European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00118.15K.1027.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das überdies einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch (zu Unrecht auch von der rechtlichen Kategorie; Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 1, 11) enthält, wurde Samson O***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 2 erster Fall StGB, der Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB, der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB, des unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln nach „§ 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter, fünfter, sechster und achter Fall, Abs 2, Abs 3 SMG, § 15 StGB“, der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1, Abs 4 StGB, des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB und des Vergehens der falschen Beweisaussage nach §§ 12, 15, 288 Abs 1, Abs 4 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er ‑ soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Relevanz ‑ am 3. November 2007 in L***** Bettina W***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er sie auf das Bett stieß, gegen ihren Willen die Hose und Unterhose herunter zog, sie auf das Bett drückte, sich auf sie legte und trotz massiver Gegenwehr den Vaginalverkehr vollzog, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung der W***** in Form einer chronischen posttraumatischen Belastungsstörung zur Folge hatte.
Rechtliche Beurteilung
Nur gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
In der Hauptverhandlung stellte die Verteidigung den Antrag auf Einholung eines „medizinisch neuropsychiatrischen und aussagepsychologischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass Bettina W***** keine posttraumatische Störung im Zusammenhang mit dem Vorfall vom 3. November 2007 erlitten hat und dafür, dass die Ausführungen der Zeugin unglaubwürdig sind angesichts des festgestellten Borderline-Syndroms und dem Hang zu Selbstverletzungen und … dafür, dass es bei der Zeugin … zu einer Vermischung von Traum und Wirklichkeit … gekommen ist“ (ON 107 S 57, ON 117 S 29).
Dem Einwand der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung dieses Antrags Verteidigungsrechte nicht verletzt.
Während die Überzeugungskraft eines im Sinn des § 127 Abs 3 StPO mängelfreien Gutachtens der freien Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts unterliegt, ist nach dieser Gesetzesstelle auf inhaltliche Kritik an Befund und Gutachten zunächst mit einem Versuch der Beseitigung der relevierten Mängel durch nochmalige Vernehmung des Sachverständigen und erst bei dessen Scheitern mit Bestellung eines weiteren Sachverständigen zu reagieren (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 351).
Vorliegend wurde die im Ermittlungsverfahren zur Klärung der Schwere der bei der Zeugin durch die Tat eingetretenen Folgen beigezogene Expertin ‑ der Beschwerdebehauptung zuwider ‑ vom Gericht zur Sachverständigen bestellt (ON 1 S 37) und deren Gutachten (ON 79) in der Hauptverhandlung erörtert (ON 95 S 65 ff). Im Anschluss daran wurde dem Beschwerdeführer die Gelegenheit eingeräumt, die Sachverständige mit sämtlichen aus seiner Sicht offenen Fragen zu konfrontieren (ON 95 S 69 bis 73).
Solcherart wurde kein ‑ nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens bestehen gebliebener ‑ Mangel von Befund und Gutachten im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO aufgezeigt, sondern bloß eine Überprüfung der Beurteilung der beigezogenen Sachverständigen in der (im Übrigen nicht indizierten) Erwartung eines für den Antragsteller günstigeren Ergebnisses begehrt, womit der Antrag auf unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte und zu Recht der Abweisung verfiel (§ 55 Abs 1 und Abs 2 StPO; RIS‑Justiz RS0117263, RS0102833, RS0118444; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 351).
Die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Angeklagten oder eines Zeugen obliegt dem Schöffengericht. Hilfestellung durch einen Sachverständigen kommt nur in Ausnahmefällen, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen in Betracht (RIS‑Justiz RS0097364, RS0097733, RS0120634; Hinterhofer, WK‑StPO § 126 Rz 8; Lendl, WK‑StPO § 258 Rz 23; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 350). Umstände, die bloß für oder gegen die Glaubwürdigkeit oder Verlässlichkeit eines Vernommenen im gegebenen Anlassfall sprechen, unterliegen ausschließlich der Beweiswürdigung durch das Gericht (vgl US 30, 40; RIS‑Justiz RS0097364 [T2]; Hinterhofer, WK‑StPO § 126 Rz 9). Die psychologische Sachverständige hat überdies die Frage der Vorsitzenden nach der Aussagefähigkeit und ‑tüchtigkeit der Zeugin ausdrücklich bejaht (ON 95 S 67).
Das in der Rechtsmittelschrift als Versuch einer Fundierung der Anträge erstattete weitere Vorbringen ist prozessual verspätet und daher unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 325).
Die weitere Argumentation der Verfahrensrüge, die Bestellung ein und desselben Sachverständigen durch die Staatsanwaltschaft und das Gericht verstoße gegen den Grundsatz der Waffengleichheit, scheitert schon daran, dass sie auf keinen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag des Beschwerdeführers oder einen gegen dessen Widerspruch gefassten Beschluss Bezug nehmen kann (RIS‑Justiz RS0099250, RS0099244, RS0108863).
Insoweit weiters verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 126 Abs 3 StPO vorgebracht werden, weil „in Verfahrenshilfesachen … einem von der Staatsanwaltschaft beauftragten Sachverständigen, der in einer Hauptverhandlung als Belastungszeuge auftritt, mangels zur Verfügung stehender unabhängiger Expertenmeinung nicht wirksam entgegengetreten werden kann“, weil „die Finanzierung … privater Sachverständiger im Rahmen der Verfahrenshilfe nicht vorgesehen ist“, mangelt es auch hier an entsprechender Antragstellung.
Verfassungsrechtlich geschützt und Grundlage eines fairen Verfahrens ist im Übrigen das Recht auf notwendige Verteidigung (§ 61 StPO; Art 6 Abs 3 lit c erster Satzteil MRK), die im Falle der an den Kriterien des § 61 Abs 2 StPO zu messenden Bedürftigkeit zur Beigebung eines Verteidigers, dessen Kosten der Beschuldigte bzw Angeklagte nicht zu tragen hat, zwingt (§ 61 Abs 2 StPO; Art 6 Abs 3 lit c zweiter Satzteil MRK). Eine darüber hinausgehende Verfahrenshilfe sieht auch die MRK ‑ mit Ausnahme der unentgeltlichen Beiziehung eines Dolmetsch (Art 6 Abs 3 lit e MRK) ‑ nicht vor (Art 6 Abs 3 lit c zweiter Satzteil MRK). Dem im Rahmen der notwendigen Verteidigung bestellten Verfahrenshilfeverteidiger obliegt es, durch zweckentsprechende Fragestellung das Gutachten eines Sachverständigen nachzuvollziehen und bei Verbleib von Widersprüchen oder von Mängeln des Gutachtens sowie bei sonstigen ‑ durch Befragung nicht beseitigbaren ‑ Bedenken die Beiziehung eines zweiten (vom Gericht zu entlohnenden) Sachverständigen zu beantragen (§ 127 Abs 3 StPO), ohne dass darauf ein grundrechtlich geschützter absoluter Anspruch besteht.
Zu der angeregten Antragstellung im Sinn des Art 89 Abs 2 B‑VG wegen diffus behaupteter „Verfassungswidrigkeit des § 126 Abs 3 StPO“ sieht sich der Oberste Gerichtshof insgesamt nicht veranlasst.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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