OGH 8ObA47/14s

OGH8ObA47/14s25.8.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr.

Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin und Dr. Gerda Höhrhan‑Weiguni als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** B*****, vertreten durch Mag. Alexandra Ehrenhöfer, Rechtsanwältin in Wiener Neustadt, gegen die beklagte Partei S***** B*****, vertreten durch Dr. Alexandra Knell, Rechtsanwältin in Wien, wegen 9.108,04 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 22. Mai 2014, GZ 9 Ra 41/14m‑37, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. September 2013, GZ 6 Cga 100/12b-25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:008OBA00047.14S.0825.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.085,09 EUR (darin enthalten 180,85 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.451,43 EUR (darin enthalten 124,07 EUR USt und 707 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 14. 03. 2003 bis 30. 5. 2012 bei der Beklagten als Maschinenarbeiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis gelangte der Kollektivvertrag für die eisen-metallerzeugende und -verarbeitende Industrie zur Anwendung. Vom 23. 5. bis 25. 5. 2012 war die Klägerin krankgeschrieben. Vom 29. 5. bis 9. 6. 2012 befand sie sich im Urlaub.

Die Klägerin wollte ihren Urlaub in Serbien verbringen und bereits am 25. 5. 2012 dorthin anreisen. Ihrem Ansinnen, schon am 25. 5. Urlaub nehmen oder zumindest die Arbeit früher beenden zu können, wurde von der Beklagten nicht zugestimmt. Aus diesem Grund erklärte sie am 23. 5., dass es ihr aufgrund von Blutdruckproblemen nicht gut gehe; drei Tage Krankenstand seien genug. Daraufhin suchte die Klägerin ihren behandelnden Arzt auf, der eine „eitrige Pharyngitis“ diagnostizierte und die Klägerin bis 25. 5. krankschrieb; dabei genehmigte er Ausgehzeiten von 9:00 Uhr bis 11:00 Uhr bzw von 14:00 Uhr bis 17:00 Uhr. Er verschrieb der Klägerin Medikamente (Antibiotika dreimal täglich für vier Tage) und verordnete ihr körperliche Schonung. Bei einer solchen Erkrankung ist strikte körperliche Schonung und weitestgehende Bett- und Zimmerruhe erforderlich. Bei einer mehrstündigen Autoreise kann es zu ernsten Komplikationen kommen. Die Beeinträchtigung des Gesundheitszustands der Klägerin hat über den 25. 5. 2012 hinaus bestanden; die Klägerin fühlte sich auch erst am 28. oder 29. 5. wieder gesund. Das Antreten der Autoreise war geeignet, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen bzw den Heilungsverlauf zu verzögern.

Zu einer nicht mehr feststellbaren Zeit am 25. 5. 2012 trat die Klägerin gemeinsam mit ihrem Gatten die mehrstündige Autofahrt nach Serbien an; die Klägerin war Beifahrerin. Als sie ‑ auf ungarischem Staatsgebiet ‑ (nach einer Gesprächsunterbrechung) ein Anruf des Produktionsleiters erreichte, erklärte die Klägerin, dass sie sich beim Einkaufen befinde. Beim dritten Anruf teilte sie mit, dass sie nicht nach der Rückkehr vom Einkaufen vom Festnetz zurückrufen könne, weil sie sich bereits auf der Fahrt nach Serbien befinde. In der Folge wurde von der Beklagten - nach Rücksprache mit dem deutschen Mutterkonzern ‑ die Entlassung der Klägerin ausgesprochen.

Die Klägerin begehrte Kündigungsentschädigung, Sonderzahlungen und Urlaubsersatzleistung. Die Entlassung sei ungerechtfertigt erfolgt. Da sie am 25. 5. 2012 fieberfrei gewesen sei und nur noch Schluckbeschwerden gehabt habe, habe sie die Reise nach Serbien antreten dürfen. Die bloße Missachtung der angeordneten Ausgehzeit rechtfertige für sich allein die Entlassung nicht. Sie treffe jedenfalls kein grobes Verschulden, weil sich der Vorfall am letzten Tag ihres Krankenstands ereignet habe. Die Entlassung sei auch nicht unverzüglich ausgesprochen worden.

Die Beklagte entgegnete, dass die Entlassung aufgrund des Fehlverhaltens der Klägerin im Krankenstand berechtigt sei. Sie habe offenkundig unter Missachtung der ärztlich angeordneten Ausgehzeiten die Reise ins Ausland angetreten. Die Entlassung sei unverzüglich ausgesprochen worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin sei weder am 25. 5. 2012 noch an den Folgetagen arbeitsfähig gewesen. Das Antreten der mehrstündigen Autofahrt während des Krankenstands sei geeignet gewesen, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen und den Heilungsverlauf zu verzögern. Die Entlassung sei angesichts der bevorstehenden Pfingstfeiertage und der erforderlichen Rücksprache mit dem deutschen Mutterkonzern auch fristgerecht erfolgt.

Das Berufungsgericht gab in Abänderung der Entscheidung des Erstgerichts dem Klagebegehren statt. Das Verhalten der Klägerin sei gerade noch nicht subjektiv vorwerfbar. Ein ausdrückliches ärztliches Verbot einer Autofahrt habe nicht bestanden. Ein Verstoß gegen die nach der allgemeinen Lebenserfahrung üblichen Verhaltensweisen setzte voraus, dass die spezielle Erkrankung und das bei ihrem Auftreten gebotene Verhalten tatsächlich allgemein geläufig seien, sodass der durchschnittlich informierte Patient auch ohne genaue ärztliche Anweisungen erkennen könne, was er vermeiden müsse, um eine Verzögerung des Heilungsverlaufs hintanzuhalten. Im Anlassfall habe es sich um den letzten Tag des Krankenstands der Klägerin gehandelt, an den sich das Pfingstwochenende und danach der vereinbarte Urlaub angeschlossen habe. Dem Verhalten der Klägerin, das objektiv geeignet gewesen sei, den Heilungsverlauf zu verzögern, komme damit nicht ein Gewicht zu, das eine Entlassung rechtfertige. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Entscheidung den Einzelfall betreffe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung in der Weise abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde.

Mit ihrer ‑ durch den Obersten Gerichtshof freigestellten ‑ Revisionsbeantwortung beantragt die Klägerin, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, weil sich die Beurteilung des Berufungsgerichts zur Berechtigung der Entlassung der Klägerin als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend berechtigt.

1. Die allgemeinen Rahmenbedingungen für die Beurteilung des Verhaltens des Arbeitnehmers im Krankenstand unter dem Gesichtspunkt der beharrlichen Pflichtverletzung nach § 82 lit f GewO 1859 bzw der Vertrauensunwürdigkeit nach § 27 Abs 1 AngG lassen sich wie folgt zusammenfassen: Aus dem Arbeitsvertrag besteht für den Arbeitnehmer die Verpflichtung, sich im Fall einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit so zu verhalten, dass die Arbeitsfähigkeit möglichst bald wiederhergestellt wird (RIS‑Justiz RS0060869). Schon die Eignung des Verhaltens, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen oder den Heilungsprozess zu verzögern, kann den Entlassungsgrund verwirklichen (RIS‑Justiz RS0029337). Wesentlich bleibt aber, dass das objektiv sorgfaltswidrige Verhalten dem Arbeitnehmer auch subjektiv vorwerfbar ist. Ein Dienstnehmer darf ärztlichen Anordnungen jedenfalls nicht schwerwiegend bzw betont und im erheblichen Maß zuwiderhandeln und die nach der allgemeinen Lebenserfahrung allgemein üblichen Verhaltensweisen im Krankenstand nicht betont und offenkundig verletzen (8 ObA 74/12h).

2.1 Daran, dass das Fehlverhalten der Klägerin im Anlassfall objektiv sorgfaltswidrig war, besteht kein Zweifel. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dieses Fehlverhalten sei gerade noch nicht als Entlassungsgrund zu qualifizieren, hält sich aber nicht mehr innerhalb des Entscheidungsspielraums.

2.2 Die Klägerin hat schon gegen die ausdrückliche ärztliche Anordnung verstoßen, sich körperlich zu schonen. Außerdem hat sie die ihr erlaubten Ausgehzeiten missachtet. Der Klägerin musste klar sein, dass der Antritt einer mehrstündigen anstrengenden Autoreise gegen die ihr erteilten ärztlichen Anordnungen verstößt, selbst wenn sie nur Beifahrerin war. Dies war der Klägerin auch tatsächlich bewusst, zumal sie sich durch die Anrufe des Produktionsleiters ertappt fühlte und darauf zunächst mit einer Lüge reagierte. Eine pflichtbewusste Arbeitnehmerin wäre auch gehalten gewesen, ihr Vorhaben dem behandelnden Arzt mitzuteilen, zu dem sie sich gerade in der Absicht begeben hatte, die Urlaubsreise verkehrsbedingt bereits am 25. 5. 2012 anzutreten. In diesem Fall hätte der Arzt die Klägerin nach den Feststellungen auf das Fehlverhalten hingewiesen. Davon abgesehen stellt die in Rede stehende Autofahrt auch eine grobe Missachtung der allgemein üblichen Verhaltensweisen bei einer eitrigen Pharyngitis dar. Jeder Arbeitnehmer muss wissen, dass man sich in dieser Situation nicht einer mehrstündigen Autofahrt aussetzen darf, ohne eine Verschlechterung des Gesundheitszustands zu riskieren und den Heilungsprozess negativ zu beeinflussen. Dieser Wissensstand ist auch ohne genaue ärztliche Anweisung allgemein geläufig. Das Fehlverhalten der Klägerin hat nicht nur den 25. 5. 2012 betroffen, weil sie selbst davon ausging, dass ihr Gesundheitszustand trotz ausgelaufener Krankschreibung noch beeinträchtigt war.

Die Klägerin hat damit in eklatanter Weise sowohl gegen eine ausdrückliche ärztliche Anordnung verstoßen als auch die nach der allgemeinen Lebenserfahrung üblichen Verhaltensweisen bei der in Rede stehenden Krankheit verletzt. Entgegen der korrekturbedürftigen Ansicht des Berufungsgerichts kann keine Rede davon sein, dass der Klägerin ihr Fehlverhalten im Krankenstand subjektiv (noch) nicht vorwerfbar sei.

2.3 Auch in den vom Berufungsgericht bzw von der Klägerin zitierten Entscheidungen 8 ObA 35/11x und 8 ObA 12/00y wurde die Entlassung jeweils für berechtigt erkannt. In dem der Entscheidung 8 ObA 35/11x zugrunde liegenden Fall hat der dortige Arbeitnehmer, dem „Ruhe“ während des Krankenstands wegen Gastritis und emotionaler Labilität verordnet worden war, während des Krankenstands weite Autofahrten über viele hunderte Kilometer unternommen, Vorträge gehalten, an Podiumsdiskussionen teilgenommen und auch andere Arbeiten verrichtet. Nach dem der Entscheidung 8 ObA 12/00y zugrunde liegenden Sachverhalt hat die dortige Klägerin, der keine Ausgehzeiten bewilligt worden waren, bereits am zweiten Tag ihres einwöchigen Krankenstands wegen eines grippalen Infekts entgegen dem ausdrücklichen ärztlichen Verbot eine nicht der Deckung eines lebensnotwendigen Bedarfs dienende Fahrt vom zweiten Wiener Gemeindebezirk nach Klosterneuburg unternommen.

Selbst wenn man das Fehlverhalten der Arbeitnehmer in diesen Vergleichsfällen als noch gravierender als jenes der Klägerin beurteilte, bedeutet dies nicht, dass im Anlassfall ein anderes Ergebnis gerechtfertigt wäre.

3. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Klägerin den Entlassungsgrund der beharrlichen Pflichtverletzung nach § 82 lit f GewO 1859 verwirklicht hat. Die Entlassung war daher berechtigt.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof somit nicht stand. In Stattgebung der Revision war das angefochtene Urteil daher abzuändern und die stattgebende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 2 ASGG.

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