European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0050OB00202.14P.0428.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 10.804,38 EUR bestimmten Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens (darin enthalten 5.450 EUR Barauslagen; 892,39 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist eine im Firmenbuch des Handelsgerichts Wien eingetragene Gesellschaft. Von ihr wurde der Vater eines der unbeschränkt haftenden Gesellschafter bevollmächtigt und beauftragt, sämtliche Geschäfte für die Klägerin abzuwickeln. Der Vater (in der Folge immer: Vertreter) vertrat die Klägerin aufgrund mündlicher Vollmachten auch im Verhältnis zum Beklagten.
Die Klägerin hatte mit Mietvertrag vom 24. 1. 2001 ein Geschäftslokal auf unbestimmte Zeit zum Betrieb als Gasthaus gemietet.
Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 11. 9. 2012 wurde über das Vermögen der Klägerin das Konkursverfahren eröffnet. Nach Eröffnung des Konkurses versuchte der Vertreter der Klägerin, eine Aufhebungsvereinbarung mit der Vermieterin zu schließen, ohne sie vom bereits eröffneten Konkursverfahren zu informieren. Ohne Zustimmung des Konkursgerichts und der Masseverwalterin vereinbarte er mit der Vermieterin, das Mietverhältnis betreffend das Geschäftslokal gegen Zahlung von 120.000 EUR zu beenden und das Lokal an die Vermieterin zurückzugeben. Vor Zahlung erfuhr die Vermieterin von der mangelnden Vertretungsmacht des Vertreters der Klägerin (gemeint: infolge der Eröffnung des Konkursverfahrens).
Der Vertreter der Klägerin beauftragte den nun beklagten Rechtsanwalt, mit der Vermieterin eine Vereinbarung über die Aufgabe der Mietrechte auszuarbeiten und abzuschließen.
Der Beklagte schlug vor, der Klägerin zunächst aus eigenen Mitteln 20.000 EUR in Form eines zinsenfreien Darlehens vorzufinanzieren, um eine Aufhebung des Konkurses zu erreichen. Dann würde er mit der Vermieterin eine Ablöse aushandeln. Diese sollte bis zu einer Höhe von 150.000 EUR der Klägerin zukommen; ein Mehrbetrag sollte dem Beklagten zukommen.
Der Vertreter stimmte diesem Plan des Beklagten zu und beauftragte ihn mit der Umsetzung.
Zwischen den Streitteilen wurde vereinbart, dass im Fall der erfolgreichen Umsetzung des Plans (Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Abschluss einer Auflösungsvereinbarung über den Mietvertrag betreffend das Geschäftslokal) der Beklagte die von ihm zur Verfügung gestellten Mittel von 20.000 EUR refundiert erhalten sollte. Ihm sollte ferner ein den Betrag von 150.000 EUR übersteigender Erlös aus der Aufgabe der Mietrechte als Gewinnanteil verbleiben.
Der Beklagte gewährte der Klägerin am 5. 12. 2012 ein bis 31. 1. 2013 zurückzuzahlendes, zinsenfreies Darlehen von 20.000 EUR. Die Übergabe des Betrags erfolgte am 5. 12. 2012. Der Darlehensbetrag wurde am 5. 2. 2013 zurückgezahlt.
Das Darlehen wurde vereinbarungsgemäß dazu verwendet, die Zustimmung der Konkursgläubiger zur Konkursaufhebung zu erlangen.
Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 9. 1. 2013 wurde der Konkurs mit Zustimmung der Gläubiger aufgehoben.
Dem Beklagten gelang es in der Folge, durch geschickte Verhandlungsführung mit der Vermieterin eine Zahlung von 299.000 EUR für die Aufgabe der Mietrechte auszuhandeln. Von diesem Verhandlungsergebnis informierte der Beklagte den Vertreter der Klägerin spätestens eine Woche vor dem 5. 2. 2013. Die Klägerin war einverstanden.
Die schriftliche Aufhebungsvereinbarung zwischen der Klägerin, vertreten durch den Beklagten, und der Vermieterin sah eine Aufgabe der Mietrechte der Klägerin und eine Rückstellung des Mietobjekts am 4. 2. 2013 gegen Zahlung von 299.000 EUR vor.
Der Beklagte erhielt am 4. 2. 2013 ‑ gegen Übergabe der Schlüssel zum Geschäftslokal ‑ von der Vermieterin 299.000 EUR. Am 5. 12. 2013 zahlte der Beklagte 150.000 EUR an die Klägerin.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Zahlung von 140.000 EUR mit dem Vorbringen, zwischen den Streitteilen sei vereinbart worden, dass der Beklagte (lediglich) 3 % von der Mietrechtsablöse (somit 9.000 EUR) erhalten solle. Der Beklagte habe daher unter Berücksichtigung dieser Vereinbarung weitere 140.000 EUR an die Klägerin auszufolgen.
Der Beklagte wendet ein, zwischen den Streitteilen sei vereinbart worden, dass er einen 150.000 EUR übersteigenden Erlös aus der Aufgabe der Mietrechte als „Gewinnanteil“ behalten könne. Ferner wandte der Beklagte eine Honorarforderung von 140.000 EUR als Gegenforderung ein.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ausgehend von den eingangs wiedergegebenen Feststellungen ab.
Gegen das Urteil des Erstgerichts erhob die Klägerin eine Berufung, in welcher ausschließlich der Berufungsgrund der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung ausgeführt wurde.
Das Berufungsgericht erledigte die in der Berufung der Klägerin erhobene Beweisrüge und übernahm sämtliche Feststellungen des Erstgerichts aufgrund einer von ihm als unbedenklich erachteten Beweiswürdigung.
Es gab der Berufung der Klägerin dennoch Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, dass es aussprach, dass die Klageforderung mit 140.000 EUR zu Recht bestehe und dass eine Aufrechnung mit der vom Beklagten eingewendeten Gegenforderung nicht stattfinde. Es verpflichtete den Beklagten zur Zahlung von 140.000 EUR.
Das Berufungsgericht vertrat dazu zusammengefasst die Auffassung, dass die zwischen den Streitteilen getroffene Vereinbarung gemäß § 879 Abs 2 Z 2 ABGB nichtig sei. Auf die vom Beklagten eingewendete Gegenforderung sei nicht einzugehen, weil der Beklagte eine Abrechnung der behaupteten Honorarforderungen nie vorgenommen habe. Im Übrigen stehe dem Beklagten gemäß § 19 RAO kein Aufrechnungsrecht zu.
Gegen das Berufungsurteil wendet sich die außerordentliche Revision des Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils. Hilfsweise stellt der Beklagte einen Aufhebungsantrag.
Der Beklagte macht in seiner außerordentlichen Revision ua geltend, dass die Klägerin die behauptete Nichtigkeit der Vereinbarung mit dem Beklagten weder in erster Instanz vorgebracht noch in der Berufung dazu Ausführungen erstattet habe. Er beantragt die Wiederherstellung des Ersturteils. Hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht übersah, dass die Klägerin in ihrer Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil keine Rechtsrüge erhob.
Der Klägerin wurde daher die Erstattung einer Revisionbeantwortung freigestellt.
In der fristgerecht erhobenen Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist berechtigt.
1. Zwar hat das Rechtsmittelgericht, wenn es überhaupt angerufen ist, die materiell‑rechtliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nach allen Richtungen hin zu prüfen (stRsp; RIS‑Justiz RS0043352).
2. Die Klägerin führte allerdings in der Berufung keine Rechtsrüge aus. Gibt das Berufungsgericht in so einem Fall der Berufung zu Unrecht Folge, ist dieser Umstand vom Obersten Gerichtshof aufgrund einer entsprechenden Rüge in der Revision aufzugreifen (RIS‑Justiz RS0043352 [T6, T12, T20]; 9 ObA 156/89).
3. Eine entsprechende Rüge enthält die Revision des Beklagten, die ausdrücklich darauf verweist, dass das Berufungsgericht, ohne in der Rechtsfrage angerufen worden zu sein, die Vereinbarung zwischen den Streitteilen als nichtig iSd § 879 Abs 2 Z 2 ABGB qualifizierte.
4. Der Revision ist daher Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
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