OGH 2Ob15/13i

OGH2Ob15/13i29.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*****, e.Gen., *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Hirsch, Dr. Ursula Leissing, Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagte Partei Gerhard N*****, vertreten durch Dr. Stefan Denifl, Rechtsanwalt in Dornbirn, wegen 11.348,80 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 6. September 2012, GZ 1 R 122/12v‑15, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 9. Mai 2012, GZ 56 Cg 50/12a‑11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Erstgerichts wird wiederhergestellt.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.128,64 EUR (darin 305,44 EUR USt und 1.296 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin schloss am 16. 6. 2009 mit dem Hauptschuldner und dem Beklagten einen Kreditvertrag über 25.000 EUR ab. Vereinbarungsgemäß wurden die gesamten Kreditvaluta an den Hauptschuldner ausbezahlt, der damit den offenen Saldo auf seinem Konto bzw dem Konto eines Vereins, dessen Obmann er war, beglich. Allen drei Vertragsparteien war bekannt, dass ein Vertragsabschluss mit dem Hauptschuldner alleine nicht in Frage gekommen wäre, sondern die Bonität des Beklagten ausschlaggebend für die Kreditvergabe war. Im Rahmen des Kreditvergabegesprächs verlangte die Klägerin vom Beklagten einen Lohnzettel, den er auch vorlegte. Aus diesem ergab sich ein Jahresnettolohn für 2008 in Höhe von 64.190 EUR, den der Beklagte als Angestellter bei einem Unternehmen in Vaduz verdiente. Er wies auch darauf hin, dass er eine Wohnung abzahlen müsse, was für die Klägerin bei der Kreditvergabe aber keine Rolle spielte; weitere Schulden, etwa bei seinem Arbeitgeber, erwähnte er dagegen nicht.

Zwischen 2009 und Ende 2011 verdiente der Kläger bei dem Unternehmen in Vaduz monatlich zwischen 3.700 CHF und 4.000 CHF, 14 mal jährlich ausbezahlt, wobei eine monatliche Rückzahlungsrate eines Darlehens des Arbeitgebers im Ausmaß von 550 CHF bereits in Abzug gebracht wurde.

Er bewohnt eine Eigentumswohnung in Dornbirn im Ausmaß von 78 m², zu deren Finanzierung er im Jahr 2005 zwei Kredite bei der BAWAG PSK über einen Gesamtbetrag von umgerechnet 185.000 EUR aufnahm. Für diese Kredite musste er 2009 12.000 CHF zurückbezahlen, und 2011 etwa 8.000 bis 8.700 CHF. Zusätzlich nahm er zum Umbau der Wohnung einen Kredit bei der BAWAG PSK auf, für den er 2009 120 EUR und 2012 126,33 EUR [gemeint offensichtlich monatlich] zurückzuzahlen hatte. Insgesamt beliefen sich die Ausgaben des Beklagten im Jahr 2009, ohne Aufwendungen für Essen und Kleidung [gemeint offensichtlich monatlich] auf ‑ vom Erstgericht detailliert aufgeschlüsselt ‑ insgesamt 1.754,02 EUR.

Im Jahr 2009 war die Ehefrau des Beklagten geringfügig beschäftigt und verdiente etwa 360 EUR pro Monat. In der Aufstellung der monatlichen Ausgaben befindet sich auch eine Position „Zahlung an beide Söhne“.

Die Klägerin begehrt ‑ nach Klagseinschränkung infolge einer Zahlung des Beklagten im Ausmaß von 11.250 EUR ‑ 11.348,80 EUR sA. Der Beklagte hafte als Kreditnehmer. § 25c KSchG komme nicht zur Anwendung. Im Übrigen sei ein unbilliges Missverhältnis der Verbindlichkeit des Beklagten zu seiner Leistungsfähigkeit nicht vorgelegen.

Der Beklagte steht auf dem Standpunkt Interzedent zu sein und beruft sich auf das Mäßigungsrecht nach § 25d KSchG. Bereits zum Zeitpunkt der Übernahme der Haftung sei er überschuldet gewesen. Er erziele in Liechtenstein ein monatliches Einkommen von 2.537,72 EUR, sei verheiratet und habe zwei Kinder. Die monatlichen Fixausgaben ohne Rückzahlung der Darlehen für die Eigentumswohnung und der Lebenshaltungskosten betrügen 850 EUR. Unter Einrechnung der Kreditrückzahlung für die Eigentumswohnung ergebe sich eine monatliche Belastung von 2.203 EUR ohne Essen und Kleidung. Er könne daher den hier eingeklagten Kredit nicht ohne Gefährdung seines Lebensunterhalts bzw des Lebensunterhalts seiner Familie zurückzahlen. Eine Mäßigung des Kreditbetrags auf 11.250 EUR sei daher gerechtfertigt.

Das Erstgericht gab dem restlichen Klagebegehren statt. Der Beklagte sei materiell einer fremden Schuld beigetreten und demnach Interzedent. Ein unbilliges Missverhältnis im Sinne des § 25d KSchG liege aber nicht vor.

Das Berufungsgericht wies das restliche Klagebegehren ab. Soweit für das Revisionsverfahren von Interesse führte es rechtlich aus, dass ‑ ausgehend von einem Umrechnungskurs per August 2009 von 1 CHF = 0,66 EUR ‑ das monatliche Nettoeinkommen des Beklagten unter Berücksichtigung der 14‑maligen Auszahlung 3.408,14 EUR betragen habe. Dem stünden monatliche Verbindlichkeiten für die in Österreich zu bezahlende Steuer, der Krankenversicherungsbeitrag, monatliche Betriebskosten, Strom, die Haushaltsversicherung und aliquote Zahlungen für die Müllabfuhr bzw als Ausgaben des täglichen Lebens die Handygebühren, Fernsehgebühr, Internet und Taschengeld für die beiden Söhne entgegen. Zwar dienten die Kreditrückzahlungen für die Eigentumswohnung der Bildung von Vermögen, die angekaufte Wohnung diene aber der Befriedigung des eigenen und des dringenden Wohnbedürfnisses seiner Familie. Würde der Beklagte mit seiner Familie diese Wohnung nicht benützen, würden dennoch Wohnkosten für Mietzahlungen anfallen. Die per Juni 2009 zu leistenden monatlichen Rückzahlungen für die Ankaufskredite der Eigentumswohnung von insgesamt 663,67 EUR und für den Umbaukredit von 120 EUR, sowie das damit zusammenhängende aliquote Landgeld seien daher ebenfalls in Abzug zu bringen. Insgesamt ergebe sich ein monatlicher Abzugsbetrag per Juni 2009 von 1.966,15 EUR. Dann verblieben 1.441,99 EUR. Es seien aber weiters die Unterhaltskosten der Kinder mit dem jeweiligen Regelbedarf in Abzug zu bringen, sodass dem Beklagten ein Restbetrag von 773,99 EUR verblieben sei. Davon ausgehend sei es dem Beklagten bei Abschluss des Kreditvertrags nicht möglich gewesen, zusätzlich die Kreditrate für den hier eingeklagten Kredit in Höhe von monatlich 499,88 EUR zu leisten.

Dies sei auch bei einem Vergleich mit dem Exekutionsrecht evident. Nach der Existenzminimumtabelle für 2009 sei ‑ unter Berücksichtigung von drei Unterhaltspflichten ‑ ein unpfändbarer Betrag von 2.209,60 EUR anzusetzen. Ziehe man vom Einkommen des Beklagten die in Österreich zu bezahlende Steuer und Krankenversicherung ab, bleibe ein monatliches Nettoeinkommen von 2.872,66 EUR und damit als Differenz auf den Existenzminimumbetrag ein pfändbarer Betrag von 663,06 EUR, wovon vorrangig die Gläubiger aus den Kreditverhältnissen für die Wohnraumbeschaffung des Beklagten selbst zu befriedigen seien.

Vor diesem Hintergrund ergebe sich ein unbilliges Missverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit des Beklagten und der von ihm eingegangenen Verbindlichkeit und entspreche es der Billigkeit, die Kreditschuld auf den bereits bezahlten Betrag von 11.250 EUR zu ermäßigen.

Das Berufungsgericht ließ die Revision nachträglich zur Frage zu, ob die Kreditverbindlichkeiten des Beklagten bei der Prüfung des unbilligen Missverhältnisses im Sinne des § 25d Abs 1 KSchG zu berücksichtigen seien. Dazu gebe es keine höchstgerichtliche Judikatur.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der klagenden Partei aus den Revisionsgründen der Aktenwidrigkeit und unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die beklagte Partei beantragt der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht in seiner Entscheidung von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist, und berechtigt:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Revisionswerberin bezieht sich in ihrer Zulassungsrüge auf die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage und führt weiters aus, dass das Berufungsgericht bei Beurteilung der Leistungsfähigkeit zwei wesentlichen Irrtümern insofern unterlegen sei, als einerseits im angeführten Existenzminimumbetrag Wohnungskosten bereits enthalten seien und daher der Abzug der vollen Kreditraten für die Wohnraumbeschaffung zu einer doppelten Berücksichtigung führe. Gleiches gelte auch bei Abzug des Regelunterhaltsbedarfs der Kinder, in dem deren Wohnungskosten ebenfalls bereits berücksichtigt seien.

Im Übrigen sei für die Klägerin im Zeitpunkt der Unterfertigung des Kreditvertrags ein unbilliges Missverhältnis zwischen der damals vorgelegten Nettolohnbestätigung und der Kreditsumme nicht erkennbar gewesen.

2.1. Gemäß § 25d KSchG kann der Richter die Verbindlichkeit des Interzedenten insoweit mäßigen oder auch ganz erlassen, als sie in einem unter Berücksichtigung aller Umstände unbilligen Missverhältnis zur Leistungsfähigkeit des Interzedenten steht, sofern die Tatsache, dass der Verbraucher bloß Interzedent ist und die Umstände, die dieses Missverhältnis begründet oder herbeigeführt haben, bei Begründung der Verbindlichkeit für den Gläubiger erkennbar waren.

Diese Bestimmung soll ‑ wie bereits die Revisionswerberin anführt ‑ den Interzedenten nicht grundsätzlich von beschwerlichen Verpflichtungen entlasten, sondern zielt auf extreme Einzelfälle ab. Anwendungsfälle sind ruinöse Haftungen, die den Interzedenten langfristig wirtschaftlich ruinieren oder in erheblich finanzielle Bedrängnis bringen (4 Ob 195/10w; Apathy in Schwimann, ABGB³ V § 25d KSchG Rz 3).

Das richterliche Mäßigungsrecht setzt also voraus, dass 1. ein Missverhältnis des Haftungsumfangs und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Interzedenten vorliegt und dass 2. die für das Missverhältnis verantwortlichen Umstände für den Gläubiger auch erkennbar waren, wobei es auf die Umstände zur Zeit der Begründung der Verbindlichkeit ankommt (6 Ob 156/03i ua).

2.2. Weiters ist zu beachten, dass die Regelung des § 25d KSchG eine Billigkeitsvorschrift zugunsten des vermögensschwachen Interzedenten ist und daher in der Regel nicht zur Anwendung kommt, wenn er über seine Einkommensverhältnisse unvollständige Angaben macht und seine fehlende Leistungsfähigkeit nicht offengelegt hat (Kathrein in KBB³ § 25d KSchG Rz 4), es sei denn, die Unvollständigkeit der Angaben beruht auf einem entschuldbaren Versehen und hätte für die Gläubigerin aus augenscheinlichen Gründen für ergänzungsbedürftig gehalten werden müssen (6 Ob 156/03i).

2.3. Nach den vorinstanzlichen Feststellungen hat hier im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der Beklagte eine Nettogehaltsbestätigung über rund 64.000 EUR Jahresnettoeinkommen vorgelegt und angegeben eine „Wohnung abbezahlen“ zu müssen, weitere Schulden, Sorgepflichten etc dagegen nicht erwähnt.

Bedenkt man, dass sich aus der Jahresgehaltsauskunft ein monatliches Nettoeinkommen von über 5.000 EUR errechnet und der Beklagte lediglich eine „Wohnungsabzahlungsverpflichtung“ angab, ist ‑ auch bei betraglicher Berücksichtigung dieser von der Klägerin nicht hinterfragten Verpflichtung mit knapp 800 EUR ‑ nicht ersichtlich, inwiefern bei dieser Sachlage der Klägerin ein Missverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit des Beklagten und der eingegangenen Verpflichtung von rund 500 EUR monatlich erkennbar hätte sein sollen.

2.4. Die vom Berufungsgericht und der Revision weiter aufgeworfenen Fragen der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Beklagten, insbesondere der Frage, welche seiner Verpflichtungen dafür zu berücksichtigen wären, und vor allem, ob die geltend gemachten Rückzahlungsverpflichtungen für den Ankauf und Umbau der Eigentumswohnung darunter fielen, sind daher nicht mehr entscheidungswesentlich.

Es war vielmehr die stattgebende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO.

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