OGH 8ObA64/14s

OGH8ObA64/14s19.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr.

Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter ADir Brigitte Augustin und Wolfgang Cadilek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** B*****, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab und Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch Maxwald ‑ Bauer, Rechtsanwälte in Linz, wegen 2.885,84 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 12. August 2014, GZ 12 Ra 56/14p‑15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. Mai 2014, GZ 16 Cga 12/14m‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:008OBA00064.14S.1219.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die Klägerin war ab 19. 8. 2013 als Lehrling im Lehrberuf Hotel‑ und Gastgewerbeassistentin und Restaurantfachfrau bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Lehrverhältnis waren die Bestimmungen des Kollektivvertrags für die Arbeiter im Hotel‑ und Gastgewerbe anzuwenden. Am 14. 12. 2013 sandten die Eltern der Klägerin eine E‑Mail an den Geschäftsführer der Beklagten, in der die sofortige Auflösung des Lehrvertrags wegen Beschimpfungen und Drohungen gegenüber der Klägerin erklärt wurde. Am 15. 12. 2013 fand ein Gespräch mit der Beklagten statt, bei dem der Vater der Klägerin wiederholte, dass diese nicht mehr zur Arbeit kommen werde. Bei diesem Gespräch hatte der Vertreter der Beklagten die erwähnte E‑Mail in Händen. Am 20. 12. 2013 meldete die Beklagte die Klägerin (zum 14. 12. 2013) mit dem Grund „Kündigung durch den Dienstnehmer“ bei der Gebietskrankenkasse ab. Mit Schreiben vom 20. 1. 2014 teilte die (nunmehrige) Rechtsvertreterin der Beklagten der Rechtsvertreterin der Klägerin mit, dass keine formgültige Austrittserklärung der Klägerin vorliege, weshalb das Lehrverhältnis weiterhin aufrecht sei. Aus diesem Grund werde die Klägerin aufgefordert, bis spätestens 24. 1. 2014 ihren Lehrplatz „aufzunehmen“. Umgehend nach dem Zugang dieses Schreibens teilte die Rechtsvertreterin der Klägerin mit, dass sie von einer rechtswirksamen Auflösung des Lehrverhältnisses ausgehe, sicherheitshalber aber dennoch im Vollmachtsnamen der Klägerin der berechtigte vorzeitige Austritt erklärt werde. Mit Schreiben der Rechtsvertreterin der Beklagten vom 27. 1. 2014 wurde die Entlassung der Klägerin ausgesprochen, weil sie der Aufforderung zum Arbeitsantritt nicht nachgekommen sei.

Die Klägerin begehrte Lehrlingsentschädigung, anteilige Sonderzahlungen und Urlaubsersatzleistung für die Zeit vom 15. 12. 2013 bis 14. 3. 2014 aus dem Titel der Kündigungsentschädigung/Schadenersatz. Aufgrund ihres berechtigten vorzeitigen Austritts stehe ihr das Entgelt für die Lehrzeit einschließlich der Behaltefrist zu, wobei sie derzeit die unbedingten Ansprüche im Ausmaß von drei Monaten geltend mache. Sie sei von den Vertretern der Beklagten beschimpft und bedroht worden. Aus diesem Grund habe sie den berechtigten vorzeitigen Austritt aus dem Lehrverhältnis erklärt. Die Beklagte habe diese vorzeitige Auflösung akzeptiert.

Die Beklagte entgegnete, dass die E‑Mail‑Erklärung vom 14. 12. 2013 nicht dem Schriftlichkeitsgebot des § 15 Abs 2 BAG entspreche und daher unwirksam sei. Außerdem stamme die Auflösungserklärung nicht von der Klägerin, sondern von ihren Eltern. Der von der Rechtsvertreterin der Klägerin am 22. 1. 2014 (schriftlich) erklärte Austritt sei verfristet. Mit Schreiben vom 20. 1. 2014 habe die Beklagte die Klägerin zum Dienstantritt aufgefordert. Da die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachgekommen sei, habe sie die Klägerin am 27. 1. 2014 berechtigt entlassen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin habe kein Vorbringen zu einem Grund für die lange Verzögerung bis zur schriftlichen Auflösungserklärung vom 22. 1. 2014 erstattet. Das Zuwarten mit dieser schriftlichen Erklärung sei nicht leicht erklärbar. Daran vermöge auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Klägerin von der Beklagten bei der Gebietskrankenkasse abgemeldet worden sei. Insgesamt sei die schriftliche Auflösungserklärung zu spät nachgeholt worden. Da die Klägerin ab 15. 12. 2013 keine Arbeitsleistungen erbracht habe, stünden ihr dafür keine Ansprüche zu.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Auflösung des Lehrverhältnisses müsse unverzüglich und formgerecht erfolgen. Aus dem bloßen Schweigen der Beklagten zum Verlassen des Arbeitsplatzes durch die Klägerin könne keine Rechtfertigung für die Verzögerung der Abgabe der schriftlichen Auflösungserklärung abgeleitet werden. Darin sei keine Zustimmung der Beklagten zur Auflösung des Lehrverhältnisses gelegen. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil Fragen, die über den Einzelfall hinausgingen, nicht zu beantworten gewesen seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

Mit ihrer ‑ vom Obersten Gerichtshof freigestellten ‑ Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil sich die Entscheidung der Vorinstanzen als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1.1 Die Auflösung des Lehrvertrags bedarf gemäß § 15 Abs 2 BAG zu ihrer Rechtswirksamkeit der Schriftform (RIS‑Justiz RS0052724; 8 ObA 63/09m). Bei Nichteinhaltung des Schriftformerfordernisses tritt die angestrebte Auflösung des Lehrverhältnisses im Allgemeinen nicht ein (9 ObA 96/07v).

1.2 Im Anlassfall hätte die Austrittserklärung vom 14. 12. 2013 von der Klägerin unterschrieben (oder qualifiziert elektronisch signiert) werden müssen. Da dies nicht geschehen ist und die Erklärung zudem von den Eltern der Klägerin abgegeben wurde, war diese Austrittserklärung unwirksam, was auch nicht strittig ist. Entscheidend ist daher, ob das Nachholen der Austrittserklärung mit Schreiben der Rechtsvertreterin der Klägerin vom 22. 1. 2014 das Lehrverhältnis beendet hat, oder ‑ wie dies vom Berufungsgericht beurteilt wurde ‑ ob die nachgeholte Austrittserklärung verspätet war.

1.3 Im Allgemeinen betrifft die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der nachgeholten schriftlichen Auflösungserklärung bei unverzüglicher (aber unwirksamer) mündlicher Erklärung den Einzelfall (8 ObA 76/11a). Die Schlussfolgerung der Vorinstanzen, dass im Anlassfall kein ausreichender Grund für die spätere Nachholung der schriftlichen Auflösungserklärung vorliege und die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses daher unwirksam sei, erweist sich aber als korrekturbedürftig.

2.1 Nach ständiger Rechtsprechung kann der Ausspruch der vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses zwar grundsätzlich nur unverzüglich und schriftlich erfolgen, doch kann die (spätere) schriftliche Auflösungserklärung nicht isoliert gesehen werden, wenn bereits vorher eine eindeutige mündliche Auflösungserklärung abgegeben wurde und beide Teile davon ausgegangen sind, dass das Lehrverhältnis beendet wird (vgl RIS‑Justiz RS0031751). Das Unterlassen der unverzüglichen (formgültigen) Auflösungserklärung führt demnach dann nicht zur Verwirkung des Auflösungsrechts, wenn die Verzögerung in der Sachlage begründet, also durch einen besonderen Grund gerechtfertigt ist (vgl 8 ObA 209/99i).

2.2 Im Anlassfall hatte der Vertreter der Beklagten am 15. 12. 2013 die E‑Mail (der Eltern der Klägerin) in Händen, mit der unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wurde, dass die Klägerin das Lehrverhältnis aufgrund von Beschimpfungen und Drohungen unter keinen Umständen fortsetzen will. Beim Gespräch an diesem Tag wurde ausdrücklich wiederholt, dass die Klägerin nicht mehr zur Arbeit kommen werde. Für die Beklagte konnte somit kein Zweifel bestehen, dass das Lehrverhältnis aus Sicht der Klägerin beendet ist. Die Beklagte hat diese Konsequenz zunächst auch akzeptiert und dementsprechend die Klägerin mit dem Grund „Kündigung durch den Dienstnehmer“ bei der Gebietskrankenkasse abgemeldet. Daraus folgt, dass zunächst beide Teile davon ausgegangen sind, dass das Lehrverhältnis beendet sei. Die Klägerin wurde in dieser Haltung durch Zusendung einer Kopie der Abmeldung bei der Gebietskrankenkasse bestärkt.

Der Meinungsumschwung bei der Beklagten trat erst nach Kontaktierung ihrer Rechtsvertreterin ein. Ab diesem Zeitpunkt stellte sich die Beklagte auf den Standpunkt, dass das Lehrverhältnis mangels formgültiger Austrittserklärung weiterhin aufrecht sei. Spätestens in diesem Zusammenhang erkannte die Beklagte die Formunwirksamkeit der Auflösungserklärung vom 14. 12. 2013. Schon lange vorher war ihr bewusst, dass die Klägerin von der Wirksamkeit ihrer Auflösungserklärung ausging.

Unter diesen Umständen lag es an der Beklagten, zunächst die Klägerin unter Hinweis auf die Unwirksamkeit der Auflösung des Lehrverhältnisses zum Dienstantritt aufzufordern. Erst im Fall der Fruchtlosigkeit einer derartigen Aufforderung wäre es unter den gegebenen Umständen denkbar, das Fernbleiben des Lehrlings als einen die Beendigung des Lehrverhältnisses rechtfertigenden Grund zu qualifizieren (vgl 8 ObA 63/09m).

Die Beklagte ist dieser Obliegenheit mit Schreiben ihrer Rechtsvertreterin vom 20. 1. 2014 auch nachgekommen. Daraufhin wurde ‑ die nunmehr formwirksame ‑ Auflösungserklärung durch die Rechtsvertreterin der Klägerin postwendend nachgeholt.

2.3 In dieser besonderen Situation konnte die Klägerin bis zum Zugang des Schreibens der Rechtsvertreterin der Beklagten vom 20. 1. 2014 davon ausgehen, dass ihr Lehrverhältnis aufgelöst sei. Gleichzeitig bestand für die Beklagte kein relevantes Klarstellungsbedürfnis, zumal ihr die Haltung der Klägerin vollkommen klar war. Von einem Verzicht der Klägerin auf die Geltendmachung ihres Auflösungsrechts durch das Zuwarten mit dem Nachholen der schriftlichen Auflösungserklärung kann nicht ausgegangen werden. Die objektive Verzögerung bis zu diesem Nachholen war vielmehr durch die beschriebene Sachlage ausreichend gerechtfertigt.

3.1 Der Beurteilung des Erstgerichts, dass die Klägerin kein Vorbringen zu einem Grund für die Verzögerung erstattet habe, ist schon das Berufungsgericht entgegengetreten. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass die Beklagte auf das Verlassen des Arbeitsplatzes durch die Klägerin nur geschwiegen habe und sich mangels Zustimmung dazu keine Rechtfertigung für die Verzögerung der Abgabe der schriftlichen Auflösungserklärung ableiten lasse, erweist sich als nicht vertretbar.

3.2 Als Ergebnis folgt somit, dass das Schreiben der Rechtsvertreterin der Klägerin vom 22. 1. 2014 eine rechtzeitige und rechtswirksame Auflösungserklärung des Lehrverhältnisses im Sinn des § 15 BAG darstellte. Die Berechtigung zum vorzeitigen Austritt der Klägerin wird von der Beklagten auch im Revisionsverfahren nicht bestritten, weshalb diese Frage einen erledigten Streitpunkt bildet und nicht Gegenstand des (weiteren) Verfahrens ist.

Zur Höhe der von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche hat das Erstgericht festgehalten, dass die Beklagte das Klagebegehren ‑ mit Ausnahme einer darin enthaltenen Kleiderpauschale ‑ der Höhe nach außer Streit gestellt habe. Da die Kleiderpauschale von der Klägerin nicht gesondert ausgewiesen und dazu überdies keine Feststellungen getroffen wurden, sind zur Höhe des Klagebegehrens weitere Feststellungen erforderlich. In dieser Hinsicht liegen sekundäre Feststellungsmängel vor, weshalb sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig erweist.

In Stattgebung der Revision waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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