bezirksgerichts Innsbruck und des Bezirksgerichts Amstetten sowie in einer näher genannten Feststellungsklage an das Landesgericht Linz vom 7. Oktober 2013 und in einer Impugnationsklage an das Bezirksgericht Amstetten vom 10. Oktober 2013 jeweils vorgebracht hatte, seine Mandanten hätten sämtliche Verpflichtungen aus einer mit der U***** AG abgeschlossenen Vereinbarung vom 11. Dezember 2012, insbesondere jene zur unwiderruflichen Antragstellung auf Aufhebung der Höfeeigenschaft einer näher bezeichnenden Liegenschaft in S*****, eingehalten, obwohl ihm zum Zeitpunkt der Antragstellung und Klagseinbringung bekannt war, dass der Antrag auf Aufhebung der Höfeeigenschaft vom 13. Dezember 2012 bereits am 14. Juni 2013 von Roman J*****, durch ihn vertreten, entgegen der zuvor genannten Vereinbarung vom 11. Dezember 2012 wieder zurückgezogen worden war.

Der Disziplinarbeschuldigte wurde hiefür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 3.500 Euro verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Disziplinarbeschuldigten dagegen wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 1, 4, 9 lit a und b StPO), Schuld und Strafe erhobenen Berufung kommt Berechtigung zu.

Die Besetzungsrüge (Z 1) zeigt zwar keine Tatsachengrundlage für die reklamierte Ausgeschlossenheit des Vorsitzenden des Disziplinarrats wegen Befangenheit (§ 43 Abs 1 Z 3 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) auf, weil aufgrund der Mitteilung des Genannten vom 5. Dezember 2014, wonach er keine Veranlassung sehe, seine „rechtsgeschäftlichen Kontakte“ dem Disziplinarbeschuldigten gegenüber offenzulegen, entgegen dem rein spekulativen Berufungsstandpunkt nicht „anzunehmen ist, dass ein berufsbedingtes Naheverhältnis“ des Vorsitzenden des Disziplinarrats zur U***** AG (Prozessgegnerin der vom Disziplinarbeschuldigten vertretenen Mandanten)“ besteht (vgl RIS‑Justiz RS0125768, RS0097054).

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider waren die Anträge auf Vernehmung der Zeugen Roman und Elfriede J*****, Franz H***** und Hans B***** auf den Nachweis nicht entscheidender Tatsachen gerichtet. Denn die Beweisthemen (Geschäftsgrundlage der eingangs genannten Vereinbarung vom 11. Dezember 2012 mit der U***** AG; von derselben intendierte Verwertung der Liegenschaften in T***** durch Zwangsversteigerung ungeachtet eines allfälligen Abverkaufs von Liegenschaften in S*****; Auftrag der Mandanten des Disziplinarbeschuldigten zur Zurückziehung des Antrags auf Aufhebung der Höfeeigenschaft; Unkenntnis des Disziplinarbeschuldigten von den Gründen der U***** AG für die beantragte Fortsetzung der Zwangsversteigerungsverfahren; fehlende Vorwerfbarkeit einer Verletzung der Vereinbarung vom 11. Dezember 2012) lassen den inkriminierten Vorwurf unrichtigen Prozessvorbringens auch in subjektiver Hinsicht unberührt.

Hingegen wurden durch die Abweisung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen Rechtsanwalt Dr. Herwig M***** zum Beweis dafür, dass der Disziplinarbeschuldigte nicht Verfasser sämtlicher inkriminierter Schriftsätze und er „nicht unmittelbar in die Errichtung derselben eingebunden“ war, ferner in der Kanzlei des Disziplinarbeschuldigten die Diktatzeichen auf Schriftsätzen keinen sicheren Rückschluss auf den jeweiligen Schriftsatzverfasser ermöglichen und dessen Kanzlei derart organisiert ist, dass die Freigabe von Schriftsätzen, somit auch der inkriminierten, jeweils von einem sachbearbeitenden eingetragenen (zum Zeichen der Freigabe das jeweilige ERV‑Deckblatt paraphierenden) Rechtsanwalt erfolgt, Verteidigungsrechte verletzt.

Der Disziplinarrat wies diesen Antrag „mangels Relevanz für die zu lösende Frage“ ab (ON 9 S 7); für den Fall, dass er die Schriftsätze nicht selbst verfasst habe, treffe dem Disziplinarbeschuldigten ein Organisationsverschulden (Erkenntnisseite 7).

Berücksichtigt man, dass dieser lediglich einräumte, einen (im zweiten Rechtsgang noch zu erörternden) vorbereitenden Schriftsatz vom 16. Oktober 2013 im Verfahren AZ 40 C 5/13p des Bezirksgerichts Amstetten verfasst zu haben (ON 9 S 3), im Übrigen aber unter Verweis auf seine prozessuale Stellung die Frage, wer die inkriminierten Schriftsätze verfasst, freigegeben und unterfertigt habe, nicht beantwortete (ON 9 S 4), wäre der Disziplinarrat gehalten gewesen, die Entscheidungsgrundlage durch Vernehmung dieses Kanzleipartners zu verbreitern. Tragen doch ‑ auch nach den Konstatierungen des Erkenntnisses ‑ weitere Schriftsätze das Diktatzeichen „Dr. P“ (./8, ./18 zu ON 1) und wird der Zeuge über die Aktenführung in der Kanzlei (Priorierung, Handaktführung, Signatur, Informationsaustausch zwischen den Kanzleipartnern etc) zu befragen sein.

Im zweiten Rechtsgang wird auch die vom früheren Verteidiger Mag. G***** verfasste Eidesstattliche Erklärung vom 8. Juli 2015, welche im Gerichtstag vorgelegt wurde, zu erörtern sein.

Soweit die Einvernahme des genannten Zeugen aber zum Nachweis dafür beantragt wurde, dass „den Disziplinarbeschuldigten an den inkriminierten Vorwürfen kein wie auch immer geartetes Verschulden trifft“, vernachlässigt der Berufungswerber, dass Meinungen, Werturteile und Schlussfolgerungen nicht Gegenstand des Zeugenbeweises sind (RIS‑Justiz RS0097573).

Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Berufungsvorbringen.

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