OGH 1Ob141/15i

OGH1Ob141/15i22.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** Q*****, vertreten durch Dr. Gernot Franz Herzog, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Dr. G***** G*****, vertreten durch Dr. Herbert Pflanzl, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Feststellung, Vertragsaufhebung und Einwilligung (Streitwert 5.000 EUR sA), in eventu Zahlung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 19. Mai 2015, GZ 22 R 129/15x‑116, mit dem infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg vom 27. Februar 2015, GZ 2 C 376/12h‑97, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:

„1. Der zwischen den Streitteilen am 7. 4. 2009 abgeschlossene Kaufvertrag über den Anteil der klagenden Partei von 1/3 (BLNR 1) an der Liegenschaft EZ ***** GB *****, ist nichtig.

2. Die beklagte Partei Dr. G***** G*****, ist schuldig, in die Einverleibung des Eigentumsrechts der klagenden Partei J***** Q*****, ob dem unter 1. genannten Liegenschaftsanteil einzuwilligen.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 7.572,84 EUR (darin 1.214,64 EUR USt und 285 EUR Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen zu ersetzen.“

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war ursprünglich Alleineigentümer der im Spruch genannten Liegenschaft. Wegen stetiger finanzieller Schwierigkeiten nahm er wiederholt Darlehen des Beklagten in Anspruch. Anfang 2004 veräußerte er 2/3 (ideelle Anteile) der Liegenschaft, wobei letztlich der Beklagte Eigentum an diesen Anteilen erwarb. Als dem Kläger 2009 Exekutionen, allenfalls durch Zwangsversteigerung, drohten, was dem Beklagten bekannt war, der kein weiteres Darlehen gewähren wollte, schlug er vor, er solle das restliche Liegenschaftsdrittel im Rahmen eines Kaufvertrags erwerben, wobei der Kläger insgesamt 8.000 EUR erhalten solle. Die Streitteile schlossen daraufhin am 7. 4. 2009 einen (vom Beklagten formulierten) Kaufvertrag ab, wobei als Kaufpreis für den Liegenschaftsanteil ein Betrag von 5.000 EUR festgelegt wurde. Der Differenzbetrag von 3.000 EUR wurde in einen später aufgesetzten Schuldschein aufgenommen. In einer ergänzenden Vereinbarung legten die Streitteile fest, dass dem Kläger für den verkauften Liegenschaftsanteil bis 1. 3. 2010 das „Vorkaufsrecht“ zum Kaufpreis von 5.000 EUR zuzüglich „Nebengebühren“ von 3.000 EUR und anfallender Vertragskosten eingeräumt werde. Bis zu dem genannten Zeitpunkt gab der Kläger dem Beklagten gegenüber keine Erklärung ab, von der ihm eingeräumten Rückkaufmöglichkeit Gebrauch zu machen. Der Verkehrswert des Liegenschaftsanteils betrug zum Zeitpunkt des Verkaufs 35.800 EUR.

Der Kläger stellte nun das aus dem Spruch dieser Entscheidung ersichtliche Hauptbegehren, wobei er sich insbesondere auf Nichtigkeit wegen Wuchers berief. Hilfsweise begehrte er unter Berufung auf Verkürzung über die Hälfte eine Nachzahlung von 30.600 EUR samt Zinsen. Der Beklagte habe seine ihm bekannte finanzielle Notlage ausgenutzt und den Liegenschaftsanteil um einen Bruchteil seines wahren Werts gekauft.

Der Beklagte wandte im Wesentlichen ein, der Kaufvertrag sei ausschließlich dazu abgeschlossen worden, dem Kläger kurzfristig Geld zu beschaffen, ohne ihm weitere Darlehen zu gewähren. Er habe niemals eine Notlage des Klägers ausgebeutet, zumal der Vorschlag für den Kaufvertragsabschluss und den Kaufpreis vom Kläger selbst gekommen sei. Die ihm vertraglich eingeräumte Vorkaufs- bzw Rückkaufsmöglichkeit habe der Kläger nicht ausgeübt. Der Kaufpreis in Höhe von 5.000 EUR sei in Anbetracht der Kontamination der Liegenschaft und ihrer Belastung durch ein Wegerecht angemessen gewesen. Er sei allerdings bereit, eine Aufzahlung bis zum gemeinen Wert des Liegenschaftsanteils zu leisten, sofern dieser höher sei als der vereinbarte Kaufpreis.

Das Erstgericht wies das Hauptbegehren ab und erkannte den Beklagten im Sinn des Eventualbegehrens schuldig, dem Kläger 30.600 EUR samt Zinsen zu zahlen. Der Tatbestand des Wuchers gemäß § 879 Abs 2 Z 4 ABGB sei nicht erfüllt. Der Kläger sei zwar insoweit in einer Zwangslage gewesen, als er zur kurzfristigen Geldbeschaffung einen Kaufvertrag mit dem Beklagten abschließen habe müssen. Er hätte aber durchaus die Möglichkeit gehabt, dem Beklagten ein abweichendes, den tatsächlichen Verhältnissen angemessenes Rechtsgeschäft, also einen höheren Kaufpreis, vorzuschlagen. Eine Zwangslage, welche dem Kläger allein die Wahl zwischen dem Abschluss des gegenständlichen Vertrags und dem Erleiden noch schwerer wiegender Nachteile gelassen hätte, sei nicht vorgelegen. Es könne damit naturgemäß auch keine Ausnutzung einer solchen Zwangslage durch den Beklagten vorliegen, weshalb auch seine Kenntnis von der finanziellen Situation des Klägers unbeachtlich sei. Hingegen sei der Beklagte verpflichtet, gemäß § 934 Satz 2 ABGB eine Aufzahlung auf den Verkehrswert zu leisten.

Das Berufungsgericht bestätigte diese von beiden Seiten angefochtene Entscheidung, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige, und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Ob der Beklagte bereit gewesen wäre, einen höheren Preis zu zahlen, sei nicht von Bedeutung, weil der Kaufpreis nicht von diesem, sondern vom Kläger aufgrund seines aktuellen Geldbedarfs festgesetzt worden sei; aus steuerlichen Gründen habe der Kläger sogar einen niedrigeren Kaufpreis angesetzt als den insgesamt in Anspruch genommenen Geldbetrag. Das bloße Missverhältnis der Leistungswerte genüge für das Vorliegen von Wucher nicht. Eine Ausbeutung setze zumindest ein fahrlässiges Verhalten des Wucherers voraus. Er müsse die für die Willensbildung des Bewucherten ungünstige Situation also zumindest fahrlässig ausgenützt haben, was hier nicht der Fall gewesen sei. Eine Zwangslage wäre anzunehmen gewesen, wenn der Kläger vor die Wahl gestellt worden wäre, in den Vertrag einzutreten oder einen Nachteil zu erleiden, der nach vernünftigem Ermessen schwerer wiege als der wirtschaftliche Verlust, den der Vertrag zur Folge hat. Der Beklagte hätte aber ohnedies den Liegenschaftsanteil zurückkaufen können. Zudem habe der Kläger erreicht, dass ihn der Beklagte entgegen seinem Vorhaben, ihm kein weiteres Geld mehr zu borgen, letztlich weitere 8.000 EUR übergeben habe, wobei 3.000 EUR als ein weiteres Darlehen und 5.000 EUR als Kaufpreis für das letzte Liegenschaftsdrittel mit der Zusicherung übergeben worden seien, den verkauften Liegenschaftsanteil innerhalb eines Jahres wieder zurückkaufen zu können. Da der Kläger den Kaufpreis aus steuerlichen Gründen niedriger angesetzt habe und auch von seinem Rückkaufsrecht nicht Gebrauch gemacht habe, könne nicht einmal von einer fahrlässig herbeigeführten Ausbeutung ausgegangen werden. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu behandeln gewesen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig, weil die Vorinstanzen das Vorliegen von Wucher zu Unrecht verneint haben. Die Revision ist damit auch insoweit berechtigt, als sie die Stattgebung des Hauptbegehrens anstrebt.

Soweit der Revisionsgegner wiederholt erörtert, welche Umstände sich seiner Ansicht nach aus dem Beweisverfahren ergeben hätten, ist er darauf hinzuweisen, dass es für die Überprüfung durch das Revisionsgericht, dem Beweiswürdigungsfragen entzogen sind, allein auf die von den Tatsacheninstanzen getroffenen Feststellungen ankommt. Einen sogenannten sekundären Feststellungsmangel, also das Fehlen rechtlich relevanter Tatsachenfeststellungen als Folge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung, macht er nicht geltend.

Gemäß § 879 Abs 2 Z 4 ABGB ist ein Vertrag ‑ wegen Wuchers ‑ nichtig, wenn jemand den Leichtsinn, die Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung eines anderen dadurch ausbeutet, dass er sich oder einen Dritten für eine Leistung eine Gegenleistung versprechen oder gewähren lässt, deren Vermögenswert zu dem Wert der Leistung in auffallendem Missverhältnis steht. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen setzt der gesetzliche Wuchertatbestand nicht voraus, dass der durch das Geschäft Begünstigte den Vertragsinhalt ‑ hier den Kaufpreis ‑ vorgeschlagen oder vorgegeben hat. Das verpönte Ausnützen („Ausbeuten“) kommt auch in Betracht, wenn der Benachteiligte selbst den Abschluss des für ihn ungünstigen Geschäfts angeboten hat, sofern (zumindest) eine der alternativ aufgezählten Voraussetzungen vorliegt. Auch eine absichtliche Übervorteilung ist entgegen der Auffassung des Revisionsgegners nicht erforderlich; vielmehr führt bereits fahrlässiges Ausnützen der ungünstigen Lage des Berechtigten zur Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0104129; zuletzt 3 Ob 503/93 = SZ 67/123; Bollenberger in KBB 4 § 879 ABGB Rz 18 ua).

Daran, dass für den Kläger eine Zwangslage bestand, konnte ‑ auch für den Beklagten ‑ kein Zweifel bestehen, benötigte er doch dringend einen bestimmten Geldbetrag, um exekutive Rechtsverfolgungsschritte seiner Gläubiger, allenfalls sogar eine Zwangsversteigerung, abzuwenden. Dass er dabei den Liegenschaftsanteil zu einem ganz erheblich unter dem Verkehrswert liegenden Kaufpreis anbot, beruht ersichtlich auf dem weiteren Tatbestandsmerkmal des Leichtsinns, ging der Kläger doch offenbar davon aus, er werde rechtzeitig zu ausreichenden Geldmitteln kommen, um den Anteil innerhalb der vereinbarten Frist wieder zurückkaufen zu können.

Diese Situation nutzte nun der Beklagte insoweit aus, als er dem Kauf zum vorgeschlagenen minimalen Preis zustimmte und in der Folge einen Rückverkauf mit dem Argument verweigerte, die vereinbarte Frist sei bereits abgelaufen. Darin liegt zweifellos eine gesetzlich verpönte Ausbeutung der Zwangslage und des Leichtsinns des Klägers. Dem Beklagten wäre es ohne weiters möglich gewesen, die gravierende Inäquivalenz der beiderseitigen Leistungen zu verhindern. Er hätte etwa dem Kläger vorschlagen können, einen erheblich kleineren ideellen Anteil zu veräußern, wenn dessen Geldbedarf nicht höher war als insgesamt 8.000 EUR. Dass der Kläger einem solchen Vorschlag zugestimmt hätte, liegt auf der Hand. Wenn der Beklagte dennoch das (letzte) Drittel der Liegenschaft um den ganz unangemessen niedrigen Kaufpreis erworben hat, hat er die Zwangslage und den Leichtsinn des Klägers in einer Weise zu seinen Gunsten ausgenützt, die durch § 879 Abs 2 Z 4 ABGB missbilligt wird und zur Nichtigkeit des Kaufvertrags führt. Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass dem Beklagten nicht nur die Zwangslage und der Leichtsinn des Klägers, sondern auch die grobe Äquivalenzstörung bewusst waren, hat er doch im Rahmen seiner Parteienvernehmung selbst erklärt, er habe angenommen, dass die Gesamtliegenschaft einen Wert von ca 60.000 EUR hätte.

Berücksichtigt man weiters, dass die Vereinbarung der Streitteile wirtschaftlich einer dinglich besicherten Darlehensgewährung nahekommt, zumal bei den vorliegenden Wertverhältnissen davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger die Absicht hatte, den Miteigentumsanteil wieder zurückzukaufen, bestätigt auch ein Vergleich mit § 1371 ABGB die Nichtigkeitsfolge. Nach dieser Norm ist unter anderem eine Abrede ungültig, nach der die Pfandsache nach Eintritt der Fälligkeit der Darlehensforderung dem Darlehensgläubiger zufällt. Damit soll der Schuldner und Pfandbesteller vor Nachteilen geschützt werden, die darin liegen, dass die Pfandsache typischerweise mehr wert ist als die besicherte Forderung (vgl nur Koch in KBB 4 §§ 1371‑1372 ABGB Rz 3 mit Hinweis auf SZ 68/199). Darauf, welche Partei den Abschluss eines solchen Vertrags vorgeschlagen hat, kommt es für die Nichtigkeitsfolge auch dort nicht an.

Damit ist in Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen dem Hauptbegehren (Feststellung der Nichtigkeit des Vertrags, Verpflichtung zur Einwilligung in die bücherliche Einverleibung des Eigentumsrechts des Klägers) stattzugeben. Die Frage einer Rückabwicklung Zug um Zug stellt sich nicht, weil der Beklagte eine derartige Einwendung nicht erhoben hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO.

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