OGH 8ObA12/00y

OGH8ObA12/00y24.2.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer und die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Scheuch und Ignaz Gattringer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Beatrix S*****, vertreten durch Kubac, Svoboda & Kirchweger, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Christa W*****, vertreten durch Dr. Georg Hesz, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 89.617,19 brutto sA infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. Oktober 1999, GZ 8 Ra 72/99p‑34, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 16. Oktober 1998, GZ 32 Cga 31/98g‑30, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil mit der Maßgabe wieder hergestellt wird, dass P 1 des Urteilsspruches entfällt.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 21.580,16 (darin S 2.493,36 USt und S 6.620,- Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der Beklagten vom 1. 8. 1990 bis zu ihrer Entlassung am 24. 9. 1996 als Friseurgesellin beschäftigt.

Sie kam im letzten Jahr durchschnittlich zweimal wöchentlich zu spät zur Arbeit, weigerte sich, das Frisierwagerl zu putzen und war gegenüber Kunden nicht immer freundlich und entgegenkommend. Die Beklagte äußerte sich zwar fallweise dahin, dass die Klägerin dieses Verhalten ändern müsse, sprach jedoch keine ausdrückliche Verwarnung aus und drohte ihr keine dienstlichen Konsequenzen an.

Unmittelbarer Anlass für die Entlassung war folgender Vorfall:

Die Klägerin befand sich vom 17. 9. bis 22. 9. 1996 wegen eines grippalen Infekts im Krankenstand und hatte während des Krankenstandes von ihrem behandelnden Arzt ausdrücklich keine Ausgehzeiten bewilligt erhalten. Trotzdem fuhr sie am 18. 9. 1996, also bereits am zweiten Tag ihres Krankenstandes von ihrer Wohnung im zweiten Wiener Gemeindebezirk nach Klosterneuburg zur Firma INKU, weil es dort an diesem Tag einen Resteverkauf gab. Dort wurde sie von einer Kundin der Beklagten gesehen, die dieser davon ein bis zwei Tage später Mitteilung machte. Als die Klägerin nach Ende des Krankenstandes am 24. 9. 1996 wieder die Arbeit antreten wollte, wurde sie von der Beklagten aufgefordert, die Krankenstandsbestätigung vorzulegen; als die Beklagte sah, dass der Arzt ausdrücklich keine Ausgehzeiten bewilligt hatte, sprach sie sofort die Entlassung aus.

Die Klägerin macht entlassungsabhängige Ansprüche von insgesamt S 89.617,19 brutto sA geltend.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens, weil sie die Klägerin berechtigt entlassen hätte und wandte eine Gegenforderung von S 14.649,- brutto ein; die Klägerin hätte den erhaltenen Urlaubszuschuss in dieser Höhe zurückzuzahlen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil die Klägerin den Entlassungstatbestand des § 82 lit f zweiter Tatbestand GewO verwirklicht habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Ersturteil in eine Klagestattgebung ab. Es ging in rechtlicher Hinsicht davon aus, dass der Entlassungstatbestand nach § 82 lit f GewO zwar grundsätzlich durch den Verstoß gegen die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende Verpflichtung erfüllt werden könne, im Falle einer Krankheit und einer dadurch ausgelösten Arbeitsunfähigkeit sich so zu verhalten, dass die Arbeitsfähigkeit möglichst bald wieder hergestellt werde. Das bloß einmalige Ausgehen, sei aber nicht geeignet gewesen, ihre Genesung grob zu verzögern. Die mit einem solchen Ausgang verbundenen negativen Einflüsse auf den Organismus seien grundsätzlich nicht geeignet, das Abklingen des Infektes in einem ernstzunehmenden Ausmaß hinauszuzögern. Daraus folge, dass der Besuch der Klägerin beim Resteverkauf der Firma INKU nur eine bloße Ordnungswidrigkeit darstelle, die keinesfalls die Entlassung rechtfertigen könne.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil wieder herzustellen.

Die Klägerin beantragt, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinn der Wiederherstellung des Ersturteils, also der Abweisung des Klagebegehrens berechtigt; allerdings kann Punkt 1 des Spruches entfallen, weil über die Gegenforderung infolge des Nicht‑zu‑Recht‑Bestehens der Klagsforderung nicht abzusprechen war.

Wie der Oberste Gerichtshof erst kürzlich in seiner Entscheidung vom 26. 1. 2000, 9 ObA 329/99v ausgeführt hat, ist ein Arbeitnehmer, der sich im Krankenstand befindet, grundsätzlich verpflichtet, den auf die Wiederherstellung seiner Gesundheit abzielenden Anordnungen des Arztes nach Tunlichkeit nachzukommen und ihnen jedenfalls nicht so schwerwiegend zuwider zu handeln, dass der Krankheitsverlauf negativ beeinflusst und/oder der Heilungslauf verzögert werden könnte. Verhältnismäßig geringfügiges Zuwiderhandeln, wie es immer wieder vorkommen mag, wird bei der Beurteilung nicht ins Gewicht fallen. Missachtet aber ein infolge Krankheit arbeitsunfähiger Arbeitnehmer die Anordnungen seines Arztes betont und in erheblichem Maße und ist dieses Verhalten geeignet, den Krankheitsverlauf negativ zu beeinflussen oder den Heilungslauf zu verzögern, so liegt darin eine Vertrauensverwirkung im Sinn des dritten Tatbestandes des § 27 Abs 1 AngG vor (Arb 10.614; WBl 1991, 26). Auch wenn ausdrückliche Anordnungen des Arztes über das Verhalten im Krankenstand fehlen, darf der Arbeitnehmer die nach der allgemeinen Lebenserfahrung üblichen Verhaltensweisen nicht betont und offenkundig verletzen (RdW 1987, 268; WBl 1991, 26; WBl 1993, 224). Ob das Verhalten des Arbeitnehmers tatsächlich zu einer Verlängerung des Krankenstandes führte, ist ohne Bedeutung; es genügt die Eignung, den Genesungsprozess zu verzögern (ZAS 1989/5; WBl 1993, 224; ecolex 1993, 770).

Diese Grundsätze über das Verhalten des Arbeitnehmers im Krankheitsfall sind auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden, auch wenn hier, da es sich um eine Arbeiterin handelt, der Entlassungstatbestand des § 82 lit f zweiter Fall GewO (beharrliche Pflichtenvernachlässigung) zum Tragen kommt (Kuderna, Entlassungsrecht2 111 f).

Der Klägerin waren keine Ausgehzeiten bewilligt worden. Dennoch hat sie bereits am zweiten Tag ihres einwöchigen Krankenstandes wegen eines grippalen Infekts, entgegen dem ausdrücklichen - erkennbar im Interesse ihrer möglichst baldigen Gesundung erfolgten - ärztlichen Verbot, auszugehen, eine nicht der Deckung eines lebensnotwendigen Bedarfes dienende Fahrt vom zweiten Bezirk, in dem sie wohnte, nach Klosterneuburg unternommen, um das Sonderangebot eines Ausverkaufs zu nützen. Dass ein solcher Ausflug am zweiten Tag eines grippalen Infekts grundsätzlich geeignet ist, den Genesungsprozess zu verzögern, ergibt sich nicht nur aus dem ausdrücklichen Ausgehverbot, sondern auch aus der allgemeinen Lebenserfahrung. Die Klägerin hat auch gar nicht vorgebracht, dass dieser Ausgang nicht geeignet gewesen wäre, den Heilungsprozess zu verzögern, sondern sich darauf beschränkt, den Einkaufsausflug überhaupt zu leugnen.

Dieses Verhalten der Klägerin, entgegen dem ausdrücklichen ärztlichem Ausgehverbot eine nicht der Deckung eines lebensnotwendigen Bedarfes dienende Einkaufsfahrt zu unternehmen, muss als gröbliche und beharrliche Verletzung ihrer Verpflichtung gegenüber ihrer Dienstgeberin gewertet werden, sich so zu verhalten, dass der Genesungsprozess nicht unnötig verzögert und ihre Arbeitsfähigkeit möglichst bald wieder hergestellt wird. Die Entlassung der Klägerin erfolgte daher zu Recht.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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