OGH 14Os67/14f

OGH14Os67/14f12.8.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. August 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Zillinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Remigius U***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 dritter Fall, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 1. April 2014, GZ 024 Hv 90/13y-42, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0140OS00067.14F.0812.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A/1/b, demzufolge in der zu A gebildeten Subsumtionseinheit nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, 148 zweiter Fall StGB, sowie im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Kassation des Strafausspruchs verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Remigius U***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 dritter Fall, 148 zweiter Fall StGB (A) sowie zweier Vergehen (richtig:) der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB (B) schuldig erkannt.

Danach hat er ‑ soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant ‑ in Wien

(A) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schwerem (§ 147 Abs 1 Z 1 dritter Fall StGB) Betrug eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Verfügungsberechtigte von Versandunternehmen durch Täuschung über seine Zahlungswilligkeit und -fähigkeit sowie seine Identität unter Verwendung falscher Daten zur Täuschung, nämlich durch Eingabe von Personalien anderer (fiktiver) Personen als Besteller von Waren über das Internet (vgl RIS‑Justiz RS0122091), zur Lieferung von Waren verleitet, wodurch die geschädigten Unternehmen Vermögensschäden erlitten, und zwar

1) Verfügungsberechtigte der U***** GmbH

b) am 12. November 2013 zur Lieferung einer Hose im Wert von 49,99 Euro;

c) vor dem 25. November 2013 zur Lieferung eines Chronographen im Wert von 149 Euro und

2) Mitarbeiter der Z***** GmbH

a) am 20. November 2013 zur Lieferung von Kleidungsstücken im Wert von 489,75 Euro.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Die Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert ‑ im Übrigen ohne Nennung der Fundstelle in den Akten (vgl aber RIS‑Justiz RS0124172) ‑ die Abweisung des in der Hauptverhandlung am 1. April 2014 gestellten Antrags auf „Ausforschung über die Zentrale der Post, wer tatsächlich dieses Paket übernommen hat beziehungsweise mit welchem Ausweis und wann“ (ON 41 S 8). Dieser Antrag bezog sich jedoch ‑ im Zusammenhang mit den davor getätigten Angaben des Zeugen Dominik F***** gelesen ‑ unmissverständlich auf die vom (rechtskräftigen) Freispruch umfasste Tat (US 5; Freispruchsfaktum 2/c vgl ON 24 S 7). Die Übernahme der schuldspruchsrelevanten Pakete, die bei der Festnahme beim Beschwerdeführer sichergestellt wurden (ON 2 S 2), hat er im Übrigen ohnehin nicht bestritten (ON 2 S 79; ON 25 S 4 f).

Indem die Mängelrüge (Z 5) „das Urteil“ pauschal als undeutlich, unvollständig, mit sich selbst im Widerspruch stehend und „nur eine Scheinbegründung wiedergebend“ beurteilt, entspricht sie nicht dem Gebot deutlicher und bestimmter Bezeichnung angeblich Nichtigkeit bewirkender Umstände (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO).

Ihre Überzeugung von der Täterschaft des Beschwerdeführers zum Schuldspruch A haben die Tatrichter ‑ den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechend ‑ in einer ausführlichen Beweiswürdigung aus einer Reihe von Indizien abgeleitet und dabei umfassend erörtert, aus welchen Gründen sie seiner - nur den Gebrauch eines fremden (gefälschten) Ausweises einräumenden, ansonsten aber ‑ leugnenden Verantwortung keinen Glauben schenkten (US 9 bis 13).

Der Vorwurf offenbar unzureichender (bloßer Schein-)Begründung (Z 5 vierter Fall) trifft daher nicht zu.

Indem die Rüge aus der Einlassung des Beschwerdeführers andere, für ihn günstigere Schlüsse zieht und diejenigen des Erstgerichts als falsch oder auf bloßen Vermutungen basierend bezeichnet, erschöpft sie sich in einer unzulässigen Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung und übersieht, dass nicht nur zwingende, sondern auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse das Gericht nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung zu Tatsachenfeststellungen berechtigen (vgl RIS‑Justiz RS0098362, RS0098471; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 449).

Entgegen dem weiteren Beschwerdeeinwand (Z 5 dritter Fall) steht die Urteilsannahme, wonach es (im Zweifel) nicht erweislich sei, dass der Angeklagte selbst die inkriminierten Bestellungen bei den Versandhäusern tätigte, nicht im Widerspruch zur Überzeugung der Tatrichter von seiner Beteiligung an den schweren Betrugshandlungen eines Dritten durch diese förderliche Abholung und Entgegennahme der bestellten Waren (US 6 f, 11 ff, 16 f; § 12 dritter Fall StGB; vgl dazu Kirchbacher in WK² StGB § 146 Rz 134 mwN).

Bleibt in diesem Zusammenhang der Vollständigkeit halber anzumerken, dass in Ansehung der Schuldsprüche A/1/b und A/2/a (zum Schuldspruch A/1/b vgl die nachstehenden Ausführungen zur amtswegigen Maßnahme) der diesbezügliche Widerspruch zwischen dem oben dargestellten Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) und den Entscheidungsgründen (§ 270 Abs 1 Z 5 StPO) sowie die insoweit verfehlte Annahme unmittelbarer Täterschaft des Beschwerdeführers anstelle der von ihm tatsächlich verwirklichten Beteiligungsform nach § 12 dritter Fall StGB infolge rechtlicher Gleichwertigkeit aller Beteiligungsformen des § 12 StGB keine entscheidende Tatsache betrifft (RIS‑Justiz RS0013731). Für ein Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bestand daher keine Veranlassung.

Die erstgerichtlichen Erwägungen, wonach zwar nicht auszuschließen sei, dass eine Person mit Namen W***** existiere (und die Bestellungen tätigte), der Verantwortung des Angeklagten, die Pakete für seinen Freund „W***** John King“ im Sinne eines Freundschaftsdienstes gutgläubig bei der Post abgeholt zu haben, aber dennoch nicht gefolgt werden könne (US 10 ff), sind gleichermaßen nicht widersprüchlich im Sinn der Z 5 dritter Fall.

Weshalb in Bezug auf die Konstatierungen zur Gewerbsmäßigkeit der Gebrauch von verba legalia ‑ unter konkretem, von der Beschwerde übergangenen Sachverhaltsbezug (US 6 f) ‑ als Tatsachengrundlage für die vorgenommene Subsumtion ungenügend sein soll und welcher darüber hinausgehenden Feststellungen es bedurft hätte, lässt die Beschwerde (nominell Z 5, der Sache nach Z 10) offen (RIS‑Justiz RS0099620, RS0095939).

Soweit mit diesem Einwand erneut offenbar unzureichende Begründung der diesbezüglichen Konstatierungen moniert werden soll (Z 5 vierter Fall), übergeht sie prozessordnungswidrig die hiezu angestellten ‑ logisch und empirisch einwandfreien -Erwägungen des Erstgerichts (US 13; RIS‑Justiz RS0119370).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d StPO).

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass dem Urteil zum Schuldspruch A/1/b nicht geltend gemachte Nichtigkeit (Z 9 lit a) zum Nachteil des Angeklagten anhaftet, die von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Ausgehend davon, dass nach ihrer Ansicht auch in diesem Fall nicht geklärt werden konnte, ob der Angeklagte die am 12. November 2013 bei der U*****d GmbH unter Verwendung falscher Daten betrügerisch erfolgte Bestellung einer Hose selbst vornahm, stellten die Tatrichter insoweit im Wesentlichen bloß fest, dass er die auf den Namen Monika W***** lautende Verständigung über die Hinterlegung des entsprechenden Pakets beim zuständigen Postamt an sich nahm, wobei er schon zu diesem Zeitpunkt beabsichtigte, damit „zu einem späteren Zeitpunkt“ die unter dieser Scheinidentität bestellte Ware (in gewerbsmäßiger Absicht und mit entsprechendem Täuschungs-, Schädigungs- und Bereicherungsvorsatz) zu beheben (eine Vorweisung der Benachrichtigung anlässlich der Abholung der von den Schuldsprüchen A/1/c und A/2/a umfassten Waren beim Postamt fand nicht statt; US 6 f, 13, 16 f).

Damit ist den Entscheidungsgründen aber weder die im Urteilstenor angenommene, in der Vornahme des inkriminierten Bestellungsvorgangs bestehende unmittelbare Tathandlung, noch ‑ anders als zu den Schuldsprüchen A/1/c und A/2/a ‑ ein die Tat fördernder, etwa in der Entgegennahme der betrügerisch herausgelockten Waren bestehender, Beitrag (vgl erneut Kirchbacher in WK² StGB § 146 Rz 134 mwN) zu entnehmen. Ein solcher könnte etwa in der Bestärkung des unmittelbaren Täters in seinem Tatentschluss durch die Zusage einer (in der späteren Behebung des Pakets beim Postamt bestehenden) Unterstützung nach Tatvollendung im Sinn eines (kausalen) psychischen (intellektuellen) Beitrags liegen (zum Ganzen RIS‑Justiz RS0090508, RS0090384; Fabrizy in WK² StGB § 12 Rz 89 f), wozu aber gleichermaßen keine Feststellungen getroffen wurden.

Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordert eine Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang (somit ‑ weil die Gewerbsmäßigkeit nicht mit der mehrfachen Tatbegehung begründet wurde [US 13] ‑ nicht in der Annahme der Qualifikation des § 148 zweiter Fall StGB hinsichtlich der übrigen Fakten) schon bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) samt Rückverweisung der Sache an das Erstgericht.

Die aufgelöste Subsumtionseinheit zum Schuldspruch A wird demnach ‑ mit dem oder ohne das von der Aufhebung betroffene Faktum ‑ neu zu bilden sein (§ 29 StGB; RIS‑Justiz RS0116734).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.

Die Kostenersatzpflicht, die die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK‑StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO).

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