OGH 17Os27/14w

OGH17Os27/14w11.8.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. August 2014 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Zillinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Christian S***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Wilhelm M***** gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 15. Jänner 2014, GZ 12 Hv 9/13x‑48, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0170OS00027.14W.0811.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus ihrem Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch B/II, demgemäß auch im Wilhelm M***** betreffenden Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Eisenstadt verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte Wilhelm M***** auf die Aufhebung des Strafausspruchs verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde ‑ soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung ‑ Wilhelm M***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt (B/I und II).

Danach hat er zwischen 18. Juni 2009 und 24. Oktober 2011 in R*****

(B/I) in dreizehn (im Urteil näher bezeichneten) Fällen (zu ergänzen: wissentlich und mit dem Vorsatz, dadurch den Staat an dessen Recht auf Richtigkeit der Meldedaten im Melderegister zu schädigen [vgl US 11]) den Mitangeklagten Christian S***** dazu bestimmt, seine Befugnis, als für das Meldewesen zuständiger Vertragsbediensteter der Gemeinde R*****, mithin als Beamter, im Namen dieser „für das Meldewesen im übertragenen Wirkungsbereich zuständigen Gemeinde“ (richtig: des Bundes vgl Art 10 Abs 1 Z 7 B‑VG) in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, zu missbrauchen, indem dieser unrichtige Meldedaten in das elektronische Zentrale Melderegister eintrug und Vermerke über die von ihm vorgenommenen „Scheinanmeldungen“ von unmündigen, ungarischen Staatsangehörigen ausstellte, die tatsächlich nie Unterkunft im Gemeindegebiet nahmen oder dies beabsichtigten;

(B/II) als Direktor der Volksschule S*****, mithin als Beamter, mit dem Vorsatz, dadurch das Land Burgenland an dessen Recht, „zu bestimmen, welche Kinder im Burgenland in allgemein bildende Pflichtschulen gehen dürfen, sowie das Land Burgenland und die Gemeinde R***** an ihrem Recht auf Regulierung des Schulbesuches und auf bestimmungsgemäße Verwendung ihrer Budgetmittel“, zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Landes Burgenland in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er „erlasswidrig im September 2010 unrichtige ‚Wohnsitze‘ hinsichtlich Akos H***** und Aron K***** in die EDVApplikation WebAS, das Schulverwaltungssystem des Burgenländischen Bildungsservers, eintrug und somit seinen vorgesetzten Stellen(,) dem Bezirksschulinspektor und dem Landesschulrat für das Burgenland(,) meldete“.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 10a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht berechtigt.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

Die Diversionsrüge (Z 10a) geht ‑ entgegen den gesetzlichen Vorgaben (vgl RIS-Justiz RS0124801, RS0116823) ‑ nicht von der Gesamtheit der (unter diesem Aspekt entscheidenden) Urteilsannahmen aus, sondern entwickelt die Behauptung nicht schwerer Schuld (§ 198 Abs 2 Z 2 StPO) ausschließlich aus eigenständiger Interpretation der Verfahrensergebnisse. Sie übergeht insbesondere die Konstatierungen, denen zufolge der Beschwerdeführer die inkriminierten Handlungen über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren wiederholt hat (US 2 f iVm US 10 f und 16), sowie die tatrichterlichen Erwägungen, wonach er „treibende Kraft für die Tatbegehung“ (des Mitangeklagten) gewesen sei und diesen „eindringlich um die Scheinanmeldungen ersuchte“ (US 11 [vgl § 33 Abs 1 Z 3 StGB]).

Die weitere Behauptung, der Beschwerdeführer habe „aus den gegenständlichen Taten keinerlei Vorteil für sich gezogen“, entfernt sich ebenfalls vom Urteilssachverhalt, demzufolge er im Schuljahr 2009/2010 tatplangemäß eine höhere Zulage als Schulleiter (von monatlich 63 Euro brutto) bezog (US 9), wodurch er im Übrigen einen im Sinn des § 198 Abs 3 StPO nicht geringfügigen Vermögensschaden herbeiführte (vgl AB 2457 BlgNR 24. GP, 4). Im Übrigen stellt diese (Diversions-)Ausschlussbestimmung nach ihrem Wortlaut und den unmissverständlichen Gesetzesmaterialien auch auf die Schädigung an „immateriellen und Persönlichkeitsrechten sowie an öffentlichen Rechten“ ab (vgl erneut AB 2457 BlgNR 24. GP, 4), weshalb die Tatwiederholung und der lange Tatzeitraum auch unter dem Aspekt des Gewichts der Beeinträchtigung des Staates an seinem Recht auf Richtigkeit der Meldedaten im Melderegister ins Kalkül zu ziehen sind.

Zur amtswegigen Maßnahme:

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Schuldspruch B/II ein nicht geltend gemachter Rechtsfehler mangels Feststellungen (Z 9 lit a) zum Nachteil des Angeklagten Wilhelm M***** anhaftet, der von Amts wegen aufzugreifen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Nach dem Urteilssachverhalt wurde mit Erlass (genereller Weisung) des Landesschulrats für Burgenland vom 9. September 2009 angeordnet, dass „nur mehr SchülerInnen mit einem entsprechenden Haupt- oder Nebenwohnsitz“ (im Burgenland) „in burgenländische Pflichtschulen aufzunehmen sind“. Wilhelm M***** habe von diesem Erlass zwar Kenntnis gehabt, aber ‑ wie in den Urteilsgründen deutlich genug ausgeführt ‑ dennoch zwei ungarische Schüler, bei denen er eine Meldung ohne (tatsächlichen) Wohnsitz veranlasst habe, in der von ihm geführten Volksschule aufgenommen. In weiterer Folge habe er Daten dieser beiden Schüler „inhaltlich unrichtig und erlasswidrig“ in die „Applikation des burgenländischen Bildungsservers“ („WebAS“) eingetragen. Dabei habe er wissentlich seine Befugnis missbraucht und mit dem Vorsatz gehandelt, „das Land Burgenland an seinem Recht darauf zu schädigen, zu bestimmen, welche Kinder im Burgenland in allgemein bildende Pflichtschulen gehen dürfen sowie das Land Burgenland und die Gemeinde R***** an ihrem Recht auf Regulierung des Schulbesuches und auf bestimmungsgemäße Verwendung ihrer Budgetmittel“ (US 7 f und 11 f).

Diese Feststellungen vermögen den Schuldspruch nicht zu tragen. Die Aufnahme der Schüler Akos H***** und Aron K***** durch Wilhelm M***** erfolgte mit Blick auf den genannten Erlass des Landesschulrats für Burgenland rechtswidrig. Dass dieser Angeklagte dabei wissentlich seine Befugnis (vgl § 5 Abs 2 SchulunterrichtsG [SchUG]) missbraucht hat, wurde aber ebenso wenig konstatiert wie ein (diese Handlungen) begleitender Vorsatz, Gebietskörperschaften, nämlich die Gemeinde R***** als Schulerhalter (§ 2 Abs 2 lit b bgld PflichtschulG) und das Land für die Beistellung der für die öffentlichen Pflichtschulen erforderlichen Lehrer (§ 2 Abs 5 bgld PflichtschulG), an ihren Rechten auf Regulierung der Aufnahme sprengelfremder Schüler (vgl § 38 Abs 8, 12 und 14 bgld PflichtschulG) sowie auf vorschriftsgemäßen und sparsamen Einsatz von Budgetmitteln zu schädigen (zu den finanziellen Auswirkungen der Aufnahme von Schülern vgl auch § 17 SchulpflichtG, § 14 Abs 1 Pflichtschulerhaltungs-GrundsatzG und §§ 30a bis 30i FamlienlastenausgleichsG).

Angesichts der vorherigen (tatsächlichen) Aufnahme dieser beiden ungarischen Schüler bleibt die Feststellung, der Beschwerdeführer habe durch die zu B/II inkriminierte „inhaltliche Unrichtigkeit der von ihm eingegebenen Daten“ in der Applikation „WebAS“ des Schulverwaltungssystems des burgenländischen Bildungsservers eine Beeinträchtigung von Gebietskörperschaften an deren zuvor genannten Rechten herbeiführen wollen (US 12), ohne Sachverhaltsbezug (RIS‑Justiz RS0119090). Inwieweit nach seiner Vorstellung eine Rechtsschädigung nicht durch die (zufolge Richtigkeit nicht missbräuchliche) Eintragung der Schülerzahl, sondern lediglich durch jene der (tatsachenwidrigen) Wohnsitze herbeigeführt werden sollte (vgl hingegen auch ON 34 S 15 ff und 77 ff), lassen die Entscheidungsgründe (vgl etwa US 15) nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen.

Dieser Rechtsfehler erfordert ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ eine Aufhebung des Schuldspruchs B/II bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO), demgemäß auch des Strafausspruchs, samt Rückverweisung der Sache an das Erstgericht.

Dieses wird im zweiten Rechtsgang vordringlich zu prüfen haben, ob Wilhelm M***** ‑ wie in der Anklagebegründung (vgl zum maßgeblichen Prozessgegenstand RIS-Justiz RS0097672) hinreichend deutlich angesprochen (ON 35 S 15) ‑ Akos H***** und Aron K***** tatsächlich weisungswidrig als Schüler aufgenommen und dadurch den Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB erfüllt hat.

Sollte sich insoweit tatbestandsmäßiges Verhalten nicht erweisen lassen, wird zunächst die rechtliche Grundlage einer Befugnis des Angeklagten zur Eingabe von Daten in die Applikation „WebAS“ des Schulverwaltungssystems des burgenländischen Bildungsservers zu prüfen sein und ob dieser die Schädigung von (welchen) Rechten (von [abfrageberechtigten] Gebietskörperschaften [vgl etwa § 38 Abs 8 oder 12 ff bgld PflichtschulG]) bei Eingabe von (welchen) unrichtigen Daten in seinen Vorsatz aufgenommen hat.

Strafbarkeit des von Punkt B/II der Anklage erfassten Verhaltens nach § 225a StGB kommt übrigens nicht in Betracht, weil dieser Tatbestand (bloß) inhaltlich unrichtige Daten nicht erfasst (Reindl in WK2 StGB § 225a Rz 7; vgl RIS-Justiz RS0122091).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO. Die Ersatzpflicht umfasst nicht die durch das amtswegige Vorgehen verursachten Kosten (RIS-Justiz RS0101558).

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