OGH 14Os124/13m

OGH14Os124/13m1.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Oktober 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bandarra als Schriftführer in der Strafsache gegen Reinhard R***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Reinhard R***** gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 4. Juni 2013, GZ 10 Hv 143/12a-95, sowie dessen Beschwerde gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen I/A/4 und I/A/13 sowie in der rechtlichen Unterstellung der verbleibenden, den Schuldsprüchen I/A und I/B/1 bis 4 zugrunde liegenden Taten des Reinhard R***** (auch) unter § 148 zweiter Fall StGB, demgemäß in der zu I/A und I/B/1 bis 4 gebildeten diesen Angeklagten betreffenden Subsumtionseinheit und im ihn betreffenden Strafausspruch sowie der gemeinsam mit dem Urteil gefasste Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten und Verlängerung einer Probezeit aufgehoben und es wird die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung und der Beschwerde wird der Angeklagte Reinhard R***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde - soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde wesentlich - Reinhard R***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (I/A und B/1 bis 4), der Vergehen der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach § 159 Abs 1, Abs 2 und Abs 5 Z 3 und 4 iVm § 161 Abs 1 StGB (II) sowie der Unterschlagung nach § 134 Abs 1 StGB (III/1) schuldig erkannt.

Danach hat er in Graz und anderen Orten Österreichs als faktischer Geschäftsführer der Ro***** GmbH

(I) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schwerem Betrug (§ 147 Abs 2 StGB) eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, teils alleine (A), teils im einverständlichen Zusammenwirken mit dem unter einem rechtskräftig verurteilten Günter S***** als handelsrechtlichem Geschäftsführer der Gesellschaft (B/1 bis 4) in zahlreichen Angriffen durch die Vorgabe der Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit der Gesellschaft Verfügungsberechtigte im Urteil namentlich genannter Unternehmen zur Lieferung von Material und zur Erbringung von Dienstleistungen (A/1 bis 8 und 10 bis 12 sowie B/1 bis 4) im Wert von teilweise jeweils über 3.000 Euro (A/4 iVm US 24) sowie Eva K***** zur Gewährung eines Darlehens (A/13) verleitet, wodurch die Unternehmen und die zuletzt Genannte im Betrag von 56.186,80 Euro an ihrem Vermögen geschädigt wurden, und zwar - soweit hier relevant -

A/4 zwischen 1. April 2009 und 12. Jänner 2010 in mehreren Angriffen Berechtigte der W***** GmbH zur Lieferung von Baumaterial im Gesamtwert von 32.740,76 Euro;

A/13 im April 2010 Eva K***** zur darlehensweisen Übergabe von 700 Euro;

(II) als leitender Angestellter (§ 74 Abs 3 StGB) im einverständlichen Zusammenwirken mit (zu 1 und bis 21. Dezember 2009 zu 2) Adnan J***** und (ab 22. Dezember 2009 bis 18. April 2010 zu 2) Günter S***** als handelsrechtlichen Geschäftsführern der Ro***** GmbH grob fahrlässig

1. von Juli 2008 bis 31. Dezember 2008 die „spätestens am 31. Dezember 2008 eingetretene“ Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens dadurch herbeigeführt sowie

2. von 1. März 2009 bis zur Eröffnung des Konkurses am 28. April 1010 in „Kenntnis oder“ fahrlässiger Unkenntnis der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens die Befriedigung von dessen Gläubigern dadurch „vereitelt oder“ geschmälert, dass sie kridaträchtig handelten, weil sie entgegen den Grundsätzen ordentlichen Wirtschaftens

a. übermäßigen, mit den Vermögensverhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Unternehmens in auffallendem Widerspruch stehenden Aufwand trieben, indem sie - zusätzlich zu den zu I. geschilderten Tathandlungen - „von Anfang an das unternehmerische Risiko auf die Gläubiger verlagerten und das Unternehmen mit zu wenig oder ohne Eigenkapitalausstattung hartnäckig fortführten und dabei insbesonders auch im Zusammenhang mit Schwarzlohnbeschäftigung und Schwarzlohnbezahlung ... zu den Einnahmen und dem (nicht vorhandenen) Eigenkapital in auffallendem Missverhältnis stehende Ausgaben für betriebliche Zwecke auch unter Verwendung von Drittmitteln tätigten“, sowie

b. Geschäftsbücher oder geschäftliche Aufzeichnungen so führten, dass ein zeitnaher Überblick über die wahre Vermögens-, Finanz-, und Ertragslage des Unternehmens wesentlich erschwert wurde, indem sie keine ordnungsgemäßen Aufzeichnungen für ein korrektes Belegwesen, unvollständige Geschäftsaufzeichnungen sowie ein mangelhaftes Rechnungswesen und daher auch keine ordnungsgemäße Buchhaltung führten.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5, 5a, 9 (lit a) und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Reinhard R***** ist teilweise berechtigt.

Zu Recht kritisiert die Mängelrüge zum Schuldspruch I/A/4 unterlassene Auseinandersetzung mit Passagen der - in den Entscheidungsgründen bloß global als den Schuldspruch tragend erwähnten (US 20) - Aussage des Zeugen Thomas Sc***** (Z 5 zweiter Fall).

Nach den insoweit wesentlichen Feststellungen, zu deren Verdeutlichung das Erkenntnis herangezogen werden kann (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584), bestand die Tathandlung des Beschwerdeführers in der - als faktischer Geschäftsführer der Ro***** GmbH mit auf unrechtmäßige Bereicherung und Schädigung gerichtetem Vorsatz begangenen - mehrfachen Bestellung von Baumaterial im großteils jeweils 3.000 Euro übersteigenden Wert von insgesamt 32.740,76 Euro bei (Verfügungsberechtigten) der W***** GmbH unter der (konkludenten) Vorgabe gegebener Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit des von ihm geführten Unternehmens: die irrtumsbedingte selbstschädigende Vermögensverfügung der Getäuschten hinwieder in der Ausfolgung der bestellten Waren an die Ro***** GmbH (US 2, 14).

Nach den von der Beschwerde hervorgehobenen Depositionen des Zeugen Thomas Sc***** aber waren Verfügungsberechtigte der W***** GmbH weder in die Bestellung noch in die Ausfolgung des Baumaterials involviert, vielmehr erfolgte Erstere - ohne Einbindung dieser Gesellschaft - direkt beim Hersteller („Firma Rol*****“), der die Waren wiederum jeweils direkt an den „Verarbeiter“ lieferte und an die W***** GmbH fakturierte. Diese leitete die Rechnungen ein bis zwei Tage später (mit 3 bis 5%igem Aufschlag) an die Ro***** GmbH weiter, zu welchem Zweck für die letztgenannte Gesellschaft zu Beginn der Geschäftsbeziehung (Anfang 2009) ein nach oben unbegrenztes - bis etwa September 2009 rückstandsfrei bedientes - Kundenkonto, „im Prinzip ... ein Kontokorrentkreditkonto“ eingerichtet wurde (ON 83 S 7-9, vgl auch ON 55 S 147-149).

Aus welchem Grund die Tatrichter - trotz dieser ersichtlich unumschränkt für glaubwürdig erachteten - Aussage von einem in der dargestellten Art begangenen Betrug ausgingen, lässt sich den Entscheidungsgründen nicht entnehmen, womit das Urteil insoweit mit Bezug auf entscheidende Tatsachen mit einem Begründungsmangel im Sinn der Z 5 zweiter Fall behaftet ist.

Zutreffend zeigt auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a) auf, dass zum Schuldspruch I/A/13 keinerlei Feststellungen getroffen wurden.

Ebenso berechtigt ist der Einwand der Subsumtionsrüge (Z 10), wonach die Urteilsannahmen die Subsumtion der den Schuldsprüchen I/A und I/B/1 bis 4 zugrunde liegenden Taten auch unter § 148 zweiter Fall StGB nicht zu tragen vermögen, weil Konstatierungen zur Absicht des Beschwerdeführers, sich durch die wiederkehrende Begehung von (schwerem) Betrug eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, gänzlich fehlen. Die diesbezüglichen Erwägungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung erschöpfen sich in allgemeinen Ausführungen zu den Voraussetzungen dieser Qualifikation und stellen einen Sachverhaltsbezug lediglich in Zusammenhang damit her, dass durch eine der Reinhard R***** angelasteten Handlungen (I/A/4) die Wertgrenze des § 147 Abs 2 StGB überschritten wurde (US 23 f).

Die Erwähnung des dem Schuldspruch I/A/13 zugrunde liegenden Sachverhalts sowie die Anführung der die Qualifikation des § 148 zweiter Fall StGB betreffenden Tatumstände im Urteilsspruch (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO; US 2 f) vermag die Konstatierung entscheidender Tatsachen nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0114639, RS0117119, Ratz, WK-StPO § 281 Rz 15).

Diese Rechtsfehler mangels Feststellungen und der aufgezeigte Begründungsmangel machen die Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang sowie des gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschlusses auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsichten und Verlängerung einer Probezeit bereits bei der nichtöffentlichen Beratung unumgänglich (§ 285e StPO; vgl zum nach § 494a Abs 1 Z 2 StPO gefassten Beschluss: RIS-Justiz RS0101886), womit das weitere diesbezügliche Beschwerdevorbringen (Z 5 fünfter Fall und Z 5a jeweils zu I/A/4) auf sich beruhen kann.

Im Übrigen verfehlt die Nichtigkeitsbeschwerde ihr Ziel.

Entgegen dem Einwand der Mängelrüge zum Schuldspruch II/1 begegnet die Ableitung der Feststellungen zur Kausalität der kridaträchtigen Handlungen, insbesonders der mangelhaften Führung der Geschäftsbücher und der geschäftlichen Aufzeichnungen für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Ro***** GmbH aus der geständigen Verantwortung des Beschwerdeführers und dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Peter H*****, der die Verletzung der kaufmännischen Buchführungspflicht ausdrücklich als Ursache für den Insolvenzeintritt bezeichnete (US 22 iVm ON 49 S 137, 169), unter dem Gesichtspunkt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) keinen Bedenken.

Da § 159 Abs 1 StGB einen alternativen Mischtatbestand mit mehreren rechtlich gleichwertigen Begehungsweisen darstellt und schon eine konstatierte Begehungsweise (hier: Abs 5 Z 4) für einen Schuldspruch genügt, erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen zu angeblich rechtsirriger Annahme kridaträchtiger Handlungen im Sinn des § 159 Abs 5 Z 3 StGB zufolge fehlender Feststellungen (Schuldspruch II; vgl dazu Kirchbacher in WK² StGB § 159 Rz 111 f).

Insoweit war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Mit seiner Berufung und der (impliziten, § 498 Abs 3 dritter Satz StPO) Beschwerde war der Angeklagte Reinhard R***** auf den kassatorischen Teil der Entscheidung zu verweisen.

Im zweiten Rechtsgang wird das Erstgericht im Zusammenhang mit dem zu Punkt I/A/4 der Anklage (des Schuldspruchs) erhobenen Vorwurf zu klären haben, ob der Geschäftsbeziehung zwischen der W***** GmbH und der Ro***** GmbH tatsächlich Streckengeschäfte zugrunde lagen (vgl die - allerdings untechnische - Verwendung des Begriffs „Streckenlieferung“ durch den Zeugen Thomas Sc***** ON 55 S 149), in welchem Fall Betrug durch Warenbestellung unter der wahrheitswidrigen Vorgabe von Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit in Frage käme. Von einem solchen ist nämlich dann auszugehen, wenn ein Dreipersonenverhältnis besteht, bei dem der Verkäufer (hier: die W***** GmbH) seinem Käufer (hier: der Ro***** GmbH) eine Sache verkauft, die er seinerseits von einem anderen Verkäufer (hier: dem Hersteller) erwerben muss, wobei beide Kaufverträge durch eine reale Güterbewegung erfüllt werden, indem der erste Verkäufer direkt an den Käufer des zweiten Verkäufers liefert (vgl dazu RIS-Justiz RS0011130, RS0011134). Sollten die Tatrichter dagegen zur Ansicht gelangen, dass jeweils bloß ein Kaufvertrag zwischen dem Hersteller und der Ro***** GmbH abgeschlossen wurde, dessen Finanzierung durch die W***** GmbH erfolgte, werden - mängelfrei begründete -Feststellungen zur zugrunde liegenden Finanzierungsform sowie - auf dieser Basis - dazu zu treffen sein, worin die - für die Subsumtion unter §§ 146 ff StGB erforderlichen -Täuschungshandlungen sowie die selbstschädigenden Vermögensverfügungen bestanden.

Mit Blick auf die oben zitierte Aussage des genannten Zeugen zur rückstandsfreien Bedienung des (Anfang 2009) für die Ro***** GmbH eingerichteten, nach oben unbegrenzten „Kundenkontos“ („im Prinzip ... ein Kontokorrentkreditkonto“) bis etwa September 2009 (ON 83 S 8) und die Urteilsannahmen, wonach die Zahlungsunfähigkeit des letztgenannten Unternehmens ab September 2009 subjektiv erkennbar war und der Angeklagte selbst einräumte, sich erst „ab spätestens November 2009 bewusst gewesen zu sein, dass er offene Rechnungen bzw neue Rechnungen nicht mehr würde zahlen können“ (US 14), bleibt anzumerken, dass dem Darlehensnehmer beim Kontokorrentkredit nicht die Kreditvaluta in einem zugezählt, sondern ihm die Möglichkeit eingeräumt wird, ein Girokonto innerhalb eines festgelegten Zeitraums bis zu einem bestimmten Betrag zu belasten. Unter dem Aspekt betrügerischer Veranlassung der Darlehensgewährung bedeutet dies, dass die Tathandlung darin besteht, den Darlehensgeber durch Täuschung über Tatsachen zur Eröffnung der Kreditlinie, also zur Einräumung des Kontokorrentrahmens zu verleiten. Der Umstand, dass der Schaden - bei Kontokorrentkrediten geradezu typisch -sukzessive eintritt, ändert nichts daran, dass je herausgelocktem Kontokorrentkredit eine einzige Tat vorliegt (vgl dazu RIS-Justiz RS0126858).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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