OGH 14Os88/13t

OGH14Os88/13t9.7.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Juli 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Müller als Schriftführerin in der Strafsache gegen Heike M***** und einen Angeklagten wegen des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 erster Fall und Abs 4 vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Heike M***** und Michael M***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 9. Jänner 2013, GZ 37 Hv 79/12w-53, und weiters über die Beschwerde des Michael M***** gegen den zugleich gefassten Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Heike M***** der Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3 Z 1 erster Fall und Abs 4 vierter Fall StGB (A/1) und der Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (A/2) und Michael M***** der Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 2 StGB (B/1) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB (B/2) schuldig erkannt.

Danach hat - soweit hier wesentlich -

(A) Heike M***** von 1. Juni 2009 bis 17. April 2011 in Innsbruck

1) „gegen nachgenannte unmündige Personen, eine längere, ein Jahr übersteigende Zeit hindurch, fortgesetzt Gewalt ausgeübt, und zwar

a) gegen den am 11. April 2000 geborenen Marcel M***** zu im Einzelnen nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten wiederholt, indem sie auf diesen mit der Hand, der Suppenkelle oder dem Kochlöffel einschlug und ihn so am Körper misshandelte;

b) gegen die am 3. Jänner 2004 geborene Michelle M***** zu im Einzelnen nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten wiederholt, indem sie auf diese mit der Hand, der Suppenkelle oder dem Kochlöffel einschlug und sie so am Körper misshandelte;

c) gegen die am 2. September 2002 geborene Jaqueline M***** zu im Einzelnen nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten jedoch jeweils wiederholt, indem (sie) sie an den Haaren riss und auf sie mit der Hand, der Suppenkelle und mit dem Kochlöffel einschlug und die Genannte auf diese Weise am Körper misshandelte, wobei diese häufig auch Verletzungen in Form von Hämatomen erlitt, weiters die unmündigen Geschwister der Genannten aufforderte, sie zu schlagen, die Genannte zudem an der Hand erfasste, zum Fenster zog und ihr in der Absicht, sie in Furcht und Unruhe aus Angst vor zumindest einer Körperverletzung zu versetzen, drohte, sie beim Fenster hinauszuwerfen;

2) anderen, die ihrer Fürsorge oder Obhut unterstanden und das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, seelische Qualen zugefügt, und zwar:

a) dem am 11. April 2000 geborenen Marcel M***** zu im Einzelnen nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten, jedoch jeweils wiederholt, indem sie diesen mit Schimpfwörtern wie 'Missgeburt', 'Trottel', 'Arschloch' und Ähnliches beschimpfte, ihn aufforderte, gemeinsam mit der Schwester Michelle die Schwester Jaqueline zu schlagen, und, wenn sie dieser Aufforderung nachkamen, diesen Vorgang filmte, weiters vor seinen Augen die Schwester Jaqueline zum Fenster zog und drohte, diese hinauszuwerfen und indem sie diesen zumindest einmal monatlich in seinem Zimmer einsperrte;

b) der am 3. Jänner 2004 geborenen Michelle M***** zu im Einzelnen nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten, jedoch jeweils wiederholt, indem sie diese mit Schimpfwörtern wie 'Missgeburt', 'Trottel', 'Arschloch' und Ähnliches beschimpfte, sie aufforderte, gemeinsam mit dem Bruder Marcel die Schwester Jaqueline zu schlagen, und, wenn sie dieser Aufforderung nachkamen, diesen Vorgang filmte, sowie vor ihren Augen die Schwester Jaqueline zum Fenster zog und drohte, diese hinauszuwerfen;

c) der am 2. September 2002 geborenen Jaqueline M***** zu im Einzelnen nicht näher bestimmbaren Zeitpunkten, jedoch jeweils wiederholt, indem sie diese mit Schimpfwörtern wie 'Missgeburt', 'Trottel', 'Arschloch' und Ähnliches beschimpfte, filmte, wie die Genannten über ihre Aufforderungen von den Geschwistern Marcel und Michelle geschlagen wurde, ihr Essen scharf mit Chilli würzte, ihr das Essen in den Mund steckte, der Genannten sagte, dass sie sie hasse und weiters die Genannte wiederholt bei kühlen Außentemperaturen in leichter Bekleidung auf den Balkon schubste und aussperrte.“

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Michael M***** war gemäß § 285d Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285a Z 2 StPO bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen, weil er keine Ausführung seiner Beschwerdegründe (§ 285 Abs 1 erster Satz StPO) überreichte und auch bei der Anmeldung (unmittelbar nach Urteilsverkündung; ON 52 S 19) die Nichtigkeitsgründe nicht einzeln und bestimmt bezeichnete.

Die aus den Gründen der Z 3, 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten Heike M***** verfehlt ihr Ziel.

Die Verfahrensrüge (Z 3) beruft sich auf § 252 Abs 1 und 4 StPO, macht aber mit dem Einwand, es läge „der Schluss nahe“, dass im Urteil „gesetzlich unverwertbare Aussagen“ berücksichtigt wurden, deren Verlesung die Beschwerdeführerin „infolge der Zeugnisbefreiungsrechte“ (übrigens nicht aktenkundig) widersprochen habe, eine Verletzung des Verlesungs- oder Umgehungsverbots im Sinn der Bestimmung gar nicht geltend (vgl dazu im Übrigen ON 50 S 17, ON 52 S 16). Unter dem Aspekt der - der Sache nach angesprochenen - Z 5 vierter Fall (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 458) verfehlt sie die erforderliche konkrete Bezeichnung sowohl der im Urteil angeblich zu Unrecht verwerteten Beweisergebnisse als auch jener entscheidenden Tatsachen, die mit dem behaupteten Begründungsmangel behaftet sein sollen (§ 285a Z 2 StPO; RIS-Justiz RS0111533 [T9]; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 462).

Gleichfalls nicht am Erfordernis deutlicher und bestimmter Bezeichnung der Tatumstände, die den in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrund nach dem Beschwerdestandpunkt bilden sollen (erneut § 285a Z 2 StPO), orientiert sich das weitere - im Übrigen auch inhaltlich unrichtige (vgl ON 23) - Vorbringen, in die (kontraditkorische) Vernehmung des Zeugen Marcel M***** im Ermittlungsverfahren und damit auch in die Hauptverhandlung seien - aufgrund von (in der Beschwerde nicht näher konkretisierten) Vorhalten „über Informationen, die nur aus Protokollen der entschlagungsberechtigten Zeugen schöpfbar waren“ - Aussagen „entschlagungsberechtigter Zeugen“ „eingeflossen“, und im Urteil, das sich auf die diesbezüglichen (ebenfalls nicht benannten) Antworten des genannten Zeugen stütze, zu Unrecht verwertet worden.

Davon abgesehen wird trotz neuerlicher Berufung auf § 252 Abs 4 StPO der Sache nach kein in der Hauptverhandlung unterlaufener Verfahrensfehler (vgl dazu auch Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 58, 102), sondern eine - nur unter dem Aspekt der Z 2 des § 281 Abs 1 StPO relevante - Verlesung eines nichtigen Aktes des Ermittlungsverfahrens behauptet (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 239), für welchen Nichtigkeitsgrund jedoch das Erfordernis - hier nicht erfolgter (ON 50 S 4 f) - rechtzeitiger Rüge gilt.

Inwiefern „das Urteil“ gegen das „Individualisierungsgebot des § 260 StPO“ verstoßen sollte, obwohl im Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) die der Beschwerdeführerin angelasteten (verschiedene Tatopfer betreffenden) Handlungen unter Anführung sämtlicher für die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale der im Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) genannten strafbaren Handlungen erforderlichen Tatsachen detailliert beschrieben wurden, lässt die weitere Beschwerde (erneut Z 3) ebenfalls offen.

Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurde der Antrag auf Einholung eines kinderpsychiatrischen Gutachtens betreffend den Zeugen Marcel M***** zum Beweis dafür, „dass die von der Opfervertreterin behauptete psychische Erkrankung und die Behandlung mit Risperdal frühkindliche Wurzeln hat und nicht im Zusammenhang mit der Erziehungstätigkeit der Erstangeklagten stehen kann“ (ON 52 S 17), schon deshalb zu Recht abgewiesen, weil darin nicht dargetan wurde, dass der unmündige Zeuge sowie dessen gesetzlicher Vertreter die erforderliche Zustimmung zu einer solchen Exploration erteilt hätten oder erteilen würden (RIS-Justiz RS0097584, RS0118956, RS0108614; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 350). Darüber hinaus ließ der Antrag nicht erkennen, inwiefern der (alleine) angestrebte Nachweis einer psychischen Erkrankung des Genannten oder deren Ursachen für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage erhebliche Umstände betreffen sollten (RIS-Justiz RS0116503). Über den Beweisantrag hinausgehendes, in der Beschwerde nachgetragenes Vorbringen (zum Beweisthema der [angeblich fehlenden] Aussagefähigkeit und -tüchtigkeit des Zeugen, die von der Sachverständigen DDr. H***** zudem bereits bejaht worden war [ON 24]), ist zufolge des sich aus dem Wesen des Nichtigkeitsgrundes der Z 4 ergebenden Neuerungsverbots unbeachtlich (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Entgegen dem Einwand der Mängelrüge (Z 5 erster Fall) sind die Feststellungen zum (jeweils mehr als einjährigen) Tatzeitraum nicht undeutlich (US 7 und 8). Dass den Tatrichtern eine Aussage zum exakten Zeitpunkt der - zum Schuldspruch A/1 jedenfalls durchschnittlich einmal pro Woche gesetzten (US 6, 7) - einzelnen Tathandlungen im Zug der fortgesetzten Gewaltausübung und Zufügung seelischer Qualen mangels verlässlicher Beweisergebnisse nicht möglich war (US 7), ist ohne Relevanz (14 Os 30/13p mwN).

Die Mängelrüge kritisiert zum Schuldspruch A/1/c das Unterbleiben einer Erörterung von für das Vorliegen einer (medikamentös behandelten) psychischen Erkrankung des Marcel M***** sprechenden Beweisergebnissen (Z 5 zweiter Fall) und stellt in diesem Zusammenhang - rein spekulativ - in den Raum, dieser habe seine Schwester Jaqueline M***** nicht infolge (inkriminierter) Aufforderungen der Beschwerdeführerin, sondern aufgrund von „inneren Imperativen“ geschlagen (vgl dagegen US 6). Indem dieser Einwand bloß einen Teilaspekt des zu diesem Schuldspruch angelasteten (ansonsten unbekämpften) Gesamtverhaltens anspricht, betrifft er keine für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 398 f).

Ob die „geistige Entwicklung der Kinder beträchtlich geschädigt wurde“ oder die Tatopfer durch die Misshandlungen Hämatome erlitten, ist mit Blick auf die Struktur der der Verurteilung zugrunde liegenden Tatbestände, die derartigen Erfolgseintritt nicht voraussetzen, gleichfalls ohne Bedeutung, womit das Erstgericht auch nicht verhalten war, sich mit für oder gegen das Vorliegen solcher Tatfolgen sprechenden Verfahrensergebnissen gesondert auseinanderzusetzen.

Soweit mit dem in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwurf, die Tatrichter hätten Widersprüche zwischen den Aussagen des Marcel M***** und jenen von zwei - mit der Betreuung der Familie befassten - Sozialarbeitern in Betreff sichtbarer Verletzungen der Tatopfer mit Stillschweigen übergangen, der Sache nach unter dem Gesichtspunkt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) die Beurteilung der Überzeugungskraft der Aussage des Genannten als mangelhaft begründet kritisiert werden soll, verfehlt die Beschwerde den - nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen gelegenen - Bezugspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431 f).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit Hinweisen auf die bereits in der Mängelrüge thematisierten Verfahrensergebnisse und eine Passage aus einem im Pflegschaftsverfahren des Bezirksgerichts Hall eingeholten Sachverständigengutachten (nach der die Beschwerdeführerin vor ihrer Partnerschaft mit Michael M***** als eingeschränkt erziehungsfähig beurteilt wurde) keine erheblichen Bedenken gegen die dem Schuldspruch zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen zu wecken. Mit - zu jenen der Tatrichter gegenteiligen - Beweiswerterwägungen erschöpft sie sich zudem in einer Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch A/1 beschränkt sich auf eine teilweise Wiedergabe der zu 13 Os 143/11w angestellten grundlegenden Überlegungen zu den allgemeinen Prüfungskriterien bei Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit nach § 107b StGB ohne einen Bezug zu den Sachverhaltsannahmen der Tatrichter herzustellen. Weshalb bei - wie hier - festgestellter Dauer der Gewaltausübung von jeweils beinahe zwei Jahren, einer Dichte von durchschnittlich einem Angriff pro Woche und einer durch Schlagführung unter anderem mittels Suppenkelle und Kochlöffel bedingten erhöhten Gewaltintensität gegen die (zu Beginn des Tatzeitraums) fünf- bis neunjährigen Stiefkinder der Beschwerdeführerin die Subsumtion unter den Grundtatbestand des § 107b Abs 1 StGB bloß deshalb verfehlt sein sollte, weil durch keine „der einzelnen zu A/1 umschriebenen Tathandlungen isoliert“ eine mit einem Jahr übersteigender Freiheitsstrafe bedrohte strafbare Handlung verwirklicht worden sei, legt sie nicht dar.

Soweit sie zum Schuldspruch A/2 Feststellungen zu einem - von der Beschwerdeführerin ausdrücklich oder konkludent angenommenen - Betreuungsauftrag des Michael M***** vermisst, scheitert die Beschwerde am Fehlen methodengerechter Ableitung aus dem Gesetz (RIS-Justiz RS0116565), weshalb es zur Begründung von Obhutspflichten gegenüber im gemeinsamen Haushalt lebenden Stiefkindern eines ausdrücklichen Aktes des Anvertrauens durch den leiblichen Vater bedürfen sollte (vgl dazu Jerabek in WK² StGB § 92 Rz 5; vgl auch US 7, 8, 14 iVm US 2).

Dass die „Handlungen nach dem Urteilsfaktum A/1 wie jene des Urteilsfaktums B/2 gemeint: A/2 unter § 92 Abs 1 StGB zu subsumieren gewesen wären“, wird von der Rüge (Z 10) ebenso gänzlich unsubstantiiert behauptet.

Auch die Nichtigkeitsbeschwerde der Heike M***** war demnach bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die (implizite) Beschwerde des Zweitangeklagten (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

Bleibt anzumerken, dass gemäß § 107b Abs 2 StGB Gewalt im Sinn des § 107b Abs 1 StGB ausübt, wer eine andere Person am Körper misshandelt (erster Fall) oder vorsätzliche mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben oder gegen die Freiheit mit Ausnahme der strafbaren Handlungen nach §§ 107a, 108 und 110 StGB begeht (zweiter Fall). Mangels darüber hinausgehender Einschränkungen zählt somit auch § 92 StGB zu diesen Anknüpfungsdelikten, und zwar unabhängig davon, ob die Zufügung körperlicher oder (bloß) seelischer Qualen in Rede steht.

Anknüpfungsdelikte, die nicht von der Subsidiaritätsklausel des § 107b Abs 5 StGB umfasst sind, werden ihrerseits grundsätzlich vom jeweiligen Tatbestand des § 107b StGB verdrängt (Spezialität), es sei denn, der Täter setzt - neben den von § 107b StGB umfassten - weitere Taten, die zwar einem der in § 107b Abs 2 zweiter Fall StGB bezeichneten Anknüpfungstatbestände zu unterstellen sind, handelt dabei aber nicht mit dem - § 107b Abs 1 StGB entsprechenden - Vorsatz, längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt auszuüben. Nur diesfalls konkurriert der jeweils verwirklichte Tatbestand echt mit § 107b StGB (vgl dazu ausführlich 13 Os 71/12h, 72/12f mit Hinweisen auf die Lehre).

Vorliegend hat die Angeklagte Heike M***** nach den wesentlichen Urteilsannahmen im Tatzeitraum 1. Juni 2009 bis 17. April 2011 nicht nur durch einmal wöchentlich erfolgte körperliche Misshandlungen (§ 107b Abs 2 erster Fall StGB), hinsichtlich Jaqueline M***** auch durch gefährliche Drohung zumindest mit einer Verletzung am Körper (§ 107b Abs 2 zweiter Fall iVm § 107 Abs 1 StGB), sondern auch durch die wiederholte Zufügung seelischer Qualen im Sinn des § 92 Abs 1 StGB fortgesetzt Gewalt gegen die drei Tatopfer ausgeübt, wobei die Feststellungen zur subjektiven Tatseite deutlich genug zum Ausdruck bringen, dass ihr Vorsatz auch insoweit auf fortgesetzte Tatbegehung über einen mehr als einjährigen Zeitraum gerichtet war (US 7 f, 14 f).

Zu amtswegiger Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) der demnach verfehlten rechtlichen Beurteilung der zum Schuldspruch A/2 genannten Taten als Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen nach § 92 Abs 1 StGB (statt einer Verurteilung hinsichtlich aller Taten - ausschließlich - nach § 107b StGB) bestand keine Veranlassung, weil unrichtige Subsumtion die Angeklagte nicht ohne weiteres im Sinn des § 290 StPO konkret benachteiligt (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff).

Zwar wurde rechtsirrig das Zusammentreffen jeweils mehrerer Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung und Vergehen des Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen erschwerend gewertet (US 17), die (bei richtiger Subsumtion sich ergebende) Erfüllung mehrerer Alternativen (vgl § 107b Abs 2 erster und zweiter Fall StGB) des alternativen Mischtatbestands (Winkler, SbgK § 107b Rz 14; Fabrizy, StGB10 § 107b Rz 5; vgl Schwaighofer in WK2 StGB § 107a Rz 14) jedoch nicht aggravierend in Anschlag gebracht, weshalb fallbezogen auch unter dem Blickwinkel der Strafbemessung (Z 11 zweiter Fall) kein Nachteil vorliegt (14 Os 102/00; 13 Os 62/10g; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 711; vgl Ebner in WK2 StGB § 33 Rz 2; RIS-Justiz RS0114927). Nach Maßgabe dieser Klarstellung entfällt eine Bindung des Oberlandesgerichts an die fehlerhafte Subsumtion des Erstgerichts im Berufungsverfahren (RIS-Justiz RS0118870).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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