OGH 14Os135/13d

OGH14Os135/13d1.10.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. Oktober 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bandarra als Schriftführer in der Strafsache gegen Yahya K***** wegen Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 32 U 31/11v des Bezirksgerichts Floridsdorf, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 17. Juli 2013, AZ 134 Bl 70/13g (= ON 39), erhobene Nichtigkeitsbe-schwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 17. Juli 2013, AZ 134 Bl 70/13g (GZ 32 U 31/11v-39 des Bezirksgerichts Floridsdorf) verletzt das Gesetz im aus dem 2. Abschnitt des 22. Hauptstücks der StPO hervorgehenden Grundsatz, dass über alle gegen ein Urteil des Bezirksgerichts, von welcher Seite auch immer ergriffenen Berufungen gleichzeitig entschieden werden muss.

Dieses Urteil wird aufgehoben und dem Landesgericht für Strafsachen Wien die neuerliche Entscheidung über die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 10. Dezember 2012, GZ 32 U 31/11v-30, aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 10. Dezember 2012, GZ 32 U 31/11v-30, wurde Yahya K***** [richtig:] der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Unmittelbar nach Verkündung dieses Urteils meldete der unvertretene Angeklagte „Berufung“ an (ON 26 S 4). Eine schriftliche Ausführung des Rechtsmittels erfolgte nicht.

Die Staatsanwaltschaft bekämpfte das Urteil mit einer - zu Gunsten des Angeklagten ausgeführten - Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe (ON 32).

Das Landesgericht für Strafsachen Wien ordnete für den 17. Juli 2013 einen Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über die Rechtsmittel sowohl der Staatsanwaltschaft als auch des Angeklagten an (Ausschreibung vom 10. Juni 2013 im Akt AZ 134 Bl 70/13g).

Gegenstand der Berufungsverhandlung, zu welcher der Angeklagte trotz ausgewiesener Zustellung der Ladung nicht erschien, war - nach dem darüber aufgenommenen Protokoll - jedoch lediglich die Berufung der Staatsanwaltschaft (ON 38), welcher das Berufungsgericht mit Urteil vom selben Tag, AZ 134 Bl 70/13g (ON 39 im U-Akt) mit der Maßgabe Folge gab, dass die Verurteilung gemäß § 31 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 20. März 2013, AZ 506 Hv 133/12d, als Zusatzstrafe ausgesprochen und die Freiheitsstrafe von drei Monaten gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Über die angemeldete, jedoch nicht ausgeführte Berufung des Angeklagten wurde - trotz deren Erwähnung in den Entscheidungsgründen (US 3) - nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht dieses Urteil mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach dem Gesamtzusammenhang der darauf bezogenen, im 2. Abschnitt des 22. Hauptstücks der Strafprozessordnung enthaltenen Bestimmungen ist in einer nichtöffentlichen Sitzung oder Berufungsverhandlung über alle, von welcher Seite auch immer ergriffenen Berufungen gegen ein Urteil des Bezirksgerichts gleichzeitig zu entscheiden (RIS-Justiz RS0120332; Ratz, WK-StPO § 473 Rz 1).

Im vorliegenden Rechtsmittelverfahren wurde demgegenüber über die - wenn auch schriftlich unausgeführt gebliebene - Berufung des Angeklagten nicht entschieden, obgleich die nach Urteilsverkündung erfolgte Erklärung, „Berufung“ anzumelden - schon mit Blick auf das im Schlussantrag vorgebrachte Begehren um Freispruch trotz (formalem) Schuldeingeständnis (ON 26 S 4) und das Fehlen einer Belehrung nach § 467 Abs 4 StPO oder eines Hinweises auf § 467 Abs 2 StPO (vgl Ratz, WK-StPO § 467 Rz 6) - jedenfalls als Urteilsanfechtung wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe zu werten ist (vgl dazu auch RIS-Justiz RS0101767, RS0101920, RS0100404 und RS0101925; 13 Os 106/05w; SSt 56/69; SSt 41/22; Ratz, WK-StPO § 467 Rz 2 ff).

Da nicht auszuschließen ist, dass die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Angeklagten wirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung auf die aus dem Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte