OGH 9Nc18/15v

OGH9Nc18/15v2.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen 1. F***** G*****, und 2. A***** G*****, beide vertreten durch das Land Oberösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger (Magistrat Steyr, 4402 Steyr, Pyrachstraße 7), AZ 17 Ps 263/09v des Bezirksgerichts Steyr, infolge Vorlage zur Genehmigung der Übertragung gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Amstetten, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0090NC00018.15V.1102.000

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Steyr vom 15. 9. 2015, GZ 17 Ps 263/09v‑112, verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Amstetten wird nicht genehmigt.

Begründung

Die beiden mj Kinder F***** und A*****, deren Obsorge mit Beschluss vom 29. 3. 2011 (ON 29) den Eltern entzogen und dem Land Oberösterreich als Kinder- und Jugendhilfeträger übertragen wurde, sind bereits seit Dezember 2010 im NÖ Kinder- und Jugend-Betreuungszentrum ***** in W***** untergebracht.

Die Mutter beantragte bereits mehrmals die Rückübertragung der Obsorge ihrer beiden Kinder. Diese Anträge wurden bislang entweder abgewiesen oder von der Mutter wieder zurückgezogen (so zuletzt am 3. 9. 2015). Die bislang in Steyr wohnhafte Mutter lebt seit April 2015 in A*****. Seit diesem Zeitpunkt sind auch die beiden Kinder mit Hauptwohnsitz in A***** und mit Nebenwohnsitz in W***** gemeldet, ohne dass sich an deren Lebensverhältnissen etwas geändert hat. Die Kinder fahren üblicherweise von Freitag Mittag bis Sonntag Abend zu ihrer Mutter. Teilweise verbringen sie auch die „kurzen“ Ferien bei ihrer Mutter (ON 99).

Am 15. 9. 2015 übertrug das Bezirksgericht Steyr gemäß § 111 JN die Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Amstetten. Die Kinder hielten sich jetzt ständig bei der Mutter in A***** auf. Das Bezirksgericht Amstetten verweigerte die Übernahme der Zuständigkeit.

Das übertragende Gericht legte aufgrund dieser Weigerung den Akt dem Obersten Gerichtshof als gemeinsam übergeordnetem Gericht zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Übertragung ist nicht berechtigt.

Gemäß § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn dies im Interesse des Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Nach Abs 2 dieser Bestimmung ist die Übertragung nur dann wirksam, wenn das andere Gericht die Zuständigkeit übernimmt oder im Falle der Weigerung des anderen Gerichts eine Genehmigung durch das den beiden Gerichten zunächst übergeordnete gemeinsame höhere Gericht ‑ hier der Oberste Gerichtshof ‑ erfolgt.

Ausschlaggebendes Kriterium für die Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache für Minderjährige ist immer das Kindeswohl (RIS‑Justiz RS0047074). Die Übertragung der Zuständigkeit liegt dann im Interesse des Kindes, wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Kind zugedachten Schutzes voraussichtlich gefördert wird (vgl RIS‑Justiz RS0046929). Nur unter dieser Voraussetzung kann der Grundsatz der perpetuatio fori durchbrochen werden (RIS‑Justiz RS0046929 [T11, T18]).

Die Lebensverhältnisse der Kinder haben sich nicht geändert. Das übertragende Gericht führt auch keine konkreten Gründe an, weshalb es nunmehr ‑ ohne Änderung der tatsächlichen Lebensverhältnisse der Kinder ‑ zweckmäßiger sei, dass das Bezirksgericht Amstetten die Pflegschaftssache führe. Vielmehr kennt das übertragende Gericht die besonderen Familienverhältnisse der Kinder schon seit Jahren. Der Zuständigkeitswechsel würde ausschließlich im Interesse der Mutter liegen.

Auch im Hinblick darauf, dass § 111 JN als Ausnahmebestimmung einschränkend auszulegen ist (RIS‑Justiz RS0046908 [T9]; RS0046929 [T20]), war die Übertragung der Zuständigkeit nicht zu genehmigen.

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