OGH 1Nc58/14s

OGH1Nc58/14s3.12.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski und Mag. Wurzer als weitere Richter in der beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zu AZ 33 Cg 48/13s anhängigen Rechtssache der klagenden Partei ***** M***** B*****, vertreten durch Mag. Stefan Traxler, Rechtsanwalt in Mödling, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, sowie die Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei 1. ***** E***** Z*****, vertreten durch die Felfernig & Graschitz Rechtsanwälte GmbH, Wien, und 2. ***** S***** G*****, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 580.716,17 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0010NC00058.14S.1203.000

 

Spruch:

Der Akt wird dem Oberlandesgericht Wien zurückgestellt.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger begründete seine Ersatzansprüche und sein Feststellungsbegehren mit dem Vorwurf, Beamte des Bundesministeriums für Inneres (Bundeskriminalamt) hätten als Organe des Bundes im Rahmen des hoheitlichen Vollzugs des Strafrechts durch die rechtswidrige und schuldhafte Zurückhaltung von wesentlichen Ermittlungsergebnissen die den Schaden herbeiführende Rechtsverletzung begangen, wobei der Schaden insbesondere in den mit dem gegen den Kläger geführten Strafverfahren und der erlittenen Untersuchungshaft verbundenen Nachteilen bestehe. Formell stützte sich der Kläger auf „jede erdenkliche Rechtsgrundlage“ sowie ausdrücklich auch auf „die Bestimmungen des AHG, des StEG und des allgemeinen Schadenersatzrechts“. Im weiteren Verfahrensverlauf dehnte er seine ersatzbegründenden Vorwürfe auf die Tätigkeit der Organe der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt aus. Die niedrigen Schadenssummen hätten auch die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft über sechs Wochen hinaus nicht gerechtfertigt. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und führte in seiner rechtlichen Beurteilung ‑ näher begründet ‑ ausdrücklich aus, dass Ansprüche nach dem StEG nicht mehr bestünden, weil diese durch einen bereits anerkannten Betrag zur Gänze abgegolten seien. Ansprüche nach dem AHG seien verjährt; hinsichtlich einzelner Vorwürfe sei auch von einer Vertretbarkeit des Organhandelns auszugehen.

In seiner dagegen erhobenen Berufung wendet sich der Kläger in erster Linie gegen die Annahme einer Verjährung. Darüber hinaus beklagt er eine unzulässige Überraschungsentscheidung, weil die Verhandlung auf die Verjährungsfrage und die Frage der allfälligen Verletzung der Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG beschränkt worden sei, das Erstgericht seine Entscheidung aber auch auf die Vertretbarkeit staatsanwaltlichen Handelns gestützt habe.

Das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht legte die Akten dem Obersten Gerichtshof „zur Entscheidung gemäß § 9 Abs 4 AHG iVm § 12 StEG“ vor. Der Kläger habe seine Ansprüche aus unberechtigter Haft ausdrücklich auch auf die Bestimmungen des StEG gestützt. Die Frage der Zulässigkeit der Untersuchungshaft des Klägers sei (in einer Entscheidung über eine Beschwerde) auch vom Oberlandesgericht Wien behandelt worden. Es sei daher davon auszugehen, dass dieses von einer Entscheidung über Ansprüche des Klägers nach dem StEG ausgeschlossen ist.

Es trifft zu, dass auf das Verfahren über Ersatzansprüche nach dem StEG gemäß § 12 StEG unter anderem auch § 9 Abs 4 AHG anzuwenden ist. Nach dieser Bestimmung ist ein anderes Gericht zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache zu bestimmen, wenn der Ersatzanspruch unter anderem aus einer Entscheidung eines Oberlandesgerichts abgeleitet wird, das nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes unmittelbar oder im Instanzenzug zuständig wäre. Sollte also Organen des Oberlandesgerichts Wien als anspruchsbegründend vorgeworfen werden, durch eine Entscheidung Schäden verursacht zu haben, deren Ersatz der Kläger nach den Bestimmungen des AHG oder des StEG begehrt, wäre dieses Gericht von einer Entscheidung über eine Berufung über diesen Gegenstand im Sinne des § 9 Abs 4 AHG ausgeschlossen und ein anderes Oberlandesgericht als zuständig zu bestimmen.

Dies ist im vorliegenden Verfahren allerdings nicht der Fall. Der Kläger hat zugestanden, für mit seiner Haft zusammenhängende Nachteile einen Betrag von 26.645,20 EUR erhalten zu haben. Abgesehen davon, dass der Kläger weitere Ersatzansprüche nach dem StEG 2005 im Verfahren erster Instanz nicht näher begründet und konkretisiert, jedenfalls aber nicht aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien abgeleitet hat, hat das Berufungsgericht über diesen Rechtsgrund auch gar nicht zu befinden. Der Kläger wendet sich als Berufungswerber ausschließlich gegen die Ausführungen des Erstgerichts zur vermeintlichen Verjährung von Ansprüchen nach dem AHG sowie zur Annahme vertretbaren Organhandelns der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt. Soweit das Urteil darüber hinaus ausspricht, dass Ansprüche nach dem StEG ‑ aus näher dargelegten Gründen ‑ nicht (mehr) bestünden, führt die Berufung dagegen inhaltlich nichts aus. Damit ist es dem Berufungsgericht verwehrt, sich mit der Frage allfälliger Ersatzansprüche nach dem StEG zu befassen; diese sind nicht mehr Gegenstand des Verfahrens (RIS‑Justiz RS0043352 [T33, T35] ua).

Da sich also die Bedenken des Oberlandesgerichts Wien im Hinblick auf einen möglichen Ausschließungsgrund nach § 9 Abs 4 AHG iVm § 12 StEG als unberechtigt erweisen wird es über die Berufung zu entscheiden haben.

Stichworte