OGH 4Ob129/14w

OGH4Ob129/14w21.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*****Ö*****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer und Dr. Andreas Frauenberger, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Gheneff ‑ Rami ‑ Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 40.000 EUR), über die außerordentlichen Revisionsrekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 27. Mai 2014, GZ 30 R 19/14f‑11, mit welchem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 19. März 2014, GZ 43 Cg 19/14p‑6, infolge Rekurses der klagenden Partei teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0040OB00129.14W.1021.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs der beklagten Partei wird gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Hingegen wird dem außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird in seinem Punkt 2.b. dahin abgeändert, dass der beklagten Partei bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Unterlassungsklage untersagt wird, bei der Werbung für die periodische Druckschrift „H*****“ unter Bezugnahme auf Daten der ÖAK und der Media-Analyse oder vergleichbar aussagekräftiger Erhebungen für „H*****“ oder Konkurrenzmedien Werte für „Leser pro Exemplar“ und/oder „Leser pro Zeitung“ zu behaupten, sofern diese Werte nicht nachweislich zutreffen und/oder diesen Werten nicht Daten aus korrelierenden Erhebungszeiträumen zugrunde liegen und/oder die beteiligten Verkehrskreise in sinngleicher Weise irregeführt werden.

Die klagende Partei hat fünf Achtel der Kosten des Sicherungsverfahrens erster und zweiter Instanz vorläufig und drei Achtel dieser Kosten endgültig selbst zu tragen. Sie ist schuldig, der beklagten Partei einen mit 1.117,34 EUR bestimmten Anteil an den Kosten des Sicherungsverfahrens erster und zweiter Instanz (darin 186,22 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei hat zwei Fünftel der Kosten ihres Revisionsrekurses vorläufig und drei Fünftel dieser Kosten endgültig selbst zu tragen. Sie ist schuldig, der beklagten Partei einen mit 713,66 EUR bestimmten Anteil an den Kosten der Revisionsrekursbeantwortung (darin 118,94 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Parteien stehen im Wettbewerb auf dem Markt für Gratiszeitungen. Strittig ist folgende Werbung der Beklagten:

 

 

 

 

 

Beide Zeitungen werden in der ÖAK und der Media‑Analyse ausgewiesen. Die ÖAK hat folgende Jahresschnitte 2013 und 2012 und folgende Halbjahreszahlen erhoben:

 

Die Media-Analyse hat folgende Zahlen zu Lesern pro Ausgabe, Reichweiten und Schwankungsbreiten erhoben:

 

Die „Leser pro Exemplar“ („LpE“) werden in der Media-Analyse definiert als Zahl der Personen, die ein Exemplar einer Zeitung lesen. Diese Zahl wird gebildet aus der Reichweite (= Leser pro Ausgabe) laut Media-Analyse dividiert durch die „verbreitete Auflage“ (Druckauflage minus Restauflage minus Auslandsauflage) laut ÖAK. Die beanstandeten Angaben zu den „Lesern pro Zeitung“ beruhen auf einer von der Beklagten vorgenommenen Berechnung aufgrund der Reichweite laut Media-Analyse 12/13 (also für das zweite Halbjahr 2012 und das erste Halbjahr 2013) und der Auflage laut ÖAK 2013 (also für das Jahr 2013).

Die Klägerin beanstandet (zusammengefasst)

1. die Werbung mit der „Rekorddruckauflage“, weil (a) dies nicht in jeder Hinsicht zutreffe und (b) der Eindruck erweckt werde, dass die Druckauflage der maßgebende Faktor für den Erfolg einer Zeitung sei;

2. die Werbung mit Lesern pro Exemplar, wenn die Berechnung aufgrund von Daten aus verschiedenen Zeiträumen erfolge;

3. die (sinngemäße) Behauptung, dass es bei der Zeitung der Beklagten keine Restauflage gebe;

4. die Werbung mit Daten der Media-Analyse ohne Hinweis auf die Schwankungsbreiten.

Sie erhebt insofern Unterlassungsbegehren und beantragt eine einstweilige Verfügung. Die Werbung der Beklagten sei in diesen Punkten irreführend. Die Behauptung einer „Rekorddruckauflage“ treffe nicht zu, weil die Auflage teilweise zurückgegangen sei. Die Beklagte erwecke den Eindruck, die Druckauflage sei der entscheidende Faktor für den Erfolg einer Zeitung. Der LpE-Wert sei rein fiktiv, weil er aufgrund von Werten aus verschiedenen Zeiträumen errechnet worden sei. Die Beklagte erwecke den unrichtigen Eindruck, bei ihr gebe es keine Restauflage. Werbung mit Reichweitendaten ohne Hinweis auf die Schwankungsbreiten sei unzulässig.

Die Beklagte wendet ein, die Werbung mit der „Rekord-Druckauflage“ beziehe sich auf die Jahreswerte für das gesamte Verbreitungsgebiet. Hier habe es tatsächlich eine Steigerung gegeben. Ein Vergleich von Daten für das gesamte Jahr mit solchen für Halbjahre sei aufgrund saisonaler Schwankungen nicht aussagekräftig. Der Werbung sei nicht zu entnehmen, dass die Druckauflage der maßgebende Wert für den Erfolg einer Zeitung sei. Der LpE-Wert beruhe auf den im Zeitpunkt der Veröffentlichung aktuellen Daten. Die Werbung erwecke nicht den Eindruck, alle gedruckten Zeitungen der Beklagten würden gelesen. Schwankungsbreite und Fallzahl der Reichweitenerhebung ließen sich aus der angeführten Quelle erschließen. Davon abgesehen sei der Vorsprung der Zeitung der Beklagten gegenüber jener der Klägerin auch unter Berücksichtigung der Schwankungsbreiten signifikant.

Das Erstgericht folgte dem Vorbringen der Beklagten und wies den Sicherungsantrag zur Gänze ab.

Das Rekursgericht erließ eine einstweilige Verfügung zu den Punkten 1(a) und (4) des Sicherungsantrags und bestätigte die Abweisung zu den Punkten 1(b), (2) und (3). Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei.

Die Beklagte habe nicht den Eindruck erweckt, die Druckauflage sei das einzige Kriterium für den Erfolg einer Zeitung (Punkt 1[b]), wohl aber dürfe sie nicht mit dem Begriff „Rekord“ werben, wenn die Zahlen auch nur in einem Verbreitungsgebiet - hier in Wien beim Vergleich der Halbjahreswerte 1/12 und 1/13 - zurückgegangen seien (Punkt 1[a]). In Bezug auf die „Leser pro Zeitung“ (Punkt 2) stelle zwar die mangelnde Übereinstimmung der Erhebungszeiträume für Auflage und Reichweite „die Aussagekraft der Veröffentlichung in Frage“. Allerdings bestehe „bei Reichweitenerhebungen ein gewisser Spielraum“, und es gebe „nicht nur eine Methode und auch nicht nur einen Weg, eine Methode anzuwenden.“ Angesichts der Quellenangaben, aus denen die Erhebungszeiträume abgeleitet werden könnten, und des Umstands, dass es sich um die jeweils aktuellsten Erhebungen gehandelt habe, liege keine Irreführung vor. Die Beklagte erwecke nicht den Eindruck, dass es bei ihr keine Restauflage gebe (Punkt 3). Eine Aufklärungspflicht über die Schwankungsbreiten habe unabhängig vom Reichweitenvorsprung bestanden; zudem werde ohne Hinweis auf die Schwankungsbreiten ein unrichtiger Gesamteindruck erweckt, weil die tatsächlichen Abstände der beiden Zeitungen geringer sein könnten (Punkt 4).

Gegen diese Entscheidung richten sich außerordentliche Revisionsrekurse beider Parteien.

Die Klägerin beantragt, die einstweilige Verfügung „zur Gänze zu erlassen“. Vorbringen erstattet sie jedoch nur zu den Punkten 2 und 1(b) des Sicherungsantrags, nicht aber zu Punkt 3. Die Berechnung des LpE-Werts sei methodisch nicht korrekt, weil die Erhebungszeiträume nicht übereinstimmten. Die Werbung erwecke den Eindruck, dass die Druckauflage der maßgebende Faktor bei der Ermittlung gewesen sei.

Die Beklagte bekämpft das zu Punkt 1(a) erlassene Verbot. Die Behauptung eines „Rekords“ treffe zu, weil die Werbung auf Jahresdurchschnittswerte abgestellt habe, die nicht mit Halbjahreswerten verglichen werden dürften.

Rechtliche Beurteilung

A. Der Revisionsrekurs der Beklagten ist unzulässig.

Die Zeitung der Beklagten weist für das gesamte Verbreitungsgebiet im zweiten Halbjahr 2013 eine geringere Druckauflage auf als im ersten Halbjahr 2013. Für das Verbreitungsgebiet Wien ging die Druckauflage (Halbjahreswerte) vom ersten Halbjahr 2012 zum zweiten Halbjahr 2013 kontinuierlich zurück. Unter diesen Umständen ist die Auffassung des Rekursgerichts, dass die nicht weiter differenzierende Behauptung einer „Rekorddruckauflage“ irreführend sei, jedenfalls vertretbar.

B. Der Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, weil die Irreführungseignung einer Werbung mit selbst errechneten Kennzahlen einer Klarstellung bedarf. Er ist teilweise berechtigt.

1. Beim Irreführungstatbestand ist zu prüfen, (a) wie ein durchschnittlich informierter und verständiger Interessent für das Produkt, der eine dem Erwerb solcher Produkte angemessene Aufmerksamkeit aufwendet, die strittige Ankündigung versteht, (b) ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob (c) eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, den Interessenten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (4 Ob 42/08t = MR 2008, 257 [Korn] = ÖBl 2008, 276 [Gamerith] ‑ W.-Klaviere; RIS-Justiz RS0123292; zuletzt etwa 4 Ob 29/13p = MR 2013, 293 [Heidinger] = ÖBl 2013, 266 [Melcher] ‑Vfg Versandapotheke für Österreich, und 4 Ob 94/14y ‑ Schriftliche Abhandlungspflege).

2. Die Werbung mit den Leser-pro-Exemplar-Werten erfüllt diesen Tatbestand.

2.1. Wird mit Kennzahlen für den Werbewert einer Zeitung geworben, nimmt der Adressat der Werbung an, dass diese Zahlen entweder von einer unabhängigen Institution (insbesondere der ÖAK oder der Media-Analyse) veröffentlicht oder aber vom Werbenden aufgrund unstrittiger Grundlagen methodisch korrekt ermittelt wurden. Ersteres trifft hier nicht zu, weil weder die ÖAK noch die Media-Analyse Leser-pro-Exemplar-Werte veröffentlicht hatte. Diese wurden vielmehr von der Beklagten errechnet, wobei die angewendete Methode (Leser pro Ausgabe [LpA; Wert der Media-Analyse] dividiert durch verbreitete Auflage [Wert der ÖAK]) an sich schlüssig ist.

2.2. Dass die Beklagte die Berechnungsmethode in einem aufklärenden Hinweis falsch darstellte („verbreitete Auflage / LpA“), schadet nicht, weil nicht zu erwarten ist, dass ein relevanter Teil der Adressaten der Werbung den Widerspruch zwischen dieser Aussage und der unmittelbar davor stehenden (richtigen) Definition („Wie viele Menschen ein Exemplar einer Zeitung lesen“) erkannte.

2.3. Wohl aber werden die Adressaten der Werbung annehmen, dass der von der Beklagten ermittelte Wert auf Daten beruht, die jeweils für denselben Zeitraum erhoben wurden. Denn nur dann spiegelt die Berechnung tatsächliche Verhältnisse wider, die in einem bestimmten Zeitraum bestanden hatten. Bei nicht übereinstimmenden Erhebungszeiträumen führt die Berechnung demgegenüber zu einem rein fiktiven Wert, dessen Übereinstimmung mit realen Verhältnissen zufällig wäre. Ein solcher Fall liegt hier vor. Zwar zog die Beklagte für die Berechnung um die jeweils aktuellsten Daten von ÖAK und Media-Analyse heran. Diese Daten betrafen jedoch unterschiedliche Zeiträume, weswegen sich daraus keine aussagekräftigen Werte ermitteln ließen. Damit wurden die Adressaten der Werbung in relevanter Weise über die Aussagekraft der strittigen Kennzahl in die Irre geführt. Der klein gedruckte aufklärende Hinweis zu den Grundlagen der Berechnung legt nicht deutlich genug dar, dass die angegebenen Werte letztlich fiktiv sind. Die angefochtene Entscheidung ist daher dahin abzuändern, dass dem Sicherungsantrag in diesem Punkt stattgegeben wird.

3. Hingegen trifft die Beurteilung des Rekursgerichts zu Punkt 1(b) des Sicherungsantrags uneingeschränkt zu (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO). Die Beklagte hat in der Werbung ohnehin ausgeführt, dass für erfolgreiche Werbung nicht zähle, wie viele Zeitungen ein Verlag drucke, „sondern einzig (!), wie viele Zeitungen gelesen werden“. Damit hat sie die Druckauflage nicht als allein maßgebendes Kriterium für den Erfolg ihrer Zeitung herausgestellt. Soweit der Revisionsrekurs auf teilweise sinkende Druckauflagen hinweist, übersieht er, dass das Rekursgericht dem Antrag insofern ohnehin stattgegeben hat.

4. Ein Vorbringen zur Abweisung von Punkt 3 des Sicherungsantrags enthält das Rechtsmittel nicht.

5. Aus diesen Gründen ist dem Revisionsrekurs teilweise Folge zu geben. Der angefochtene Beschluss ist dahin abzuändern, dass auch zu Punkt 2 des Sicherungsantrags eine einstweilige Verfügung erlassen wird; im Übrigen ist er zu bestätigen.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. Der Sicherungsantrag enthielt vier im Zweifel gleichwertige Punkte, wobei die Klägerin letztlich mit zwei Punkten zur Gänze und mit einem Punkt zur Hälfte durchdrang. Daher hat sie im Sicherungsverfahren erster und zweiter Instanz fünf Achtel ihrer Kosten vorläufig und drei Achtel endgültig zu tragen; der Beklagten hat sie wegen des Abwehrerfolgs drei Achtel der Kosten zu ersetzen. Der Revisionsrekurs der Klägerin bezog sich nur mehr auf die abweisende Entscheidung zu den Punkten 1(a), 2 und 3 des Sicherungsantrags. Hier setzte sich die Klägerin mit zwei Fünfteln durch (Punkt 2) und unterlag zu drei Fünfteln (Punkt 1[a] und Punkt 3). Daraus ergeben sich die Aussprüche über die Kosten des Revisionsrekurses und seiner Beantwortung.

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