OGH 8ObA36/14y

OGH8ObA36/14y25.8.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Gerda Höhrhan‑Weiguni (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** R*****, vertreten durch Mag. Dr. Johannes Winkler, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde O*****, vertreten durch Mag. Peter Breiteneder, Rechtsanwalt in Linz, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 2. April 2014, GZ 12 Ra 15/14h‑14, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:008OBA00036.14Y.0825.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Ob die Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses erfüllt sind, kann nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RIS‑Justiz RS0106298). Mangels einer über den Anlass hinausreichenden Aussagekraft von Einzelfallentscheidungen steht die Revision zu ihrer Überprüfung nach § 502 Abs 1 ZPO nicht offen, es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei seiner Entscheidung eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen, die ausnahmsweise zur Wahrung der Rechtssicherheit einer Korrektur bedürfte.

Die Revision vermag keine solche Fehlbeurteilung aufzuzeigen.

Der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit ist gegeben, wenn für den Dienstgeber vom Standpunkt eines vernünftigen kaufmännischen (hier: dienstlichen) Ermessens die gerechtfertigte Befürchtung bestand, dass die dienstlichen Belange durch den Angestellten gefährdet sind, wobei nicht das subjektive Empfinden des Dienstgebers entscheidet, sondern an das Gesamtverhalten des Angestellten ein objektiver Maßstab anzulegen ist, der nach den Begleitumständen des einzelnen Falles und nach der gewöhnlichen Verkehrsauffassung angewendet zu werden pflegt (vgl RIS‑Justiz RS0029833).

Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass das Öffnen einer namentlich an den Bürgermeister adressierten Postsendung, in erster Linie aber die anschließende Anfertigung einer privaten Kopie des Inhalts durch den als Gemeindebediensteten beschäftigten Kläger unter den festgestellten konkreten Umständen seine Vertrauensunwürdigkeit begründete, ist jedenfalls nicht unvertretbar (vgl 8 ObA 84/06w). Das von dieser Handlungsweise betroffene Verwaltungsverfahren fiel weder in den dienstlichen Zuständigkeitsbereich des Klägers, noch kam ihm darin selbst Parteistellung zu. Er war auch bereits mehrmals aufgrund ähnlich gelagerter früherer Vorfälle ermahnt worden.

Der Kläger, der begünstigter Behinderter iSd § 2 Abs 1 BEinstG ist, führt zur Begründung der Zulässigkeit der Revision die Bestimmung des § 8 BEinstG an und leitet daraus ab, dass der Entlassungsgrund der Vertrauenswürdigkeit ihm gegenüber nicht anwendbar sei. Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung könne der allgemeine Entlassungsgrund der beharrlichen Pflichtenverletzung gegenüber einem begünstigten Behinderten lediglich als Kündigungsgrund geltend gemacht werden. Dies müsse zur Vermeidung einer Umgehung des besonderen Kündigungsschutzes aber auch allgemein für den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit gelten, weil eine beharrliche Pflichtenverletzung in der Regel auch zur Vertrauensverwirkung führe.

Auch mit dieser Überlegung vermag der Kläger keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Es muss hier nicht erörtert werden, ob eine fortgesetzte Verletzung der aus dem Arbeitsvertrag entspringenden Pflichten tatsächlich stets auch eine Vertrauensverwirkung nach sich zieht, weil diese These jedenfalls nicht umkehrbar wäre. Eine Vertrauensunwürdigkeit begründendes Verhalten kann wohl, muss aber nicht in einer Verletzung von arbeitsvertraglichen Verpflichtungen bestehen.

Der auf das Dienstverhältnis des Klägers anzuwendende § 26 Abs 2 OÖ Gemeinde‑ Dienstrechts‑ und GehaltsG nennt die in Frage kommenden Entlassungsgründe und unterscheidet dabei deutlich zwischen Handlungen oder Unterlassungen, die den Bediensteten vertrauensunwürdig erscheinen lassen (Z 2) einerseits, und erheblicher Vernachlässigung oder Unterlassung des Dienstes (Z 3) sowie Weigerung, die Dienstpflichten ordentlich zu erfüllen und dienstliche Anordnungen der Vorgesetzten zu befolgen (Z 4), andererseits.

Der Anwendung des Entlassungsgrundes des § 26 Abs 2 Z 2 OÖ Gemeinde‑, Dienstrechts‑ und GehaltsG steht die demonstrative Aufzählung möglicher Kündigungstatbestände in § 8 Abs 2 BEinstG daher schon dem Wortlaut nach nicht entgegen. Jedenfalls nach den im vorliegenden Verfahren festgestellten Umständen ist aber auch eine Umgehung des besonderen Kündigungsschutzes durch Umdeutung eines Kündigungsgrundes in eine zur Entlassung berechtigende Vertrauensunwürdigkeit von den Vorinstanzen im Ergebnis vertretbar verneint worden. Das unbefugte Anfertigen von Privatkopien fremder Aktenbestandteile stand außerhalb jeglicher Dienstpflichten des Klägers und auch in keinem Zusammenhang mit seiner (Seh‑)Behinderung.

Eine Entlassung aus dem Grund der Vertrauensunwürdigkeit ist nicht von ihrer vorherigen Androhung abhängig; den in der Revision angestellten Überlegungen, ob es sich bei früheren Beanstandungen des Klägers um schlichte Ermahnungen oder Verwarnungen gehandelt hat, kommt daher keine Entscheidungsrelevanz zu.

Auch die Ausführungen der Vorinstanzen zur Rechtzeitigkeit des Entlassungsausspruchs stehen mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung im Einklang.

Überall dort, wo ein vorerst undurchsichtiger, zweifelhafter Sachverhalt vorliegt, den der Arbeitgeber mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zunächst nicht aufklären kann, muss ihm das Recht zugebilligt werden, bis zur einwandfreien Klarstellung aller wesentlichen Tatumstände in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zuzuwarten, insbesondere auch dem Arbeitnehmer eine Stellungnahme zu ermöglichen. Hat der Arbeitnehmer ‑ wie hier ‑ seine Verfehlung zunächst wahrheitswidrig geleugnet, kann er sich nicht zur Begründung einer Verspätung der Entlassung wider Treu und Glauben auf seine eigene Unredlichkeit berufen (RIS‑Justiz RS0029297 [T3]).

Der Grundsatz der Unverzüglichkeit ist auch nach den jeweiligen Betriebsverhältnissen, insbesonders der Organisationsform des Arbeitgebers zu beurteilen. Einer Gemeinde kann der für eine gesetzmäßige Willensbildung der entscheidungsbefugten Organe notwendige Zeitbedarf nicht zum Vorwurf gemacht werden (vgl RIS‑Justiz RS0031789).

Die Frage, ob die dem Kläger vor der Entlassung erteilte schriftliche Ermahnung nur den zugestandenen Vorwurf des unbefugten Öffnens der Briefsendung betroffen hat, oder ob er erwarten durfte, dass damit auch der Vorwurf des Kopierens des Inhalts endgültig erledigt sein würde, ist eine einzelfallabhängige Frage der Auslegung einer Willenserklärung.

Die Revision zeigt auch in diesem Punkt keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung auf. Die Auslegung der Vorinstanzen ist nach dem Wortlaut des Schreibens und den festgestellten weiteren Umständen (dem Kläger wurde eine schriftliche Äußerungsmöglichkeit eingeräumt, die bei endgültiger Erledigung der Angelegenheit überflüssig gewesen wäre; der Kläger leugnete zu diesem Zeitpunkt noch die Anfertigung einer Kopie) jedenfalls vertretbar.

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