European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0150OS00056.15X.0610.000
Spruch:
In der Strafsache gegen Nikolaus M***** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB, AZ 8 U 121/12t des Bezirksgerichts Innsbruck, verletzt der in der Hauptverhandlung am 25. Oktober 2012 erfolgte Vortrag des „gesamten Akteninhalts“ sowie dreier weiterer Gerichtsakten § 252 Abs 2a StPO, in Bezug auf die Protokolle über die Vernehmung der Zeugen Edith M***** und Florian M***** auch in Verbindung mit § 252 Abs 1 Z 4 StPO.
Gründe:
Im Verfahren AZ 8 U 121/12t des Bezirksgerichts Innsbruck legte die Staatsanwaltschaft Innsbruck Nikolaus M***** mit Strafantrag vom 23. März 2012 (ON 5) das Vergehen der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB zur Last.
Die Hauptverhandlung am 29. Mai 2012 wurde nach Vernehmung des Angeklagten vertagt (ON 12). In der wegen Zeitablaufs neu durchgeführten, sodann gleichfalls vertagten Hauptverhandlung am 23. August 2012 wurden die Zeugen Edith M***** und Florian M***** in Gegenwart des Angeklagten vernommen (ON 16 S 5 f).
Da der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung und ausgewiesener Zustellung zur Hauptverhandlung am 25. Oktober 2012 nicht erschienen war, wurde diese gemäß § 427 StPO in seiner Abwesenheit ‑ gleichfalls wegen Zeitablaufs neu ‑ durchgeführt (ON 18 S 3).
Nach zeugenschaftlicher Vernehmung einer AMS‑Beraterin wurde ‑ ohne Bezugnahme auf eine Gesetzesstelle ‑ „der gesamte Akteninhalt“ sowie „der Inhalt der Verfahren“ AZ 3 P 131/10v des Bezirksgerichts Innsbruck sowie AZ 26 BE 9/11i und AZ 28 Hv 7/11i jeweils des Landesgerichts Innsbruck „dargetan“ (ON 18 S 4).
Mit rechtskräftigem Abwesenheitsurteil vom selben Tag ‑ das auch einen teils verfehlten Freispruch hinsichtlich weiterer Zeiträume enthält (vgl RIS‑Justiz RS0128941) ‑ wurde der Angeklagte des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Weiters wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO vom Widerruf der zu AZ 28 Hv 7/11i des Landesgerichts Innsbruck gewährten bedingten Strafnachsicht abgesehen, jedoch die Probezeit auf vier Jahre verlängert sowie gemäß § 494a Abs 2 StPO die Entscheidung über den Widerruf der bedingten Entlassung zu AZ 26 BE 9/11i des Landesgerichts Innsbruck diesem Gericht vorbehalten.
Der in Abwesenheit des Angeklagten erfolgte Vortrag der oben angeführten Akten steht ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 252 Abs 1 StPO dürfen ‑ soweit hier wesentlich ‑ Protokolle über die Vernehmung von Zeugen nur in den in Z 1 bis Z 4 genannten Fällen in der Hauptverhandlung verlesen oder vorgeführt werden; gemäß Z 4 ist dies zulässig, wenn Ankläger und Angeklagter über die Verlesung einverstanden sind.
Gegen den Angeklagten früher ergangene Straferkenntnisse, Amtsvermerke über einen Augenschein, Befunde sowie Urkunden und Schriftstücke anderer Art, die für die Sache von Bedeutung sind (zB Anzeigen und Berichte der Polizei über ihre Erhebungen; RIS‑Justiz RS0098456), müssen hingegen gemäß § 252 Abs 2 StPO in der Hauptverhandlung vorgelesen werden.
Anstelle der Verlesung kann der Vorsitzende gemäß § 252 Abs 2a StPO den erheblichen Inhalt der Aktenstücke vortragen, soweit die Beteiligten des Verfahrens zustimmen. Aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung am 25. Oktober 2012 ist mit Blick auf die Formulierung „dargetan“ (ON 18 S 4) ersichtlich, dass die oben genannten Akteninhalte im Sinn des § 252 Abs 2a StPO vom Einzelrichter zusammenfassend vorgetragen wurden (15 Os 37/13z).
Die Vernehmungen der Zeugen Edith M***** und Florian M***** erfolgten in der Verhandlung am 23. August 2012 (ON 16 S 5 f), die vertagt und sodann wegen Überschreitens der Frist von zwei Monaten am 25. Oktober 2012 gemäß § 276a zweiter Satz StPO neu durchgeführt wurde (ON 18 S 3). Das Protokoll über ihre Vernehmungen unterlag daher dem erwähnten Beweiserhebungsverbot und hätte ‑ zumal auch keiner der Fälle des § 252 Abs 1 Z 1‑3 StPO vorlag ‑ nur gemäß § 252 Abs 1 Z 4 StPO mit Einverständnis der Parteien verlesen werden dürfen. Aus dem Nichterscheinen des gesetzeskonform geladenen (unvertretenen) Angeklagten zur Hauptverhandlung konnte sein Einverständnis zur Verlesung einer Zeugenaussage nicht abgeleitet werden (RIS‑Justiz RS0117012; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 103).
Die durch § 252 Abs 2a StPO ermöglichte Abstandnahme von der Vorlesung oder Vorführung von Aktenstücken nach Abs 1 und Abs 2 leg cit zugunsten eines zusammenfassenden Vortrags ihres Inhalts ist ebenso an die Zustimmung (auch) des Angeklagten gebunden, die in dessen Fernbleiben von der Hauptverhandlung gleichfalls nicht erblickt werden kann (vgl zum Ganzen neuerlich RIS‑Justiz RS0117012).
Demnach entsprach es nicht dem Gesetz, die Aussagen der in der vertagten (und dann wiederholten) Hauptverhandlung am 23. August 2012 vernommenen Zeugen Edith M***** und Florian M***** vorzutragen (§ 252 Abs 2a iVm Abs 1 StPO) und von der Verlesung der oben genannten übrigen Aktenstücke und Beiakten zugunsten einer resümierenden Darstellung abzusehen (§ 252 Abs 2a iVm Abs 2 StPO).
Diese Gesetzesverletzungen waren ‑ in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur ‑ festzustellen.
Eine nachteilige Auswirkung des - unzulässigen ‑ Vortrags von Akteninhalten kann ‑ in concreto ‑ nicht erblickt werden, zumal der Angeklagte bei der Vernehmung der ‑ ihn zudem weitgehend entlastenden (vgl US 5) ‑ Zeugen Edith M***** und Florian M***** in der Hauptverhandlung am 23. August 2012 persönlich anwesend war und sein Fragerecht ausüben konnte (ON 16 S 1 ff) und eine ‑ die Zustimmung der Parteien nicht voraussetzende ‑ Vorlesung von Aktenteilen gemäß § 252 Abs 2 StPO kein anderes Ergebnis erbracht hätte als der ‑ hier nicht gesetzeskonforme ‑ Vortrag gemäß § 252 Abs 2a StPO.
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