OGH 13Os74/15d

OGH13Os74/15d19.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. August 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zechner als Schriftführer in der Strafsache gegen Siegfried B***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 28. Jänner 2015, GZ 21 Hv 16/14i‑33, sowie die Beschwerde des Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Anordnung von Bewährungshilfe sowie Erteilung einer Weisung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und über die Beschwerde des Angeklagten werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Siegfried B***** mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I/) und mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (II/) schuldig erkannt.

Danach hat er in B*****

I/ außer dem Fall des § 206 StGB eine geschlechtliche Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen, und zwar in jeweils wiederholten Angriffen

1/ im Zeitraum von etwa 2007 bis 2008 an der am 10. August 1996 geborenen Tamara P*****, indem er mit der Hand unter das T‑Shirt fuhr und ihre Brust betastete und mit der Hand in ihre Unterhose fuhr und sie im Genitalbereich, teilweise auch über der Kleidung, betastete;

2/ im Zeitraum von etwa 2009 bis Anfang Februar 2011 an der am 28. April 1999 geborenen Christine S***** und der am 8. Oktober 2001 geborenen Anika S*****, indem er jeweils mit der Hand in ihre Unterhose fuhr und sie ‑ teilweise auch über der Bekleidung ‑ im Geschlechtsbereich betastete oder seine Hand auf ihren Geschlechtsbereich legte;

II/ durch die zu I/ beschriebenen Taten mit mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Personen, nämlich seinen Enkelkindern Tamara P*****, geboren am 10. August 1996, Christine S*****, geboren am 28. April 1999 und Anika S*****, geboren am 8. Oktober 2001, geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des Antrags auf Einholung eines aussage-psychologischen Gutachtens über Tamara P***** zum Beweis dafür, „dass die einzelnen dem Angeklagten vorgeworfenen Taten nicht in dieser Art stattgefunden haben, wie sie von den Zeuginnen dargelegt wurden“ (ON 32 S 18 f), Verteidigungsrechte nicht verkürzt. Nur in Ausnahmefällen, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen, kommt zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit die Hilfestellung durch einen Sachverständigen in Betracht (RIS‑Justiz RS0120634; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 350). Ein solcher Ausnahmefall wurde im Antrag nicht dargetan. Zudem vermochte der Antragsteller die insofern erforderliche Bereitschaft des Opfers zur Mitwirkung an einer Begutachtung nicht darzustellen (RIS‑Justiz RS0118956).

Die in der Nichtigkeitsbeschwerde nachgetragenen Argumente als Versuch einer Antragsfundierung sind aufgrund des Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).

Nach den Urteilskonstatierungen kam es dem Angeklagten bei sämtlichen Tathandlungen darauf an, geschlechtliche Handlungen an seinen unmündigen Enkeltöchtern vorzunehmen (US 4).

Die eine nachvollziehbare Begründung dieser Feststellung vermissende Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) übersieht, dass die Tatrichter ihre ‑ im Übrigen zur Erfüllung des subjektiven Tatbestands des § 207 Abs 1 StGB sowie des § 212 Abs 1 Z 1 StGB, die bedingten Vorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) genügen lassen, nicht erforderliche ‑ Konstatierung der Vorsatzform der Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) in methodisch nicht zu beanstandender Weise (RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0098671&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False , RS0116882) aus dem Verhalten des Angeklagten (US 7) und dieses ‑ frei von Verstößen gegen Gesetze der Logik oder grundlegende Erfahrungswerte - aus den vom Schöffengericht als glaubhaft erachteten Schilderungen der Zeuginnen Tamara P*****, Christine S***** und Anika S***** ableiteten (US 6 f).

Die Kritik, das Erstgericht sei auf die Verantwortung des Angeklagten „nicht weiter eingegangen“ (der Sache nach Z 5 zweiter Fall), ist angesichts der eingehenden Erörterung der Angaben des Beschwerdeführers (US 5) nicht nachvollziehbar.

Unvollständig im Sinn der Z 5 ist ein Urteil genau dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 421). Diesen Bezugspunkt verkennt der Beschwerdeführer mit dem ‑ keine entscheidende Tatsache betreffenden ‑ Vorbringen, das Gericht habe nicht dargelegt, weshalb es die Aussage der Zeugin Christine S*****, wonach ihr der Angeklagte bei einem Bussi auf den Mund die Zunge in den Mund gesteckt habe (ON 9 S 4), und die diesbezüglich widerstreitende Verantwortung des Angeklagten (ON 32 S 18) „nicht für verfahrenswesentlich“ gehalten bzw „nicht gewürdigt“ habe. Im Übrigen gingen die Tatrichter wie bereits dargestellt von der Glaubwürdigkeit der Angaben der genannten Zeugin aus (US 6 f) und erachteten die leugnende Verantwortung des Angeklagten als widerlegt (US 5).

Mit der Behauptung, bei vollständiger Berücksichtigung der aufgezeigten Verfahrensergebnisse hätte das Erstgericht die „entscheidende Tatsachenfeststellung, ob, bzw. in wie weit, der Angeklagte seine Enkelinnen sexuell missbraucht, oder allerdings sein Autoritätsverhältnis missbraucht habe, anders beurteilt“, wendet sich der Rechtsmittelwerber nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die (implizite) Beschwerde gegen den ‑ verfehlt in die Urteilsausfertigung aufgenommenen (US 3; vgl RIS‑Justiz RS0101841, RS0120887 [T1 und T2]; Danek , WK‑StPO § 270 Rz 50; Lendl , WK‑StPO § 260 Rz 39) ‑ Beschluss über die Anordnung von Bewährungshilfe sowie die Erteilung einer Weisung (§§ 285i, 498 Abs 3 letzter Satz StPO).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO bleibt anzumerken, dass die Wertung des Fehlens „eines reumütigen Geständnisses oder zumindest eines wesentlichen Beitrags zur Wahrheitsfindung“, also im Ergebnis der leugnenden Verantwortung des Angeklagten, als eine für die Ablehnung der Gewährung einer gänzlich bedingten Strafnachsicht (mit-)entscheidende Tatsache (US 8), eine im Sinne des § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO unrichtige Gesetzesanwendung darstellt (RIS‑Justiz RS0090897). Diesem von der Beschwerde nicht aufgegriffenen Umstand wird das Oberlandesgericht bei der Berufungsentscheidung Rechnung zu tragen haben (RIS‑Justiz RS0122140).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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