OGH 2Ob17/14k

OGH2Ob17/14k13.2.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* E*, vertreten durch Advokaturbüro Pitschmann & Santner Anwaltspartnerschaft in Feldkirch, gegen die beklagten Parteien 1. B* R*, sowie 2. V*, beide vertreten durch Dr. Anton Weber, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen 60.600,41 EUR sA, Rente und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 31. Oktober 2013, GZ 2 R 188/13h‑43, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 25. Juli 2013, GZ 7 Cg 11/12f‑37, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:E106839

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

 

Begründung:

Der Kläger als Motorradfahrer überfuhr auf einer Landstraße die Sperrlinie, um auf der Gegenfahrbahn eine Kolonne von PKW zu überholen bzw an ihr vorbeizufahren. Die Sperrlinie war im Bereich der vor dem Kläger befindlichen PKW‑Kolonne auf einer Länge von 40 m unterbrochen, dort befand sich eine Leitlinie, die offenbar die Zufahrt zu einem (in Fahrtrichtung des Klägers gesehen) links der Straße gelegenen Betriebsgelände ermöglichen sollte. Der Erstbeklagte als Lenker eines PKW in der Kolonne beabsichtigte umzukehren und wollte dazu im Bereich der erwähnten Leitlinie nach links auf das Betriebsgelände abbiegen. Er setzte den linken Blinker und fuhr gleichzeitig nach links los, ohne sich vergewissert zu haben, dass sich von hinten kein Verkehrsteilnehmer nähere, insbesondere ohne Blick in den Außenspiegel. Es kam zur Kollision, bei der der Kläger verletzt und sein Motorrad beschädigt wurde.

Das Berufungsgericht maß ‑ ausgehend vom unstrittigen Mitverschulden des Erstbeklagten ‑ dem Kläger das halbe Mitverschulden am Unfall zu, weil er die Sperrlinie überfahren und somit gegen § 9 Abs 1 StVO verstoßen habe. Die Bestimmung habe auch den Zweck, erlaubterweise nach links abbiegende Verkehrsteilnehmer zu schützen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist unzulässig.

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil keine oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob der Schutzzweck des § 9 Abs 1 StVO sich auch auf Verkehrsteilnehmer beziehe, die im Bereich der Unterbrechung einer Sperrlinie, allerdings unter Verstoß gegen §§ 11, 12 StVO, nach links abbiegen.

In der oberstgerichtlichen Rechtsprechung wurde zum Schutzzweck des § 9 Abs 1 StVO Folgendes ausgesprochen:

Das Verbot, Sperrlinien zu überfahren, dient zum Schutz des Gegenverkehrs, nicht des nachfolgenden Verkehrs (RIS‑Justiz RS0027607). Das Verbot des Überfahrens einer Sperrlinie gemäß § 9 Abs 1 StVO dient grundsätzlich der Sicherheit aller auf der Fahrbahn jenseits der Sperrlinie befindlichen Verkehrsteilnehmer. Demnach dient die Norm auch dem Zweck, einer Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer bzw Beschädigung von Sachen im Sinne des § 7 Abs 1 StVO durch andere Fahrzeuge vorzubeugen (RIS‑Justiz RS0073408). § 9 Abs 1 StVO dient meist (aber nicht immer) dem Schutz des Gegenverkehrs, aber auch andere (etwa aus dem Querverkehr kommende) Verkehrsteilnehmer können vom Schutzzweck erfasst sein (RIS‑Justiz RS0073408 [T5] = RS0027607 [T3]). Unter Überfahren von Sperrlinien darf grundsätzlich nicht überholt werden (RIS‑Justiz RS0027607 [T2]).

Die Bejahung des Schutzzwecks des § 9 Abs 1 StVO durch das Berufungsgericht im vorliegenden Fall ist von dieser Rechtsprechung gedeckt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sind oberstgerichtliche Entscheidungen vorhanden, die bei durchaus vergleichbaren Sachverhalten wie hier den Schutzzweck des § 9 Abs 1 StVO bejaht haben (2 Ob 145/73 = ZVR 1974/267 [Verschulden eines Lenkers bejaht, der beim Überholen eine Sperrlinie überfuhr und mit dem links einbiegenden überholten Kraftfahrzeug kollidierte, dessen Lenker beim Einbiegen gegen § 9 Abs 1 und § 13 Abs 1 StVO verstieß]; 2 Ob 100/82 = ZVR 1983/233; vgl auch 2 Ob 49/93).

Die vom Berufungsgericht bezeichnete Rechtsfrage ist somit in der oberstgerichtlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt. Das Berufungsgericht ist von dieser Rechtsprechung nicht abgewichen.

Der Kläger zeigt in der Revision keine sonstige erhebliche Rechtsfrage auf. Wenn er sinngemäß vorbringt, er habe die (auf der Höhe des Betriebsgeländes befindliche) „Warnlinie“ (also die festgestellte 40 m lange Leitlinie, vgl § 5 Abs 2 Bodenmarkierungsverordnung) überfahren, geht er nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wonach er die (in Fahrtrichtung gesehen, vor der Leitlinie vorhandene) Sperrlinie überfahren hat. Entgegen seiner Rechtsansicht stellt sich im vorliegenden Fall auch kein Vorrangproblem (iSd § 19 StVO), vielmehr geht es hier um Verstöße gegen § 9 Abs 1 StVO durch den Kläger und gegen die §§ 11, 12 StVO durch den Erstbeklagten. Soweit der Kläger vorbringt, der Zusammenstoß hätte sich auch ereignet, wenn er die Kolonne auf dem rechten Fahrstreifen (also ohne Überfahren der Sperrlinie) überholt hätte bzw an der Kolonne vorbeigefahren wäre, fehlt es an erstinstanzlichem Vorbringen ebenso wie an entsprechenden Feststellungen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen.

Stichworte