OGH 3Ob13/14d

OGH3Ob13/14d19.3.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen S*****, in Pflege und Erziehung der Mutter M*****, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, *****, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 18. Oktober 2013, GZ 43 R 570/13m‑18, womit infolge Rekurses des Kindes der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 25. Juli 2013, GZ 2 PU 247/12w‑11, berichtigt mit Beschluss vom 21. November 2013, GZ 2 PU 247/12w‑21, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0030OB00013.14D.0319.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„G*****, ist als Vater des minderjährigen S*****, schuldig, nachstehende Unterhaltsbeträge zu Handen des jeweiligen gesetzlichen Vertreters des Kindes, *****, zu bezahlen:

Vom 1. April 2011 bis 31. Dezember 2011 340,00 EUR monatlich und

ab dem 1. Jänner 2012 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes 360,00 EUR monatlich.

Die bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses fällig gewordenen Beträge sind ‑ abzüglich der im Zeitraum 1. April 2012 bis inklusive Mai 2013 geleisteten Beträge in Höhe von 2.100 EUR ‑ binnen 14 Tagen, künftig fällig werdende Beträge jeweils am Ersten eines jeden Monats im Vorhinein zu entrichten.

Das darüber hinausgehende Unterhaltsbegehren des Kindes von monatlich 10 EUR für die Monate April bis Dezember 2011 wird abgewiesen.“

 

Begründung:

Der Vertreter des Kindes beantragte ‑ nach Modifikation ‑ ausgehend von einem monatlichen Durchschnittseinkommen des Vaters von 2.300 EUR für das Jahr 2011 und 2.400 EUR ab dem Jahr 2012 und einer weiteren Sorgepflicht für eine noch nicht zehnjährige Tochter dessen (erstmalige) Verpflichtung zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 350 EUR ab 1. April 2011 und von 360 EUR ab 1. Jänner 2012. Der Vater leiste freiwillig nur 150 EUR an Unterhalt.

Dem Vater wurde sowohl der Unterhaltsfestsetzungsantrag ON 1 als auch dessen Modifikation ON 9 mit der Aufforderung zur Äußerung dazu gemäß § 17 AußStrG zugestellt; er äußerte sich dazu jedoch nicht.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater zu monatlichen Unterhaltsbeträgen von 325 EUR vom 1. April 2011 bis 31. Dezember 2011 und von 340 EUR ab 1. Jänner 2012.

Es traf dazu aufgrund der von ihm bereits nach der verfahrenseinleitenden Antragstellung eingeholten Lohnkonten folgende ‑ gegenüber den Antragsbehauptungen (ON 1 und ON 9) abweichende ‑ Feststellungen: Der Vater ist Berufskraftfahrer und verfügte im Jahr 2011 über ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen in Höhe von 2.258,47 EUR inklusive anteiliger Sonderzahlungen abzüglich der Hälfte der Tages- und Nächtigungsgelder sowie zuzüglich der Vorschüsse und Barauslagen. Im Jahr 2012 und 2013 verfügte er über ein solches in der Höhe von rund 2.379,56 EUR. Der Vater ist weiters sorgepflichtig für eine am 5. November 2004 geborene Tochter. Die steuerpflichtigen Bezüge haben im Jahr 2011 22.890 EUR und im Jahr 2012 21.984 EUR betragen.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde der nach der altersgemäßen Prozentkomponente unter Berücksichtigung der weiteren gesetzlichen Sorgepflicht bestimmte Geldunterhalt von Amts wegen durch Anrechnung der Transferleistungen, welche dem das Kind betreuenden Elternteil zukommen, zwecks der nach den verfassungsgerichtlichen Vorgaben gebotenen steuerlichen Entlastung des geldunterhaltspflichtigen Vaters gekürzt.

Dem Rekurs des Kindes, der sich allein gegen die amtswegig vorgenommene steuerliche Entlastung des Vaters richtete, gab das Rekursgericht nicht Folge. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für zulässig.

Den Rekursausführungen sei zwar zuzustimmen, dass die Voraussetzungen nach der herrschenden oberstgerichtlichen Rechtsprechung für eine amtswegige Berücksichtigung von Transferleistungen (RIS‑Justiz RS0117764) nicht vorlägen. Allerdings sei aufzugreifen, dass das Erstgericht von Amts wegen die für eine derartige Anrechnung erforderlichen Grundlagen geklärt und festgestellt habe. Dass die obsorgeberechtigte Mutter nach der Aktenlage die Familienbeihilfe für das antragstellende Kind beziehe, sei zwar nicht ausdrücklich festgestellt worden, jedoch sei dieser Umstand eine Voraussetzung für die vorgenommene Anrechnung der Transferleistungen und damit inhaltlich erkennbar in den ausdrücklich festgestellten Sachverhalt miteinbezogen worden. Da auch der Rekurs dazu keine Bestreitung enthalte, habe auch der Bezug der Familienbeihilfe als unstrittig und auch aktenkundig zu gelten. Das Gericht dürfe ungeachtet des § 17 AußStrG weitere Beweise aufnehmen, weil es aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes bei der Stoffsammlung durch das Verhalten der Parteien in keiner Weise eingeschränkt sei. Die hier gesetzlich gebotene steuerliche Entlastung des Vaters setze daher einen ausdrücklich darauf abzielenden Antrag des Unterhaltspflichtigen nicht voraus (vgl 10 Ob 49/10v).

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil bezogen auf die gegenständliche Fallkonstellation noch keine oberstgerichtliche Judikatur vorliege, in der auch schon vertreten worden sei, dass die gesetzlich gebotene steuerliche Entlastung einen ausdrücklich darauf abzielenden Antrag nicht voraussetze.

Dagegen erhob das Kind einen Revisionsrekurs mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der vollen Stattgebung des Antrags. Der Vater hätte dem Unterhaltsbegehren generell entgegentreten müssen, was jedoch trotz Aufforderung zur Äußerung unterblieben sei.

Der Vater beteiligte sich auch nicht am Revisionsrekursverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig , weil die Vorinstanzen ohne hinreichende Begründung von den in der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs anerkannten Grundsätzen abgewichen sind; er ist aber nur teilweise berechtigt , weil dem Unterhaltsbegehren nicht zur Gänze entsprochen werden kann.

1.1.  Nach gefestigter jüngerer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist bei der amtswegigen Berücksichtigung von Transferleistungen dahin zu differenzieren, ob der Geldunterhaltspflichtige als Antragsteller eine Herabsetzung begehrt oder als Antragsgegner einem Erhöhungsbegehren des Unterhaltsberechtigten entgegentritt. Nur im zweiten Fall sind Transferleistungen bei der Unterhaltsbemessung auch ohne gesondertes Vorbringen des Geldunterhaltspflichtigen zu berücksichtigen, wenn die für eine Anrechnung maßgeblichen Umstände, insbesondere der Bezug der Familienbeihilfe durch den anderen Elternteil, unstrittig oder aktenkundig sind (RIS‑Justiz RS0117764 [T9]). Dieser Beurteilung liegt die Überlegung zugrunde, dass der Vater, der jede Erhöhung der bisher geleisteten Unterhaltsbeiträge ablehnt, unter gewöhnlichen Umständen auch eine Reduzierung der Unterhaltsleistungen durch Anrechnung der Entlastung nach dem Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) begehrt. Allerdings ist ein zwingender Charakter dieser Entlastung des Unterhaltsschuldners nicht ersichtlich; vielmehr hängt sie von der Disposition des Unterhaltspflichtigen ab. Der Untersuchungsgrundsatz im außerstreitigen Verfahren geht nicht soweit, dass von Amts wegen eine vom Unterhaltsschuldner gar nicht begehrte Steuerentlastung vorgenommen werden müsste, der Partei also ein verzichtbarer Rechtsanspruch (Rechtsgrund) geradezu aufgedrängt werden müsste (vgl RIS‑Justiz RS0117764 [T6]).

1.2.  Nach der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 160/09z (= SZ 2010/48) ist eine Berücksichtigung der Familienbeihilfe ebenso von Amts wegen geboten, wenn das Gericht sie bei einer früheren Entscheidung berücksichtigt habe und der Antragsteller daher keinen Grund habe anzunehmen, dass das Gericht die in der letzten Entscheidung für maßgeblich angesehenen Kriterien nicht neuerlich heranziehen werde.

2.1.  Hier ist die erstmalige gerichtliche Festsetzung des Unterhalts aufgrund eines Antrags des Kindes zu beurteilen, sodass eine amtswegige Berücksichtigung von Transferleistungen nur dann in Frage käme, wenn der Vater dem Antrag entgegengetreten und die für eine Anrechnung maßgeblichen Umstände, insbesondere der Bezug der Familienbeihilfe durch den anderen Elternteil, unstrittig oder aktenkundig wäre(n). Keine der beiden Voraussetzungen ist jedoch gegeben.

2.2.  Es liegen keine Umstände vor, die die Annahme rechtfertigen würden, der Vater würde dem Antrag ungeachtet seines Schweigens entgegentreten (vgl RIS‑Justiz RS0006941 [T7 iVm T8]). Warum amtswegige Erhebungen des Erstgerichts und darauf gegründete Feststellungen zum Einkommen des Vaters dessen Bestreiten des geltend gemachten Anspruchs ersetzen sollten, ist nicht nachvollziehbar, weil diese Aktivitäten nur der Überprüfung der Antragsbehauptungen dienen konnten.

Damit fehlt es schon an der ersten Voraussetzung für eine amtswegige Berücksichtigung von Transferleistungen.

2.3.  Darüber hinaus kann die Meinung des Rekursgerichts nicht übernommen werden, der Bezug der Familienbeihilfe durch die Mutter stelle eine Voraussetzung für die vorgenommene Anrechnung der Transferleistungen dar und sei deshalb inhaltlich erkennbar vom Erstgericht in den ausdrücklich festgestellten Sachverhalt miteinbezogen worden.

Damit übergeht das Rekursgericht nicht nur, dass der Bezug der Familienbeihilfe durch die Mutter vom Antragsvorbringen gar nicht umfasst ist, sondern auch, dass das Erstgericht dazu keinerlei Erhebungen durchführte und auch der übrige Akteninhalt keinen Anhaltspunkt dafür bietet.

Dieser Umstand kann auch nicht als offenkundig angesehen werden. Wenngleich gemäß § 2 Abs 2 FLAG der Anspruch auf Familienbeihilfe jener Person zukommt, zu deren Haushalt das Kind gehört, und dies ‑ wie sich aus dem Akteninhalt ergibt ‑ die Mutter ist, so bedarf es doch einer Antragstellung auf Gewährung (§ 13 FLAG), um in den Genuss der Familienbeihilfe zu kommen (1 Ob 71/05f).

Im Übrigen geht es nicht an, sogenannte Feststellungsmängel damit zu sanieren, die fehlenden Tatbestandselemente als vom angenommenen Sachverhalt deshalb mitumfasst anzusehen, weil sie für die gewählte rechtliche Beurteilung Voraussetzung sind.

Die Annahme des Rekursgerichts, der Bezug der Familienbeihilfe der Mutter sei unstrittig und aktenkundig, erweist sich daher als unzutreffend, weshalb auch das Vorliegen der zweiten Voraussetzung für eine amtswegige Berücksichtigung von Transferleistungen zu verneinen ist.

3.  Die Unterhaltsbemessung hat daher auf der Grundlage der unbekämpft festgestellten Nettoeinkommensverhältnisse des Vaters für die Jahre ab 2011 nach der auch hier anwendbaren Prozentsatzmethode (RIS‑Justiz RS0057284 ua) zu erfolgen. Danach ist der Unterhaltsantrag nahezu zur Gänze berechtigt und nur das Mehrbegehren von monatlich 10 EUR für die Monate April bis Dezember 2011 abzuweisen.

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