Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.961,82 EUR (darin 326,97 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger hat bei der Zweitbeklagten für seinen LKW einen Kaskoversicherungsvertrag, dem unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Fahrzeug-Vollkasko-Versicherung (KKB 2007) zugrunde lagen, abgeschlossen. Diese lauten auszugsweise:
„ Artikel 1
Was ist versichert?
(Umfang der Versicherung)
1. Versichert sind das Fahrzeug und seine Teile, die im versperrten Fahrzeug verwahrt oder an ihm befestigt sind, gegen Beschädigung, Zerstörung und Verlust
…
1.6. durch Unfall, das ist ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis; Brems-, Betriebs- und reine Bruchschäden sind daher nicht versichert .“
Am 6. 5. 2011 wurde der LKW des Klägers beschädigt, wofür die Zweitbeklagte vorerst 16.601,80 EUR leistete, jedoch in der Folge den Schadenseintritt ablehnte, weil kein „Unfall“ im Sinn der Versicherungsbedingungen vorliege.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger Ersatz des über die erhaltene Zahlung hinausgehenden Schadens.
Hinsichtlich der Erstbeklagten wurde Ruhen des Verfahrens vereinbart.
Die Zweitbeklagte wendet ein, der Schaden beruhe nicht auf einem Unfall im Sinn der KKB 2007, weil sich ein ‑ nicht versicherter ‑ Betriebsschaden verwirklicht habe. Außerdem habe der Kläger grob fahrlässig gehandelt.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang mit 36.389,20 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 1.000 EUR samt Zinsen ‑ unbekämpft ‑ ab. Es qualifizierte den gesamten Schaden als Unfallschaden und begründete die Teilabweisung damit, dass der Restwert zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz 16.000 EUR betragen habe.
Soweit hier noch von Bedeutung ging es von folgenden Feststellungen aus:
Der bei der Zweitbeklagten versicherte, für eine Beladung von maximal 12 Tonnen zugelassene LKW verfügt über ein geschlossenes Fahrerhaus und einen Spezialaufbau samt Hakengerät. Der Kläger transportiert damit Putzsilos für die Erstbeklagte. Der LKW ist nicht mit einer Waage ausgestattet. Der Kläger erkennt anhand der Luftfederung des LKWs, ob ein Silo zu schwer für den Abtransport ist. In diesem Fall stellt er den Silo wieder ab; dies kommt nur rund einmal im Jahr vor, meist bei Großbaustellen.
Der Kläger brachte etwa zwei Wochen vor dem 6. 5. 2011 Pflastermörtel in einem Silo zu einem Bauvorhaben in A*****. Am 5. 5. 2011 erhielt er von der Erstbeklagten den Auftrag, den Putzsilo wieder abzuholen. Informationen über das Gewicht des Silos bekam der Kläger dabei nicht. Am 6. 5. 2011 wollte er den Silo abholen. Er platzierte den LKW so, dass er den Silo aufkippen konnte und ließ die Stützfüße des LKWs herab. Der Boden bestand teils aus Schotter, teils aus Betonplatten. Die hydraulischen Stützen unterlegte der Kläger mit Holz. Eine Stütze stand am Beton, die andere am Schotter. Bevor der Kläger mit dem Aufkippen des Silos auf den LKW begann, kontrollierte er die Ladung nicht. Während des Aufkippens fiel ihm auf, dass das Unterlageholz tiefer eingedrückt wurde. Er merkte, dass der Silo schwer war, wollte aber nicht wieder auffahren, weil er sich dachte, dass der Schwerpunkt wieder nach oben komme und damit die Gefahr des Umfallens höher sei. Tatsächlich hatte die konkrete Mörtel-Füllung des Silos ein Gewicht von etwa 18 bis 21 Tonnen. Nachdem der Kläger den Silo auf den LKW geladen hatte und die Stützfüße wieder eingefahren waren, begann der LKW im Zeitlupentempo auf die rechte Seite zu kippen. Als der LKW auf dem Erdhaufen aufschlug, wurde der Silo aus der Verankerung gerissen, rollte heraus und verbog dadurch den LKW-Aufbau.
Der gesamte Schaden ist auf den Aufprall und die dadurch eingetretenen Beschleunigungen und Belastungen zurückzuführen. Die „Verwindungsschäden“ sind durch das Auftreffen am Boden und das Herausreißen des Silos aus den Aufnahmen entstanden, also durch die auf Grund des Aufpralls entstandenen extremen Belastungen und Beschleunigungen. Durch die Überladung selbst ist es nicht zu Schäden gekommen (auch nicht zu „Verwindungsschäden“), sondern nur zum Einsinken der rechten Seite in den für die große Belastung nicht ausreichend befestigtem Untergrund. Ursache des Umfallens war ausschließlich die Beladung.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es ließ die ordentliche Revision zu, weil der Frage, ob eine Überladung eines LKWs zu seinem normalen Betriebsrisiko gehöre, über den Rechtsstreit hinaus Bedeutung zukomme.
Dagegen richtet sich die Revision der Zweitbeklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
In seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, die Revision der Zweitbeklagten zurückzuweisen; hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.
Die Revisionswerberin wendet sich weiterhin gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass sämtliche Schäden, weil sie nicht durch das „eigentliche Umkippen“ entstanden, sondern auf den „Aufprall“, also auf einen „Unfall“ im Sinn der KKB 2007 zurückzuführen seien und keine Betriebs-, sondern Unfallschäden darstellten. Außerdem sei zu Unrecht das Vorliegen grober Fahrlässigkeit verneint worden.
Die Revisionsbeantwortung hält dem entgegen, die Beurteilung des Berufungsgerichts folge der Entscheidung 7 Ob 47/88. Der Kläger habe sich nicht grob fahrlässig verhalten.
Dazu wurde erwogen:
Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Abgrenzung zwischen einem ‑ von der Kaskoversicherung nicht umfassten ‑ Betriebsschaden und einem Unfallschaden entscheidend, ob das Schadensereignis mit Rücksicht auf den Verwendungszweck des Fahrzeugs im Allgemeinen oder im Einzelfall dem Betriebsrisiko zugerechnet werden kann (RIS‑Justiz RS0081193, RS0081161).
Die Entscheidung 7 Ob 47/88 hält dazu fest, dass ein Betriebsschaden vorliegt, wenn der Schaden durch eine Einwirkung entstand, der ein Kraftfahrzeug gewöhnlich ausgesetzt ist und die es ohne weiteres überstehen muss. Schäden durch einen Bedienungsfehler (wie zB plötzliches Abrutschen der Ladung) gehören demnach zu den Betriebsschäden (RIS-Justiz RS0081205; RS0081172).
Demgegenüber liegt (ebenfalls nach 7 Ob 47/88) bei einem Unfall ein außergewöhnliches Ereignis vor: Um von einem Unfall sprechen zu können, muss hinzukommen, dass nach der Art, wie der versicherte Gegenstand im konkreten Fall verwendet wird, das schädigende Ereignis außergewöhnlich erscheint, sodass mit ihm vorher nicht zu rechnen war. Kein Kriterium für den Unterschied zwischen den Begriffen „Unfall“ und „Betriebsschaden“ ist, ob das Ereignis durch ein Verhalten des jeweiligen Kraftfahrzeuglenkers verursacht wird. Wie bereits aufgezeigt, ist für die Abgrenzung vielmehr entscheidend, ob nach dem Verwendungszweck des Fahrzeugs das Schadensereignis dem Betriebsrisiko zuzurechnen ist. Das Abladen durch Kippen gehört zur gewöhnlichen Verwendung eines Sattelaufliegers. Eine Verlagerung des Schwerpunkts beim Kippen fällt unter das normale Betriebsrisiko, wobei eben auch Schäden durch einen Bedienungsfehler zu den Betriebsschäden gehören: Wird demnach ein Sattelauflieger durch einen zu rasch durchgeführten Entladungsvorgang und die damit verbundene Krafteinwirkung nach vorne bewegt, fehlt es (noch) an einem „von außen her einwirkenden Ereignis“. Kommt es aber im weiteren Verlauf zu einem Aufschlagen auf dem Boden (oder einem Gebäude), handelt es sich insoweit um einen „Unfall“.
In Deutschland werden ‑ bei völlig vergleichbarer Bedingungslage (§ 12 Abs 1 II. e AKB) ‑ Schäden, die nach dem Umkippen eines LKW durch das Aufschlagen auf dem Boden entstehen, ebenfalls als „Unfallschäden“ und nicht als „Betriebsschäden“ beurteilt (BGH 5. 11. 1997, IV ZR 1/97 [Nürnberg], NJW-RR 1998, 315 = VersR 1998, 179; so auch BGH 2. 7. 1969, IV ZR 625/68 [München], VersR 1969, 940; sowie OLG Jena 24. 3. 2004, 4 U 812/03, VersR 2004, 1261).
Da der Verwendungszweck des Fahrzeugs zu beachten ist, sind reine Verwindungsschäden nur dann als Unfallschaden zu qualifizieren, wenn sie einem nicht einzukalkulierenden, spektakulären Ereignis und nicht dem allgemeinen Betriebsrisiko von Baufahrzeugen (Befahren unebener Baustellen) zuzurechnen sind. Stürzt aber ein LKW um, liegt auf Grund des Aufschlagens auf dem Boden ein Unfall vor, der (erst) dadurch und nicht allein durch den Betrieb des Fahrzeugs entstand ( Rademacher/Voigt , Die Abgrenzung des „Unfallschadens vom Betriebsschaden“ in der Kfz-Kaskoversicherung, VersR 2004, 1522 [1523]).
Das spezielle Risiko des Umkippens eines LKW hat daher auch dann, wenn es auf ein Nachgeben des Bodens oder einen Bedienungsfehler zurückzuführen ist, eine andere Qualität als die vom Schutz der Kfz-Kaskoversicherung ausgeschlossenen Betriebsschäden (OLG Jena 24. 3. 2004, 4 U 812/03, VersR 2004, 1261 mwN [Umkippen eines LKW jedenfalls als „Unfall“ zu qualifizieren]; so auch: Stadler in Stiefel/Maier , Kraftfahrversicherung 18 [2010] AKB 2008 A.2.3 Rn 33 mwN [ein Umkippen kommt auch bei einem Baustellenfahrzeug nicht so häufig vor, dass es gerechtfertigt wäre, den entstanden Aufprallschaden als Betriebsschaden vom Versicherungsschutz auszunehmen]).
Für den geltend gemachten (Unfall-)Schaden des Klägers hat die Zweitbeklagte somit Deckung zu gewähren: Steht doch fest, dass der gesamte Schaden auf den Aufprall und die dadurch eingetretenen Beschleunigungen und Belastungen zurückzuführen ist. Sie sind durch das Auftreffen am Boden und das Herausreißen des Silos aus den Aufnahmen (durch die auf Grund des Aufpralls entstandenen extremen Belastungen und Beschleunigungen) entstanden, während es durch die Überladung selbst zu keinen Schäden gekommen ist (auch nicht zu „Verwindungsschäden“).
Keinen Bedenken begegnet auch die weitere Beurteilung des Berufungsgerichts, dem Kläger sei zwar eine nie ganz vermeidbare Fahrlässigkeitshandlung des täglichen Lebens anzulasten, nicht jedoch auffallende Sorglosigkeit, weshalb sich die Zweitbeklagte nicht auf Leistungsfreiheit nach § 61 VersVG berufen kann: Konnte doch der Kläger nach den Feststellungen davon ausgehen, der Silo werde (wie üblich ‑ auf Grund der Verwendung der zunächst darin befindlichen Mörtelfüllung) beim Abholvorgang leichter sein als beim Zuliefern, wobei eine Überladung von Silos nur etwa einmal im Jahr vorkommt. Auch der Umstand, dass der erkennbar „schwere“ Silo nicht ‑ wie sonst ‑ wieder abgeladen wurde, ist nachvollziehbar damit zu begründen, dass der Kläger befürchtete, der Schwerpunkt werde dabei wieder nach oben kommen, was die Gefahr des Umfallens erhöht hätte.
Da die Deckungspflicht der Zweitbeklagten mit zutreffender Begründung bejaht wurde, ist die angefochtene Entscheidung zu bestätigen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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