OGH 6Ob155/14h

OGH6Ob155/14h9.10.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. W***** A*****, vertreten durch Dr. Gerhard Zenz, Rechtsanwalt in Mondsee, gegen die beklagte Partei S***** AG, *****, vertreten durch Dr. Peter Lindinger und Dr. Andreas Pramer, Rechtsanwälte in Linz, wegen Herausgabe, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 15. Juli 2014, GZ 4 R 118/14x‑9, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, ihr bestimmte ‑ im Einzelnen näher angeführte ‑ Wertpapiere zu verschaffen. Die Beklagte habe diese Wertpapiere hinterlegt; die Hinterlegung sei jedoch nicht schuldbefreiend erfolgt. Aufgrund des Depotvertrags sei die Beklagte weiterhin dazu verpflichtet, der Klägerin die Verfügungsberechtigung über das Depot einzuräumen. Durch Hinterlegung sei der Klägerin diese Möglichkeit genommen worden. Die Beklagte habe daher der Klägerin die entsprechenden Wertpapiere zu verschaffen. Die Klägerin habe nur die Hälfte des Wertpapierdepots begehrt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt; das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Zwar sei entgegen der Ansicht des Erstgerichts die Sach‑ und Rechtslage hinsichtlich der Eigentumslage unklar; jedoch habe sich die Beklagte selbst in diese Situation gebracht, als sie den entsprechenden Beleg nicht mehr auffinden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist nicht zulässig.

1.1. Die Übernahme von Wertpapieren durch Kreditinstitute zur Verwahrung und Verwaltung für andere ist ein Bankgeschäft iSd § 1 Abs 1 Z 5 BWG. Spezielle Regelungen für die Verwahrung von Wertpapieren enthält das Depotgesetz; subsidiär gelten die Bestimmungen zum Verwahrungsvertrag (§§ 957 ff ABGB). Wie beim Konto muss zwischen Dispositionen über die Stellung als Partei des Depotvertrags und über die Forderung gegen den Verwahrer aus dem Depot (Depot im engeren Sinn) unterschieden werden. Für die Rechte aus dem Depotvertrag kommt es nicht auf das Eigentum an den verwahrten Wertpapieren an, sondern auf die Position als Hinterleger im Sinne des Depotgesetzes. Nur der Hinterleger ist Vertragspartner des Verwahrers und damit ist auch nur er zur Verfügung über das Depot berechtigt ( Iro in Apathy/Iro/Koziol , Österr. Bankvertragsrecht II² [2008] Rz 4/11 f).

1.2. Ist der Hinterleger nicht Eigentümer der Wertpapiere, so kann auch der Eigentümer sie vom Verwahrer kraft seiner dinglichen Rechtsposition, die durch die Sonderverwahrung nicht verloren geht, heraus verlangen (§ 5 Abs 2, § 6 DepotG). Im Besitzstreit kann sich der Verwahrer durch Rückgabe der Sache an den Hinterleger und Verständigung des Eigentümers von den Ansprüchen befreien (§ 348 ABGB). Geht der Eigentümer jedoch petitorisch gegen den Verwahrer vor, so darf dieser die Ausfolgung an ihn nicht unter Berufung auf den Verwahrungsvertrag verweigern. Bei zweifelhafter Rechtslage kommt eine Hinterlegung nach § 1425 ABGB in Betracht ( Iro aaO Rz 4/19; Schubert in Rummel , ABGB³ § 961 Rz 2; RIS‑Justiz RS0018995, RS0019017).

2.1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der vom Erstgericht wiedergegebene unstrittige Sachverhalt dahin zu verstehen, dass das Erstgericht von einer im Jahr 2004/2005 erfolgten Schenkung an die Klägerin ausging. Dafür spricht auch die Formulierung, dass O***** W***** im Juli 2010 verlangte, dass die Wertpapiere auf dem Depot „wieder“ auf ihn überschrieben werden sollten. Dieses Verständnis wird durch die weiteren Ausführungen des Erstgerichts im Rahmen der rechtlichen Beurteilung gestützt, wonach die Klägerin als Depotinhaberin von der Bank eingetragen wurde, dies aufgrund entsprechender schriftlicher Dokumentation und Einwilligung des damaligen Eigentümers geschah und auch der Vater der Klägerin selbst im Juli 2010 gegenüber der Beklagten nicht angab, Eigentümer zu sein, sondern nur wollte, dass das Depot wieder auf ihn überschrieben werden sollte.

2.2. Damit geht es im vorliegenden Fall aber gar nicht um die Verschaffung eines ‑ zuvor gar nicht bestehenden ‑ Eigentums, sondern ausschließlich um einen Schadenersatzanspruch aufgrund eines behaupteten vertragswidrigen Verhaltens. Die Beklagte hat der Klägerin ihre Verfügungsbefugnis über das Depot und die darin verwahrten Wertpapiere vertragswidrig genommen und sich damit schadenersatzpflichtig gemacht. Da im österreichischen Recht der Grundsatz des Primats der Naturalrestitution gilt (§ 1323 Satz 1 ABGB; dazu Danzl in Koziol/Bydlinski/Bollenberger , ABGB 4 § 1323 Rz 1), ist in der Entscheidung des Berufungsgerichts auch kein Abweichen von der ständigen Rechtsprechung zu erblicken.

3.1. Das Auftreten mehrerer Forderungsprätendenten allein berechtigt den Schuldner noch nicht zum gerichtlichen Erlag, wenn die konkurrierenden Ansprüche offenkundig unbegründet sind und dies für den Schuldner, insbesondere wenn er rechtskundig ist, leicht erkennbar ist (RIS‑Justiz RS0033644). Ein gerichtlicher Erlag ohne zureichenden Hinterlegungsgrund befreit den Schuldner nicht (RIS‑Justiz RS0033890). Zudem ist der Schuldner, der sich selbst in die Lage der Unklarheit gebracht hat, zur Hinterlegung nicht berechtigt (RIS‑Justiz RS0043237).

3.2. Aus der Aktenlage geht nicht hervor, dass der Vater bzw die Schwester der Klägerin die Beklagte dazu aufgefordert hätten, die Wertpapiere herauszugeben. Ohne die Erhebung derartiger Ansprüche von Seiten des Vaters oder der Schwester der Klägerin bestand für eine Hinterlegung kein Raum. Vielmehr hätte die Beklagte sich gemäß § 348 ABGB befreien können, indem sie der Klägerin die Wertpapiere herausgegeben hätte und davon auch den Vater und die Schwester der Klägerin verständigt hätte.

4. Zur weiters relevierten Rechtsfrage, ob die fahrlässige Mitwirkung eines Angestellten des Schuldners an der Unklärbarkeit der Rechtslage bei mehreren Forderungsprätendenten einen Erlag unrechtmäßig macht, liegt bereits Judikatur vor (RIS‑Justiz RS0043237). Auf diese Frage kommt es im vorliegenden Fall aber nicht an: Beide Parteien gehen nämlich offenbar ohnedies davon aus, dass die Klägerin nicht nur Zeichnungsberechtigte, sondern auch Eigentümerin der Wertpapiere wurde. Da dies insoweit unstrittig war, musste die Klägerin auch keine entsprechenden Beweise für eine Schenkung anbieten.

5.1. Der Umstand, dass das Berufungsgericht das vorliegende Verfahren lediglich als Streit um die Änderung der Depotinhaberschaft verstand, ist nicht geeignet, die Zulässigkeit der Revision zu begründen. Vielmehr erweist sich die Entscheidung der Vorinstanzen auch dann als zutreffend, wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin selbst Eigentümerin ist. Den entscheidenden Umstand, dass niemand anderer als die Klägerin einen Herausgabeanspruch geltend macht, haben die Vorinstanzen zutreffend festgestellt. Damit mangelt es einer allfälligen Aktenwidrigkeit aber an Relevanz.

5.2. Entgegen den Revisionsausführungen hat das Berufungsgericht nicht etwa einen „obligatorischen Herausgabeanspruch“ bejaht, sondern dem von der Klägerin erhobenen Begehren auf Schadenersatz im Wege der Naturalrestitution stattgegeben. Darin ist weder eine Überschreitung des Klagebegehrens noch eine Überraschungsentscheidung zu erblicken.

6. Auf das Verschulden am Verlust des Belegs über die Depotumschreibung kommt es nicht an, weil die Hinterlegung nach dem Gesagten schon aus anderen Gründen nicht schuldbefreiend war.

7. Damit bringt die Beklagte aber keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

Stichworte