OGH 11Os138/13y

OGH11Os138/13y10.12.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Dezember 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mascha als Schriftführer, in der Strafsache gegen Mario G***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 17. Juli 2013, GZ 25 Hv 87/13k-98, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mario G***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I.1.), des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 StGB und der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I.2a) und b)), des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 StGB (I.3.), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (II.), der Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 2 StGB (III.), der Vergehen der pornografischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB (IV.), der Vergehen der pornografischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 erster und zweiter Fall StGB (V.), des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (VI.), der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (VII.1., 2., 3. und 4.), des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 2 StGB (VIII.1.) und jeweils des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 2 Z 1 erster Fall und Abs 4 vierter Fall StGB (VIII.2. und 3.) schuldig erkannt.

Danach hat er zu angeführten Tatzeitpunkten in T***** und anderen Orten

I. „an/von bzw mit“ der am 25. Juli 1999 geborenen, mithin unmündigen Alexandra G*****

1. zu nicht mehr genau feststellbaren Tatzeitpunkten von Juni 2004 bis 23. März 2011 in wiederholten, teils wöchentlichen Angriffen außer zeitlicher Konnexität zu den unter I.2. dargestellten Tathandlungen dadurch geschlechtliche Handlungen vorgenommen, dass er ihren Scheidenbereich intensiv betastete, den Scheidenbereich mit der Zunge ableckte und ihre Brüste intensiv betastete;

2. außer zeitlicher Konnexität zu den unter I.1. dargestellten Tathandlungen zu nicht mehr genau feststellbaren Tatzeitpunkten von Juni 2004 bis 23. März 2011

a) in wiederholten, teils wöchentlichen, teils sogar mehrmals wöchentlichen Angriffen dadurch eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, dass er ein bis maximal zwei Finger sowie einen Vibrator in ihre Vagina einführte, sich von ihr an seinem Penis einen Mundverkehr durchführen ließ und in ein bis drei Angriffen seinen Penis in ihren Anus einführte;

b) in wiederholten, teils wöchentlichen, teils sogar mehrmals wöchentlichen Angriffen den Beischlaf „unternommen/vollzogen“, indem er seinen Penis in ihre Vagina einführte;

3. Alexandra G***** zumindest in einem Fall durch die Äußerung „du tust das, sonst bringe ich di um“ gefährlich mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen;

wobei die Taten zu 1. und 2. eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) der Alexandra G*****, nämlich eine schwere posttraumatische Belastungsstörung ICD 10: F43.1 mit dissoziativen Zuständen, verbunden mit Albträumen, Flashbacks, Einkoten und Einnässen zur Folge hatten:

II. durch die zu I.1. und 2.a) beschriebenen Tathandlungen mit seiner mj Tochter Alexandra G***** eine geschlechtliche Handlung vorgenommen bzw an sich von ihr vornehmen lassen;

III. durch die zu I.2.b) beschriebenen Tathandlungen seine leibliche Tochter, mithin eine Person, mit der er in absteigender Linie verwandt ist, zum Beischlaf verführt, indem er zuvor einleitende Sexualhandlungen setzte, Versprechungen abgab („Tschig for Figg“), ihr zuredete („jetzt probieren wir etwas, sagst aber nichts der Mama“) und sie bat (zB durch die Frage, „Machen wir das?, wobei er bezüglich ihrer Antwort - „ich habe keinen Bock“ - die Bitte äußerte „Jetzt komm schon, bitte“);

IV. zu nicht mehr genau feststellbaren Tatzeitpunkten von Juni 2004 bis 23. März 2011 pornografische Darstellungen einer minderjährigen Person (§ 207a Abs 4 Z 1, Z 3 lit b StGB) hergestellt, und zwar mehrere digitale Bilddateien durch Fotografieren der unter I.1. und 2. dargestellten geschlechtlichen Handlungen an der unmündigen Alexandra G*****;

V. zu nicht mehr genau feststellbaren Tatzeitpunkten zwischen Herbst 2011 und 20. Dezember 2012 sich pornografische Darstellungen unmündiger und mündiger minderjähriger Personen (§ 207a Abs 4 Z 1, Z 3 lit a, lit b StGB) verschafft und solche besessen, indem er mehrere tausend Bilddateien genannten Inhalts auf der Festplatte seines Stand-PC Medion abspeicherte und besaß;

VI. zu zumindest einem nicht mehr genau feststellbaren Tatzeitpunkt zwischen Juni 2004 und 23. März 2011 Alexandra G***** nach erfolgtem sexuellen Übergriff durch die Äußerung: „Ich erschlage dich, wenn du jemandem irgendetwas (gemeint: von den sexuellen Übergriffen) erzählst“, mithin durch gefährliche Drohung mit dem Tod, zu einer Unterlassung, nämlich Abstandnahme von der Verständigung dritter Personen genötigt;

VII. nachstehende Personen durch nachangeführte Tathandlungen, die eine Verletzung bzw eine Gesundheitsschädigung zur Folge hatten, vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar:

1. zu nicht mehr genau feststellbaren Tatzeitpunkten zwischen 2008/2009 und 23. März 2011 in wiederholten Angriffen Sandro G***** durch Versetzen von Schlägen gegen das Gesäß, was Hautrötungen zur Folge hatte sowie in einem Fall zu einem nicht mehr genau feststellbaren Tatzeitpunkt 2009/2010 durch Schleudern seines Körpers gegen den Kaminverbau, wodurch er am Boden aufschlug, was ein Hämatom am Kopf sowie über die körperliche Einwirkung hinausgehend anhaltende Schmerzen zur Folge hatte;

2. zu nicht mehr genau feststellbaren Tatzeitpunkten ab Sommer 2000 bis 31. Mai 2009 in wiederholten Angriffen Marcel G***** durch Versetzen von Schlägen gegen das Gesicht, Versetzen von Tritten gegen den Körper sowie durch heftiges Zerren und Hochheben an den Haaren, was Nasenbluten, Hämatome am Körper sowie über die körperliche Einwirkung hinausgehend anhaltende Schmerzen zur Folge hatte;

3. zu nicht mehr genau feststellbaren Tatzeitpunkten ab Sommer 2003 bis 31. Mai 2009 in wiederholten Angriffen Dominik G***** durch Versetzen von Schlägen mit der Hand gegen das Gesicht, durch das Versetzen von Tritten gegen den Körper sowie heftiges Ziehen und Hochheben an den Haaren, was Hämatome, Schwellungen am Körper sowie über die körperliche Einwirkung hinausgehend anhaltende Schmerzen zur Folge hatte;

4. zu nicht mehr genau feststellbaren Tatzeitpunkten ab Juni 2004 bis 31. Mai 2009 in wiederholten Angriffen Alexandra G***** durch Versetzen von Ohrfeigen, was Hautrötungen sowie über die körperliche Einwirkung hinausgehend anhaltende Schmerzen zur Folge hatte;

VIII. im nachangeführten Tatzeitraum gegen nachangeführte Personen fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er sie am Körper misshandelte sowie zu ihrem Nachteil vorsätzliche, mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben, nämlich die Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, und gegen die Freiheit, nämlich das Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und die Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB, beging, und zwar

1. zwischen 1. Juni 2009 und Oktober 2010 gegen Marcel G***** wiederholt durch teils mehrmals wöchentliches Ziehen oder Hochheben an den Haaren, Versetzen von Schlägen mit der flachen Hand gegen das Gesicht sowie Versetzen von Tritten gegen den Körper, was mitunter Nasenbluten, Hämatome am Körper sowie über die körperliche Einwirkung hinausgehend anhaltende Schmerzen zur Folge hatte sowie in einem Fall durch die Äußerung „er soll Ruhe geben, sonst gehe er das Gewehr holen und schieße ihm durch die Hand“;

2. zwischen 1. Juni 2009 und 5. September 2010 wiederholt, teils wöchentlich, teils mehrmals wöchentlich, zwischen 6. September 2010 und 23. März 2011 14-tägig an den Wochenenden gegen den am 21. August 1997 geborenen Dominik G***** durch Versetzen von Schlägen mit der Hand gegen das Gesicht, durch Versetzen von Schlägen mit einem Stecken und einem Kabel gegen das Gesäß, durch Versetzen von Tritten, durch Versetzen von Faustschlägen gegen den Bauch sowie durch heftiges Ziehen und Hochheben an den Haaren, was mitunter Hämatome und Striemen am Körper sowie über die körperliche Einwirkung hinausgehend anhaltende Schmerzen zur Folge hatte, wobei er die Tat gegen eine unmündige Person beging und die Gewalt länger als ein Jahr ausübte;

3. in der Zeit zwischen 1. Juni 2009 und 23. März 2011 gegen die am 25. Juli 1999 geborene Alexandra G***** wiederholt durch teils tägliches Versetzen von Ohrfeigen, was mitunter Hautrötungen und über die körperliche Einwirkung hinausgehend anhaltende Schmerzen zur Folge hatte sowie durch die wiederholten Äußerungen „tu das, mach das, sonst fängst du eine (gemeint: heftige Ohrfeigen mit Verletzungsfolge)“, wobei er die Tat gegen eine unmündige Person beging und die Gewalt länger als ein Jahr ausübte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 [lit] a StPO.

Zur Verfahrensrüge (Z 4) hinsichtlich der Abstandnahme von der Vernehmung der Zeugin Herta R***** ist der Beschwerdeführer nicht legitimiert: Das entsprechende Begehren ist lediglich einem Schriftsatz (ON 92) zu entnehmen, auf den die Verteidigerin in der Hauptverhandlung vorerst „verwies“ (ON 94 S 31) und über spätere Frage der Vorsitzenden des Schöffengerichts nach weiteren Anträgen „ausführte: Außer dem Antrag, der schon schriftlich im Akt liegt, keinen“ (ON 97 S 74). Während der Schöffensenat über einen anderen Beweisantrag (ON 97 S 70) ausdrücklich beschlussmäßig entschied (ON 97 S 74), unterblieb eine Entscheidung zu dem in ON 92 enthaltenen Begehren (dem in einem Punkt durch Vernehmung der Zeugin S***** entsprochen worden war - ON 97 S 52 ff), ohne dass eine diesbezügliche Beschlussfassung durch das Schöffengericht ausdrücklich beantragt wurde.

Wegen des Fehlens eines deutlich und bestimmt formulierten Beweisbegehrens (RIS-Justiz RS0118060) erweist sich die - im Übrigen auf eine reine Erkundungsbeweisführung abzielende (die Zeugin sollte [als frühere Nachbarin] das Fehlen „verdächtiger Wahrnehmungen“ bekunden) - Verfahrensrüge als unberechtigt; das vom Nichtigkeitswerber ins Treffen geführte oberstgerichtliche Erkenntnis 14 Os 94/12y liegt sachverhaltsmäßig anders und ist keine Abkehr von den streng gesehenen Erfordernissen an Beweisanträge (vgl dazu ausführlich Ratz, WK-StPO § 281 Rz 310 ff).

Auch die auf die Abweisung der Anträge auf Berichtigung im Ermittlungsverfahren entstandener Protokolle über Zeugenvernehmungen (ON 97 S 3 ff) bezogene Verfahrensrüge (Z 4) versagt: Zutreffend erkannte bereits das Erstgericht, dass ihm eine solche Vorgangsweise zufolge Verschiedenheit der Leiter der jeweiligen Amtshandlungen nicht zukommt.

Die Mängelrüge (Z 5) verkennt über weite Strecken, dass dieser Nichtigkeitsgrund nur hinsichtlich entscheidender Tatsachen geltend gemacht werden kann, das sind solche, die für das Erkenntnis in der Schuldfrage maßgebend sind oder auf die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes Einfluss üben (RIS-Justiz RS0106268, RS0099497; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 398 ff).

Unter diesen gesetzlich vorgegebenen Prämissen ist es irrelevant, ob „das Zimmer von Marcel“ eine oder zwei zu versperrende Türen hatte, wann genau Alexandra G***** ihren Brüdern von den ihr widerfahrenen Missbräuchen erzählt habe (siehe überdies US 24), wer von den Kindern „am meisten ... gewatscht worden“ wäre, wie weit Marcel G***** bei einem Vorfall alkoholisiert gewesen sei und wie oft er (aus der Nase) geblutet habe.

Der Umstand, dass die Tür zum Ort der angeschuldigten sexuellen Handlungen nicht (mehr) versperrbar war, wurde von den Tatrichtern ebenso ausführlich erörtert (US 26) wie diverse Beweisergebnisse zur (angeblichen) Lügenhaftigkeit des Opfers der Sexualdelikte (US 34 f).

Das Nichtauffinden pornografischer Darstellungen des Angeklagten mit Alexandra G***** (vgl dazu die erstgerichtlichen Erwägungen US 27) vermag beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die dem Schuldspruch IV. zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu erwecken (Z 5a). Gleiches gilt für die bereits im Rahmen der Mängelrüge thematisierte „nicht versperrbare Kellertüre“ (vgl neuerlich US 26). Dass der Angeklagte weiteres pornografisches Material ebenso wenig vernichtete wie zwei (als Spurenträger in Betracht kommende) Decken, ändert nichts an dieser Beurteilung.

Als Aufklärungsrüge geht der Nichtigkeitsgrund der Z 5a des § 281 Abs 1 StPO dem der Z 4 leg cit nach. Wird - wie hier - behauptet, das Erstgericht habe seine Pflicht zu amtswegiger Wahrheitsforschung vernachlässigt, muss die Rüge deutlich machen, wodurch der Angeklagte an der Ausübung seines Rechts, die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen, gehindert war (RIS-Justiz RS0114036, RS0115823; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 480). Eine solche Darlegung lässt der Beschwerdeführer indes vermissen.

Was alles angeblich keinen Beweis für das Vorliegen von entscheidenden Tatsachen mache (hier: keine DNA-Spuren des Opfers auf Wolldecken, auf denen geschlechtliche Handlungen stattgefunden hätten sowie die Art der Einkerbung des Hymens der minderjährigen Alexandra G*****), ist aus dem Blickwinkel der Z 5a des § 281 Abs 1 StPO irrelevant (11 Os 72/13t = RIS-Justiz RS0128874 ua).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) legt mit Bezug auf eine Aussage eines Opfers nicht methodisch vertretbar dar, aus welchem Grund es für die Herstellung des Tatbestands der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB auf eine aktuelle Besorgnis des Bedrohten ankäme (vgl der Vollständigkeit halber Fabrizy, StGB10 § 107 Rz 1; RIS-Justiz RS0092160, RS0092392), und negiert mit der Behauptung fehlender Feststellungen zur deliktsspezifischen Absicht des Drohenden die Konstatierungen US 17. Sie ist insgesamt somit keiner meritorischen Erwiderung zugänglich.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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