OGH 3Ob69/13p

OGH3Ob69/13p21.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, Dr. Jensik, Dr. Roch und Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Dr. Horst Auer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (36.000 EUR), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 14. Februar 2013, GZ 16 R 214/12a‑45, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 4. September 2013, GZ 2 Cg 24/10d‑41, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Klägerin ist Alleineigentümerin einer Liegenschaft (herrschende Liegenschaft), zu deren Gunsten auf der im Alleineigentum der beklagten Partei stehenden, in der Nachbarschaft gelegenen Liegenschaft (dienende Liegenschaft) unter C‑LNr 1a eine so genannte Cottage-Servitut gemäß Punkt VII a und b des Vertrags Servitut vom 15. Dezember 1885 einverleibt ist (im Folgenden: „Servitut 1885“).

Die beklagte Partei kaufte im Jahr 2003 das 785 m² große dienende Grundstück, um ein Wohnhaus mit acht Wohnungen zu errichten.

Eine zweite Servitut aus dem Jahr 1887 wurde auf der Liegenschaft der beklagten Partei zugunsten des Wiener Cottage-Vereins (im Folgenden „Verein“) einverleibt. Die Auslegung dieser Servitut aus 1887 war Gegenstand eines vom Verein eingeleiteten und mittlerweile rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahrens (8 Ob 50/07x, 8 Ob 4/12i).

Die Servitutsvereinbarung 1885 hat auszugsweise folgenden Inhalt:

„Die vertragsschließenden Teile sind einverstanden, dass … die nachstehenden Servituten … einverleibt werden sollen:

a) Dass auf der Parzelle … außer dem, im Einvernehmen mit dem Wiener Cottage Verein zu erbauenden Familienhause in Zukunft kein weiteres Gebäude aufgeführt, und ebenso wenig je ein Umbau, Zubau oder Neubau diesem Familienhause, bzw. an der Stelle dieses Familienhauses hergestellt werden darf, welcher mit der Eigenheit der Baulichkeiten, wie sie bis jetzt vom Wiener Cottage Verein aufgeführt werden, in Widerspruch stünde; dass in keinem Fall bei einem Umbau oder Zubau näher als auf zwei Meter an die Grenze des Nachbarn gerückt werden darf, dass ein derartiger Zubau ebenso wenig mit einer Feuermauer auf irgendeiner Seite abgeschlossen werden darf, endlich dass in einem über diese Servitut a.) entstehenden Streitfalle die ausschließliche schiedsgerichtliche Entscheidung dem Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereine in Wien zustehen soll;

b) dass der Eigentümer der Parzelle … auf derselben keinerlei Gewerbe betreiben oder durch andere betreiben lassen darf, welches vermöge der Erzeugung von Dünsten oder üblen Gerüchen, vermöge des damit verbundenen Lärms oder der möglichen Feuergefahr die Nachbar belästigen würde.“

Aufgrund einer Baubewilligung vom Dezember 2004 bzw vom Februar 2006 errichtete die beklagte Partei ab Oktober 2006 ein Wohnhaus für acht Wohnungen auf fünf Wohnebenen (unterkellertes Erdgeschoss, zwei Stockwerke und zwei Dachgeschosse). Im Juni 2008 genehmigte der Magistrat der Stadt Wien bauliche Änderungen in allen Geschossen; die Anzahl der Wohnungen wurde durch Zusammenlegung auf fünf reduziert.

Der Verein hat keine Zustimmung zur Errichtung dieses Gebäudes gegeben.

Der Verein wurde im Jahr 1872 mit dem Zweck gegründet, für seine Mitglieder die Herstellung gesunder und billiger Familienhäuser samt Gärten in Wien zu vermitteln. Zur damaligen Zeit (etwa 1850 bis 1880) war die Wohnsituation in Wien so, dass die überwiegende Bevölkerung in mehrstöckigen Zinshäusern zur Miete wohnte, wobei die Mieter immer wieder mit Kündigungen und Mietzinserhöhungen konfrontiert waren, sodass viele immer wieder übersiedeln mussten. Dem versuchte der Verein entgegenzuwirken: Unter Verhinderung der Errichtung von „Zinskasernen“ wollte er eine Anlage mit dem Charakter einer Gartenstadt schaffen, um dem Bedürfnis des Mittelstandes nach zweckmäßigen, gesunden und billigen Wohnungen abzuhelfen und den Erwerb von Eigentum an „Familienhäusern“ zu ermöglichen.

Im Jahr 1875 waren 50 Häuser der Cottage‑Anlage Währing errichtet, die etwa 150 Familien und ca 1.000 Personen beherbergten, sodass auf ein Haus etwa 20 Personen entfielen. Die Häuser bestanden aus vier vollkommenen Geschossen, bestehend aus Keller (mit Küche, Dienstbotenzimmer und Hausmeisterwohnung), Erdgeschoss, erstem Stock und bewohnbarem Dachgeschoss. Einige Gebäude wurden teilweise oder vollständig vermietet. Einige Häuser wurden mit höheren Geschossen oder Türmen errichtet.

Im Jahr 1894 waren in Währing und Döbling ca 200 Familienhäuser in Form von freistehenden Einzel- oder Doppelhäusern errichtet. Die äußere architektonische Ausgestaltung reichte vom Luxusbau bis zum einfachen Wohnhaus. Von den anfangs nur wenigen Haustypen war man mittlerweile abgegangen, so dass es sehr unterschiedliche, auf die individuellen Bedürfnisse der Bauwerber zugeschnittene Gebäude gab.

Die Häuser des hier zu beurteilenden Cottage‑Viertels wurden überwiegend, aber nicht ausschließlich als Ein- oder Zweifamilienhäuser errichtet. Das in England übliche Konzept des kleinflächigen Einfamilienhauses mit übereinanderliegenden Räumen war wegen der in Wien herrschenden Wohngewohnheiten, alle Räume nebeneinander in einem Geschoss unterzubringen, um eine möglichst große „Enfilade“ von Zimmern herzustellen, nicht durchführbar, sodass die projektierten Gebäude an Ausdehnung gewannen.

Mit ihrer am 3. März 2010 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin, die beklagte Partei zu verpflichten, ungeachtet bereits erwirkter, konkret bezeichneter Baubewilligungen jegliches Bauvorhaben auf der dienenden Liegenschaft zu unterlassen, für das das Einvernehmen mit dem Verein nicht vorweg hergestellt worden sei oder das mehr als zwei Wohnungen mit den entsprechenden Nebeneinrichtungen groß sei bzw werden solle oder das eine Eigenart aufweise, die mit der Eigenart der in den 1880er Jahren und davor vom Verein ausgeführten Baulichkeiten im Widerspruch stehe. In eventu begehrt sie, die beklagte Partei zu verpflichten, binnen acht Wochen das auf der dienenden Liegenschaft errichtete und dem Unterlassungsbegehren widersprechende Bauwerk zu beseitigen.

Zusammengefasst brachte die Klägerin vor, mit dem Gebäude der beklagten Partei werde gegen die Servitut von 1885 verstoßen. Die Beklagte habe keine Zustimmung des Vereins eingeholt. Die Servitut solle nicht bloß die Gebäudehöhe beschränken. Vielmehr dürfe danach nur ein „Familienhaus“ errichtet werden, worunter ein Ein- oder Zweifamilienhaus zu verstehen sei. Das Bauvorhaben (Gebäude) entspreche nicht der Eigenart der Baulichkeiten, wie sie vom Verein um 1885 errichtet worden seien.

Die beklagte Partei wandte vor allem Verjährung ein. Die Klägerin habe sich des Rechts aus der Servitut verschwiegen, weil sie weder in den Bauverhandlungen noch nach Baubeginn Protest erhoben habe. Das Bauwerk der Beklagten verstoße nicht gegen die Servitut von 1885; diese habe den Sinn gehabt, die Höhe des Gebäudes zu limitieren. Abgesehen davon sei auf der von der beklagten Partei erworbenen Liegenschaft bereits ein größeres Wohnhaus errichtet gewesen, wozu seinerzeit mit dem Verein das Einvernehmen zur Errichtung hergestellt worden sei. Das von der beklagten Partei errichtete Gebäude stehe auch nicht im Widerspruch zu den Eigenarten der Baulichkeiten des Cottage-Viertels. Der Begriff „Familienhäuser“ sei im Gegensatz zu „Zinskasernen“ gestanden. Letztlich sei die Klageführung schikanös, weil die Klägerin keine Rechtsnachteile durch das Gebäude erleide. Die Servitut von 1885 sei eine „reine Nachbarservitut“ und deshalb erloschen, weil das Gebäude der Beklagten für die Klägerin nicht mehr störend sein könne. Die 1885 bestehende gemeinsame Grundgrenze sei nach Abverkauf von Parzellen nicht mehr vorhanden, sodass zwischen den Liegenschaften der Klägerin und der Beklagten drei weitere Parzellen mit Häusern lägen.

Das Erstgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab. Das Gebäude der beklagten Partei verstoße nicht gegen die Servitut von 1885. Der Begriff „Familienhaus“ sei als Gegensatz zum Begriff „Zinskaserne“ zu sehen und nicht zu eng auszulegen. Das Bauvorhaben der beklagten Partei mit (zuletzt) fünf Wohneinheiten lasse sich unter dem Begriff des „Familienhauses“, wie er im Jahr 1885 verstanden worden sei, subsumieren und stehe nicht im Widerspruch zu den vom Verein errichteten Baulichkeiten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es erledigte die Beweisrüge wegen rechtlicher Unerheblichkeit nicht und führte in der rechtlichen Beurteilung aus, dass sich das geforderte Einvernehmen mit dem Verein nur auf die erstmalige Errichtung eines Gebäudes beziehe. Ausgehend auch von den Zielen und dem Zweck des 1872 gegründeten Vereins sowie unter Bedachtnahme auf geänderte Familien- und Wohnstrukturen sei das von der beklagten Partei errichtete Gebäude mit fünf Wohneinheiten unter den Begriff des „Familienhauses“ zu subsumieren. Das Gebäude widerspreche auch nicht der Eigenheit von Baulichkeiten, wie sie bis 1885 vom Verein errichtet worden seien.

Die Revision sei im Hinblick auf die Einzelfallbezogenheit der Beurteilung nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

In der außerordentlichen Revision wird von der Klägerin keine erhebliche Rechtsfrage dargestellt.

1. Die Klägerin beruft sich in der Rechtsmittelschrift darauf, dass das erforderliche Einvernehmen mit dem Verein deshalb herzustellen gewesen sei, weil auf dem Grundstück der beklagten Partei erstmals von dieser ein Gebäude errichtet worden sei. Es gebe im gesamten Verfahren weder ein Vorbringen noch eine Feststellung dazu, dass auf dem Grundstück vor dem nunmehrigen Bauvorhaben der beklagten Partei ein Haus errichtet gewesen wäre.

Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden.

Bereits in der Klagebeantwortung (Seite 9 in ON 3) hat die beklagte Partei vorgebracht, dass „auf dem gegenständlichen Grundstück ein größeres Wohnhaus bereits errichtet war, und daß damals nach dem Erwerb der Liegenschaft durch die Rechtsvorgänger der beklagten Partei im Jahr 1885 bereits Einvernehmen mit dem Wiener Cottage-Verein zum Bau des damaligen Wohnhauses hergestellt wurde, sodaß das diesbezügliche Einvernehmen bereits damals mit dem Wiener Cottage-Verein zum Bau des Wohnhauses vorgelegen hat und demzufolge nicht neuerlich hergestellt werden muß, … .“ Im Vorbereitenden Schriftsatz ON 6 wird ergänzt: „Das auf dieser Liegenschaft ursprünglich befindliche Gebäude war bautechnisch nicht mehr sanierbar, sodaß eine Neuplanung erfolgte.

Auf diese Argumentation ist die Klägerin in ihrem replizierenden Schriftsatz ON 8 nicht eingegangen, ebenso wenig im weiteren erstinstanzlichen Verfahren. Wenn die Vorinstanzen zumindest implizit davon ausgehen, dass das Grundstück der beklagten Partei bis zum Beginn der Errichtung des neuen Gebäudes im Jahr 2006 nicht unbebaut war, ist dies ‑ auch ohne Erörterung ‑ mit den Grundsätzen eines Zugeständnisses nach § 267 Abs 1 ZPO durchaus vereinbar. Die Klägerin ist im Übrigen auch in der Berufung nicht auf die Frage der Erst- oder Folgebebauung eingegangen, sondern hat nur darauf hingewiesen, dass „eine Verbauung überhaupt nur im Einvernehmen mit dem Wiener Cottage Verein zulässig gewesen wäre“ und dass dieses Einvernehmen nicht hergestellt worden sei (Seite 5).

Wegen fehlenden Parteivorbringens der Klägerin kommt es auf den in der außerordentlichen Revision behaupteten Umstand, laut Flächenwidmungs- und Bebauungsplan sei im Jahr 2003 kein Gebäude auf dem Grundstück der beklagten Partei gestanden, nicht mehr an.

2. In ihrer Berufung hat die Klägerin die (implizite) Feststellung des Erstgerichts gerügt, dass im Jahr 1874 im Cottage-Viertel ein Haus in Form eines drei Stockwerke hohen „Wohnzinshauses“ errichtet worden sei, an das im Jahr 1885 zugebaut worden sei, wodurch insgesamt 17 Einheiten entstanden seien. Begehrt wurde die klarstellende Feststellung, dass dieses Haus nicht vom Verein projektiert und errichtet worden sei. Weiters wurde die Feststellung gerügt, dass einige Gebäude des Cottage-Viertels als „Zinsvilla“ oder „Mietvilla“ erbaut worden seien; hier wurde die klarstellende Feststellung begehrt, dass die beiden Objekte, die das Erstgericht im Auge habe, lediglich zwei Wohneinheiten aufgewiesen hätten.

2.1. Der Standpunkt des Berufungsgerichts, dass auch bei Annahme der Richtigkeit der begehrten Ersatzfeststellungen das Klagebegehren unberechtigt sei, bildet keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

2.2. Die Servitut von 1885 stellt im hier maßgeblichen Zusammenhang auf den Begriff des zu erbauenden „Familienhauses“ und darauf ab, dass kein Umbau, Zubau oder Neubau errichtet werden dürfe, der „mit der Eigenheit der Baulichkeiten, wie sie bis jetzt vom Wiener Cottage Verein aufgeführt werden, in Widerspruch stünde“. Die Wortfolge „bis jetzt“ ist nach der Textierung auf die Zeit bis 1885 zu beziehen.

Zu diesem Thema finden sich (unbekämpfte) Feststellungen dahin, dass bis 1875 in der Cottage-Anlage Währing 50 Häuser errichtet waren, die etwa 150 Familien Raum gaben und ca 1.000 Personen beherbergten, sodass auf ein Haus etwa 20 Personen entfielen. Die Häuser bestanden aus vier vollkommenen Geschossen. Einige Häuser wurden teilweise oder vollständig vermietet. Im Jahr 1894 waren in Währing und Döbling ca 200 „Familienhäuser“ errichtet, wobei die Gebäude auf die individuellen Bedürfnisse der Bauwerber zugeschnitten und dadurch sehr unterschiedlich waren. Die Häuser wurden überwiegend, aber nicht ausschließlich als Ein- oder Zweifamilienhäuser errichtet.

2.3. Schon allein ein Vergleich der Zahlen der Häuser und Familien zeigt, dass unter dem Begriff des „Familienhauses“ nicht durchwegs ein „Ein- oder Zweifamilienhaus“ im heutigen Sprachverständnis zu verstehen war.

Das Berufungsgericht hat in durchaus vertretbarer Weise Überlegungen zur „Eigenheit“ der bis 1885 vom Verein ausgeführten Baulichkeiten angestellt, wobei der Zweck des Vereins (eine Anlage mit dem Charakter einer Gartenstadt zu schaffen, um ‑ durch die Möglichkeit des Eigentumserwerbs an „Familienhäusern“ ‑ dem Bedürfnis des Mittelstandes nach zweckmäßigen, gesunden und billigen Wohnungen abzuhelfen) in den Vordergrund gestellt wurde.

Während im Jahr 1885 ‑ als es noch kein Wohnungseigentum gab ‑ im Schnitt 20 Personen in einem „Familienhaus“ gelebt haben, nämlich Angehörige von Großfamilien samt den Dienstboten, überwiegen nunmehr kleine Familien mit bis zu vier Personen, die in kleineren Wohnungen leben. Wenn das Berufungsgericht auf dieser Grundlage zum Ergebnis gelangt ist, dass das von der beklagten Partei errichtete Wohnungseigentumsobjekt mit fünf Wohnungen, die erfahrungsgemäß ebenfalls von etwa 20 Personen bewohnt werden, diesen Zwecken nicht entgegensteht, ist darin keine unvertretbare Auslegung des Inhalts der „ungemessenen“ Servitut von 1885 zu sehen (in diesem Sinn auch 8 Ob 4/12i zu der inhaltlich allerdings etwas anders ausgestalteten Servitut von 1887 zugunsten des Vereins).

3. Mangels erheblicher Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) ist die außerordentliche Revision der klagenden Partei zurückzuweisen.

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