OGH 6Ob186/12i

OGH6Ob186/12i16.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt W*****, vertreten durch Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. O***** Ges.m.b.H., *****, vertreten durch Preslmayr Rechtsanwälte OG in Wien, 2. S***** L***** GmbH, 3. S***** A***** GmbH, beide *****, vertreten durch Diwok Hermann Petsche Rechtsanwälte GmbH in Wien, 4. K***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH, 5. T***** Gesellschaft m.b.H., *****, vertreten durch Dr. Thomas Kustor und Dr. Axel Reidlinger Rechtsanwälte in Wien, und deren Nebenintervenientinnen 1. H***** GmbH, *****, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, 2. D***** AG, *****, vertreten durch Brauneis Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 76.027.935,24 EUR sA und Feststellung (Streitwert 100.000 EUR) (Revisionsinteresse 754.964,91 EUR und Feststellung), über die außerordentlichen Revisionen aller Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Juli 2012, GZ 3 R 31/12v‑67, mit dem das Teil- und Zwischenurteil des Handelsgerichts Wien vom 25. Jänner 2012, GZ 35 Cg 28/10x‑54, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

I. Die außerordentlichen Revisionen der Beklagten werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

II. Im Übrigen wird der Akt dem Berufungsgericht zur Ergänzung seiner Entscheidung durch einen gesonderten Bewertungsausspruch über das Feststellungsbegehren der Klägerin (Punkt II.2. des Berufungsurteils) zurückgestellt.

Text

Begründung

Zu I. (außerordentliche Revisionen der Beklagten):

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 37a Abs 4 KartG wird die Verjährung eines aus einer Kartellgesetzverletzung (§ 29 Z 1 KartG) abgeleiteten Schadenersatzanspruchs für die Dauer eines auf die Feststellung einer derartigen Verletzung gerichteten Rechtsstreits unterbrochen (Satz 1). Diese Hemmung endet sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des eingeleiteten Verfahrens (Satz 2). Allerdings trat § 37a KartG erst während des Revisionsverfahrens in Kraft; eine Rückwirkungsanordnung findet sich im KaWeRÄG 2012 nicht. Er ist hier somit nicht unmittelbar anzuwenden.

Vor dem 1. 3. 2013 bestand hingegen keine spezifische Verjährungsvorschrift für einen Schadenersatzanspruch bei Verstößen gegen innerstaatliches oder gemeinschaftsrechtliches Kartell- und Wettbewerbsrecht (4 Ob 46/12m ecolex 2012/387 [Wilhelm] = ÖZK 2013, 34 [Keznickl/Kronegger] = ÖZK 2013, 190 [Hauck/Sowka-Hold] = EvBl 2013/17 [Csoklich]; 5 Ob 123/12t RdW 2013/142); es galten daher uneingeschränkt § 1489 ABGB und die dazu ergangene Rechtsprechung (5 Ob 123/12t).

2. Nach ständiger Rechtsprechung wird die Verjährungsfrist des § 1489 ABGB durch die Kenntnis des Schadens und der Person des Ersatzpflichtigen in Gang gesetzt (RIS-Justiz RS0034374); wann dies der Fall ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (darauf weist im Übrigen selbst die außerordentliche Revision der Zweit- und der Drittbeklagten hin). Aus den als Feststellungen zu wertenden Ausführungen des Erstgerichts ergibt sich, dass für die Klägerin erst nach Vorliegen der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs als Kartellobergericht (16 Ok 5/08 vom 8. 10. 2008; im RIS-Justiz veröffentlicht am 7. 11. 2008) „zumindest eine Klagsgrundlage in der rechtskräftigen Verurteilung der Beklagten wegen bestimmter Kartellverstöße in einem bestimmten Zeitraum [bestand]; erst darauf [hin] konnten dann die weiteren erforderlichen Prozessbehauptungen, nämlich ein durch dieses Verhalten konkret verursachter Schaden bei der Klägerin, aufgebaut werden“. Diese Sichtweise entspricht der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, der ‑ wenn auch im Zusammenhang mit einem anderen Kartell ‑ die Entscheidung des Kartellobergerichts für fristauslösend erachtete (4 Ob 46/12m; 5 Ob 123/12t). Auch der Gesetzgeber stellt ‑ wie schon erwähnt ‑ mit § 37a KartG nunmehr maßgeblich auf die Rechtskraft der Kartellentscheidung ab. Soweit die Beklagten in ihren außerordentlichen Revisionen einen Zusammenhang zwischen der Kartellentscheidung und der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen ganz grundsätzlich verneinen, entspricht dies nicht der Rechtslage.

Damit ist aber die Auffassung der Vorinstanzen, es sei nicht nur die ursprüngliche Klage vom 1. 2. 2010, sondern auch die ‑ insoweit den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildende ‑ Klagsausdehnung vom 15. 4. 2011 fristenwahrend gewesen, durchaus vertretbar (dies allein ist Prüfungsmaßstab des Obersten Gerichtshofs bei Erledigung einer außerordentlichen Revision): Dass es bereits im Jahr 2007 Medienberichte über einen (möglichen) Kartellgesetzverstoß der Beklagten gegeben hat, ändert daran ebenso wenig wie die gegenüber Medien im Jänner 2008 erklärte Absicht eines Vertreters der Klägerin, diese wolle „eine Schadenersatzklage gegen die Teilnehmer des Kartells aufgrund der Verhängung von Geldbußen durch das [Oberlandesgericht] Wien im Dezember 2007 erheben“, oder der von einzelnen außerordentlichen Revisionen hervorgehobene Umstand, ein Gesellschafter der rechtsfreundlichen Vertreterin der Klägerin sei für die Antragsteller „des Fest- und Abstellungsantrags beim Kartellgericht im April 2007“ tätig gewesen.

Im Übrigen reicht nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs das Vorliegen von Medienberichten nicht generell für den Beginn der Verjährung aus (6 Ob 172/05w ecolex 2006/165 [Beclin, 377]); ob dies der Fall ist oder nicht, ist im Einzelfall zu beurteilen. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht wurde nicht veröffentlicht; die Ankündigung, eine Klage einbringen zu wollen, bedeutet auch noch nicht, dass die Klägerin bereits damals über ausreichendes inhaltliches Wissen verfügte, um eine Prozessführung erfolgreich gestalten zu können. Wie die umfangreiche Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 16 Ok 5/08 schließlich zeigt, haben sich die Beklagten massiv gegen ihre Verurteilung gewehrt, womit ‑ wie das Erstgericht zutreffend hervorgehoben hat ‑ erst mit dieser Entscheidung und der damit verbundenen rechtskräftigen Verurteilung der Beklagten das Vorliegen bestimmter Kartellverstöße der Beklagten in einem bestimmten Zeitraum manifestiert war.

Zu II. (außerordentliche Revision der Klägerin):

Der Oberste Gerichtshof hat im Zusammenhang mit dem auch hier zu beurteilenden „Aufzugskartell“ bereits mehrfach klargestellt, dass die daraus abgeleiteten und geltend gemachten Ansprüche nicht auf demselben tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhen, sondern lediglich aus gleichartigen Verträgen abgeleitet werden, die unterschiedlich beurteilt werden können (7 Ob 127/10t ecolex 2010/400; 3 Ob 1/12m RdW 2012/439; 7 Ob 48/12b vom 19. 4. 2012); damit sind die einzelnen Leistungs- und Feststellungsbegehren (beide jeweils zusammen) zu bewerten (3 Ob 1/12m RdW 2012/439). Dass die Klägerin hier die Schäden zum Teil für noch nicht bezifferbar hält, ändert daran nichts (vgl 3 Ob 1/12m RdW 2012/439 bei praktisch gleicher Sachverhaltskonstellation [siehe 3 Ob 1/12m ecolex 2012/256 [F. Neumayr]).

Das Berufungsgericht wird daher auch hier die einzelnen Leistungs- und Feststellungsbegehren (beide jeweils zusammen) zu bewerten und je nach dem Ergebnis der Bewertung (bei einem einzelnen Entscheidungsgegenstand bis 5.000 EUR) auszusprechen haben, dass die Revision jedenfalls unzulässig ist, (bei einem einzelnen Entscheidungsgegenstand über 5.000 EUR, aber nicht über 30.000 EUR) das Rechtsmittel der Klägerin als Abänderungsantrag (§ 508 ZPO) zu behandeln haben oder (bei einem einzelnen Entscheidungsgegenstand über 30.000 EUR) das Rechtsmittel als außerordentliche Revision (§ 507b Abs 3 ZPO) wieder dem Obersten Gerichtshof vorzulegen haben.

Der vom Berufungsgericht nach Vorlage des Aktes an den Obersten Gerichtshof aus eigenem nachgetragenen Ausspruch vom 5. 12. 2013, „der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteig[e] hinsichtlich des den Gegenstand der Berufungsentscheidung bildenden Teils des Feststellungsbegehrens 30.000 EUR“ reicht nicht aus.

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