OGH 14Os23/15m

OGH14Os23/15m28.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. April 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Moelle als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ing. Martin F***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB, AZ 80 BAZ 237/12t der Staatsanwaltschaft Krems an der Donau, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 25. März 2014 (ON 18 des Ermittlungsakts) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwalt Mag. Harammer, des Verteidigers Mag. Wirrer sowie des Privatbeteiligtenvertreters Mag. Ruisinger zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0140OS00023.15M.0428.000

 

Spruch:

Im Ermittlungsverfahren AZ 80 BAZ 237/12t der Staatsanwaltschaft Krems an der Donau verletzt der Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 25. März 2014, AZ 34 Bl 61/13t (ON 18 des Ermittlungsakts), § 195 Abs 1 erster Halbsatz StPO iVm § 57 Abs 2 und Abs 3 fünfter Fall StGB.

Dieser Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Der Antrag des Franz G***** vom 27. August 2013 auf Fortführung des Verfahrens gegen Ing. Martin F***** wegen § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Ing. Martin F***** stand aufgrund einer Anzeige des Franz G***** im Verdacht, er habe es als amtierender Bürgermeister der Marktgemeinde G***** unterlassen, die ausstehende Endbeschau der gemeindeeigenen Sportanlage abzunehmen, die mangelnde Absicherung eines Kellerabgangs aufzuzeigen sowie die Benützungsbewilligung erst nach Beseitigung der Mängel zu erteilen, und dadurch fahrlässig eine schwere Verletzung des Franz G*****, der am 20. Jänner 2012 über eine ca 25 cm hohe Mauer ohne Beleuchtung gestolpert und etwa zwei Meter abgestürzt war, herbeigeführt (ON 2 des Akts 80 BAZ 237/12t der Staatsanwaltschaft Krems an der Donau). Ing. Martin F***** wurde am 5. Mai 2012 als Beschuldigter vernommen (ON 2 S 13 ff; vgl auch ON 2 S 41 f).

Am 1. Juni 2012 stellte die Staatsanwaltschaft Krems an der Donau das wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung nach „§ 88 StGB“ geführte Ermittlungsverfahren (Abschlussbericht der Bundespolizei-inspektion G***** vom 6. Mai 2012, ON 2) gemäß § 190 Z 2 StPO ein (ON 1 S 1).

In Stattgebung eines entsprechenden Antrags des Verletzten Franz G***** (ON 6) ordnete das Landesgericht Krems an der Donau mit Beschluss vom 25. Jänner 2013, AZ 34 Bl 56/12f, die Fortführung des Ermittlungsverfahrens ‑ „wegen § 88 Abs 1 und 4 StGB“ ‑ an (ON 10).

Nachdem die Staatsanwaltschaft Krems an der Donau daraufhin die Polizeiinspektion G***** am 11. Februar 2013 mit ergänzenden Erhebungen beauftragt und Unterlagen der Bezirkshauptmannschaft H***** beigeschafft hatte (ON 1 S 1 verso, ON 11, 12), stellte sie das Ermittlungsverfahren gegen Ing. Martin F***** am 12. Juli 2013 erneut gemäß § 190 Z 2 StPO ein (ON 1 S 3).

Einem weiteren Fortführungsantrag des Franz G***** vom 27. August 2013 (ON 16) gab das Landesgericht Krems an der Donau mit Beschluss vom 25. März 2014, AZ 34 Bl 61/13t, neuerlich Folge. Die strafbare Handlung, deretwegen das Ermittlungsverfahren fortgeführt werden sollte, wurde bloß im Spruch der Entscheidung mit „§ 88 Abs 1 und 4 StGB“ bezeichnet, Feststellungen zur Tatzeit und zum Zeitpunkt der Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft, nicht aber zum Zeitpunkt der Vernehmung des Beschuldigten wurden getroffen (ON 18).

Rechtliche Beurteilung

Dieser Beschluss steht ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt ‑ mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Gemäß § 195 Abs 1 StPO kann das Gericht die Fortführung eines nach §§ 190 bis 192 StPO beendeten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft ‑ bei Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 bis 3 des § 195 Abs 1 StPO ‑ auf Antrag des Opfers anordnen, solange die Strafbarkeit der Tat nicht verjährt ist. Ist die Verjährung durch ein im Verfahren vorgekommenes Sachverhaltssubstrat indiziert, so ist das Gericht verpflichtet, zu dieser von Amts wegen zu berücksichtigenden Frage in tatsächlicher Hinsicht Stellung zu beziehen (RIS‑Justiz RS0091794 [T4]; Marek in WK2 StGB § 57 Rz 18).

Der Ing. Martin F***** angelastete Tatverdacht wurde ‑ deutlich genug ‑ zutreffend sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch vom Landesgericht Krems an der Donau unter § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB subsumiert, weil sich dem Akteninhalt zwar Anhaltspunkte für eine schwere Verletzung (§ 84 Abs 1 StGB) des Opfers Franz G***** (ON 2 S 5, 23, 25, 29, 47), nicht aber für das Vorliegen besonders gefährlicher Verhältnisse (§ 81 Abs 1 Z 1 bis 3 StGB), die die Annahme der Qualifikation nach § 88 Abs 4 zweiter Fall StGB rechtfertigen würden, entnehmen lassen.

Die Verjährungsfrist für die Strafbarkeit des (mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bedrohten) Vergehens nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB beträgt gemäß § 57 Abs 3 fünfter Fall StGB ein Jahr. Sie beginnt ‑ soweit vorliegend von Relevanz ‑ für den Unterlassungstäter mit dem auf das Ende der Handlungspflicht folgenden Tag, ab dem also für erfolgsverhindernde Maßnahmen kein Raum mehr besteht (Marek in WK² StGB § 57 Rz 3, 7; RIS‑Justiz RS0091931), zu laufen; vorliegend sohin am 21. Jänner 2012. Infolge Fehlens sonstiger die Verjährungsfrist verlängernder Umstände im Sinn des § 58 StGB wurde der Lauf der Verjährungsfrist im Anlassfall mit 5. Mai 2012, nämlich durch die (in § 164 StPO, sohin im 8. Hauptstück geregelte) erstmalige Vernehmung des Beschuldigten durch die Kriminalpolizei (Kirchbacher, WK‑StPO § 164 Rz 4), gehemmt (Marek in WK2 StGB § 58 Rz 19).

Diese Fortlaufhemmung wirkte nach § 58 Abs 3 Z 2 StGB bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens, fallbezogen daher bis zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft am 1. Juni 2012 (Marek in WK2 StGB § 58 Rz 22).

Nach Einstellung des Verfahrens lief die (verbleibende) Verfolgungsverjährung trotz der dem Fortführungsantrag stattgebenden Entscheidung des Landesgerichts Krems an der Donau vom 25. Jänner 2013 (ON 10) weiter und wurde durch Erteilung eines Ermittlungsauftrags durch die Staatsanwaltschaft an die Polizeiinspektion G***** am 11. Februar 2013 bis zur neuerlichen Einstellung des Verfahrens am 12. Juli 2013 gehemmt. Unter Berücksichtigung dieser weiteren Hemmung endete sie in der zweiten Julihälfte 2013 (Marek in WK2 StGB § 58 Rz 10 und 23 f; RIS‑Justiz RS0124802 [T1]).

Der am 27. August 2013 bei der Staatsanwaltschaft eingelangte Antrag auf Fortführung des Verfahrens (ON 16), welcher den Lauf der Verjährung nicht beeinflusst (neuerlich RIS‑Justiz RS0124802 [T1]; 12 Os 37/11z; 15 Os 80/09t), wurde sohin bereits nach Ablauf der Verjährungsfrist eingebracht.

Im Hinblick auf die nach den Sachverhaltsannahmen des Landesgerichts Krems an der Donau eingetretene Verjährung wäre der Antrag auf Fortführung des Verfahrens vom 27. August 2013 abzuweisen gewesen.

Die Frage der Verjährung betrifft zwar kein prozessuales Verfolgungshindernis, sondern einen materiellen Strafaufhebungsgrund; es war jedoch von einer Verweisung zu neuer Entscheidung abzusehen und mit Abweisung des Antrags auf Fortführung des Verfahrens vorzugehen, weil Feststellungen über das Vorliegen sonstiger nach wie vor wirksamer verjährungshemmender Umstände nicht zu erwarten sind (15 Os 80/09t; RIS‑Justiz RS0118545 [T5]).

Da diese Gesetzesverletzung zum Nachteil des Ing. Martin F***** wirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof somit veranlasst, deren Feststellung wie aus dem Spruch ersichtlich mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

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