OGH 7Ob198/14i

OGH7Ob198/14i26.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen J***** S*****, geboren am 2. November 2010, in Obsorge der Mutter C***** S*****, vertreten durch Dr. Karin Wessely, Rechtsanwältin in Wien, wegen Obsorge und Kontaktrecht, über den Revisionsrekurs des Vaters M***** S*****, vertreten durch Dr. Andrea Müller, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. September 2014, GZ 48 R 80/14s-202, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0070OB00198.14I.1126.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 62 Abs 1 AußStrG ist gegen einen im Rahmen des Rekursverfahrens ergangenen Beschluss der Revisionsrekurs nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. Eine solche Frage zeigt der Revisionsrekurs des Vaters nicht auf:

Der Entscheidung über die Übertragung der Obsorge im Einzelfall kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu, wenn dabei ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde (RIS-Justiz RS0115719; RS0007101 [T11]). Auch die Fragen, ob die Kommunikationsbasis zwischen den Eltern ausreicht, um beiden die Obsorge zu belassen, sowie, welche Beweisaufnahmen notwendig sind, bevor das Gericht eine Obsorgeentscheidung fällen kann, sind einzelfallbezogen (RIS-Justiz RS0128812 [T5]; RS0114147 [T1]). Obsorge- und Kontaktrechtsentscheidungen begründen als Entscheidungen des Einzelfalls nur dann erhebliche Rechtsfragen, wenn leitende Rechtsprechungsgrundsätze verletzt werden (RIS‑Justiz RS0007101; RS0115719 [T12]; RS0097114 [T10]; 4 Ob 79/14t).

Entgegen dem Standpunkt des Vaters ist dem Rekursgericht eine Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit korrigiert werden müsste, nicht unterlaufen. Die Vorinstanzen haben ihre Entscheidungen sowohl zur Frage der Obsorge als auch zu jener des Kontaktrechts sorgfältig und nachvollziehbar begründet.

Nach dem am 1. 2. 2013 in Kraft getretenen KindNamRÄG 2013 (BGBl I 2013/15) soll nunmehr (zwar) in allen Fällen des § 180 Abs 1 und Abs 3 ABGB (nF) die Obsorge beider Elternteile (eher) die Regel sein (RIS-Justiz RS0128811). Auch wenn das Gesetz keine näheren Kriterien dafür aufstellt, ob eine Alleinobsorge eines Elternteils oder eine Obsorge beider Eltern anzuordnen ist, so kommt es doch darauf an, welche Form der Obsorge dem Wohl des Kindes besser entspricht. Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern setzt allerdings ein gewisses Mindestmaß an Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit beider Elternteile voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und einen Entschluss zu fassen. Es ist also eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob bereits eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist und ob zumindest in absehbarer Zeit mit einer solchen gerechnet werden kann (RIS-Justiz RS0128812). Bei der Entscheidung über die Obsorge ist ausschließlich das Wohl des Kindes maßgebend, wobei nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu stellen sind (RIS-Justiz RS0048632).

Hier ist in diesem Zusammenhang von folgenden Feststellungen auszugehen:

Beide Eltern werden von ihren Familien im „Kampf“ gegen den anderen Elternteil unterstützt und in ihrer unrealistischen Wahrnehmung des anderen Elternteils gestärkt, wobei die elterliche Kooperationsfähigkeit sowie die Bereitschaft und Fähigkeit die Paar- und Elternebene zu trennen, fehlen. Der Konflikt zwischen den Eltern ist maximal eskaliert; es ist schon mehrmals zu Polizeieinsätzen im Zusammenhang mit der Minderjährigen gekommen. Das extrem schlechte Verhältnis der Kindeseltern zueinander, die stark negativen Zuschreibungen gegeneinander und die seit der Trennung bestehende hoch eskalierte Konfliktsituation stellen eine deutliche Belastung für das Kind dar. Auch wenn bei der Befundaufnahme durch die Sachverständige das Kind einen nicht verstörten Eindruck hinterließ, ist dennoch das Wohl des Kindes bei Beibehaltung der aktuellen Konfliktsituation langfristig gefährdet.

Die Beurteilung der Vorinstanzen, auf Grund fehlender Gesprächsbasis und Kooperationsbereitschaft sowie nicht existenter Wertschätzung gegenüber dem anderen Elternteil entspreche eine gemeinsame Obsorge der Eltern ‑ trotz der guten Beziehung beider Elternteile zum Kind ‑ nicht dem Kindeswohl, weil die Konfliktsituation zwischen den Eltern dadurch noch verschärft und das Kind belastet würde, hält sich im Rahmen der Judikatur.

Auch die hier bekämpfte Regelung des Kontaktrechts (Punkt 4, 7 und 9 des erstgerichtlichen Beschlusses) ist nicht zu beanstanden:

Das Recht auf persönlichen Verkehr zwischen Eltern und Kindern ist ein allgemein anzuerkennendes Menschenrecht. Ein Mindestmaß persönlicher Beziehungen eines Kindes zu beiden Elternteilen ist höchst erwünscht und im Dienst der gesunden Entwicklung des Kindes allgemein gefordert. Das Recht auf persönlichen Verkehr steht den Eltern nur insoweit nicht zu, als die Ausübung des Rechts das Wohl des Kindes gefährdet (7 Ob 68/14x; RIS-Justiz RS0047754). Für die Regelung des Kontaktrechts ist das Wohl des Kindes ausschlaggebend (RIS-Justiz RS0047958).

Nach RIS-Justiz RS0047991 kann dem Zweck der Regelung des persönlichen Verkehrs zwischen dem Kind und dem nicht obsorgeberechtigten Elternteil (zwar) insbesondere dann, wenn die Aufrechterhaltung des erforderlichen persönlichen Kontakts wegen besonderer Umstände (etwa große räumliche Entfernung der Wohnorte) nicht möglich ist, auch die Anordnung und Regelung von Telefonkontakten dienen. Die dem Rechtssatz zugrundeliegende Entscheidung spricht dies freilich nur ganz allgemein aus, ohne konkrete Telefonkontakte festzulegen (6 Ob 574/92). Im Allgemeinen werden in der Rechtsprechung bei Kleinkindern häufigere, jedoch kürzere (persönliche) Kontakte bevorzugt (LGZ Wien, EFSlg 113.743), wobei das Ferienbesuchsrecht zumindest drei Wochen im Sommer (LGZ Wien, EFSlg 119.614) und eine Woche im Winter (LG Linz, LGZ Wien EFSlg 119.615) beträgt.

Von diesen Grundsätzen ausgehend sind die dem Vater eingeräumten drei Wochen gemeinsamer Urlaub mit der Minderjährigen in den Sommermonaten sowie eine Woche zu Weihnachten und alternierend zu Ostern oder zu Pfingsten jedenfalls vertretbar. Gleiches gilt für die Abweisung seines Antrags auf tägliche Telefonkontakte: Hat doch bereits das Rekursgericht zutreffend aufgezeigt, dass bei Kleinkindern persönliche Kontakte zu bevorzugen sind, wobei nach dem Sachverständigengutachten regelmäßige Telefonate nicht dem Wohl der Minderjährigen entsprechen.

Im Rahmen der zitierten Rechtsprechung liegt daher auch die Abweisung des Antrags des Vaters, ihm eine wöchentliche telefonische Kontaktaufnahme mit der Minderjährigen zu ermöglichen, wobei die Mutter gleichzeitig verpflichtet wurde, ihm die Möglichkeit zu geben, mit der Minderjährigen an deren Geburtstag zu telefonieren.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 letzter Satz AußStrG).

Stichworte