OGH 11Os75/15m

OGH11Os75/15m11.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. August 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zonsics als Schriftführer in der Strafsache gegen Ricardas B***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Ricardas B***** sowie die Berufungen der Angeklagten Erlandas E*****, Mindaugas D***** und Kestutis V***** gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 9. März 2015, GZ 48 Hv 85/14h‑180, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00075.15M.0811.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten B***** fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch unbekämpft gebliebene Schuldsprüche der Angeklagten Erlandas E*****, Mindaugas D*****, Kestutis V***** und Tomas Vi***** nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Fall StGB sowie Freisprüche von gleichen Vorwürfen enthält, wurde Ricardas B***** mehrerer Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Fall (A/1, A/2), „teils als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB“ (B/ iVm A/4) schuldig erkannt.

Danach haben

A/ in bewusstem und gewolltem Zusammen-wirken als Mittäter (§ 12 StGB) Nachgenannten fremde bewegliche Sachen mit Gewalt gegen deren Person sowie durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB), mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen oder abgenötigt,

wobei sie die Raubüberfälle jeweils als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung (§ 12 StGB) eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung verübten, und zwar

1/ Ricardas B***** und Erlandas E***** am 2. Juni 2014 in A***** Verfügungsberechtigten der dortigen H*****‑Filiale 2.206,46 Euro Bargeld, indem sie Claudia S***** und Martina Sc***** unter Vorhalt einer Softgun in einen abgesonderten Raum dirigierten, dort zu Boden drückten und an Händen und Füßen mit Kabelbindern fesselten, durch die Aufforderung „Money! Cash! Safe!“ Geld forderten, die Fesseln der Claudia S***** öffneten und diese in weiterer Folge durch Vorhalt der Softgun zur Herausgabe des Kasseninhalts zwangen;

2. Ricardas B*****, Erlandas E*****, Mindaugas D***** und Kestutis V***** am 7. Juni 2014 in K***** Verfügungsberechtigte der dortigen P*****‑Filiale 34.304 Euro Bargeld, indem sie Regina Sch*****, Maria Pi***** und Edith T***** unter Vorhalt von Softguns in einen abgesonderten Raum dirigierten, dort zu Boden drückten, anschließend an Händen und Füßen mit Kabelbindern fesselten sowie Manuela F***** durch Anhalten einer Softgun zum Öffnen der Kassenlade und des Tresors zwangen und daraus das Bargeld entnahmen;

3/ Erlandas E*****, Mindaugas D*****, Kestutis V***** und Tomas Vi***** am 21. Juni 2014 in S***** Verfügungsberechtigten der dortigen P*****‑Filiale ca 10.000 Euro Bargeld sowie der Karin Bi***** deren PKW Ford Focus, *****, indem sie Karin Bi*****, Sandra Ha***** und Kerstin Ro***** unter Vorhalt von Softguns in den Lagerraum dirigierten, sie dort zu Boden drückten und anschließend an Händen und Füßen mit Kabelbindern fesselten, sowie indem sie Sandra Ha***** unter Vorhalt einer Softgun zum Öffnen des Standtresors zwangen und daraus das Bargeld und aus der Handtasche der Karin Bi***** einen Schlüsselbund samt Schlüssel für deren PKW entnahmen, mit welchem sie daraufhin die Flucht ergriffen,

wobei Sandra Ha***** durch die ausgeübte Gewalt eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung, „medizinisch“ eine schwere Körperverletzung, erlitt;

4/ Erlandas E*****, Mindaugas D***** und Kestutis V***** am 19. Juni 2014 in St***** Verfügungsberechtigten der dortigen P*****‑Filiale 33.854,40 Euro Bargeld sowie der Birgit M***** deren Mobiltelefon und deren PKW Citroen C3, *****, indem sie Gerhard Schu*****, Sonja R***** und Birgit M***** unter Vorhalt von Softguns, Birgit M***** auch durch Anwendung eines Würgegriffs, in den Aufenthaltsraum geleiteten, sie dort zu Boden drückten und anschließend mit Kabelbindern an Händen und Füßen fesselten, in weiterer Folge Birgit M***** zum Öffnen des Tresors aufforderten, aus welchem sie anschließend das Bargeld und aus der Handtasche der Birgit M***** das Mobiltelefon und den Schlüssel für deren PKW entnahmen und in weiterer Folge mit dem genannten PKW die Flucht ergriffen;

B/ Ricardas B***** zur Ausführung der zu A/4 näher beschriebenen strafbaren Handlung durch andere beigetragen, indem er mit den unmittelbaren Tätern den Tatplan schmiedete, Softguns besorgte, die anderen Beteiligten am Tag vor der Tat zwecks Auskundschaftung, sowie dann auch zur Tatausführung zum Tatort chauffierte und jeweils in der Nähe auf sie wartete, wobei er sich an dem Raubüberfall, der von Mitgliedern einer kriminellen Vereinigung begangen wurde, als Mitglied dieser Vereinigung beteiligte.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte Ricardas B***** mit einer auf § 281 Abs 1 Z 4 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung von mit Schriftsatz vom 5. März 2015 (ON 177) eingebrachten „Beweisanträgen“ in der Hauptverhandlung Verteidigungsrechte des Nichtigkeits-werbers nicht verletzt.

Die erwähnten Beweisanträge wurden dem -unbeanstandet gebliebenen ‑ Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 179) zufolge in dieser vom erkennenden Gericht zwar erörtert und abweislich behandelt (PS 3 f), vom Beschwerdeführer selbst aber gerade nicht prozessordnungsgemäß (mündlich) gestellt (RIS‑Justi

z RS0099511, RS0099178).

Im Übrigen lief die begehrte Einholung einer „Anwesenheitsbestätigung“ des Arbeitsmarktservice Kaunas für den 2. Juni 2014 (Faktum A/1) zum Beweis dafür, dass sich der Angeklagte an diesem Tag nicht in Österreich aufgehalten hatte, von vornherein auf eine im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung hinaus. Denn dieser gab bei seiner Vernehmung am 9. März 2015 selbst an, er sei am 2. Juni 2014 „in Litauen“ gewesen, wisse aber nicht mehr, was er an diesem Tag konkret gemacht habe. In den „ersten Tagen“ im Juni 2014 habe er sich beim Arbeitsmarktservice melden müssen, er wisse aber nicht mehr, wann genau er dort gewesen sei (ON 179 S 3 f). Vor dem Hintergrund dieser Aussage zielte das Begehren aber bloß auf eine Abklärung ab, ob von einer Anfrage an das Arbeitsmarktservice eine weitere Aufklärung zu erwarten sei (RIS‑Justiz RS0118123).

Die angestrebte Beischaffung von Einzelgesprächsnachweisen samt Standortdaten für Juni 2014 für einen angeblich auf den Beschwerdeführer lautenden litauischen Mobiltelefonanschluss wiederum entbehrte eines stichhaltigen Vorbringens zur aktuellen Nutzung dieses Telefons durch den Antragsteller im fraglichen Zeitraum. Abgesehen davon machte der Nichtigkeitswerber nicht klar, weshalb im März 2015 beim zuständigen Betreiber - trotz Aufhebung der Richtlinie 2006/24/EG zur Vorratsdatenspeicherung durch Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 8. April 2014 (verbundene Rechtssachen C‑293/12, C‑594/12) ‑ entsprechende Daten vom Juni 2014 noch vorhanden sein sollten. Auch in diesem Punkt lief das Ansinnen somit von vornherein auf bloße Erkundungsbeweisführung hinaus.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken, dass das Erstgericht bei der Strafzumessung den Angeklagten Erlandas E*****, Mindaugas D*****, Kestutis V***** und Tomas Vi***** die „mehrfache Qualifikation“ als erschwerend angelastet hat, während die - in den Entscheidungsgründen auch festgestellte (US 16) - schwere Verletzung des Tatopfers zu A/3 des Tenors (US 4 f) im Schuldspruch selbst (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO; RIS‑Justiz RS0116266) jedoch keine Entsprechung durch eine Subsumtion (zu A/3) auch unter die Qualifikation nach § 143 dritter Fall StGB fand. Dadurch wurde jedoch keine Nichtigkeit begründet, weil eine solche im Sinn des § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO nur die unzutreffende Heranziehung eines für die Strafzumessungsschuld irrelevanten Umstands bewirkt, nicht jedoch die (bloß) irrige Einordnung eines nach den allgemeinen Grundsätzen für die Strafbemessung (§ 32 Abs 2 und Abs 3 StGB) relevanten Umstands als besonderer Strafzumessungsgrund (RIS‑Justiz RS0100061, RS0099985; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 704). Die mit der „mehrfachen Qualifikation“ der Sache nach angesprochene schwere Verletzungsfolge durfte aber im vorliegenden Fall der Verurteilung nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Fall StGB (zu A/3) ohne weiteres als die Strafnotwendigkeit aggravierend gewertet werden.

In Bezug auf die Subsumtion der einzigen dem Angeklagten Vi***** nach dem Schuldspruch (A/3) und den Entscheidungsgründen zur Last liegenden Tat als „mehrfache“ Verbrechen nach §§ 142 Abs 1, 143 erster Fall StGB (US 3, 6, 15 f) sah sich der Oberste Gerichtshof nicht zu amtswegigem Einschreiten (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO iVm § 281 Abs 1 Z 10 StPO) veranlasst, weil das Ersturteil (durch die gegenüber den übrigen Angeklagten differenzierende explizite Ausnahme des § 28 StGB schon im Sanktionsausspruch und mangels erschwerender Wertung des Zusammentreffens „mehrerer Verbrechen“ bei der Strafzumessung) klar erkennen lässt, dass dem Angeklagten dadurch kein Nachteil entstanden ist ( Ratz , WK‑StPO § 290 Rz 23).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte