European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00070.14P.0730.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 814,27 EUR (darin enthalten 135,71 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.240,15 EUR (darin enthalten 93,19 EUR USt und 681 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte importiert Geflügel aus Drittländern der Europäischen Union, darunter Thailand. Voraussetzung für das Erlangen von Einfuhrlizenzen für eine zollbegünstigte Einfuhr ist, dass in den beiden vorangehenden Jahren bereits bestimmte Mengen (Referenzmengen) an Geflügel importiert wurden. Diese sind der Agrarmarkt Austria (AMA) nachzuweisen, wobei auch Nachweise von Importen anderer Unternehmen von der AMA berücksichtigt werden, wenn diese zugleich auf eigene Importrechte verzichten.
Aufgrund einer Erhöhung der Referenzmenge von 50 auf 250 Tonnen fehlten der Beklagten 2011 Nachweise über den Import von 12.230 kg. Sie schloss daher eine Vereinbarungmit M*****, wonach diese „auf Einreichungen der entsprechenden Nachweise bei der AMA zugunsten der Beklagten verzichtet und der Beklagten die Einfuhrrechte überlässt“. Als Entschädigung sollte die Beklagte 35 % des Ertrags aus diesen Transportrechten für die Einreichtermine 2011, 2012 und 2013 an M***** bezahlen.
M***** überließ der Beklagten in der Folge nicht eigene Importnachweise, sondern solche, die sie von einer anderen Firma selbst zukaufte. Diese Firma verzichtete dabei auf Rechte aus ihren Einfuhrmengen zugunsten der Beklagten. Unter Nutzung dieser Importnachweise führte die Beklagte jedenfalls im dritten und vierten Quartal 2011 zollbegünstigt Geflügel aus Thailand ein. Die vereinbarte Vergütung für das dritte Quartal bezahlte die Beklagte. Die Vergütung für das vierte Quartal in Höhe von 5.604,69 EUR bezahlte sie nicht.
M***** ist unbeschränkt haftende Gesellschafterin der Klägerin. Mit Erklärung vom 3. 2. 2012 trat sie sämtliche Rechte und Pflichten aus ihrem Einzelunternehmen an die Klägerin ab.
Die Klägerin begehrt die Zahlung der Vergütung für das 4. Quartal 2011 aus der zwischen M***** und der Beklagten getroffenen Vereinbarung.
Die Beklagte bestritt und wendete ein, die Klägerin sei zur Geltendmachung der Ansprüche nicht aktiv legitimiert. Die Streitteile seien im gleichen Bereich tätig. Zur Erlangung von Importlizenzen müsse nachgewiesen werden, dass ein Unternehmen bereits gewisse Mindestmengen importiert habe. Wenn solche Nachweise fehlten, könnten diese durch ein anderes Unternehmen einmalig übertragen werden. Die Vereinbarung habe vorgesehen, dass M***** auf zukünftige Lizenzeinreichungen bei der AMA zugunsten der Beklagten verzichte. Diese Leistung sei aber nicht erbracht worden, weshalb auch keine Gegenleistung zustehe.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Zweck der Vereinbarung sei es gewesen, der Beklagten Nachweise für die fehlende Mindesteinfuhrmenge für zollbegünstigte Importe zu verschaffen. Auch die zugekauften Einfuhrnachweise erfüllten diesen Zweck. Dass es sich nicht um Einfuhrnachweise der M***** handle, sei irrelevant. Damit bestehe ein Anspruch auf die vereinbarte Vergütung. M***** habe ihre Ansprüche gegen die Beklagte wirksam auf die Klägerin übertragen, sie sei daher auch aktiv legitimiert.
Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Gegenstand der Vereinbarung seien Nachweise für den Handel mit Drittländern iSd Art 6 der Verordnung (EG) Nr 1301/2006. Nach dieser Bestimmung gelte als Nachweis ausschließlich ein Zolldokument, aus dem hervorgehe, dass der Antragsteller der Empfänger sei. Die Verwendung „zugekaufter“ Nachweise im Zuge der Antragstellung sei damit schon nach dem Wortlaut verboten. Nach § 879 Abs 1 ABGB seien Verträge, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, nichtig. Eine solche Nichtigkeit könne auch im Verstoß gegen das Primärrecht, gegen Verordnungen oder unmittelbar anwendbaren EU‑RL‑Bestimmungen liegen. Bei Verstößen gegen Gesetze, die dem Schutz von Allgemeininteressen dienten, sei die Nichtigkeit absolut, daher von Amts wegen wahrzunehmen.
Die hier zu beurteilenden „Importnachweise“ seien nicht geeignet, den von Art 6 der Verordnung geforderten Nachweis zu erbringen, dass die Beklagte als Antragstellerin auch tatsächlich die Empfängerin im Geflügelfleischhandel mit Drittländern sei, auch wenn die Berücksichtigung derartiger Nachweise in Österreich eine übliche Praxis darstelle. Damit gebiete es aber der Normzweck des Art 6 der VO (EG) Nr 1301/2006, dass Vereinbarungen über die Übertragung derartiger Importnachweise absolut nichtig seien. Da eine solche Nichtigkeit von Amts wegen wahrzunehmen sei, sei das Klagebegehren abzuweisen.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage, inwieweit die Übertragung von Importnachweisen gegen Art 6 der VO (EG) Nr 1301/2006 verstoße und ein solcher Verstoß die absolute Nichtigkeit der Vereinbarung zur Folge habe fehle und diese Frage über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Urteil dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben wird. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig und auch berechtigt.
Die Klägerin macht geltend, dass eine Nichtigkeit im Verfahren erster Instanz kein Thema gewesen sei. Die Entscheidung des Berufungsgerichts sei daher überraschend. Im Fall einer Erörterung wäre das Klagebegehren jedenfalls auch auf Anerkenntnis und Bereicherung gestützt worden.
Die Vereinbarung sei aber auch nicht nichtig. Keine der Bestimmungen der Verordnung werde dadurch unterlaufen oder umgangen. Auch der Zweck der Verordnung, im weitesten Sinn die Beobachtung des Handels zwischen der Gemeinschaft und Drittlandstaaten, werde dadurch nicht unterlaufen. Diese Vorgangsweise sei auch von der Europäischen Kommission genehmigt, wenn das übertragende Unternehmen auf weitere Antragstellungen hinsichtlich der Einfuhrlizenzen verzichte. Dies werde auch von der AMA bestätigt, was bei einer Erörterung der Rechtsansicht des Berufungsgerichts hätte nachgewiesen werden können.
Dazu ist Folgendes auszuführen:
1. Da ein Verfahrensmangel des Berufungsverfahrens aus dem Grund, dass sich das Berufungsgericht nicht mit der Beweisrüge der Beklagten auseinandergesetzt hat, nicht geltend gemacht wurde (eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet), sind der weiteren Beurteilung die Feststellungen des Erstgerichts zugrunde zu legen (3 Ob 134/11v; 1 Ob 259/03z mwN).
2. Nach § 879 Abs 1 ABGB ist ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Auch unmittelbar anwendbares EU‑Recht ist als Gesetz iSd § 879 Abs 1 ABGB zu qualifizieren. Ebenso können privatrechtliche Regelungen, die gegen das Primärrecht der EG (Grundfreiheiten), Verordnungen oder unmittelbar anwendbare EU‑Richtlinien‑Bestimmungen verstoßen, einen Gesetzesverstoß iSd § 879 Abs 1 ABGB bilden (1 Ob 57/04w; Graf in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.01 § 879 Rz 12; Riedler in Schwimann/Kodek , ABGB 4 IV § 879 Rz 3).
Dabei führt nicht jeder Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zur Nichtigkeit. Diese Rechtsfolge muss entweder in der Verbotsnorm ausdrücklich angeordnet sein oder vom Verbotszweck notwendig verlangt werden. Der Zweck des Verbots entscheidet auch darüber, ob Gesamt‑ oder Teilnichtigkeit bzw absolute oder relative Unwirksamkeit vorliegt ( Kolmasch in Schwimann , ABGB ‑ TaKom 2 § 879 Rz 3). Richtet sich ein Verbot nur gegen einen Vertragspartner und sind andere Rechtsfolgen (zB Strafen) vorgesehen, so wird das Geschäft in der Regel gültig sein ( Riedler aaO Rz 3).
3. Die VO (EG) Nr 1301/2006 der Kommission vom 31. 8. 2006 enthält gemeinsame Regeln für die Verwaltung von Einfuhrzollkontingenten für landwirtschaftliche Erzeugnisse im Rahmen einer Einfuhrlizenzregelung.
„Einfuhrzollkontingente“ sind nach Art 1 Abs 4 der Verordnung bestimmte Mengen von Waren, die während eines begrenzten Zeitraums eingeführt werden können, wobei der Regelzoll gar nicht oder nur teilweise erhoben wird. Die Einfuhrzollkontingente werden für den Zeitraum von 12 aufeinanderfolgenden Monaten eröffnet (Art 2 Abs 1). Nach Art 5 haben die Antragsteller bei der Einreichung des ersten Antrags für einen bestimmten Einfuhrzollkontingentszeitraum der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats zusammen mit dem Einfuhrlizenzantrag den Nachweis zu erbringen, dass sie zum Zeitpunkt der Antragstellung in dem Zwölfmonatszeitraum unmittelbar vor diesem Zeitpunkt der Antragstellung und in dem Zwölfmonatszeitraum unmittelbar vor diesem Zwölfmonatszeitraum im Handel mit unter die betreffende Marktsituation fallenden Erzeugnissen mit Drittländern tätig waren. Als Nachweis für den Handel mit Drittländern gilt „ausschließlich das von den Zollbehörden ordnungsgemäß mit einem Sichtvermerk versehene Zolldokument über die Abfertigung zum zollrechtlich freien Verkehr, aus dem hervorgeht, dass der Antragsteller der Empfänger ist, oder das von den Zollbehörden ordnungsgemäß mit einem Sichtvermerk versehene Zolldokument über die Ausfuhr“.
Art 4 der VO (EG) Nr 616/2007 der Kommission vom 4. 6. 2007 bestimmte für die Anwendung von Art 5 der VO (EG) Nr 1301/2006, dass der Nachweis in jedem der beiden Zeiträume mindestens 50 Tonnen der entsprechenden Erzeugnisse zu umfassen hat. Mit der VO (EU) Nr 257/2011 der Kommission vom 16. 3. 2011 wurde diese Referenzmenge auf 250 Tonnen angehoben. Diese Verordnung gilt ab dem am 1. 7. 2011 beginnenden Kontingentszeitraum.
4. Nach § 15 Marktordnungsgesetz 2007, BGBl I 2007/55 idgF, werden Lizenzen von der jeweils zuständigen Marktordnungsstelle erteilt. Diese ist nach § 2 Z 2 Marktlizenzverordnung 2008, BGBl II 2008/36, im Bereich Geflügel die AMA.
5. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lässt sich aus Art 6 der VO (EG) Nr 1301/2006 eine Nichtigkeit der dem Verfahren zugrundeliegenden Vereinbarung nicht ableiten. Richtig ist zwar, dass nach dieser Bestimmung als Nachweis für den Handel mit Drittländern ausschließlich Zolldokumente definiert werden, aus denen hervorgeht, dass der Antragsteller der Empfänger ist. Unabhängig davon ist es die offenbar gängige Praxis der mit der Vergabe von Einfuhrlizenzen beauftragten Behörden, auch Zolldokumente als Nachweis zu akzeptieren, die andere Personen als den Antragsteller als Empfänger ausweisen, sofern diese auf einen eigenen Antrag auf die Erteilung von Einfuhrlizenzen (im Umfang dieses Kontingents) verzichten. Auch wenn diese Vorgangsweise mit der VO (EG) Nr 1301/2006 nicht in Einklang stehen sollte, läge dann eine Verletzung der europarechtlichen Normen in der Erteilung der Lizenz, nicht in der Übertragung der Zolldokumente von einem Importeur auf einen anderen. Auch das Berufungsgericht ist ‑ richtigerweise ‑ davon ausgegangen, dass die Vorlage derartiger Zolldokumente nicht gegen Art 3 der Verordnung verstößt, weil es sich nicht um falsche Angaben gegenüber der lizenzausstellenden Behörde handelt.
Durch die Vereinbarung der Übertragung von Zolldokumenten zugleich mit der Verpflichtung, auf eine eigene Antragstellung zu verzichten, wird daher weder ein der Verordnung widersprechender Status des Antragstellers geschaffen, noch eine Täuschung der die Lizenz ausstellenden Behörde bezweckt, die eigenständig aufgrund der ihr gegenüber gemachten (richtigen) Angaben die Voraussetzungen für die Vergabe der Lizenzen zu prüfen hat. Ein rechtsmissbräuchliches Geschäft zum Zweck, aus dem Unionsrecht Vorteile zu ziehen, liegt daher nicht vor.
Auch der Zweck der Verordnung erfordert keine Nichtigkeitssanktion. Gemäß Erwägungsgrund 6 der VO (EG) Nr 616/2007 ist „einerseits dem Versorgungsbedarf des Gemeinschaftsmarkts und dem Erfordernis der Erhaltung des Gleichgewichts auf dem Gemeinschaftsmarkt Rechnung zu tragen und andererseits jegliche Diskriminierung zwischen den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern zu verhindern“. Eine darüber hinausgehende Zielsetzung einer breiten Streuung der Importeure, gegen die gerade die Erhöhung der Mindestimportmenge sprechen würde, ergibt sich daraus nicht. Von einer Nichtigkeit der Vereinbarung ist daher nicht auszugehen.
6. Davon ausgehend erweist sich das Klagebegehren als berechtigt.
Für die Auslegung einer zwischen den Parteien schriftlich getroffenen Vereinbarung ist der Wortlaut maßgeblich, solange nicht behauptet und bewiesen ist, dass aufgrund außerhalb der Urkunde liegender Umstände sich ein übereinstimmender Parteiwille oder ein vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichender objektiver Sinn der Erklärung ergibt (2 Ob 203/08d, 2 Ob 46/05m, RIS‑Justiz RS0043422 [T6]). Maßgebliche Kriterien des § 914 ABGB sind der Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung und die Absicht der Parteien. Unter der „Absicht der Parteien“ ist die dem Erklärungsgegner erkennbare und von ihm widerspruchslos zur Kenntnis genommene Absicht des Erklärenden zu verstehen. Dabei ist nicht von einem unkontrollierbaren Willen einer Partei, sondern dem Zweck der Regelung, den beide Teile redlicherweise unterstellen konnten, auszugehen (3 Ob 125/05m).
In der Vereinbarung ist ausdrücklich festgehalten, dass der Beklagten Nachweise über 12.230 kg zur Erlangung der Importrechte für Thailand fehlen. Entsprechende Importnachweise sollen von M***** unter gleichzeitigem Verzicht auf entsprechende Lizenzeinreichungen übertragen werden. Dass es dem Geschäftsführer der Beklagten dabei nicht nur um das Erlangen der Lizenz, sondern auch darum ging, einen Konkurrenten, nämlich M*****, aus dem Geschäft zu drängen, war für diese nicht erkennbar.
Durch die Übertragung von Einfuhrnachweisen eines Drittunternehmens verbunden mit dessen Verzicht auf die Geltendmachung eigener Ansprüche aus diesen Nachweisen gegenüber der AMA wurde der Vertrag erfüllt. Die Beklagte hat aufgrund der Einreichung der Nachweise die Lizenz erhalten. Dementsprechend hat die Beklagte auch das vereinbarte Entgelt, dessen Höhe unstrittig ist, zu bezahlen. Da M***** sämtliche Rechte und Pflichten aus ihrem Einzelunternehmen an die Klägerin abgetreten hat, ist diese zur Geltendmachung dieser Ansprüche auch aktiv legitimiert.
Daher ist das klagestattgebende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
7. Die Entscheidung über die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz der Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Dabei steht für die Berufungsbeantwortung nur der dreifache Einheitssatz zu (§ 23 Abs 9 RATG).
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