OGH 28Os1/15d

OGH28Os1/15d25.6.2015

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 25. Juni 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Wippel und Dr. Strauss als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Leisser als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Mag. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 23. Juni 2014, AZ D 38/12, 39/12, nach mündlicher Verhandlung in der Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, des Kammeranwalts Dr. Winiwarter und des Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0280OS00001.15D.0625.000

 

Spruch:

Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten wird teilweise Folge gegeben und der Strafausspruch dahin abgeändert, dass über den Disziplinarbeschuldigten eine Geldbuße von 2.000 Euro verhängt wird.

Im Übrigen wird der Berufung keine Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem auch einen rechtskräftigen Freispruch von weiteren Vorwürfen enthaltenen Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 23. Juni 2014, AZ D 38/12, 39/12, wurde Mag. ***** der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung sowie der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt, weil er im Verfahren AZ 5 C 315/11t des Bezirksgerichts Hollabrunn als Beklagtenvertreter in der von ihm am 10. Juli 2012 beim Bezirksgericht Hollabrunn eingebrachten Berufung gegen das klagsstattgebende Urteil ausführte: „Offensichtlich sollte mit diesem Vorbringen die mangelnde Intelligenz der Klagevertreterin saniert werden, die offensichtlich nicht in der Lage war, eine schriftliche Zessionserklärung dem Gericht als Beweismittel vorzulegen.“

Der Beschuldigte wurde hiefür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße von 3.000 Euro verurteilt.

Der Disziplinarbeschuldigte bekämpft dieses Erkenntnis mit einer (als Beschwerde bezeichneten) Berufung wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 1, 5 und 9 lit a StPO) sowie mit einer Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe.

Mit der Besetzungsrüge (Z 1) wird die Beteiligung eines ausgeschlossenen Mitglieds des Disziplinarrats am Erkenntnis geltend gemacht, weil „davon auszugehen“ sei, dass die Ausfertigung des Disziplinarerkenntnisses vom Vorsitzenden des Disziplinarrats RA Dr. Friedrich B***** nach dessen Ausscheiden aus dem Disziplinarrat (§ 7 Abs 3 DSt) mit 16. Oktober 2014 verfasst wurde. Diesem Einwand ist zu erwidern, dass solcherart vorgebrachte bloße Spekulationen über einen möglichen Ausschlussgrund dem gesetzlichen Bestimmtheitserfordernis iSd §§ 285a Z 2, 470 Z 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt nicht genügen (RIS‑Justiz RS0109958; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 144 mwN). Das Rechtsmittelvorbringen wäre im Übrigen auch in der Sache nicht berechtigt, weil ‑ was auf das Disziplinarverfahren gleicher Maßen zutrifft ‑ etwa auch der Umstand, dass ein nach Urteilsverkündung in den Ruhestand versetzter Richter die schriftliche Urteilsausfertigung verfasst und unterschrieben hat, nichts an der gehörigen Gerichtsbesetzung ändert (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 98; Danek , WK‑StPO § 270 Rz 1).

Ausgeschlossenheit des Vorsitzenden des Disziplinarrats (§ 43 Abs 1 Z 3 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) wird auch mit der Behauptung, dem Disziplinarbeschuldigten werde in der Ausfertigung ‑ anders als in der Verkündung ‑ des Erkenntnisses nunmehr absichtliches Verhalten vorgeworfen, schon deshalb nicht aufgezeigt, weil eine Bindung des Disziplinarrats an die verkündeten Entscheidungsgründe nicht besteht (vgl RIS‑Justiz RS0098421).

Mit dem weiteren Berufungsvorbringen einer „massiven Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK“ wegen der unterbliebenen Vernehmung der Veronika M***** im Vorverfahren wird ein Nichtigkeitsgrund nicht deutlich und bestimmt bezeichnet (§§ 285a Z 2, 470 Z 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt). Im Übrigen wäre es dem Disziplinarbeschuldigten jederzeit freigestanden (vgl Art 35 Abs 1 EMRK), einen entsprechenden Antrag auf Vernehmung dieser Zeugin zu stellen (§ 31 Abs 2 DSt).

Die Mängelrüge (Z 5) verfehlt ebenso ihr Ziel:

Eine Unvollständigkeit der Entscheidungsbegründung (Z 5 zweiter Fall) liegt zufolge der Beweisverwertungsregel des § 258 Abs 1 erster Satz StPO a priori nur hinsichtlich von Beweisergebnissen vor, die in der Hauptverhandlung (hier in der Disziplinarverhandlung) vorgekommen sind. Dies trifft auf die in der Berufung relevierten Aktenstücke aus dem Verfahren AZ 5 C 315/11t des Bezirksgerichts Hollabrunn, nämlich die Berufungsbeantwortung sowie das Protokoll der mündlichen Streitverhandlung vom 9. Mai 2012, nicht zu. Der Vollständigkeit halber ist dazu anzumerken, dass die relevierten Verfahrensergebnisse überdies keine entscheidenden Tatsachen betreffen. Wann nämlich der Disziplinarbeschuldigte ‑ nach Abfertigung des von ihm verfassten Berufungsschriftsatzes ‑ auf das darin erhaltene inkriminierte Zitat von dritter Seite hingewiesen wurde, ist irrelevant, weil dieser Umstand die vom Disziplinarrat für die Begründung der subjektiven Tatseite herangezogene ‑ solcher Art erhebliche (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 409) ‑ Tatsache eines Unterbleibens der Entschuldigung des Disziplinarbeschuldigten bei der Anzeigerin (ES 10 und 13) gänzlich unberührt lässt. Aus diesem Grund können auch die Berufungseinwände eines auf jenen Zeitpunkt bezogenen Begründungswiderspruchs (Z 5 dritter Fall) und des Verstoßes gegen das Überraschungsverbot (Z 5 vierter Fall) als rechtlich irrelevant auf sich beruhen.

Auch der Inhalt des erwähnten Protokolls der mündlichen Streitverhandlung vom 9. Mai 2012 mit Bezug auf eine strittige Zessionserklärung des Klägers im Verfahren AZ 5 C 315/11t des Bezirksgerichts Hollabrunn betrifft keine entscheidenden Tatsachen, weil er den festgestellten Bedeutungsinhalt der inkriminierten Äußerung unberührt lässt.

Der aus Z 5 vierter Fall erhobenen Rüge zuwider hat der Disziplinarrat die Feststellung einer absichtlichen Verbalinjurie aus dem Unterbleiben einer ‑ auch vom Disziplinarbeschuldigten nicht behaupteten ‑ Entschuldigung bei der Anzeigerin mängelfrei erschlossen. Nicht zu beanstanden sind überdies die Erwägungen des Disziplinarrats zu einer vom Disziplinarbeschuldigten nicht intendierten Entschuldigung bei der Anzeigerin (ES 11 und 13) durch den (das Berufungsvorbringen im Betreff der inkriminierten Äußerung berichtigenden) an das Bezirksgericht Hollabrunn gerichteten Schriftsatz vom 7. August 2012.

Ebenso logisch und empirisch einwandfrei (Z 5 vierter Fall) wurde die Feststellung einer in Bezug auf die inkriminierte Textpassage unterbliebenen Korrekturanweisung des Disziplinarbeschuldigten an seine Sekretärin Veronika M***** (ES 11) aus den Angaben dieser Zeugin, insbesondere ihrer dargestellten fehlenden Erinnerung an eine Aufforderung zur Verbesserung selbst bei Erhalt eines darauf rekurrierenden Schreibens des Disziplinarbeschuldigten rund einen Monat danach, abgeleitet (ES 12 f).

Dem Einwand eines weiteren Begründungsmangels (Z 5 vierter Fall) zuwider bedurfte die im Schuldspruch inkriminierte Textpassage keiner weiteren Erörterung zu ihrem Bedeutungsinhalt, weil dem bloß spekulativen Berufungsstandpunkt zuwider der Begriff „mangelnde Intelligenz“ in der deutschen Sprache auch in semantischer Hinsicht sehr wohl existiert (vgl 3 Ob 556/84; 1 Ob 660/88).

Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) wird ohne den Hinweis auf Zitate von Verfahrensergebnissen in den Feststellungen des Erkenntnisses nicht verfahrenskonform geltend gemacht.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) verfehlt die Ausrichtung am Verfahrensrecht. Weshalb die getroffenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite (ES 13) „in keinster Weise ausreichend“ sein sollten, legt die Berufung nicht dar (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 588 mwN).

Der Einwand, wonach der Schriftsatz an das Bezirksgericht Hollabrunn vom 7. August 2012 durch die gemäß § 112 ZPO erfolgte Zustellung auch an die (als Anzeigerin fungierende) Klagevertreterin als Entschuldigung zu werten sei, orientiert sich nicht an den bereits referierten gegenteiligen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt dieses Schriftsatzes im angefochtenen Erkenntnis (ES 13).

Die ‑ weitestgehend das Vorbringen der Mängelrüge wiederholende ‑ Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld vermag aus den dazu zuvor angeführten Erwägungen auch unter dem Gesichtspunkt einer Überprüfung der Beweiswürdigung des Disziplinarrats keine Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen hervorzurufen. Gleiches gilt für die darin enthaltene bloße Wiederholung der vom Disziplinarrat mängelfrei gewürdigten Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten.

Dem Hinweis auf das bislang in Bezug auf (gerichtlich oder disziplinär) strafbare Handlungen gegen die Ehre untadelige Verhalten des Berufungswerbers bleibt im Übrigen zu erwidern, dass der bis zum inkriminierten Vorfall insoweit ordentliche Lebenswandel das aktuell strafbare Verhalten nicht auszuschließen vermag.

Dem mit der Berufung vorgelegten Protokoll der mündlichen Streitverhandlung vom 9. Mai 2012 vor dem Bezirksgericht Hollabrunn zu AZ 5 C 315/11t kommt aus den oben bereits angeführten Erwägungen keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu.

Auch sämtliche in der Berufungsausführung gestellten Beweisanträge zielen auf keine entscheidende Tatsache ab:

Zur Berufungsbeantwortung und deren Zugang an den Disziplinarbeschuldigten kann auf die bisherigen Ausführungen verwiesen werden.

Für den anlässlich der Schilderung der Arbeitssituation der Veronika M***** zum Zeitpunkt der Verfassung der inkriminierten Textpassage gestellten Beweisantrag auf Vernehmung des Disziplinarbeschuldigten und der Zeugin Katharina Bö***** wird kein konkretes Beweisthema genannt (§ 55 Abs 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt); im Übrigen ist eine Relevanz dieser Umstände für die Frage des Erinnerungsvermögens dieser Zeugin in Bezug auf die Verfassung der Textpassage nicht ersichtlich.

Die für die begehrte Vernehmung der RA Dr. Christina V***** angeführten Beweisthemen, nämlich dass der Disziplinarbeschuldigte „die Anzeigerin einerseits für intelligent hält und gegen diese in den letzten Jahren einige Verfahren vom Disziplinarbeschuldigten persönlich bzw von Klienten durch dessen Vertretung geführt worden sind sowie dass sie die Berufungsbeantwortung vom 12. Juli 2012 dem Disziplinarbeschuldigten zugestellt hat“, betreffen neuerlich keine entscheidenden Tatsachen.

Weshalb diese Zeugin Angaben zum Bedeutungsinhalt des Vorbringens im eine Berichtigung enthaltenden Schriftsatz vom 7. August 2012 im Sinne einer vom Disziplinarbeschuldigten damit intendierten Entschuldigung machen könnte, bleibt unerfindlich.

Der Berufung wegen Nichtigkeit und wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher keine Folge zu geben.

Der Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe kommt hingegen teilweise Berechtigung zu.

Der Disziplinarrat ging bei der Bemessung der Strafe davon aus, dass weder Milderungs‑ noch Erschwerungsgründe vorliegen, hielt daneben allerdings fest, dass Mag. ***** drei disziplinarrechtliche Vorstrafen aufweist, wobei seit der letzten rechtskräftigen disziplinarrechtlichen Verurteilung im Jahr 2006 „doch eine gewisse Zeit“ vergangen ist.

Daneben liegt dem Berufungswerber ‑ entgegen der Ansicht des Disziplinarrats ‑ auch der Erschwerungsumstand einer doppelten Qualifikation der inkriminierten Tat sowohl als Berufspflichtenverletzung als auch als Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zur Last.

Die Berufung macht aber zu Recht den Milderungsgrund einer überlangen Verfahrensdauer geltend:

Tatsächlich wurde der Einleitungsbeschluss schon am 10. Dezember 2012 gefasst; die mündliche Verhandlung wurde indes erst am 12. Juni 2014 für den 23. Juni 2014 anberaumt, ohne dass für diesen faktischen Stillstand des Verfahrens in der Dauer von mehr als 18 Monaten ein sachlicher Grund erkennbar ist. Dieser als Verletzung des auch im Disziplinarverfahren geltenden Beschleunigungsgebots zu wertenden Säumnis ist dadurch Rechnung zu tragen, dass die vom Disziplinarrat verhängte und unter Berücksichtigung der dargestellten Erschwerungsgründe grundsätzlich tat‑ und schuldangemessene Geldbuße von 3.000 Euro um 1.000 Euro verringert wird. Über den Disziplinarbeschuldigten war daher in teilweiser Stattgebung der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe eine Geldbuße von 2.000 Euro zu verhängen.

Der weiteren, eine Geldbuße von maximal 500 Euro reklamierenden Berufung zuwider vermag die vorgebrachte Verärgerung des Berufungswerbers durch den Verfahrensausgang erster Instanz, der ihn zur Verfassung der inkriminierten Verbalinjurie veranlasste, das Verschulden des Disziplinarbeschuldigten an der Beleidigung einer Standeskollegin nicht zu mindern.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt iVm § 36 Abs 2 DSt.

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