European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:E109448
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Endurteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 14.936,14 EUR (darin 990,61 EUR USt und 8.992,50 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Kläger kauften in den Jahren 2003 bis 2005 insgesamt 152 Genussscheine der späteren Schuldnerin zum Preis von 274.382,16 EUR. Die Schuldnerin hatte sich vertraglich gegenüber den Käufern verpflichtet, die Genussscheine jederzeit zum aktuell von ihr veröffentlichten Kurswert zurückzukaufen.
Vor Oktober 2008 wurden derartige Rückkäufe von der Schuldnerin auch regelmäßig durchgeführt, danach unter Behauptung eines Liquiditätsengpasses nicht mehr. Die Kläger verlangten im Oktober 2008 vergeblich den Rückkauf ihrer Genussscheine zu dem in diesem Monat verlautbarten Kurswert von 3.275 EUR pro Stück.
Der im Oktober 2008 von der Schuldnerin veröffentlichte „Indexkurswert“ war ein reines Fantasieprodukt ihres Vorstands. Die Kursfestsetzungen kamen durch Kursmanipulationen und Täuschungshandlungen zustande. Der verantwortliche Vorstand wurde dafür wegen schweren gewerbsmäßigen Betrugs, Untreue, betrügerischer Krida sowie der Vergehen gemäß § 255 AktG und § 15 KMG und des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels rechtskräftig zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Im Strafurteil wurde festgestellt, der Angeklagte habe indirekt im Wege seines Firmengeflechts Wert und Kurs der Genussscheine beeinflusst und dadurch eine wesentliche Voraussetzung für die Beschaffung weiteren zur Finanzierung seiner Unternehmen notwendigen Kapitals am Genussscheinmarkt geschaffen.
Am 4. 5. 2010 wurde über das Vermögen der Schuldnerin der Konkurs eröffnet und die Beklagte zur Masseverwalterin bestellt. Die Genussscheine sind nunmehr wertlos.
Die Kläger meldeten im Insolvenzverfahren eine von der Beklagten zunächst zur Gänze bestrittene Forderung von 497.800 EUR an, errechnet aus dem im Oktober 2008 veröffentlichten Kurs von 3.275 EUR für 152 Genussscheine.
Mit Teilanerkenntnisurteil des Erstgerichts vom 9. 10. 2013 wurde festgestellt, dass den Klägern eine Insolvenzforderung in Höhe von 349.521,30 EUR zusteht. Dieser Betrag setzt sich aus dem Ankaufspreis der Genussscheine, dem von den Klägern bezahlten Agio sowie 4 % Zinsen p.a. bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens zusammen.
Mit dem vorliegenden Endurteil wies das Erstgericht das Mehrbegehren auf Feststellung einer weiteren Insolvenzforderung von 148.278,70 EUR ab.
Den Klägern gebühre nur der Ersatz des Vertrauensschadens, dem Anspruch auf Erfüllung der vertraglichen Rückkaufszusage stehe § 879 ABGB entgegen. Es habe sich herausgestellt, dass es bei den Geschäften in Wahrheit um einen absolut nichtigen Vertrag über ein verbotenes Glücksspiel (Pyramidenspiel) im Sinne des § 168 StGB gegangen sei. Die Auszahlung des bloßen Scheingewinns aus einem derartigen Glücksspiel könne nicht verlangt werden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger Folge und änderte das Urteil im klagsstattgebenden Sinn ab.
Die Kläger hätten unstrittig von dem „verbotenen Spiel“ nichts gewusst, sondern seien bezüglich der Seriosität ihrer Anlage gutgläubig gewesen. Alle Täuschungshandlungen des Vorstands, die zu den Kaufverträgen mit der darin enthaltenen Rückkaufsoption geführt hätten, könnten daher nur eine relative Nichtigkeit begründen. Es stehe den Klägern frei, sich gegen die Anfechtung des Rückkaufsvertrags zu entscheiden und ihren Nichterfüllungsschaden geltend zu machen.
In ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des klagsabweisenden Endurteils. Es fehle höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der absoluten oder relativen Nichtigkeit von Verträgen, die in Durchführung eines Pyramidenspiels mit gutgläubigen Kunden geschlossen wurden. Das Ergebnis des Berufungsgerichts sei rechtsirrig.
Die Kläger haben die ihnen gemäß § 508a ZPO freigestellte Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist aus den darin ausgeführten Gründen zulässig, die Bedeutung der angesprochenen Rechtsfragen geht über den Anlassfall hinaus. Die Revision ist auch berechtigt.
1. Gemäß § 879 Abs 1 ABGB ist ein Vertrag, der gegen ein Gesetz oder gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass es sich beim System des Verkaufs von Genussscheinen der Beklagten um ein sogenanntes „Pyramidenspiel“ gehandelt habe, bei dem die zur Wahrung oder Erhöhung der eigenen Gewinnchance immer neue Mitspieler angeworben werden müssen, wobei die Anzahl der vorhandenen Interessenten aber begrenzt ist und der damit unausweichliche Verlust der letzten Teilnehmer in Kauf genommen wird (5 Ob 506/96; RIS‑Justiz RS0102178).
2. Unter den Begriff des Pyramidenspiels oder „Schneeballsystems“ im engeren Sinn können die Genussscheine der Schuldnerin nach den Feststellungen nicht eingeordnet werden (insofern etwas unscharf: 6 Ob 242/12z; 6 Ob 243/12x; 9 Ob 13/13x), weil der den Käufern in Aussicht gestellte Kursgewinn nach außen hin nicht von der Anwerbung neuer Teilnehmer abhängig gemacht wurde und die Genussscheinkäufer auch selbst keine neue Interessenten anzuwerben hatten.
Die Methode eines Verkaufs von Wertpapieren an gutgläubige Investoren mit dem werbewirksamen Versprechen, die Papiere zu einem höheren (tatsächlich aber nicht mit dem wahren Marktwert korrespondierenden) Preis zurückzukaufen (wofür in der Regel die Mittel aus dem Verkauf weiterer Wertpapiere eingesetzt werden) begründet bei entsprechendem, hier aufgrund der Verurteilung des Vorstands anzunehmendem Vorsatz aber sehr wohl den strafrechtlichen Vorwurf des gewerbsmäßigen Betrugs („Ponzi‑Schema“) und Nichtigkeit nach § 879 ABGB.
Die Anleger werden in diesem System nicht, wie beim Glücksspiel, durch eine zufallsabhängige Gewinn- oder Verdienstaussicht, sondern durch Täuschung über die wahre Werthaltigkeit einer vermeintlich seriösen Anlage zu deren Kauf oder zum weiteren Halten verleitet. Das Versprechen des Verkäufers, die Anlage zu einem in Wahrheit irrealen Preis zurückzukaufen, ist dabei unverzichtbares Element der Täuschungshandlung, weil sie dem potentiellen Adressatenkreis einen hoch positiven Wert suggeriert, damit die Beschaffung weiterer Mittel für die Loch‑auf‑Loch‑zu‑Strategie ermöglicht und die Aufdeckung des Betrugs verhindert.
3. Ob ein Vertrag gemäß § 879 ABGB absolut oder nur relativ nichtig ist, hängt nach herrschender Auffassung vom Zweck des verletzten Verbotsgesetzes ab (RIS‑Justiz RS0016417). Der Vertrag ist jedenfalls dann absolut unwirksam, wenn andernfalls die Erreichung des vom Gesetzgeber angestrebten Zwecks gefährdet wäre.
In der Regel begründet Gesetzwidrigkeit daher eine amtswegig wahrzunehmende, absolute Nichtigkeit, auf die sich auch jener Vertragsteil berufen kann, der sie bei Vertragsabschluss kannte (Riedler in Schwimann/Kodek ABGB4 IV, § 879 Rz 46; Krejci in Rummel³, § 879 Rz 247; Bollenberger in KBB4 § 879 ABGB Rz 27; Graf in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01 § 879 Rz 4).
4. Der im Revisionsverfahren noch gegenständliche Teil des Klagebegehrens gründet sich nicht auf den Ankauf der Genussscheine durch die Kläger, sondern auf die Annahme der vereinbarten Rückkaufsoption, deren Bedingungen erst durch die Kursverlautbarung der Schuldnerin im Oktober 2008 konkretisiert wurden. Fest steht, dass dieser Optionspreis ein reines Fantasieprodukt war und zu den Wesenselementen des dargestellten Betrugssystems gehörte. Hätte die Schuldnerin das im Oktober 2008 konkretisierte betrügerische Verkaufsversprechen gegenüber den Klägern (noch) erfüllt, wäre ihr dies mangels echter Werthaltigkeit der Genussscheine nur unter Schädigung anderer Kunden möglich gewesen, deren Einlagen sie für die Befriedigung der Kläger widerrechtlich heranziehen hätte müssen.
Es wäre deshalb mit dem Verbotszweck unvereinbar, ein unter der Annahme dieser Option geschlossenes Rechtsgeschäft nur als relativ nichtig zu behandeln. Nach der Insolvenzeröffnung über ihr Vermögen könnte den Klägern ein Anspruch auf Erfüllung der Option nur zu Lasten der anderen Insolvenzgläubiger ‑ und damit praktisch in Fortwirkung der schädigenden Handlungen des Vorstands, zugestanden werden. Hinzu kommt, dass sich die Schuldnerin zwar die rechtswidrigen Handlungen ihres Vorstands gegenüber Dritten zurechnen lassen muss, im Innenverhältnis als dessen Werkzeug bei der Begehung seiner Straftaten aber selbst Geschädigte ist.
5. Die vom Berufungsgericht zur Begründung seiner abweichenden Rechtsansicht herangezogene Rechtsprechungskette (RIS‑Justiz RS0014769) ist nicht einschlägig. Sie bezieht sich nicht auf die Rechtsfolgen gesetzwidriger Verträge gemäß § 879 ABGB, sondern auf Fälle der Vertragsanfechtung wegen List und Irreführung.
Ob die Kläger durch List zum ursprünglichen Ankauf der Genussscheine verleitet wurden, ist im Revisionsverfahren nicht mehr zu beurteilen, weil sich das derzeit noch verfahrensgegenständliche Begehren ausschließlich auf die Rückkaufsverträge gründet, die durch Ausübung der im Oktober 2008 angebotenen Option zustandekamen. Zu diesem Verkauf sind die Kläger allerdings ‑ entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ‑ nicht überlistet worden. Es sind überhaupt keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Kläger bei Kenntnis der wahren Hintergründe ihre Genussscheine zu diesem Zeitpunkt nicht verkaufen und aus dem Investment aussteigen hätten wollen, zumal die Schuldnerin selbst bereits Liquiditätsschwierigkeiten einbekannt hatte.
Soweit die Kläger trotz der mittlerweile erlangten Informationen nach wie vor zu Lasten der anderen Konkursgläubiger am Begehren auf Erfüllung des betrügerisch überhöhten Rückkaufpreises festhalten wollen, sind sie nicht schutzwürdig.
Der Revision war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
Im Rahmen der Entscheidung über die Kosten erster Instanz ist auch auf den Kostenrekurs der Kläger einzugehen. Der Klagevertreter hat gemäß § 21 Abs 1 RATG für seine erstinstanzliche Tätigkeit einen Honorarzuschlag von 100 % zu den Ansätzen des Rechtsanwaltstarifgesetzes beantragt. Voraussetzung für diesen Zuschlag ist, dass die Leistung des Rechtsanwalts nach Umfang oder Art den Durchschnitt erheblich übersteigt. Worin dieser besondere Umfang im vorliegenden Fall gelegen sein sollte, der sich auf einen einzelnen Schadenersatzanspruch und damit zusammenhängende Rechtsfragen beschränkt, zu denen grundsätzlich bereits höchstgerichtliche Rechtsprechung besteht (vgl RIS‑Justiz RS0127685), ist nicht dargelegt.
Das Argument, es seien eine Vielzahl gleichartiger Verfahren anhängig, für die das vorliegende als „Musterprozess“ diene, lässt weder Rückschlüsse auf den konkreten Umfang der anwaltlichen Leistung im Anlassverfahren zu, noch berücksichtigt es, dass die anwaltliche Tätigkeit in Parallelverfahren ohnedies gesondert entlohnt wird. Die erstinstanzliche Entscheidung war daher einschließlich des Kostenausspruchs wiederherzustellen.
Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die verzeichneten Kosten waren zu korrigieren, weil keine Berufungsverhandlung stattgefunden hat und für die Berufungsbeantwortung daher nur der dreifache Einheitssatz gebührt.
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