OGH 3Ob184/14a

OGH3Ob184/14a19.11.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.‑Prof Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** B*****, vertreten durch Dr. Gerhard Schöppl, Rechtsanwalt in Wals, gegen die beklagte Partei Wohnungseigentümergemeinschaft der Liegenschaft S*****, vertreten durch die Hausverwaltung *****gesellschaft m.b.H, S*****, diese vertreten durch Schubeck & Schubeck Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 5.142,11 EUR sA und Feststellung (Streitwert 500 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 10. Juli 2014, GZ 53 R 130/14w‑20, womit das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 31. März 2014, GZ 32 C 1034/12z‑16, über Berufung der beklagten Partei bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0030OB00184.14A.1119.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 559,15 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 93,19 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Der Kläger kam am 21. Juni 2012 mit seinem Fahrrad zu Sturz, als er im Bereich der Tiefgaragenausfahrt der im Eigentum der Beklagten stehenden Liegenschaft über die Durchgangsoberfläche vor dem Vorplatz des Stiegenaufgangs mit seinem Fahrrad fuhr. Der Kläger beabsichtigte, durch die Torbögen durchzufahren. Er nahm nirgends ein Schild oder einen Warnhinweis wahr, dass man dort nicht fahren dürfte. In jenem Bereich waren zwei Seilketten. Die erste lag auf dem Boden, sie war nicht gespannt. Diese bemerkte der Kläger auch nicht, als er sie überfuhr. In der Folge stürzte er über ein zweites Stahlseil, welches am Ende auf einer Länge von höchstens 1,5 Metern mit rot‑weiß‑roten Gliedern umwickelt war. Er wurde auf das Hindernis erst aufmerksam, als er bereits gestürzt war.

Warnende Hinweisschilder waren in diesem Bereich nicht vorhanden, ebensowenig Hinweisschilder, die das Befahren dieses Bereichs verbieten würden. Dieser Bereich hätte abgesperrt sein sollen, weil er eine Zufahrt für Einsatzfahrzeuge ist und das Freihalten dieses Bereichs behördlich vorgeschrieben wurde.

Bei der Wohnhausanlage gibt es insgesamt drei beauftragte Hausbetreuungsunternehmen, wobei zwei Unternehmen für die Anlagenbetreuung und ein weiteres Unternehmen für die Haustechnik zuständig ist. Der gegenständliche Bereich fällt grundsätzlich sowohl in den Bereich Anlagenbetreuung als auch in den Bereich Haustechnik. Jeden Tag müsste eine Sichtkontrolle stattfinden, ob die Absperrmaßnahmen auch in Ordnung sind, weil es dort viele Vandalismusschäden gibt. Zwar gab es mit den Hausbetreuungsunternehmen grundsätzlich nie Probleme, dem zuständigen Hausverwalter war jedoch nicht bekannt, ob die Sichtkontrollen tatsächlich täglich durchgeführt wurden. Früher vorhandene Hinweise auf die Feuerwehrzufahrt wurden nach einer Renovierung nicht wieder montiert. Früher wurden die Absperrungen immer wieder repariert, wenn es zu Beschädigungen kam. Die erste Absperrkette war zum Zeitpunkt des Unfalls bereits seit langem nicht mehr mit dem Aufgang verbunden.

Eine Kette im ursprünglichen Zustand ist bei sorgfältiger und aufmerksamer Beobachtung von einem Radfahrer unter Bedachtnahme auf die auch dem übrigen Verkehr zu widmende Aufmerksamkeit aus einer Entfernung von zumindest 10 Metern als Hindernis zu erkennen. Aus einer Geschwindigkeit von 10 km/h hätte der Kläger mit dem von ihm benützten Fahrrad bei einer normalen Betriebsbremsung auf etwa 4 Metern anhalten können. Bei entsprechend sorgfältiger und aufmerksamer Beobachtung des von ihm geplanten Wegs hätte er also die Hängekette erkennen und problemfrei vor ihr anhalten oder ihr auch durch einen leichten Schwenk nach links um eine Säule herum ausweichen können. Bei Absperrketten ist es üblich, entweder eine rot‑weiß‑rote Farbe durchgehend zu verwenden oder das Absperrseil mit farblich gut erkennbaren Warntüchern oder Warnschildern zu befestigen. Eine durchgehend rot‑weiß‑rote Kette wäre aus einer Entfernung von deutlich mehr als 10 Metern erkennbar, in diesem Fall etwa aus 30 oder 40 Metern Abstand. Die am Unfallstag tatsächlich vorhandene Kette wies nur im Randbereich eine weiß‑rot‑weiß beginnende Kette auf, war ansonsten jedoch als einfarbiges Seil ausgebildet.

Der Kläger begehrte ‑ unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens im Ausmaß von einem Viertel ‑ 5.142,11 EUR für unfallkausale Schäden sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für allfällige zukünftige Schäden ebenfalls im Ausmaß von drei Vierteln. Ursache für den Sturz sei das für ihn kaum wahrnehmbare Stahlseil gewesen. Er hätte Anspruch darauf gehabt, nicht auf unvorhersehbare Hindernisse oder Hürden zu stoßen.

Die Beklagte bestritt ihre Haftung lediglich dem Grunde nach und wendete ein, der Kläger hätte bei gehöriger Aufmerksamkeit und angepasstem Fahrverhalten den Unfall vermeiden können. Die Beklagte habe alle ihr zumutbaren Verkehrssicherungspflichten erfüllt und sämtliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr gesetzt. Der Kläger habe den von ihm benützten Weg unerlaubt befahren. Der von der Beklagten Beauftragte sei weder untüchtig noch gefährlich gewesen, Organisationsverschulden liege nicht vor.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (im eingeschränkten Ausmaß) zur Gänze statt.

Das Berufungsgericht bestätigte den zugesprochenen Schadenersatz sowie die ausgesprochene Haftung der Beklagten und sprach ‑ nach Abänderungsantrag der Beklagten ‑ aus, dass die ordentliche Revision (doch) zulässig sei, weil Zweifel bestünden, „ob das Berufungsgericht vom festgestellten Sachverhalt ausgegangen und ihm nicht ein Fehler betreffend des groben Verschuldens auf Seiten des Wegehalters und der Beurteilung des Weges als öffentlich unterlaufen sei“.

Da die einheitlich asphaltierte Fläche ungehindert für Fußgänger oder Radfahrer unter gleichen Bedingungen benützt habe werden können, liege die Unfallstelle auf einem Weg im Sinn des § 1319a ABGB. Der Kläger habe als Radfahrer vom Vorplatz vor der Tiefgarageneinfahrt direkt zur Unfallstelle gelangen können. Der beklagten Eigentümerin sei das Überwachungsverschulden des Hausverwalters zuzurechnen. Das dem Wegehalter gemäß § 1319a Abs 1 ABGB gewährte Haftungsprivileg beziehe sich nur auf die Herbeiführung des mangelhaften Zustands des Wegs; wegen eines Auswahl‑ oder Überwachungsverschuldens sei jedoch bereits leichte Fahrlässigkeit haftungsbegründend. Die Wohnungseigentümergemeinschaft hafte für das Auswahl‑ oder Überwachungsverschulden des Hausverwalters. Es entspreche allgemeiner Lebenserfahrung, dass ein Drahtseil nicht besonders auffällig sei und für Radfahrer und auch Fußgänger eine Stolperfalle bilde. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass allgemein mit solchen Absperrungen nicht zu rechnen sei und hier auch eine gewisse Ablenkung zu berücksichtigen sei, wenn sich Fußgänger oder Radfahrer von der Nebenfläche in Richtung der öffentlichen Verkehrsfläche bewegen und sich dabei auf den Verkehr auf der Hauptverkehrsfläche konzentrieren. Wenn die Absperrungen in der gefährlichen Art für lange Zeit bestanden haben, liege ein Überwachungsverschulden des Hausverwalters vor, wenn er sich nicht vergewissert habe, ob die mit der Betreuung der Allgemeinflächen und Absperrungen Beauftragten diese auch gewissenhaft kontrollieren. Das Mitverschulden des Klägers, der das gespannte Drahtseil übersehen habe, sei wesentlich geringer zu beurteilen als das Überwachungsverschulden im Hinblick auf die erhebliche Gefährlichkeit gespannter Drahtseile.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Von § 1319a Abs 2 ABGB wird vorausgesetzt, dass die Landfläche jedermann oder wenigstens einem eingeschränkten Benützerkreis zu Verkehrszwecken zur Verfügung steht. Die Landfläche muss also dem Zweck dienen, von einem Ort zu einem anderen Ort zu gelangen (RIS‑Justiz RS0030002, vgl RS0029988). Die berufungsgerichtliche Einordnung des aus der Annäherung des Klägers nicht abgesperrten Garagenvorplatzes als Weg im Sinn des § 1319a ABGB ist daher jedenfalls vertretbar.

Bei der Prüfung der Frage der Erkennbarkeit einer unerlaubten oder widmungswidrigen Benützung einer Straße, welche nach § 1319a Abs 1 zweiter Satz ABGB die Haftung des Wegehalters ausschließt, kommt es darauf an, ob dem Benutzer der Straße aufgrund seiner optischen Wahrnehmungen erkennbar ist, die Straße widmungswidrig und unbefugt zu nutzen (4 Ob 200/12h mwN). Mangels entsprechender Hinweisschilder und einer bloß auf dem Boden liegenden Seilkette liegt es nahe, diese Erkennbarkeit im konkreten Fall auszuschließen (gewidmete Feuerwehrzufahrt).

Gegenstand der von der Beklagten angezogenen Entscheidung 4 Ob 200/12h war ein Forstweg, den der dort Geschädigte auf Umwegen und unter Umgehung von Absperrungen erreicht hatte. Der behauptete Widerspruch zur Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt daher.

Ein haftungsbegründendes eigenes Verschulden der Eigentümergemeinschaft, die sie treffende Pflichten (etwa den Winterdienst auf öffentlichen Verkehrsflächen) auf einen selbständigen Unternehmer ausgelagert hat, kann sie in Form eines Organisations‑, Auswahl‑ oder Überwachungsverschuldens treffen. Selbst im Anwendungsbereich des § 1319a ABGB lässt die Rechtsprechung hiefür leichte Fahrlässigkeit ausreichen (3 Ob 136/12i mwN; vgl 5 Ob 76/12f). Diese Grundsätze der Rechtsprechung bestreitet auch die Revisionswerberin nicht, sie macht aber geltend, der Einzelfall sei (grob) falsch entschieden worden.

Ausgehend von den getroffenen Feststellungen ist aber die Annahme eines Überwachungsverschuldens der Eigentümergemeinschaft bzw des für sie handelnden Hausverwalters durchaus vertretbar. Der seit langem bestehende Zustand der ersten Absperrkette (lag auf dem Boden) ist festgestellt. Die zweite Absperrkette war entgegen der festgestellten allgemeinen Üblichkeit nicht zur Gänze aus gut sichtbarem, in wechselnden Farben gestalteten Material, sondern wies lediglich in den Randbereichen eine rot‑weiß‑rote Färbung auf. Die Kette verlief von den beiden Befestigungspunkten nach unten hin durchgehend, der tiefste Punkt befand sich nur 30 bis 40 cm über dem Boden. Auch wenn nicht ausdrücklich festgestellt ist, dass dieser Zustand schon länger bestand, so gibt es doch keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich unmittelbar vor dem Unfall irgendetwas geändert hätte, zumal auch feststeht, dass man es inzwischen aufgegeben hat, Beschädigungen zu reparieren. Dass es der Hausverwalter mit der Überwachung nicht genau nahm, folgt aus der Feststellung, dass ihm nicht bekannt war, ob die Hausbetreuungsfirma in Anbetracht der ständigen Vandalismusschäden notwendige tägliche Sichtkontrollen überhaupt durchführte. Überdies dürften laufende Beschädigungen und immer wieder notwendige Reparaturen nicht dazu führen, dass „man es dann sein lässt“, sondern müsste eine andere, verlässlich haltbare (und gut sichtbare) Absperrung angebracht werden. Dies unterblieb jedoch, nicht einmal die früher vorhandenen Warnschilder, die auf die Absperrung des fraglichen Bereichs hinwiesen, wurden nach einer zwischenzeitigen Renovierung wieder angebracht. Es ist daher vom Obersten Gerichtshof nicht als Fehlbeurteilung aufzugreifen, wenn die Vorinstanzen bei Würdigung dieses gesamten Sachverhalts ein gravierendes Überwachungsverschulden der Eigentümergemeinschaft/ihres Hausverwalters annahmen.

Ebenso wenig aufzugreifen ist die Beurteilung der erst etwa aus 10 Metern als Gefahr erkennbaren Seilkette als haftungsbegründendes Hindernis. Die von der Beklagten herangezogenen Entscheidungen befassten sich mit einem anderen Sachverhalt (Erkennbarkeit aus 25 Metern, 4 Ob 200/12h; Erkennbarkeit aus 10 bis 15 Metern, aber zusätzlich in die Augen fallende seitliche Pfosten und ein Fußgängerdurchgang, der aus 55 Metern erkennbar ist, 1 Ob 260/05z). Überdies liegt der hier zu beurteilende Garagenausfahrtsbereich vor der Einmündung in eine Straße samt Radweg, was weitere allenfalls ablenkende Aufmerksamkeitserfordernisse bedeutet, sodass an die Absicherung der Seilkette erhöhte Anforderungen zu stellen sind. Von einem ohnehin in die Augen fallenden Hindernis, das nicht weiter abgesichert werden müsste, weil die Gefahr ohnehin für jedermann leicht erkennbar wäre (im Sinn der Pflicht, „vor die Füße zu schauen“), kann daher hier keine Rede sein.

Die stets einzelfallbezogene Verschuldensabwägung wirft schließlich ebenso wenig eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Da der Kläger auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision hinwies, hat ihm die Beklagte gemäß §§ 41 und 50 ZPO die Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung (Revisionsbeantwortung) zu ersetzen.

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