European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00005.15F.0224.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Begründung:
Die am ***** geborene Minderjährige D***** wohnt im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter in 1210 Wien, ***** 4/20/16.
Am 17. 2. 2014 stellte die Minderjährige ‑ vertreten durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger ‑ beim Erstgericht den Antrag, ihren Vater (im Folgenden: „Antragsgegner“) zu monatlichen Unterhaltsleistungen zu verpflichten; unter einem stellte sie den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382a EO. In den Anträgen wird angegeben, dass der Antragsgegner zuletzt an der Adresse in 1210 Wien, ***** 4/20/16, wohnhaft war. Eine aktuelle Wohnadresse des Antragsgegners wird nicht angeführt und ist auch aus der beigeschlossenen ZMR‑Anfrage nicht ersichtlich.
Das Erstgericht ersuchte daraufhin den Kinder- und Jugendhilfeträger eine aktuelle Zustelladresse des Antragsgegners bekanntzugeben. Darüberhinaus richtete es eine diesbezügliche Anfrage an das Arbeitsmarktservice Wien. In Entsprechung dieses Ersuchens nahm der Kinder- und Jugendhilfeträger am 3. 3. 2014 mit der Mutter der Minderjährigen eine Niederschrift auf. Die Mutter gab an, dass der Antragsgegner ihres Wissens nach bei seiner Schwester in 1100 Wien, ***** 3/18, wohnhaft sei. Sie habe nur wenig Kontakt zum Antragsgegner, er hole die Minderjährige nur hin und wieder ab.
Die Auskunft des Arbeitsmarktservice Wien ergab demgegenüber, dass die dort bekannte Adresse des Antragsgegners weiterhin jene sei, an der auch die Minderjährige mit ihrer Mutter wohne (Wien 21, ***** 4/20/16). Nach dem vorliegenden Versicherungsdatenauszug habe der Antragsgegner unter dieser Adresse ua vom 10. 12. 2013 bis 1. 1. 2014 Notstandshilfe bezogen.
Gemäß dem Titelbeschluss des Erstgerichts vom 14. 5. 2014 (in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 22. 5. 2014) ist der Antragsgegner zu monatlichen Unterhaltsbeiträgen von 225 EUR (ab 1. 3. 2013 bis 31. 7. 2013) und von 250 EUR ab 1. 8. 2013 bis auf weiteres verpflichtet. Gemäß der einstweiligen Verfügung vom selben Tag, GZ 1 Pu 168/12k‑9, ist er ab 18. 2. 2014 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Beendigung des Unterhaltsfestsetzungsverfahrens, zur Leistung eines einstweiligen Unterhalts von monatlich 130,90 EUR verpflichtet.
Das Erstgericht gewährte der Minderjährigen auf deren Antrag hin mit Beschluss vom 21. 7. 2014, GZ 1 Pu 168/12k‑15, Unterhaltsvorschüsse gemäß den §§ 3, 4 Z 1 UVG ab 1. 7. 2014 bis 30. 6. 2019 in Höhe von monatlich 250 EUR.
Gegen diesen Beschluss erhob der Bund vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien Rekurs mit dem Vorbringen, es fehlten Feststellungen zur Frage des allfälligen Vorliegens eines gemeinsamen Haushalts des Antragsgegners mit der Minderjährigen und deren Mutter. Wie eine ZMR‑Anfrage ergeben habe, sei der Antragsgegner ab 24. 4. 2014 wiederum an der Adresse der Minderjährigen und der Mutter, diesmal mit dem Vermerk „Nebenwohnsitz“ gemeldet.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs Folge und änderte den Beschluss des Erstgerichts dahin ab, dass es den Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen abwies. Obwohl die Mutter der Minderjährigen angegeben habe, ihres Wissens nach wohne der Antragsgegner bei seiner Schwester an der Adresse 1100 Wien, ***** 3/18, sei diesem die einstweilige Verfügung und der Unterhalts-festsetzungsbeschluss (samt Berichtigungsbeschluss) nicht an dieser Adresse sondern an der Adresse der Minderjährigen und deren Mutter in 1210 Wien zugestellt worden. Da sämtliche Zustellungen an einer Abgabestelle erfolgt seien, an der der Antragsgegner nicht aufhältig gewesen sei, liege keine wirksame Zustellung vor. Für die Annahme einer Heilung biete der Akt keine Anhaltspunkte. Mangels eines vollstreckbaren Unterhaltstitels sei der Unterhaltsvorschussantrag nicht berechtigt.
Das Rekursgericht sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei.
Über Antrag der Minderjährigen änderte das Rekursgericht mit Beschluss vom 4. 12. 2014 den Zulässigkeitsausspruch nachträglich dahin ab, dass der Revisionsrekurs doch zulässig sei. Wenngleich die einstweilige Verfügung und der Unterhalts-festsetzungsbeschluss (samt Berichtigungsbeschluss) dem Antragsgegner an einer Adresse zugestellt worden seien, die keine Abgabestelle dargestellt habe, sei übersehen worden, dass der Antragsgegner die Zustellstücke an dieser Adresse eigenhändig behoben habe. Der Zustellmangel sei demnach geheilt.
Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen.
Revisionsrekursbeantwortungen wurden nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist im Sinne des ‑ im Abänderungsantrag enthaltenen ‑ Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Die Minderjährige macht in ihrem Revisionsrekurs im Wesentlichen geltend, der Beschluss des Rekursgerichts widerspreche der Aktenlage. Da der Antragsgegner den Unterhaltsfestsetzungsbeschluss samt Berichtigungsbeschluss bei der Abgabestelle behoben habe, seien die Unterhaltsvorschüsse zu Recht bewilligt worden.
Dazu ist auszuführen:
1.1 Der Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ist auf die §§ 3, 4 Z 1 UVG gestützt. Nach dieser Gesetzesstelle sind Vorschüsse zu gewähren, wenn für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel besteht (§ 3 Z 1), aber die Führung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG aussichtslos erscheint. Die Gewährung von Vorschüssen auf gesetzliche Unterhaltsansprüche hängt somit vom Vorliegen eines im Inland vollstreckbaren Exekutionstitels ab.
1.2 Exekutionstitel ist im vorliegenden Fall der Unterhaltsfestsetzungsbeschluss des Erstgerichts vom 14. 5. 2014, GZ 1 Pu 168/12k‑10. Dieser (sowie der Berichtigungsbeschluss) wurde dem Antragsgegner an jener Anschrift zugestellt, an der die Minderjährige und deren Mutter wohnen und nach Hinterlegung vom Antragsgegner eigenhändig behoben. Selbst wenn die Zustellung an dieser Adresse mangelhaft gewesen sein sollte, gilt sie als in diesem Zeitpunkt bewirkt (§ 7 ZustellG). Ein Rechtsmittel wurde nicht eingebracht, sodass die Vollstreckbarkeit der Entscheidung mit formeller Rechtskraft eintrat (§ 43 Abs 1 AußStrG). Die Voraussetzung des § 3 Z 1 UVG (Vorliegen eines im Inland vollstreckbaren Exekutionstitels für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch) ist somit gegeben.
2.1 Nach § 2 Abs 2 Z 1 UVG ist ein Vorschussanspruch aber dann ausgeschlossen, wenn das Kind mit dem Unterhaltsschuldner im gemeinsamen Haushalt lebt. Ein gemeinsamer Haushalt des Kindes mit dem Unterhaltsschuldner liegt vor, wenn dieser in derselben Wohnung wie das Kind wohnt, in die Wohngemeinschaft eingebunden ist und am Familienleben in einem Ausmaß teilnimmt, wie dies im Allgemeinen bei intakten Familien üblich ist (RIS‑Justiz RS0111118).
2.2 Im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 2 Abs 2 Z 1 UVG ist die Rechtssache noch nicht spruchreif. Wie bereits der Bund in seinem Rekurs gegen den Beschluss des Erstgerichts vorgebracht hat, hat das Erstgericht ‑ obwohl die Aktenlage nicht eindeutig ist ‑ keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die Minderjährige mit dem Antragsgegner im gemeinsamen Haushalt lebt oder dies nicht der Fall ist. Für die Annahme des Rekursgerichts, es liege kein gemeinsamer Haushalt vor, fehlen somit die erforderlichen Tatsachengrundlagen. Es ist daher nicht verlässlich beurteilbar, ob der Vorschussanspruch nicht allenfalls doch gemäß § 2 Abs 2 Z 1 UVG ausgeschlossen ist. Das Erstgericht wird sich deshalb im fortzusetzenden Verfahren für den Zeitraum, für den Unterhaltsvorschüsse beantragt sind (ab 1. 7. 2014 bis laufend), mit den maßgeblichen familiären Umständen des Antragsgegners auseinanderzusetzen und dazu ‑ allenfalls nach Verfahrensergänzung ‑ Feststellungen zu treffen haben. Bloße Besuche des Vaters bei seinen Kindern erfüllen nach der Rechtsprechung den Tatbestand des Lebens im gemeinsamen Haushalt nicht (RIS‑Justiz RS0111118). Auch die bloße polizeiliche Meldung an einer Adresse mit der Mutter und dem Kind oder die Postübernahme durch die Mutter für den Vater und die Weiterleitung an ihn würde die Annahme eines gemeinsamen Haushalts nicht rechtfertigen ( Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 , § 2 UVG Rz 20).
Da aber zu all diesen Fragen Festellungen fehlen, waren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.
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