OGH 12Os10/14h

OGH12Os10/14h6.3.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. März 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel‑Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sattlberger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ahmed T***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Jugendschöffengericht vom 1. Oktober 2013, GZ 27 Hv 46/13w‑106, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gleichzeitig gefassten Beschluss gemäß § 494a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0120OS00010.14H.0306.000

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten sowie aus deren Anlass werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A./1./ sowie in der Subsumtion der dem Schuldspruch A./2./ zugrundeliegenden Taten (auch) nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie der Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung und Beschwerde wird der Angeklagte ebenso auf die kassatorische Entscheidung verwiesen wie die Staatsanwaltschaft.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ahmed T***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG (A./1./), des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 1 SMG (A./2./) sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (B./) schuldig erkannt.

Danach hat er jeweils zu datumsmäßig größtenteils nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten in I*****

A./ teilweise im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit den abgesondert verfolgten Younis A***** und Oussama Al Z***** als Mittäter (§ 12 StGB) anderen vorschriftswidrig Suchtgifte in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Gesamtmenge überlassen, und zwar:

1./ in den Zeiträumen von Dezember 2009 bis einschließlich April 2010 und von Anfang Oktober 2010 bis zu seiner Festnahme im Verfahren AZ 34 Hv 107/11i des Landesgerichts Innsbruck am 16. Februar 2011 (über den im genannten Verfahren bereits abgeurteilten Suchtgifthandel hinaus) insgesamt zumindest (weitere) 45 kg an Cannabisprodukten (Haschisch und Marihuana) mit einem THC‑Reinsubstanzgehalt von durchschnittlich mindestens 5 % (2.250 Gramm reines THC entsprechend der 112,5‑fachen Grenzmenge) sowie zumindest 1 kg (ungestrecktes) Kokain mit unbekanntem Reinheitsgehalt durch den in einer unerhobenen Anzahl von Teilgeschäften abgewickelten gewinnorientierten Verkauf an namentlich nicht bekannte Suchtgiftkonsumenten und -händler, wobei er diese Tat in Bezug auf Suchtgifte in einer das 25‑fache der Grenzmenge übersteigenden Menge beging;

2./ im Zeitraum zwischen seiner Haftentlassung am 17. März 2012 und seiner neuerlichen Festnahme am Nachmittag des 19. Oktober 2012 insgesamt zumindest 445 Gramm an Cannabisprodukten (Haschisch und Marihuana) mit einem THC-Reinsubstanzgehalt von durchschnittlich mindestens 5,5 % (zumindest 24 Gramm reines THC entsprechend der 1,2‑fachen Grenzmenge) durch gewinnorientierten Verkauf an die gesondert verfolgten Matthias Sc*****, Gabriel M*****, Luca N*****, Nicole Mü*****, Mehmet K*****, Elif G***** und weitere, namentlich nicht bekannte Abnehmer im Verlauf zahlreicher Teilgeschäfte, wobei er diese Tat gewerbsmäßig beging und schon einmal, und zwar am 5. August 2011 im Verfahren AZ 34 Hv 107/11i des Landesgerichts Innsbruck, wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden war;

B./ am 19. September 2012 vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich 9,2 Gramm Haschisch und 35,6 Gramm Marihuana, bei einem Unbekannten zum Zwecke des gewinnorientierten Weiterverkaufs erworben und bis zur Sicherstellung besessen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen (inhaltlich aber nur gegen den Schuldspruch A./1./) richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der Berechtigung zukommt:

Im Ergebnis zutreffend macht die Rechtsrüge (Z 9 lit b) geltend, dass in Ansehung des Schuldspruchs A./1./ ein Verstoß gegen das Verbot wiederholter Strafverfolgung (ne bis in idem; § 17 Abs 1 StPO, Art 4 Z 1 des 7. ZPMRK) keineswegs auszuschließen ist:

Den insofern maßgeblichen Feststellungen (US 5 f) zufolge wurde der Angeklagte bereits mit dem im Verfahren AZ 34 Hv 107/11i des Landesgerichts Innsbruck ergangenen Urteil vom 5. August 2011 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG verurteilt, weil er zwischen Oktober 2010 und seiner Festnahme am 16. Februar 2011 in Innsbruck anderen vorschriftswidrig Suchtgifte in einer die Grenzmenge mehrfach übersteigenden Gesamtmenge überlassen hat, indem er zahlreichen, namentlich genannten und namentlich unbekannten Personen im Verlauf zahlreicher Teilgeschäfte insgesamt 1.104 Gramm Cannabisprodukte (mit einem THC‑Reinsubstanzgehalt von durchschnittlich mindestens 5 %) gewinnorientiert verkauft hatte. Bei dieser pauschalen Zusammenfassung gleichartiger Einzeltaten zu einer gleichartigen Verbrechensmenge streiten aus der pauschalen Individualisierung resultierende Zweifel im Fall einer nachfolgenden Verurteilung für die Annahme von Tatidentität und somit für das Vorliegen des Verfolgungshindernisses des ne bis in idem (Lendl, WK‑StPO § 260 Rz 24; RIS‑Justiz RS0119552 [T2, T3, insbesondere T8]).

Da der Schuldspruch A./1./ gleichfalls pauschal den in einer unerhobenen Anzahl von Teilgeschäften abgewickelten gewinnbringenden Verkauf von (über den im zuvor genannten Verfahren bereits abgeurteilten Suchtgifthandel hinaus) insgesamt zumindest (weiteren) 45 kg an Cannabisprodukten (Haschisch und Marihuana) mit einem THC‑Reinsubstanzgehalt von durchschnittlich mindestens 5 % sowie zumindest 1 kg (ungestrecktes) Kokain mit unbekanntem Reinheitsgehalt an namentlich nicht bekannte Suchtgiftkonsumenten und Suchtgifthändler (US 2, 6) erfasst, greift für den Tatzeitraum „von Oktober 2010 bis 16. Februar 2011“ das Verfolgungshindernis des ne bis in idem.

Zumal auf Basis der getroffenen Feststellungen ‑ mangels Zuordnung bestimmter Suchtgiftquanten auf die zu A./1./ inkriminierten Tatzeiträume (vgl US 6) ‑ derzeit auch nicht beurteilt werden kann, ob und gegebenenfalls welche konkreten Mengen an weitergebenem Cannabis und Kokain der Angeklagte für den (übrigen) Zeitraum von Dezember 2009 bis einschließlich April 2010 zu verantworten hat, ist

die Kassation des Schuldspruchs A./1./ zur Klärung dieser Frage unumgänglich.

Ein Eingehen auf die weitere ‑ ausschließlich A./1./ ansprechende ‑ Beschwerdeargumentation (Z 4 und 5) erübrigt sich daher.

Da zu A./2./ und B./ ‑ trotz des das

gesamte Urteil umfassenden Aufhebungsantrags ‑ kein Vorbringen erstattet wurde, war die Nichtigkeitsbeschwerde insoweit zurückzuweisen (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO).

Auf ergänzende handschriftlich verfasste Eingaben des Angeklagten ist nicht einzugehen, weil das Gesetz (§ 285 Abs 1 StPO) nur eine (einzige) Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde kennt.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde war der vom Nichtigkeitswerber nicht geltend gemachte, ihm aber zum Nachteil gereichende und damit von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 10 StPO zum Schuldspruch A./2./ aufzugreifen (

§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Die Urteilsannahmen, wonach „der Angeklagte es ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass er vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge des § 28b übersteigenden Menge anderen überließ“, „gewinnorientiert“ und „in der Absicht handelte, sich durch die wiederholte Weitergabe von Suchtgift eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen“ (US 7 und 8), vermögen die vorgenommene Subsumtion (auch) nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG noch nicht zu tragen, weil die Anwendbarkeit dieser Qualifikationsnorm die ‑ auch eine zeitliche Komponente umfassende (Jerabek in WK2 § 70 Rz 7) ‑ Absicht voraussetzt, sich durch das wiederholte Überlassen von die Grenzmenge (jeweils) übersteigenden Suchtgiftquanten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (RIS‑Justiz RS0112225 [T11] und RS0114843 [T5]).

Solcherart war in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten sowie aus deren Anlass (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Schuldspruch A./1./ sowie in der Subsumtion der dem Schuldspruch A./2./ zugrundeliegenden Taten (auch) nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie weiters der Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO aufzuheben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck zu verweisen.

Für den zweiten Rechtsgang bleibt zu bemerken, dass die vom Erstgericht zu A./ vorgenommene getrennte Beurteilung der Taten als Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG (A./1./) sowie als weiteres Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 1 SMG (A./2./) verfehlt war, weil § 28a Abs 4 Z 3 SMG eine besondere Art von Zusammenrechnungsgrundsatz für jeweils große Suchtgiftmengen ‑ vergleichbar dem für wert‑ und schadensqualifizierte Delikte geltenden § 29 StGB (vgl RIS‑Justiz RS0114927) ‑ darstellt, weshalb gleichartige strafbare Handlungen nach § 28a Abs 1 SMG derart qualifiziert stets nur ein einziges Verbrechen nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG begründen (RIS‑Justiz RS0117464 [T14], vgl auch RS0123912).

Mit seiner Berufung und seiner (impliziten) Beschwerde war der Angeklagte ebenso auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen wie die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung.

Der Kostenausspruch, der sich nicht auf die amtswegige Maßnahme bezieht, beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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