OGH 9ObA36/15g

OGH9ObA36/15g29.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Schleinzer und Mag. Regina Albrecht als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** H*****, vertreten durch Mag. Norbert Huber, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei A***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Michael Nocker, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, in eventu Rechtsgestaltung (Streitwert: 65.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. November 2014, GZ 15 Ra 107/14v‑17, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. Mai 2014, GZ 44 Cga 89/13v-13, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00036.15G.0429.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.039,04 EUR (darin 339,84 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war für die Beklagte als Außendienstmitarbeiter und seit 18. 4. 2001 als Versicherungsagent für sie tätig. Am 30. 11. 2012 wurde der im Agenturvertrag vorgesehene Kündigungsverzicht um fünf Jahre verlängert und vereinbart, dass eine ordentliche Kündigung erstmals per 30. 11. 2017 unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist möglich sei. Bei der Beklagten waren im Internet Rundschreiben und Newsline-Mitteilungen von 2004, 2007 und 2009 abrufbar, wonach Mitarbeiter für sich und ihre Angehörigen begünstigt abgeschlossene Lebensversicherungsverträge als Angehörigenverträge deklarieren sollten. Der Kläger schloss für sich und seine Frau in den Jahren 2000, 2002, 2005, 2007, 2010 und 2012 Lebensversicherungen ab, die er nicht als Angehörigenverträge, sondern als bonifikations- und provisionsabhängig deklarierte und jeweils wieder stornierte. Ihm wurde nicht mitgeteilt, dass er die Lebensversicherungsverträge nicht mehr bonifikations- und provisionabhängig abschließen dürfe. Nachdem die interne Revision der Beklagten die Vorgänge als klärungsbedürftig erachtete und der Kläger dazu keine Stellungnahme abgab, erklärte ihm die Beklagte am 22. 4. 2013 mit sofortiger Wirkung die Kündigung aus wichtigem Grund. Der Kläger erklärte sich danach stets leistungsbereit.

Im Revisionsverfahren ist die Ansicht der Vorinstanzen, dass kein wichtiger Grund für die vorzeitige Vertragsauflösung vorlag, nicht mehr strittig.

Der Kläger begehrte die Feststellung, dass das Vertragsverhältnis über die am 22. 4. 2013 ausgesprochene Kündigung aus wichtigem Grund hinaus aufrecht fortbestehe, in eventu, dass die am 22. 4. 2013 ausgesprochene Kündigung aus wichtigem Grund aufgehoben und in eine ordentliche Kündigung zum 31. 5. 2018 umgedeutet werde. Weiter begehrte er die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden, der ihm dadurch entstehen werde, dass über den 22. 4. 2013 hinaus seine Leistungen nicht angenommen würden und er von der Beklagten vertragswidrig an der Erzielung eines Verdienstes auf Grundlage des Agenturvertrags vom 18. 4. 2001 gehindert werde.

Das Erstgericht wies das auf die Feststellung des aufrechten Vertragsverhältnisses gerichtete Feststellungsbegehren ab, hob die am 22. 4. 2013 ausgesprochene Kündigung aus wichtigem Grund auf, deutete sie in eine ordentliche Kündigung zum 31. 5. 2018 um und stellte die Haftung der Beklagten für Schäden des Klägers aus seiner Verhinderung an der Erzielung eines Verdienstes auf Grundlage des Agenturvertrags fest.

Die Abweisung des auf die Feststellung des aufrechten Vertragsverhältnisses gerichteten Feststellungsbegehrens erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Das Berufungsgericht gab der gegen den klagsstattgebenden Teil gerichteten Berufung der Beklagten Folge und wies auch das Rechtsgestaltungsbegehren und die Feststellung der Haftung der Beklagten für Schäden des Klägers ab. Da die Auflösungserklärung der Beklagten vom 22. 4. 2013 infolge des vom Kläger zugunsten des Fortbestands des Agenturvertrags ausgeübten Wahlrechts rechtsunwirksam gewesen sei, habe er das Feststellungsbegehren zurecht erhoben. Für das Rechtsgestaltungsbegehren sei kein Raum. Die Abweisung des Feststellungsbegehrens sei jedoch unbekämpft in Rechtskraft erwachsen. Mangels eines aufrechten Vertragsverhältnisses sei auch das Feststellungsbegehren für Schadenersatzansprüche nach § 12 HVertrG 1993 abzuweisen gewesen. Die Revision sei zulässig, weil nach einer älteren Judikaturlinie auch die grundlose vorzeitige Auflösung des Handelsvertreterverhältnisses dieses iSd § 21 HVertrG 1993 beende und aktuelle Rechtsprechung zur Durchsetzung der Ansprüche des Auflösungsgegners bei vorzeitiger Auflösung ohne wichtigen Grund gemäß § 23 HVertrG 1993 fehle.

In seiner dagegen gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurück-, in eventu abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig , jedoch nicht berechtigt .

1. Hat ein Teil das Vertragsverhältnis vorzeitig gelöst, ohne dass hiefür ein wichtiger Grund vorliegt, so kann der andere Teil die Erfüllung des Vertrags oder Ersatz des ihm verursachten Schadens verlangen (§ 23 Abs 1 Satz 2 HVertrG 1993). Schon nach dem Wortlaut des Gesetzes hat der Gekündigte daher die Wahl, entweder weiterhin auf die Erfüllung des Vertrags zu bestehen oder den Ersatz des ihm durch die vorzeitige Auflösung verursachten Schadens zu begehren.

2. Der Kläger ist in der Revision zusammengefasst der Ansicht, dass er den aufrechten Bestand des Vertragsverhältnisses nur durch eine Rechtsgestaltungsklage erreichen könne. Feststellungsklagen kämen nur bei besonders bestandgeschützten Dienstverhältnissen in Betracht. Bei ihnen sei eine ohne wichtigen Grund erklärte vorzeitige Auflösung unwirksam, sodass das Dienstverhältnis fortbestehe. Da ein Handelsvertretervertrag jedoch nicht besonders bestandgeschützt sei, werde das Vertragsband durch eine vorzeitige Auflösungserklärung beseitigt und könne nur durch richterliche Rechtsgestaltung wiederhergestellt werden.

3. Nach einer älteren Rechtsprechung wurde ein vorzeitig aufgekündigter Handelsvertretervertrag wie ein durch Entlassung eines Angestellten aufgelöstes Dienstverhältnis als beendet angesehen. Der Entscheidung ist als Begründung dafür zu entnehmen, dass es sich bei der Auflösungserklärung um eine einseitige, wenn auch empfangsbedürftige Willenserklärung handle und die sofortige Auflösung dem Willen des Erklärenden entspreche. Nur die Rechtsfolgen der Auflösungserklärung seien verschieden, je nachdem ob für die Auflösung ein wichtiger Grund vorliege oder nicht. In letzterem Fall könne bei Fehlen eines wichtigen Grundes vom Gekündigten die Erfüllung des Vertrags oder der Ersatz des ihm verursachten Schadens verlangt werden (4 Ob 11/64 = JBl 1964, 475; 6 Ob 186/73 = RZ 1974/50 S 84).

In der Entscheidung 6 Ob 524/81 wurde von dieser Rechtsprechung ausdrücklich abgegangen. Das wahlweise Recht auf Vertragserfüllung schließe es aus, auch der einseitigen Erklärung einer vorzeitigen Vertragslösung die Wirkung einer Aufhebung des Vertragsverhältnisses zum erklärten Zeitpunkt zuzubilligen (RIS-Justiz RS0062454). Die Erklärung sei aber in eine Kündigung zum nächstzulässigen Termin umzudeuten, sofern der Kündigungszeitpunkt für den Kündigenden nicht so wesentlich wie die Vertragserfüllung im Fall eines Fixgeschäfts sei.

4. In der Literatur differieren die Rechtsansichten: Nach Nocker (Handelsvertretergesetz2 § 23 Rz 16 f) wird der Vertrag durch eine Auflösungserklärung bei Fehlen eines wichtigen Grundes nicht rechtswirksam beendet, die Erklärung ist bis zur Erklärung des Gekündigten schwebend unwirksam. Dagegen erachtet Jabornegg (Handelsvertreterrecht und Maklerrecht § 24 HvertrG 1993, 475) die Auflösungserklärung bis zur Entscheidung des Wahlberechtigten als schwebend wirksam. Petsche/Petsche‑Demmel (Handelsvertretergesetz § 23 Rz 6 ff) äußern sich dazu nicht näher.

5. In Fällen des besonderen Kündigungsschutzes wird eine ohne die gesetzlichen Voraussetzungen erfolgende Auflösungserklärung in der Regel schon von Gesetzes wegen für rechtsunwirksam erklärt (vgl § 10 Abs 1 und 2 MSchG; § 8 Abs 2 BEinstG; §§ 120 Abs 1, 122 Abs 3 ArbVG). Dies berechtigt den Gekündigten, nach Maßgabe des § 228 ZPO den aufrechten Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses gerichtlich feststellen zu lassen.

Dass Handelsvertreter keinen derartigen Kündigungsschutz haben, legt aber noch keinen Umkehrschluss nahe. Aus dem Unterschied ist für den Standpunkt des Klägers vielmehr nur dann etwas zu gewinnen, wenn es zur Durchsetzung seines Anspruchs auf Vertragserfüllung der richterlichen Rechtsgestaltung bedarf.

6. Eine Rechtsgestaltungsklage führt zur Veränderung der bestehenden Rechtslage durch Begründung, Änderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses durch Richterspruch (konstitutive Wirkung, s Rechberger/Klicka in Rechberger 4 Vor § 226 ZPO Rz 5).

Nach der Rechtsprechung muss die richterliche Rechtsgestaltung durch Urteil in einem von der Privatautonomie beherrschten Privatrechtssystem und Prozessrechtssystem die Ausnahme bleiben; Rechtsgestaltungsklagen können daher nur dort erhoben werden, wo das Gesetz sie entweder ausdrücklich zulässt oder sie anhand bestimmter Ausnahmekriterien in vorsichtiger und einschränkender Analogie zugelassen werden können (RIS‑Justiz RS0097752).

7. Eine derartige Rechtsgestaltung ist im Zusammenhang mit dem allgemeinen Kündigungsschutz vorgesehen: Eine wegen eines verpönten Motivs oder wegen Sozialwidrigkeit ausgesprochene Kündigung ist nicht per se unwirksam, kann aber gemäß § 105 Abs 3 ArbVG bei Gericht angefochten werden. Sie berechtigt den Gekündigten daher, sein durch die Kündigung beendetes Arbeitsverhältnis im Wege der richterlichen Rechtsgestaltung wiederherzustellen zu lassen. Die Möglichkeit der gerichtlichen Anfechtung der Kündigung ist hier gesetzlich vorgesehen und unterliegt auch einem engen gesetzlichen Fristenregime (§ 105 Abs 4 ArbVG).

Auch andere Fälle einer „verpönten“ Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen den Arbeitnehmer zur Anfechtung der Beendigungserklärung (zB § 12 Abs 7 S 1 GlBG: geschlechtsdiskriminierende Auflösung eines Arbeitsverhältnisses; § 26 Abs 7 S 1 GlBG: iSd § 17 GlBG diskriminierende Auflösung eines Arbeitsverhältnisses; § 15 Abs 1 AVRAG: Kündigung wegen einer Maßnahme nach den §§ 11 bis 14, 14c und 14d; § 7f BEinstG: behinderungsbedingte Kündigung; § 15n Abs 2 MSchG: Kündigung bei längerer Teilzeitbeschäftigung; § 8f VKG ua).

8. Für Handelsvertreter besteht keine gesetzliche Grundlage für eine Anfechtung einer ohne wichtigen Grund ausgesprochenen Kündigung. Es zeigt sich aber auch keine mittels Analogie zu schließende Lücke für eine Anfechtungsklage, weil der Gekündigte nach dem klaren Wortlaut des § 23 Abs 1 Satz 2 HVertrG 1993 unmittelbar auf die Vertragserfüllung bestehen oder Schadenersatz verlangen kann. Ist der Gekündigte aber bereits infolge seiner Wahl berechtigt, die Vertragserfüllung zu verlangen, ist schon dadurch vom Fortbestand des Vertragsverhältnisses auszugehen. Eine Rechtsgestaltungsklage wäre in diesem Fall verfehlt, weil die durch die bloße Wahl des Gekündigten herbeigeführte Rechtslage ‑ Fortbestand des Vertragsverhältnisses ‑ gerade nicht mehr durch Richterspruch verändert werden soll. Bezweifelt der Kündigende den aufrechten Bestand des Vertrags, ist dessen Schicksal danach mittels Feststellungsklage zu klären. Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich die Möglichkeit der Feststellungsklage somit nicht daraus, dass eine unberechtigte vorzeitige Kündigung bei Handelsvertreterverträgen und besonders bestandgeschützten Dienstverhältnissen gleich zu behandeln wäre, sondern daraus, dass der Gekündigte durch seine Wahl den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses herbeiführt. Auf die Frage, ob das Vertragsverhältnis bis zur Ausübung des Wahlrechts als schwebend wirksam oder schwebend unwirksam anzusehen ist, kommt es insoweit gar nicht an.

9. Im vorliegenden Fall hat der Kläger nach den Feststellungen sein Wahlrecht dahin ausgeübt hat, dass er nach Zugang des Auflösungsschreibens stets seine Leistungsbereitschaft und damit sein Interesse an der Fortsetzung und Erfüllung des Vertragsverhältnisses erklärte. Da sich die Beklagte jedoch weiterhin auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes berief, war dem Kläger auch ein Interesse an der alsbaldigen Feststellung des aufrechten Bestands seines Vertragsverhältnisses zuzugestehen. Wie dargelegt, ist daneben für eine Rechtsgestaltungsklage kein Raum. Der Umstand, dass das Vertragsverhältnis dennoch als beendet anzusehen ist, resultiert hier aus der Rechtskraftwirkung des das diesbezügliche Feststellungsbegehren abweisenden erstgerichtlichen Urteils. Dies wird vom Kläger, der in der Revision ‑ zu Unrecht ‑ von der Notwendigkeit und Berechtigung einer rechtsgestaltenden Kündigungsanfechtung ausgeht, auch nicht bezweifelt.

10. Dass dem Kläger mangels eines aufrechten Vertragsverhältnisses auch kein Schadenersatzanspruch iSd § 12 Abs 1 HvertrG 1993 zusteht, weil er von der Beklagten insofern nicht vertragswidrig am Provisionsverdienst gehindert wird, wird in der Revision nicht mehr in Frage gestellt.

11. Soweit er das Berufungsurteil auch im Kostenpunkt bekämpft, ist ein Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig (§ 528 Abs 2 Z 3 ZPO). Nach der Rechtsprechung gilt dies sowohl für eine selbständige als auch für eine in einer Revision enthaltene Anfechtung einer Kostenentscheidung (RIS-Justiz RS0104146) und für alle Entscheidungen, mit denen in irgendeiner Form ‑ materiell oder formell ‑ über Kosten abgesprochen wird (s RIS-Justiz RS0007695). Die Revision entzieht sich in diesem Punkt daher einer inhaltlichen Behandlung.

12. Da dem Kläger zusammenfassend aus der ohne wichtigen Grund erfolgten vorzeitigen Auflösung seines Vertragsverhältnisses keine Rechtsgestaltungsklage zusteht, war seiner Revision keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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