OGH 11Os104/13y

OGH11Os104/13y23.7.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Juli 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Müller als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Rupert W***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Schöffengericht vom 17. April 2013, GZ 13 Hv 123/12a‑49, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0110OS00104.13Y.0723.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch (verfehlt allerdings von der rechtlichen Kategorie; vgl Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 1) enthält, wurde Rupert W***** der Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (I./1./ und II./1./) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (V./1./) sowie der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (I./2./, II./2./ und III./1./) und der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (III./2./, IV./ und V./2./) schuldig erkannt.

Danach hat er (zusammengefasst)

in B***** und S*****

- seine am 24. Mai 1981 geborene Tochter Brigitte W***** in einer Mehrzahl von Angriffen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, und zwar von 1987 bis 1991, indem er sie als Unmündige wiederholt aufforderte, sein entblößtes Glied zu betasten (I./1./) und von 1991 bis 1995, indem er ihr als Unmündige wiederholt einen Finger in die Scheide einführte (II./1./),

- ab 24. Mai 1995 bis kurz vor dem 24. Mai 1997 und ab 2002 bis 2011 dadurch, dass er an der Genannten wiederholt den Geschlechtsverkehr durchführte, 2006/2007 auch einmal mit Gewalt, mit einer Person, die mit ihm in gerader Linie verwandt ist, den Beischlaf vollzogen (III./2./, IV./ und V./2./),

- durch diese Taten mit einer mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen, oder von einer solchen Person an sich vornehmen lassen (I./2./, II./2./, III./1./) sowie

- „im Verlauf der Jahre 2006 und 2007“ dadurch, dass er Brigitte W***** auf das Bett warf, sie mit seinem Körpergewicht niederdrückte, seinen Arm gegen ihren Hals drückte und gegen ihren Willen an ihr den Geschlechtsverkehr vollzog, eine Person mit Gewalt zur Duldung des Beischlafs genötigt, wobei diese Tat eine schwere Körperverletzung, nämlich eine chronische, schwere posttraumatische Belastungsstörung der Genannten, verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung zur Folge hatte (V./1./).

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) verfiel der Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass beim Angeklagten keinerlei pädophile Neigungen vorliegen (ON 20 S 24), zu Recht der Abweisung, weil er nicht erkennen ließ, inwieweit das Beweisthema für die Schuld‑ und Subsumtionsfrage von Bedeutung sein sollte, obwohl Pädophilie nicht Tatbestandsvoraussetzung für die inkriminierte Straftat ist (RIS‑Justiz RS0118444; RS0124721).

Die erst in der Rechtsmittelschrift vorgebrachten Ergänzungen haben außer Betracht zu bleiben, weil sich die Prüfung der Berechtigung einer Verfahrensrüge stets an dem in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag und der Verfahrensergebnisse zu jenem Zeitpunkt zu orientieren hat (RIS‑Justiz RS0099618). Der Vollständigkeit halber sei aber festgehalten, dass es gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Frage des Täterprofils bei Sexualdelikten gegen Kinder entspricht, dass die Täter nicht unbedingt pädosexuell veranlagt sein müssen (RIS‑Justiz RS0124721 [T1]).

Der Antrag auf Einholung eines urologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass der Angeklagte im Tatzeitraum aufgrund seiner Anatomie nicht in der Lage war, eine Erektion zu bekommen und schon gar nicht unter Alkoholeinfluss, wurde zu Recht abgewiesen. Angesichts der von Rupert W***** selbst zugestandenen grundsätzlichen Erektionsfähigkeit schließen angebliche Potenzprobleme unter Alkoholeinfluss eine Tatbegehung während des gesamten Deliktszeitraums keineswegs aus, insbesondere weil selbst nach dem Vorbringen im Rechtsmittel ab 1998 auch das Potenzmittel Viagra erhältlich war und vor 1995 keine Störung der Erektionsfähigkeit behauptet wurde. Auf den Zeitraum 1995 bis 1997 bezogen ließ der Beweisantrag nicht erkennen, weshalb ein Gutachter in der Lage sein sollte, über einen so lange zurück liegenden Zeitraum eine Aussage zu treffen, und weshalb die beantragte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis ungeachtet der Aussage der Brigitte W***** überhaupt erwarten lasse.

Mit Blick auf den zu V./1./ wegen eines Verbrechens nach § 201 Abs 1 und 2 erster Fall StGB ergangenen Schuldspruchs (US 3) spricht die Mängelrüge (Z 5 dritter Fall), soweit sie vorbringt, der Ausspruch des Schöffengerichts über die Anzahl der erfolgten Vergewaltigungen stünde mit sich selbst im Widerspruch, keine entscheidende Tatsache an.

Z 5a des § 281 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld‑ oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).

Mit dem Hinweis, wonach die Sachverständige Mag. Michaela L***** zunächst ein Gutachten zur Frage der aus den sexuellen Übergriffen resultierenden Folgen der Brigitte W***** sowie dann ein weiteres diese Zeugin betreffendes aussagepsychologische Gutachten erstattet und dabei teilweise auf ihr Vorgutachten Bezug genommen habe, werden keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen geweckt.

Mit Blick auf den Vorwurf der Verletzung des Art 6 MRK sei der Vollständigkeit halber aber festgehalten, dass dem (von seinem Einwendungsrecht gegen die Bestellung keinen Gebrauch machenden) Angeklagten sowohl zur Vorbereitung eines erfolgversprechenden Antrags auf Beiziehung eines oder mehrerer anderer Sachverständiger als auch zur Erschütterung der materiellen Überzeugungskraft der Befunde oder Gutachten ein uneingeschränktes Fragerecht zustand. Mängel des Sachverständigengutachtens wurden in der Hauptverhandlung nicht einmal behauptet (zur Subsidiarität der Z 5a gegenüber Z 4 siehe Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 480). Im Übrigen ist der Umstand, dass die Sachverständige im selben Verfahren bereits davor mit einem Gutachtensauftrag zu einem anderen Beweisthema befasst war, nicht geeignet, deren volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit in Zweifel zu ziehen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass die vom Schuldspruch I./1./ und II./1./ umfassten, für sich jeweils selbständigen Taten zu Unrecht nur unter ein Verbrechen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 subsumiert wurden. Mangels Bekämpfung durch die Staatsanwaltschaft hatte aber die (sich zum Vorteil des Angeklagten auswirkende) unrichtige rechtliche Beurteilung (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) auf sich zu beruhen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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