OGH 10Ob63/14h

OGH10Ob63/14h25.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen M*****, geboren am *****, vertreten durch das Land Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung Bezirke 12, 13 und 23, Rößlergasse 15, 1230 Wien), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. Mai 2014, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 22. Juli 2014, GZ 42 R 167/14s‑99 (104), mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 5. Februar 2014, GZ 29 Pu 119/13v‑90, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0100OB00063.14H.1125.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der Vater der Minderjährigen ist derzeit aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 25. 11. 2013, GZ 29 Pu 119/13v‑82, zu einer monatlichen Unterhaltsleistung in Höhe von 315 EUR verpflichtet. Auf deren Antrag erhöhte das Erstgericht mit Beschluss vom 3. 1. 2014 (ON 85) die der Minderjährigen gemäß den §§ 3, 4, Z 1 UVG für die Zeit vom 1. 5. 2011 bis 31. 1. 2015 monatlich gewährten Unterhaltsvorschüsse.

Mit Beschluss des Rekursgerichts vom 12. 8. 2013, GZ 42 R 181/13y‑68, war der Vater zum Ersatz der Kosten für die kieferorthopädische Behandlung für das erste Behandlungsjahr in Höhe von 573 EUR, zahlbar in drei monatlichen Raten zu je 191 EUR, verpflichtet worden.

Wie sich aus der Aktenlage ergibt, handelt es sich um Behandlungskosten nur für das erste Behandlungsjahr, für die zwei weiteren Behandlungsjahre fallen keine weiteren Kosten an.

Mit Eingabe vom 23. 1. 2014 (ON 89) beantragte die Minderjährige, vertreten durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger, im Hinblick auf den Sonderbedarf für die kieferorthopädische Behandlung die Unterhaltsvorschüsse für die Zeit vom 1. 11. 2013 bis 31. 1. 2014 um monatlich 139 EUR auf monatlich 454 EUR zu erhöhen.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Rechtlich ging es davon aus, nur ein laufender monatlicher Sonderbedarf etwa aufgrund einer Behinderung, laufender Therapien etc sei einer Bevorschussung zugänglich. Im vorliegenden Fall handle es sich jedoch um einen einmaligen Sonderbedarf (kieferorthopädische Behandlung). Dass der Einmalbetrag im Hinblick auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Vaters auf drei monatliche Raten aufgeteilt wurde, schließe noch nicht die Einmaligkeit des Sonderbedarfs aus.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Minderjährigen nicht Folge. Auch die Ratengewährung ändere nichts daran, dass es sich nicht um einen „laufenden Unterhaltsbeitrag“ im Sinne des § 3 Z 2 UVG handle.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 Ob 20/13h noch offen gelassen habe, ob nicht auch ein einmalig gegebener und abzugeltender Sonderbedarf einer Unterhaltsbevorschussung zugänglich sei. Andererseits stelle sich selbst dann, wenn dies verneint werden sollte, die Frage, inwieweit die Gewährung der Zahlung eines Sonderbedarfs in Raten nicht doch als „laufender Unterhaltsbeitrag“ im Sinne des § 3 Z 2 UVG anzusehen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Unterhaltsvorschüsse antragsgemäß erhöht werden.

Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde von den anderen Verfahrensparteien nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Rekursgerichts mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

Die Revisionsrekurswerberin macht geltend, in der deutlichen Mehrzahl der Fälle erfordere eine kieferorthopädische Behandlung das Tragen der Zahnspange über mehrere Behandlungsjahre. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass die Kosten, die üblicherweise nach Behandlungsjahren abgerechnet werden und zu bezahlen seien, auf die Behandlungsdauer umzulegen wären. Es sei daher kein Grund ersichtlich, warum ein zwar zeitlich begrenzter, aber für einen längeren Zeitraum bestehender medizinischer Sonderbedarf nicht nach dem UVG bevorschussungsfähig sein sollte. Die Bevorschussungsfähigkeit könne nicht von der Art der Auferlegung der Zahlungspflicht des einmaligen Sonderbedarfs abhängen.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Dies gilt auch für den Anwendungsbereich des § 62 Abs 1 AußStrG (RIS‑Justiz RS0112769 [T10]; RS0112921). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt somit weg, wenn die bedeutsame Rechtsfrage durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde.

Der erkennende Senat hat in der Entscheidung 10 Ob 22/14d, die am 3. 7. 2014 im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS‑Justiz) veröffentlicht wurde ‑ somit erst nach der Beschlussfassung des Rekursgerichts - zwischenzeitig zu der auch hier entscheidungswesentlichen Rechtsfrage der Bevorschussungsfähigkeit der Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung (im ersten Behandlungsjahr) Stellung genommen. Danach können Unterhaltsvorschüsse nach § 3 Z 2 UVG unter anderem nur dann gewährt werden, wenn der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet. Bevorschussungsfähig sind demnach nur die nicht (mehr) fließenden laufenden Geldunterhaltsleistungen in Höhe des gesetzlichen Unterhaltsanspruchs (Neumayr in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1 UVG Rz 5). Durch die Vorschüsse soll der laufende (gesetzliche) Unterhalt notleidender Kinder gedeckt werden. Es kann daher ein laufend gegebener Mehrbedarf als Bestandteil des laufenden monatlichen Unterhalts im Rahmen der gesetzlichen Grenzen bevorschusst werden, ein einmaliger Sonderbedarf ist aber mangels „laufender Zahlung“ einer Bevorschussung nicht zugänglich (RIS‑Justiz RS0128952). Bei den Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung für das erste Behandlungsjahr handelt es sich um einen nur einmalig gegebenen und abzugeltenden Sonderbedarf, nicht jedoch um einen regelmäßig monatlich anfallenden. Nur bei einem solchen wäre es grundsätzlich zulässig, diesen zusätzlich monatlich zum Regelunterhalt als einen erhöhten monatlichen Unterhaltsbeitrag zuzusprechen.

Im Sinne dieser oberstgerichtlichen Rechtsprechung haben die Vorinstanzen entschieden. Ergänzend ist hinzuzufügen:

Die von der Revisionsrekurswerberin angeführte Rechtsprechung, nach der Kosten für kieferorthopädische Behandlungen auf so viele Monate umzulegen sind, wie die Behandlung durch diese Zahlung gedeckt ist (Gitschthaler, Unterhaltsrecht² Rz 275/5) bezieht sich auf Sachverhalte, bei denen die regelmäßig erbrachten Unterhaltsleistungen den Regelbedarf beträchtlich übersteigen. In einem derartigen Fall kann der Unterhaltspflichtige zur Deckung eines Sonderbedarfs nur dann verhalten werden, wenn der Unterhaltsberechtigte beweist, dass er trotz der den Regelbedarf erheblich überschreitenden Unterhaltsbeiträge außer Stande wäre, diese Kosten auf sich zu nehmen, etwa weil der Überhang an Unterhaltsleistungen durch anderen anerkennenswerten Sonderbedarf bereits aufgezehrt ist. Andernfalls ist der Sonderbedarf nur insoweit zu ersetzen, als diese Aufwendungen höher sind als die Differenz zwischen dem Regelbedarf und dem zuerkannt gewesenen Unterhalt. Bei einmaligen Anschaffungen und auch Zahnbehandlungskosten, die einen Anspruch auf Sonderbedarf begründen können, ist zwecks Erzielung einer sachgerechten Lösung der Anschaffungspreis durch so viele Monate zu teilen wie der Nutzungsdauer des angeschafften Gegenstands entspricht. Zahnregulierungskosten sind ‑ wenn ein Jahreshonorar bezahlt wird ‑, auf 12 Monate „umzulegen“. Das jeweilige Ergebnis ist mit der Differenz zwischen Regelbedarf und zuerkanntem Unterhalt zu vergleichen (1 Ob 39/01v; Gitschthaler, Unterhaltsrecht² Rz 275/1, 2, 3, 4 und 5). Für die hier zu beurteilende Frage, ob die Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung einer Unterhaltsbevorschussung zugänglich sind oder nicht, lässt sich aus den dort zitierten Entscheidungen aber nichts ableiten.

Dass die ‑ den Einkommensverhältnissen des Unterhaltsschuldners entsprechende ‑ Aufteilung des Sonderbedarfs auf drei Monatsraten die Fiktion eines gleichmäßigen Entstehens dieser Kosten und damit eines laufenden Unterhalts nicht rechtfertigen kann, wird im Revisionsrekurs nicht widerlegt.

Da mittlerweile hinreichende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliegt und auch die Revisionsrekurswerberin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG aufzeigt war der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.

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