OGH 28Os15/14m

OGH28Os15/14m25.6.2015

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 25. Juni 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Wippl und Dr. Strauss als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Leisser als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Mag. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 10. Dezember 2012, D 37/11, sowie dessen Beschwerde gegen den Beschluss auf Zurückweisung des Protokollberichtigungsantrags vom 17. Mai 2013, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, des Kammeranwalts Dr. Winiwarter und des Disziplinarbeschuldigen zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0280OS00015.14M.0625.000

 

Spruch:

Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wird teilweise Folge gegeben, das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 10. Dezember 2012, D 37/11, im Schuldspruch 2./, demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Disziplinarsache in diesem Umfang an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Im Übrigen wird der Berufung wegen Nichtigkeit und gegen den Ausspruch über die Schuld nicht Folge gegeben.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Disziplinarbeschuldigte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Erkenntnis der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 10. Dezember 2012, AZ D 37/11, wurde Mag. ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt. Danach hat er in *****

1./ Mag. Klaus F*****, Rechtsanwalt in L*****, beauftragt, für ihn am 19. Juli 2010 substitutionsweise eine Berufungsverhandlung vor dem UVS Oberösterreich zu verrichten, wobei er in weiterer Folge das ihm bekannt gegebene Substitutionshonorar nicht fristgerecht, sondern erst am 21. April 2011, somit neun Monate nach Rechnungslegung bezahlte und

2./ auf die Urgenzen des Anzeigers vom 30. November 2011 (richtig: 2010) und vom 3. Jänner 2012 (richtig: 2011) betreffend die Bezahlung des Substitutionshonorars nicht, bzw nicht rechtzeitig antwortete.

Dagegen wendet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 1, 4, 5 und „9a“ StPO) sowie gegen den Ausspruch über die Schuld und über die Strafe.

Mit Besetzungsrüge (Z 1) behauptet der Berufungswerber Befangenheit des Vorsitzenden Dr. Josef S***** und des Schriftführers Mag. Franz M*****, ohne jedoch die vom Gesetz geforderte Rüge in der mündlichen Verhandlung darzutun (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 133 ff). Bereits aus dem Rechtsmittelvorbringen, wonach die behauptete Befangenheit der Genannten aus Verfahren bzw aus Vorfällen resultiere, die zu Zeitpunkten vor der mündlichen Verhandlung des Disziplinarverfahrens stattgefunden haben, ergibt sich die Verpflichtung zur rechtzeitigen Rüge spätestens zu Beginn der mündlichen Disziplinarverhandlung.

Soweit sich der Rechtsmittelwerber auf seinen am 12. März 2013, also nach Fällung des angefochtenen Erkenntnisses, gestellten Ablehnungsantrag beruft, ist ihm zu entgegnen, dass Verweisungen auf andere Schriftsätze unbeachtlich sind (RIS‑Justiz RS0100172). Im Übrigen argumentiert der Berufungswerber zur Begründung der behaupteten Befangenheit mit angeblichen Fehlern der Protokollierung, mit den getroffenen Feststellungen im Disziplinarerkenntnis und mit der unterlassenen Vernehmung von Zeugen. Aus der gesetzeskonformen (dem Standpunkt des Berufungswerbers widerstreitenden) Erfüllung von Dienstpflichten kann jedoch eine Befangenheit nicht abgeleitet werden (vgl Lässig , WK‑StPO § 43 Rz 12).

Die Verfahrensrüge (Z 4) scheitert bereits am Fehlen eines die Vernehmung von Ernst A***** und Martina Sc***** begehrten mündlichen Antrags in der Disziplinarverhandlung (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 309), zumal das bloße „Aufrechterhalten“ schriftlich eingebrachter, jedoch mündlich nicht vorgetragener Beweisanträge unzureichend ist (ES 7; vgl hiezu Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 310 ff).

Im Übrigen wurden Verteidigungsrechte dadurch, dass der Zeuge Ernst A***** nicht vernommen wurde, ohnedies nicht verletzt, trifft doch ‑ wie der Disziplinarbeschuldigte selbst zugesteht (ON 24 S 5) ‑ die hier vernachlässigte Zahlungsverpflichtung ihn als ersuchenden Rechtsanwalt und nicht seinen Klienten (vgl RIS‑Justiz RS0055539; § 55 Abs 2 Z 2 StPO).

Die Vernehmung der Martina Sc***** konnte bereits deshalb unterbleiben, weil der erkennende Disziplinarrat das Fehlen einer Rechtsschutzversicherung ohnedies als erwiesen angenommen hatte (ES 6 unter Hinweis auf das Schreiben der W***** AG vom 5. Mai 2011; Beilage ./2; § 55 Abs 2 Z 3 StPO).

Ob Mag. Gernot W***** am 30. November 2011 mit der Kanzleileiterin oder der Buchhalterin des Disziplinarbeschuldigten oder aber mit diesem selbst telefonierte und die Zahlung der ausständigen Honorarforderung urgierte, ist für die festgestellte Tatsache der nicht rechtzeitigen Bezahlung des Substitutionshonorars nicht entscheidungswesentlich, sodass die darauf gerichtete „Unvollständigkeit bzw Undeutlichkeit“ reklamierende Mängelrüge (Z 5) ins Leere geht. Im Übrigen kritisiert der Rechtsmittelwerber mit spekulativen Erwägungen zur Verlässlichkeit seiner Kanzleileiterin lediglich die Beweiswürdigung des Disziplinarrats, der sich unter dem Blickwinkel der Begründungstauglichkeit mängelfrei auf die Aussage des Mag. Gernot W***** und die vorgelegten Urkunden stützte (ES 5 f).

Dies gilt ebenso für die Kritik daran, dass der Disziplinarrat die Darstellung des Disziplinarbeschuldigten als unglaubwürdig verworfen hat und den Angaben des Mag. Gernot W***** folgte, zumal die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen und des Disziplinarbeschuldigten einer Anfechtung mit Berufung wegen Nichtigkeit entzogen ist (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 431 und 457). Spekulative Erwägungen zum Erinnerungsvermögen des Zeugen Mag. Gernot W***** vermögen daran nichts zu ändern.

Die Richtigkeit der Abrechnung der Substitutionskosten durch Mag. Gernot W***** wurde durch den Disziplinarbeschuldigten im Übrigen selbst zugestanden (ON 24 S 5).

Weshalb das Disziplinarerkenntnis in seiner Begründung auf das Motiv für die nach Einlangen der Beschwerde der Rechtsanwaltskammer erfolgte Zahlung der Substitutionskosten einzugehen gehabt hätte und ein diesbezüglicher formaler Begründungsmangel vorliege, bleibt im Übrigen unerfindlich.

Entgegen dem Unvollständigkeit reklamierten Vorbringen des Berufungswerbers (Z 5 vierter Fall) blieb die Beilage ./4 (AV vom 1. Dezember 2010) nicht unberücksichtigt. Der Disziplinarrat vermochte der diesbezüglichen Darstellung des Disziplinarbeschuldigten ‑ insoweit gestützt auf die Aussage des Zeugen Mag. Gernot W***** ‑ jedoch nicht zu folgen (ES 5).

Einer Feststellung zur in der Berufung problematisierten Frage, ob der Disziplinarbeschuldigte von Ernst A***** über das Bestehen einer Rechtsschutzversicherung getäuscht wurde, bedurfte es der Rechtsrüge (Z 9 lit a) zuwider nicht, weil ‑ wie der Berufungswerber selbst zugesteht ‑ die Zahlungsverpflichtung ihn persönlich traf. Ob er selbst die Kosten von seinem Mandaten bzw dessen Rechtsschutzversicherung ersetzt erhalten hätte, vermag daran nichts zu ändern. Vielmehr wäre er aufgrund des zum Zeitpunkt der Urgenz bereits mehrmonatigen Zahlungsverzugs verbunden gewesen, seiner bestehenden Zahlungsverpflichtung umgehend nachzukommen (vgl RIS‑Justiz RS0083389).

Aufgrund der vom Beschwerdeführer zugestandenen Kenntnis des Zahlungsverzugs über mehrere Monate kann von einer Geringfügigkeit des Verschuldens keinesfalls die Rede sein, sodass die reklamierte Anwendung des § 3 DSt (Z 9 lit b) ausscheidet.

Dass das E‑Mail vom 3. Jänner 2011 (Beilage ./C) nicht an den Disziplinarbeschuldigten, sondern an seinen Kanzleipartner gesendet worden sei, ist schlicht aktenwidrig, zumal aus dem vorliegenden Ausdruck ersichtlich ist, dass dieses elektronisch übermittelte Schreiben an die aus dem Briefkopf der Kanzlei des Berufungswerbers ersichtliche (Beilage ./1) E‑Mail‑Adresse der Rechtsanwaltspartnerschaft und nicht an eine konkrete persönliche E‑Mail‑Adresse eines Partners erging. Im Übrigen ist dies für die Strafbarkeit der über Monate unterlassenen Bezahlung des Substitutionshonorars nicht von Belang. Soweit die Kenntnis des E‑Mails die Strafbarkeit zu Punkt 2./ des Schuldspruchs betrifft, wird auf die nachstehenden Ausführungen verwiesen.

Entgegen der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld bestehen gegen die Beweiswürdigung des Disziplinarrats zu Punkt 1./ des Schuldspruchs keine Bedenken, zumal sich selbst unter Zugrundelegung der Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten, das Telefonat vom 30. November 2010 sei mit ihm geführt worden, aufgrund der erst am 21. April 2011 erfolgten Überweisung des Substitutionshonorars keine entscheidungswesentliche Änderung des Sachverhalts ergibt.

Die in der Schuldberufung beantragte Vernehmung von Katharina B***** und Ernst A***** konnte unterbleiben, wobei hinsichtlich des Zeugen Ernst A***** auf die obigen Ausführungen verwiesen wird. Bei Katharina B***** steht der Einvernahme § 49 zweiter Satz DSt entgegen, zumal dieses Beweismittel dem Disziplinarbeschuldigten evidentermaßen bereits im Verfahren vor dem Disziplinarrat bekannt war, handelt es sich doch bei dieser Zeugin um eine Angestellte seiner Kanzlei.

Zum Schuldspruch 2./ zeigt der Berufungswerber im Ergebnis zutreffend das Fehlen von Feststellungen auf, wonach ihm die Urgenzen des Anzeigers vom 30. November 2010 und vom 3. Jänner 2011 tatsächlich zur Kenntnis gelangten. Ein Verschulden an der fehlenden Reaktion darauf kann jedoch nur angenommen werden, wenn der Disziplinarbeschuldigte vom Einlagen dieser beantwortungspflichtigen Urgenzen in Kenntnis war. Ein allfälliges Organisationsverschulden wurde ‑ wie die Berufung zutreffend aufzeigt ‑ im angefochtenen Erkenntnis gleichfalls nicht konstatiert.

Da das Vorbringen des Disziplinarbeschuldigten in der Beschwerde gegen den Beschluss des Disziplinarrats vom 17. Mai 2013 für die vorliegende Entscheidung mangels Entscheidungswesentlichkeit der Frage, ob der Zeuge Mag. Gernot W***** das Telefonat am 30. November 2010 mit der Kanzleileiterin des Disziplinarbeschuldigten oder mit einer Mitarbeiterin seiner Buchhaltung geführt hat, ohne Relevanz ist (vgl dazu die Ausführungen zur Antragsrüge), die Kenntnis des E‑Mails vom 3. Jänner 2011 an der für die Strafbarkeit relevanten Verspätung der Bezahlung jedoch nichts zu ändern vermag und ‑ mit Blick auf den Vorwurf der unterlassenen Beantwortung dieser Urgenz ‑ der Schuldspruch 2./ ohnedies aufzuheben war, ist die Beschwerde des Disziplinarbeschuldigten vom 25. September 2013 gegen den Beschluss auf Zurückweisung seines Protokollberichtigungsantrags vom 17. Mai 2013 miterledigt (RIS‑Justiz RS0126057; RS0120683).

Das angefochtene Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, war daher in teilweiser Stattgebung der Berufung des Disziplinarbeschuldigten im Schuldspruch 2./, demzufolge auch im Strafausspruch aufzuheben und die Disziplinarsache in diesem Umfang an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Im Übrigen war der Berufung wegen Nichtigkeit und gegen den Ausspruch über die Schuld nicht Folge zu geben.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Disziplinarbeschuldigte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt iVm § 36 Abs 2 DSt.

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