European Case Law Identifier: AT:OGH:2014:E107993
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, hinsichtlich des Erstangeklagten H***** im Schuldspruch B und hinsichtlich des Drittangeklagten S***** bezüglich der Schuldsprüche A/II und C in der Qualifikation nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG, somit auch in den Strafaussprüchen dieser beiden Angeklagten aufgehoben und in diesem Umfang die Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung verwiesen.
Die übrige Nichtigkeitsbeschwerde des Drittangeklagten S***** wird zurückgewiesen.
Mit ihren Berufungen werden die genannten Angeklagten auf die Aufhebung der Strafaussprüche verwiesen.
Ihnen fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil ‑ das auch den unbekämpft gebliebenen Schuldspruch des Zweitangeklagten Ivan G***** enthält ‑ wurden Seyfidin H***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A/I und II) und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach §§ 12 zweiter Fall StGB, 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (B) sowie Stefan S***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (A/II) und des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (C) schuldig erkannt und unter Anwendung des § 28 StGB nach § 28a Abs 4 SMG zu Freiheitsstrafen in der Dauer von sechs Jahren und sechs Monaten (H*****) und fünf Jahren (S*****) verurteilt.
Danach haben vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25‑fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge
A) einem verdeckten Ermittler des Landeskriminalamtes Wien überlassen und zwar
I. Seyfidin H***** am 18. November 2013 in Wien 3,1 Gramm brutto Heroin (Wirkstoff Diacetylmorphin) als Probe für den bevorstehenden Verkauf;
II. Seyfidin H*****, Ivan G***** und Stefan S***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) am 19. November 2013 in V***** 3.142,6 Gramm brutto Heroin mit einer Reinsubstanz von 22 Gramm Monoacetylmorphin, zumindest 1.080 Gramm Diacetylmorphin und zumindest 63,6 Gramm Acetylcodein;
B) Seyfidin H***** zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt Mitte November 2013 in P***** (B*****) den Ivan G***** zu der unter Punkt C angeführten strafbaren Handlung bestimmt, indem er ihm 1.000 Euro für den Schmuggel des genannten Suchtgifts von B***** nach Wien und Übergabe an ihn versprach;
C) Ivan G***** und Stefan S***** am 19. November 2013 im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) das in Punkt A/II genannte Suchtgift aus B***** ausgeführt und nach Österreich eingeführt, indem sie das Suchtgift mit einem Pkw von B***** nach Wien transportierten.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden des Erst‑ und des Drittangeklagten aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 11 StPO, der Erstangeklagte releviert auch Z 9 lit a leg cit, der Drittangeklagte der Sache nach Z 9 lit b leg cit, wobei der Erstangeklagte lediglich den Schuldspruch B bekämpft.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten:
Zutreffend moniert dieser in seiner Rechtsrüge (Z 9 lit a) einen Rechtsfehler mangels Feststellungen zur ihm angelasteten Bestimmung des Zweitangeklagten zum Suchtgiftschmuggel (B iVm C).
Dem Ersturteil ist dazu nämlich nur zu entnehmen, dass ein „unbekannt gebliebener Stefan“, den der Erstangeklagte zum Zweitangeklagten gebracht hatte, „den Zweitangeklagten in Anwesenheit des Erstangeklagten [ersuchte], 3 kg Heroin mit dessen Fahrzeug von B***** nach Wien zu schmuggeln und in Wien an den Erstangeklagten zu übergeben, wobei er ihm für seine Tathandlung eine Entlohnung in Höhe von 1.000 Euro in Aussicht stellte. Nachdem der Zweitangeklagte zugesagt hatte, den Suchtgiftschmuggel für den Erstangeklagten durchzuführen, nahm der unbekannt gebliebene Stefan sechs Pakte mit ... Heroin mit einer Reinsubstanz ... und versteckte diese hinter der Abdeckung der linken hinteren Türe des im Eigentum der Gattin des Zweitangeklagten stehenden Fahrzeuges“ (US 8). An anderer Stelle heißt es, „der Erstangeklagte wollte den Zweitangeklagten zur Ausfuhr aus B***** und Einfuhr nach Österreich von Suchtgift in einer das 25‑fache der Grenzmenge übersteigenden Menge bestimmen ...“ (US 10). Schließlich führten die Tatrichter aus: „Daran, dass der Erstangeklagte sohin Auftraggeber des Suchtgiftschmuggels sowie Organisator des Suchtgiftverkaufs war, kann sohin kein Zweifel bestehen“ (US 13).
Wodurch der Erstangeklagte allerdings den Zweitangeklagten (allenfalls im Wege des „Stefan“) zum Schmuggel bestimmt hat (siehe dazu beispielsweise Fabrizy, StGB11 § 12 Rz 6), bleibt nach den erstgerichtlichen Annahmen offen und lassen diese auch eine ‑ rechtlich gleichwertige ‑ Deutung als sonstigen Tatbeitrag (§ 12 dritter Fall StGB) nicht zu.
Eine Aufhebung des Schuldspruchs B erweist sich damit ‑ wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte ‑ als unumgänglich (§ 285e StPO), ohne dass auf das weitere Vorbringen dazu einzugehen war. Die Erledigung der Strafzumessungsrüge (Z 11) erübrigt sich zufolge der Kassation des Strafausspruchs.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Drittangeklagten:
Das Erstgericht verwarf die leugnende Einlassung des Drittangeklagten aufgrund dessen Belastung durch den Zweitangeklagten und der Realitätsferne der von jenem für die Reise von B***** nach Österreich angegebenen Gründe (Transport nicht näher bestimmten „Gepäcks“ für einen Lohn von 100 bis 200 Euro) als unglaubwürdig (US 13 f). Bloß zusätzlich stützte es seine Überzeugung von der „Eingeweihtheit“ des Drittangeklagten auf den Umstand, dass sowohl der Zweit‑ als auch der Drittangeklagte „sofort mit dem Abschrauben der Verkleidung der linken hinteren Seitentür begonnen hatten“, als es zur Übergabe des Suchtgifts kommen sollte (US 10, 14).
Soweit die Mängelrüge (Z 5) die zuletzt referierte Überlegung isoliert angreift, verfehlt sie eine prozessordnungsgemäße Darstellung der behaupteten Formalnichtigkeit: Die in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen, welche erst in der Gesamtschau mit anderen zum Ausspruch über entscheidende Tatsachen führen, kann aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht bekämpft werden, es sei denn, die Tatrichter hätten in einem besonders hervorgehobenen Einzelpunkt erkennbar eine notwendige Bedingung für Feststellungen hinsichtlich einer entscheidenden Tatsache erblickt (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 399 ff, 409 f, RIS‑Justiz RS0116737).
Die Annahme, der Drittangeklagte habe für seine Beteiligung am Suchtgiftschmuggel „500 Euro erwartet“ (US 14), konnte das Erstgericht dem Rechtsmittelvorwurf entgegen auf die Aussage des Zweitangeklagten stützen (US 13; ON 61 S 11, 14). Die Verantwortung des Beschwerdeführers zu seiner Reaktion auf das angeblich erst kurz vor dem polizeilichen Zugriff erfolgte Erkennen der wahren Umstände hat das Schöffengericht in seine beweiswürdigenden Überlegungen miteinbezogen (US 14).
Den Erwägungen der Erstrichter zur subjektiven Tatseite (US 14 f) stellt die Beschwerde lediglich eigenständig beweiswürdigende Spekulationen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren gesetzlich nicht normierten Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld entgegen, ohne einen Formalmangel des Ersturteils zur prozessordnungsgemäßen Darstellung zu bringen.
Die auf das Umschwenken der Verantwortung des Zweitangeklagten (vom Leugnen im Ermittlungsverfahren auf Geständnis in der Hauptverhandlung) und die eigene abstreitende Einlassung gestützte Tatsachenrüge (Z 5a) vermag ‑ zumal sie teilweise in Überlegungen ohne Aktenbezug abgleitet ‑ beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Feststellungen zur vorsätzlichen Teilnahme des Drittangeklagten am Schmuggel und der Übergabe einer großen Menge Suchtgifts zu erwecken.
Der formelle Nichtigkeitsgrund nach § 281 Abs 1 Z 5a StPO greift seinem Wesen nach nämlich erst dann, wenn Beweismittel, die in der Hauptverhandlung vorkamen oder vorkommen hätten können und dürfen, nach allgemein menschlicher Erfahrung gravierende Bedenken gegen die Richtigkeit der bekämpften Urteilsannahmen aufkommen lassen, maW intersubjektiv gemessen an Erfahrungs- und Vernunftsätzen eine unerträgliche Fehlentscheidung qualifiziert nahelegen. Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen ‑ wie sie die Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld des Einzelrichterverfahrens einräumt ‑ wird dadurch nicht ermöglicht. Die Tatsachenermittlung im kollegialgerichtlichen Verfahren bleibt den Richtern erster Instanz vorbehalten, die unter dem Eindruck der unmittelbaren, mündlichen und kontradiktorischen Beweiserhebung entscheiden. Beweiswürdigende Detailerwägungen diesseits der Schwelle erheblicher Bedenklichkeit ‑ wie in Erledigung einer Berufung wegen Schuld ‑ sind dem Obersten Gerichtshof somit verwehrt und auch in einer Tatsachenrüge nicht statthaft (RIS-Justiz RS0118780, RS0119583).
Die ersichtlich in Richtung des entschuldigendem Notstand nach § 10 Abs 1 StGB deutende Rechtsrüge (der Sache nach Z 9 lit b) behauptet, der Drittangeklagte habe bei der Übergabe des Suchtgifts „aus Selbstschutz ... keine andere Möglichkeit mehr [gehabt], als diese Übergabe zu unterstützen, da [er] andernfalls damit rechnen musste, dass [er] aus der Garage nicht mehr lebend herauskommen könnte“, und ortet deshalb einen Feststellungsmangel. Weil er dabei jedoch die konträren erstgerichtlichen Feststellungen (US 8, 10 f) ignoriert, verfehlt er die intendierte Darstellung materiell‑rechtlicher Nichtigkeit (14 Os 74/08a uva).
Mit den Aussagen des Nichtigkeitswerbers zu den Vorgängen anlässlich der geplanten Suchtgiftübergabe hat sich das Erstgericht ‑ dem Beschwerdevorwurf (der Sache nach Z 5 zweiter Fall) zuwider ‑ auseinandergesetzt (US 14), ohne die unspezifische Behauptung des Drittangeklagten, „Ich hatte auch Angst“ (ON 61 S 19) einer gesonderten Erörterung unterziehen zu müssen (Fabrizy, StPO11 § 281 Rz 43a).
Im bisher behandelten Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde ‑ in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur ‑ bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Zur Begründung der festgestellten subjektiven Tatseite in Richtung der Qualifikation nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG (US 8, 10) kann der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) allerdings Berechtigung nicht abgesprochen werden: Denn der Bezug auf die Aussage des Zweitangeklagten (US 15) allein trägt die getroffenen Feststellungen nicht, weil der Genannte (nur) deponierte, er habe dem Drittangeklagten (lediglich) gesagt, für 1.000 Euro würden sie Drogen von B***** nach Österreich „liefern“ (ON 61 S 14) ‑ die Übermenge des § 28a Abs 4 Z 3 SMG blieb dabei im Dunkeln.
Diesbezüglich war daher ‑ einmal mehr wie im Croquis ausgeführt ‑ hinsichtlich des Drittangeklagten teilweise gemäß § 285e StPO vorzugehen. Das Eingehen auf die Strafzumessungsrüge (Z 11) erübrigte sich zufolge des nicht weiterbestehenden Strafausspruchs.
Mit ihren Berufungen waren die Rechtsmittelwerber auf den Wegfall des davon betroffenen Anfechtungsgegenstands zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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