OGH 1Ob7/14g

OGH1Ob7/14g24.7.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj E***** R*****, geboren am ***** 2004, über den (teils außerordentlichen) Revisionsrekurs der Großmutter G***** C*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar, Dr. Norbert Marschall Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 9. Oktober 2013, GZ 42 R 324/13b, 402/13y‑129, mit dem die Beschlüsse des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 10. Juni 2013, GZ 5 Ps 146/09v‑108, und vom 5. Juli 2013, GZ 5 Ps 146/09v‑114, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0010OB00007.14G.0724.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird aufgetragen, über den Antrag der Großmutter, der Mutter die Obsorge für den Minderjährigen für den Bereich schulischer Angelegenheiten zu entziehen, unter Abstandnahme von den gebrauchten Zurückweisungsgründen inhaltlich zu entscheiden.

 

Begründung:

Das Verhältnis zwischen der Mutter des Minderjährigen und ihrer Mutter (in der Folge: Großmutter), der Revisionsrekurswerberin, ist schon seit längerem äußerst angespannt, was unter anderem dazu geführt hatte, dass die Mutter Kontakte des Kindes zu ihr unterbunden hat. Der Großmutter wurden über ihren Antrag im Jahr 2012 rechtskräftig begleitete Besuchskontakte im Abstand von 4 Wochen in einem Besuchscafe der Wiener Kinderfreunde unter Besuchsbegleitung eingeräumt und der Mutter aufgetragen, dafür Sorge zu tragen, dass der Minderjährige zu den vereinbarten Besuchskontakten anwesend ist. Dieser Entscheidung wurde zugrunde gelegt, dass bis Sommer 2010 regelmäßige Kontakte zwischen dem Kind und seiner Großmutter stattgefunden hatten, diese daher in seinem bisherigen Leben eine Bezugsperson dargestellt habe, zu der der Kontakt im Wohle des Kindes nicht abreißen solle. Die weiteren Kontakte hätten unter Berücksichtigung der Bedenken der Mutter und des zwischen ihr und der Großmutter bestehenden Konflikts im Rahmen einer Einrichtung zur Besuchsbegleitung zu erfolgen. Trotz der rechtskräftigen Entscheidung verhinderte die Mutter jedoch weiterhin jeglichen Kontakt des Kindes zur Großmutter und änderte ihr Verhalten auch nicht, nachdem über sie rechtskräftig Beugestrafen (von 100 EUR, 200 EUR und 400 EUR) verhängt worden waren. Sie machte jeglichen Kontakt (auch unter Besuchsbegleitung) von der Erfüllung ihren Wünschen entsprechender Bedingungen (Vorlage eines psychiatrischen Attests der Großmutter, jeweilige Beurteilung der Eignung der besuchsbegleitenden Person durch die Mutter ...) abhängig und erklärte weiters, weitere Beugestrafen nicht bezahlen zu können und zu wollen.

Nachdem die Großmutter die Verhängung einer weiteren Beugestrafe zur Durchsetzung des ihr rechtskräftig eingeräumten Kontaktrechts beantragt hatte, sprach das Erstgericht von Amts wegen mit dem ersten angefochtenen Beschluss (ON 108) aus, dass die persönlichen Kontakte zwischen dem Minderjährigen und der Großmutter bis auf weiteres ausgesetzt werden. (Die Abweisung des Antrags auf Verhängung einer „Ordnungsstrafe“ ist nicht mehr Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens.) Auf Basis der bisherigen Vorgänge sei für das Gericht für die Zukunft davon auszugehen, dass die Mutter sich keinesfalls dem Beschluss über die Regelung des persönlichen Kontakts zwischen dem Kind und der Großmutter beugen werde und daher die Verhängung weiterer Beugestrafen und voraussichtlich auch von Ersatzfreiheitsstrafen infolge Uneinbringlichkeit der Geldstrafen erfolgen werde. Die Großeltern hätten zwar gemäß § 188 Abs 1 ABGB ein Recht auf persönlichen Kontakt zu ihren Enkelkindern, das jedoch soweit einzuschränken oder zu untersagen sei, als sonst das Familienleben eines Elternteils oder dessen Beziehung zu dem Kind gestört würde. Hier habe sich im Rahmen der Durchsetzung des Beschlusses über den persönlichen Kontakt eine neue Zuspitzung des Konflikts zwischen der Mutter und der Großmutter ergeben, welche einerseits durch die wirtschaftliche Belastung und andererseits durch der Mutter drohende Freiheitsstrafen eine massive Beeinträchtigung des Kindes darstelle. Wenngleich keine der Abwägungen in den vergangenen Beschlüssen in der Sache zurückzunehmen sei, sei unter den nunmehr vorliegenden Voraussetzungen eine neue Bewertung der Situation vorzunehmen. Daraus ergebe sich, dass eine weitere Eskalation nicht im Interesse des Kindes sei und unter Abwägung der Durchsetzung des persönlichen Kontakts zwischen dem Kind und der Großmutter um den Preis von Ersatzfreiheitsstrafen der Mutter einerseits und der Aussetzung der Besuchskontakte andererseits der zweiten Variante im Sinne des Kindeswohls der Vorzug zu geben sei.

Mit dem zweiten angefochtenen Beschluss (ON 114) wies das Erstgericht den Antrag der Großmutter, der Mutter die Obsorge für den Bereich schulischer Angelegenheiten zu entziehen und sie dem Amt für Jugend und Familie ‑ vorerst einstweilig ‑ zu übertragen, zurück, weil ein solcher Antrag „im Gesetz nicht vorgesehen“ sei. Die Großmutter habe lediglich einen Sachverhalt bekanntgegeben, der für sich genommen keine Gefährdung des Wohls von E***** bedeute. Die Abmeldung eines Kindes von einer Schule sei Ausfluss der Obsorge, die der Mutter alleine zustehe. Dem Jugendwohlfahrtsträger stehe die „erforderliche“ Antragstellung offen.

Das Rekursgericht bestätigte den erstgerichtlichen Beschluss über die Aussetzung der Kontakte zwischen der Großmutter und dem Kind und erklärte den Revisionsrekurs für nicht zulässig. Es sei durchaus fraglich, ob die beharrliche Weigerung der Mutter, die offenbar sogar eine Beugehaft iSd § 79 Abs 2 Z 2 AußStrG auf sich nehmen würde, nur um jede ‑ noch so geschützte ‑ Kontaktaufnahme der Großmutter mit dem Kind zu vermeiden, dazu führen soll, die Besuchskontakte auszusetzen. Dies könnte im Ergebnis nämlich als Signal missverstanden werden, dass es der Mutter, mit deren Einwendungen sich im Kontaktverfahren alle Instanzen bis hin zum Obersten Gerichtshof befassten, freistehe, sich aus eigenem Gutdünken über eine gerichtliche Anordnung hinwegzusetzen. Die von der Mutter zum Teil äußerst unsachlichen und teilweise objektiv falschen Argumente und Behauptungen sollten grundsätzlich nicht zu dem von ihr offenbar angestrebten Ergebnis führen. Betrachte man hingegen die Situation aus dem Blickwinkel des Kindeswohls, so sei dem Erstgericht im Ergebnis gänzlich beizupflichten, dass eine zwangsweise Durchsetzung der Kontaktregelung aufgrund der nunmehr eingetretenen weiteren Eskalation des Streits zwischen der Mutter und der Großmutter, welcher entgegen allen Erwartungen auch durch umfangreiche gerichtliche Bemühungen nicht eingedämmt werden konnte, nicht in Frage komme. Das Kind würde derzeit bei der Ausübung eines weiteren Zwangs gegen die Mutter ohne jeden Zweifel einer massiven Belastung ausgesetzt sein, welche jedenfalls seinem Wohl abträglich wäre. Aus der Sicht des nicht einmal neun Jahre alten Kindes würde sich die Situation nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach so darstellen, seine Mutter müsse (auch) „wegen ihm ins Gefängnis“ oder werde zumindest mit Geldstrafen belegt. Jedenfalls würde das Kind zumindest mittelbar den Eindruck bekommen, dass seine Mutter weiterhin „wegen ihm“ massiv unter Druck gesetzt wird. Es stehe mit Sicherheit fest, das diese aus derzeitiger Sicht nahezu unausweichlichen Auswirkungen dem Wohl des Kindes abträglich wären. Die Besuchskontakte der Großmutter seien daher bis auf weiteres auszusetzen, was keineswegs bedeute, dass den zum Teil völlig unsachlichen und überzogenen Argumenten der Mutter gefolgt werde. Vielmehr stelle eine solche Aussetzung aus der Sicht des Kindes die derzeit offenbar einzige Möglichkeit dar, zur Beruhigung der Situation beizutragen. Das Kontaktrecht der Großeltern sei einzuschränken, wenn sonst die Beziehung zum Kind gestört würde bzw wenn die Spannungen so gravierend sind, dass Entwicklungsstörungen des Kindes zu befürchten sind oder wenn mit der Ausübung des Kontaktrechts eine erhebliche seelische Irritation verbunden ist. Dies sei hier ohne Zweifel gegeben. Der Revisionsrekurs sei mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

Das Rekursgericht bestätigte auch die Zurückweisung des Antrags der Großmutter, der Mutter die Obsorge für den Bereich schulischer Angelegenheiten zu entziehen, erklärte aber den ordentlichen Revisionsrekurs insoweit für zulässig. Der Kreis jener Personen, die eine gerichtliche Verfügung zur Obsorgeeinschränkung beantragen können, sei in § 181 Abs 2 ABGB taxativ aufgezählt und umfasse unter anderem Verwandte in gerader aufsteigender Linie; andere Personen könnten derartige Verfügungen bloß anregen, wodurch sie jedoch keine Parteistellung und folglich keine Rechtsmittellegitimation erlangen. Der Rekurswerberin komme als Großmutter somit grundsätzlich sowohl Antrags‑ als auch Rechtsmittellegitimation zu. Sie strebe allerdings ‑ im Hinblick auf die aktenkundigen Tatsachen durchaus verständlich ‑ nicht an, die Obsorge in dem genannten Teilbereich an sie zu übertragen, sondern vielmehr an den Jugendwohlfahrtsträger. Unter Bedachtnahme auf die hier gegebenen Umstände sei ihre Parteistellung zu verneinen, habe doch auch der Oberste Gerichtshof die Ansicht vertreten, dass in einem Verfahren, in dem die Frage der Obsorge zwischen beiden Eltern strittig ist, den Großeltern keine eigene Verfahrensstellung zukomme, sondern allenfalls ein Anhörungsrecht. Hier sei zwar nicht die Obsorge zwischen den Eltern strittig, jedoch strebe die Großmutter die Übertragung der Obsorge an den Jugendwohlfahrtsträger an, dem der behauptete Sachverhalt bereits zur Kenntnis gebracht worden sei. Das amtswegig eingeleitete Verfahren garantiere daher den von der Großmutter angestrebten Schutz des Kindes. Unter Bedachtnahme auf die Umstände dieses Falls führe die „Vorrangstellung der Großeltern“ somit nicht zu der von der Rekurswerberin angestrebten Parteistellung, da sie jedenfalls als Trägerin der Obsorge ‑ und zwar auch in Teilbereichen ‑ ausscheide. Auch unter dem Aspekt, dass die Mutter der Großmutter Vorhaltungen über ihre Einmischungen und Interventionen in der Schule gemacht habe, die den Streit noch vertiefen und die Belastung des Kindes noch erhöhen könnten, erscheine es keineswegs sinnvoll, der Großmutter im Zusammenhang mit der Frage der Obsorge eine Parteistellung zuzubilligen. Ihr Antrag sei daher vom Erstgericht im Ergebnis zutreffend zurückgewiesen worden. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage des „Umfangs der Rekurslegitimation“ der Großmutter nach § 181 Abs 2 ABGB keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung erhobene Revisionsrekurs der Großmutter ist auch zulässig, soweit dieser nicht für zulässig erklärt wurde, und mit seinem Aufhebungsantrag berechtigt.

1. Zur Aussetzung des Kontaktrechts:

Voranzustellen ist, dass beide Vorinstanzen ‑ im Sinne des in Rechtskraft erwachsenen Beschlusses ON 26 ‑ davon ausgehen, dass der Kontakt des Kindes zur Großmutter weiterhin seinem Wohl entsprechen würde und durch die angeordnete Besuchsbegleitung auch ausreichende Vorsorge gegen von der Mutter befürchtete „Übergriffe“ der Großmutter getroffen wurde. Eine mögliche Gefährdung des Kindeswohls sehen sie ausschließlich im Verhalten der Mutter, die ihre ‑ gegenüber dem Kind und der Großmutter bestehende ‑ Pflicht, die gerichtlich angeordneten Besuchskontakte zuzulassen, bewusst und nachhaltig verletzt und dadurch Zwangsmaßnahmen gegen sich auslöst, mit denen eine Beeinträchtigung des Kindeswohls verbunden sein könnte.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist bereits die Durchsetzung der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung erörterten Zwangsmaßnahmen nicht ohne weiteres als zwingendes Faktum anzusehen, das zugleich mit einer Verletzung des Kindeswohls verbunden wäre. Einerseits besteht die Möglichkeit, von der Einhebung der bisher verhängten Beugestrafen ‑ unter Ausschöpfung anderer Mittel ‑ abzusehen und vorerst keine weiteren Geldstrafen zu verhängen, was letztlich mit der Abweisung des entsprechenden Antrags der Großmutter ‑ die von ihr auch nicht mehr bekämpft wird ‑ schon geschehen ist. Beugehaft iSd § 79 Abs 2 Z 2 AußStrG wurde bisher nicht angeordnet; entgegen der Auffassung des Erstgerichts kommt eine Ersatzfreiheitsstrafe im Falle der Uneinbringlichkeit einer Beugestrafe iSd § 79 Abs 2 Z 1 AußStrG nicht in Betracht. Soweit also die Befürchtung der Gefährdung des Kindeswohls allein darauf beruht, dass bereits verhängte Geldstrafen in Zukunft vollzogen werden könnten bzw die Beugehaft verhängt werden könnte, hat es das Erstgericht selbst in der Hand, ‑ zumindest vorerst ‑ von der Durchsetzung derartiger Maßnahmen abzusehen, wenn damit eine Beeinträchtigung der Interessen des Kindes verbunden wäre. Zutreffend weist die Revisionsrekurswerberin aber in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass eine solche Beeinträchtigung auf Tatsachenebene keinesfalls abschließend feststeht.

Darüber hinaus ist auch den grundsätzlichen Bedenken der Vorinstanzen zu folgen, dass ein pflichtwidriges, unsachliches und zum Teil mit wahrheitswidrigen Behauptungen verbundenes Verhalten der Mutter grundsätzlich nicht zu dem von ihr offenbar angestrebten Ergebnis führen darf, dass die (auch) zum Wohl des Kindes angeordneten ‑ ohnehin seltenen und im geschützten Rahmen ablaufenden ‑ Besuchskontakte zur Großmutter über lange Zeit erfolgreich vereitelt werden, was schließlich auch zu einer vom Gesetz als unerwünscht angesehenen Entfremdung führen würde. Richtig hat auch das Rekursgericht erkannt, dass es der Mutter keineswegs freisteht, sich aus eigenem Gutdünken über eine solche rechtskräftige gerichtliche Anordnung hinwegzusetzen. Sollte der Mutter nicht ausreichend klar sein, dass ein solches dem Kindeswohl widersprechendes Verhalten letztlich zu weitaus gravierenderen Eingriffen in die bisher bestehende Obsorgeregelung führen muss, wird ihr dies auf geeignete Weise zu vermitteln sein. Eine vorläufige Aussetzung des Kontaktrechts scheint dafür aber nicht der geeignete Weg zu sein, könnte ein solches Vorgehen doch in der Mutter durchaus das Gefühl bestärken, sie könne ihr nicht genehme Gerichtsentscheidungen einfach durch Obstruktionsmaß-nahmen aushebeln. Auch wenn es vielleicht noch für einige Zeit nicht möglich sein sollte, faktisch den Kontakt zwischen dem Kind und seiner Großmutter herzustellen, hat dies nicht durch eine (amtswegige) Entscheidung über ein vorläufiges Aussetzen der Besuchskontakte zu erfolgen, insbesondere wenn dieses ohne klaren zeitlichen Horizont und ohne an die Mutter gerichtete Auflagen erfolgt, deren Befolgung geeignet sein könnte, das Erreichen des dem rechtskräftigen Beschluss entsprechenden Ziels zu fördern.

Der angefochtene Beschluss ist im Hinblick auf die Aussetzung der Besuchskontakte daher ersatzlos aufzuheben. Das Erstgericht wird zu erwägen haben, welche geeigneten Schritte in Betracht kommen, um der Mutter die Unhaltbarkeit ihres Verhaltens, das zudem dem Kindeswohl widerspricht, und die ihr letztlich drohenden Konsequenzen vor Augen zu führen und sie zu der gebotenen Mitwirkung zu veranlassen. Dabei wäre insbesondere der Einsatz der Familiengerichtshilfe als Besuchsmittler iSd § 106b AußStrG zu erwägen. Um der drohenden Entfremdung entgegenzuwirken, wird dabei mit der gebotenen Eile vorzugehen sein, ist es der Mutter doch offenbar gelungen, seit mehr als zwei Jahren regelmäßige Kontakte zwischen Großmutter und Kind zu verhindern.

 

2. Zum Antrag auf Obsorgeentzug für schulische Angelegenheiten:

Gemäß § 181 Abs 1 ABGB hat das Gericht die zur Sicherung des Kindeswohls nötigen Verfügungen zu treffen, sofern die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl eines minderjährigen Kindes gefährden. Nach § 181 Abs 2 Satz 1 ABGB können solche Verfügungen unter anderem von allen Verwandten in gerader aufsteigender Linie, also auch von den Großeltern, beantragt werden, wogegen andere als die in Satz 1 genannten Personen solche Verfügungen nur anregen können. Im vorliegenden Fall hat die Großmutter ‑ als Antragsberechtigte nach § 181 Abs 2 ABGB ‑ unter Hinweis auf den ‑ nunmehr unstrittigen ‑ Umstand, dass die Mutter das Kind von der Schule abgemeldet hat, den Antrag gestellt, dieser die Obsorge für den Bereich schulischer Angelegenheiten zu entziehen und dem Amt für Jugend und Familie zu übertragen, weil sie eine Gefährdung des Kindeswohls durch diese Maßnahme befürchtete. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts handelt es sich dabei keinesfalls um einen im Gesetz nicht vorgesehenen Antrag. Auch der Auffassung des Rekursgerichts, der Großmutter wäre deshalb die Antragslegitimation abzusprechen, weil sie nicht die Übertragung der Obsorge an sich selbst beantragt hat, kann nicht gefolgt werden. Entgegen der Ansicht der Mutter kann die Antrags‑ und Rechtsmittellegitimation der Großmutter nicht davon abhängen, ob die Gefährdung tatsächlich besteht, weil dies erst nach meritorischer Prüfung ‑ gegebenenfalls auch durch die letzte in Betracht kommende Instanz ‑ endgültig beurteilt werden kann.

Schon die Gesetzesmaterialien zum früheren § 176 ABGB, dem § 181 idgF entspricht, wiesen darauf hin, dass Abs 2 abschließend regle, wer ein Verfahren nach Abs 1 durch Antrag einleiten und dadurch „volle Parteistellung“ erlangen könne (ErlRV 296 BlgNR 21. GP 64). Auch in der Literatur wird dazu uneingeschränkt ausgeführt, dass die in Abs 2 genannten Personen durch die Erhebung eines Antrags für das dadurch eingeleitete Verfahren Parteistellung und Rechtsmittellegitimation erlangen ( Stabentheiner in Rummel ³ § 176 Rz 6 mwN; Deixler‑Hübner in Kletečka/Schauer ABGB‑ON 1.02 §§ 181, 182 Rz 9). Dass es für die Parteistellung einer in § 181 Abs 2 Satz 1 ABGB genannten Person darauf ankommen sollte, welchen Inhalt die beantragte gerichtliche Verfügung hat, ist weder dem Gesetzeswortlaut (vgl auch § 2 Abs 1 Z 1 AußStrG) noch dem erkennbaren Gesetzeszweck zu entnehmen. Der Gesetzgeber wollte ersichtlich bestimmten, dem Kind besonders nahestehenden, Personen das Recht zu einer förmlichen Antragstellung einräumen, das ‑ mangels jeglicher Einschränkung im Gesetz ‑ die Parteistellung und Rechtsmittellegitimation des Antragstellers begründet. Wenn das Rekursgericht und die Mutter zur Stützung der gegenteiligen Rechtsauffassung auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs verweisen, in der Großeltern eine Beteiligung am Obsorgeverfahren verwehrt wurde, hat es offenbar übersehen, dass das betreffende Verfahren ‑ anders als hier ‑ nicht über Antrag der Großeltern eingeleitet worden war, womit sie sich gerade nicht auf eine durch ihre Antragstellung ausgelöste Parteistellung berufen konnten.

Das Erstgericht wird über den somit zulässigerweise gestellten Antrag der Großmutter meritorisch abzusprechen haben.

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