Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Pflegschaftssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Begründung
Die Mutter des im 16. Lebensjahr stehenden Minderjährigen war zunächst alleine obsorgeberechtigt, der außereheliche Vater hatte ein regelmäßiges Besuchsrecht.
Am 19. Oktober 2011 beantragte der Vater, ihm die alleinige Obsorge für den Minderjährigen zu übertragen, weil dieser seit Ende September 2011 auf eigenen Wunsch und mit Einverständnis der Mutter bei ihm wohne und auch wiederholt geäußert habe, dauerhaft bei ihm leben zu wollen. Er fühle sich bei seiner Mutter nicht mehr wohl, sie kümmere sich auch zu wenig um ihn, insbesondere unterstütze sie ihn nicht bei seinem schulischen Fortkommen.
Die Mutter sprach sich gegen die Obsorgeübertragung aus und wendete ein, die Voraussetzungen für eine Entziehung der Obsorge nach § 176 ABGB seien nicht erfüllt, weil kein Erziehungsnotstand oder Kindeswohlgefährdung vorliege. Sie sei mit der künftigen gemeinsamen Obsorge beider Elternteile und mit dem weiteren Aufenthalt des Minderjährigen beim Vater einverstanden, falls ihr Sohn dies nach mehrmonatiger Probezeit noch wünsche.
Das Erstgericht entzog der Mutter die Obsorge und übertrug sie an den Vater. Einem mündigen Kind dürfe die Obsorge durch einen bestimmten Elternteil nicht gegen seinen Willen aufgezwungen werden. Die geforderte Ernsthaftigkeit und Selbständigkeit der Willensbildung sei vom Jugendwohlfahrtsträger überprüft worden.
Das Rekursgericht bestätigte die Obsorgeübertragung an den Vater und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei. Es habe keiner Feststellung bedurft, ob das Wohl des Minderjährigen bei der Mutter gefährdet sei, weil er mehrmals eindeutig den Wunsch geäußert habe, beim Vater leben zu wollen und dies faktisch schon seit geraumer Zeit so sei. Im Verfahren hätten sich auch keinerlei Hinweise darauf ergeben, dass der Vater nicht erziehungsfähig wäre. Ebenso wenig habe der Vater gegen das Wohlverhaltensgebot des § 145b ABGB verstoßen, habe er doch immer Kontakte des Minderjährigen zu seiner Mutter zugelassen. Es erscheine gänzlich unrealistisch, einen 15‑jährigen Jugendlichen zwingen zu wollen, gegen seinen Willen wieder bei seiner Mutter einzuziehen, zumal sich überhaupt kein Hinweis darauf ergeben habe, dass sein Wohl beim Vater gefährdet wäre.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Mutter, mit dem sie die Obsorge beider Elternteile für den Minderjährigen, hilfsweise bloß die Abweisung des Antrags des Kindesvaters auf Übertragung der alleinigen Obsorge anstrebt, ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Nach der bis 31. Jänner 2013 geltenden Rechtslage (§ 1503 Abs 1 ABGB) war die Obsorge beider Eltern gegen den Willen eines Elternteils ausgeschlossen. Das Rekursgericht verwies daher zutreffend darauf, dass dem Wunsch der Mutter, die gemeinsame Obsorge anzuordnen, der eindeutig gegenteilig zum Ausdruck gebrachte Wille des Vaters (Antrag auf alleinige Obsorge) entgegegenstand.
Diese Rechtslage wurde durch das Kindschafts‑ und Namensrechts‑Änderungsgesetz 2013 (KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15), grundlegend geändert. Nunmehr hat das Gericht, sofern dies dem Wohl des Kindes entspricht, eine vorläufige Regelung der elterlichen Verantwortung zu treffen, wenn ein Elternteil die Übertragung der alleinigen Obsorge an ihn oder seine Beteiligung an der Obsorge beantragt (§ 180 Abs 1 Z 2 ABGB). Dies gilt auch für jene Fälle, in denen ein Elternteil gegen den Willen des anderen die Betrauung mit der Alleinobsorge anstrebt oder beide Elternteile jeweils allein obsorgeberechtigt sein wollen (4 Ob 32/13d).
3. Über den Revisionsrekurs ist nach der neuen Rechtslage zu entscheiden. Nach § 1503 Z 1 ABGB idF KindNamRÄG 2013 ist dieses, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit 1. Februar 2013 in Kraft. Eine besondere Regelung für die neuen Regelungen zur Obsorge und zum Kontaktrecht gibt es nicht. Die Materialien (EB zur RV, 2004 BlgNR 24. GP 34) führen dazu aus, dass „die neuen Namens‑ und kindschaftsrechtlichen Regeln mit 1. 2. 2013 angewendet werden sollen; dies gilt auch für zu diesem Zeitpunkt bereits anhängige Verfahren“. Dieser Wille des Gesetzgebers steht im Einklang mit der Rechtsprechung zu Rechtsänderungen bei Dauerrechtsverhältnissen (4 Ob 32/13d mwN).
4. Auf dieser Grundlage ist noch keine abschließende Entscheidung möglich. Auch wenn das Gesetz keine näheren Kriterien dafür aufstellt, ob eine Alleinobsorge eines Elternteils oder eine Obsorge beider Eltern anzuordnen ist, kommt es doch darauf an, ob die Alleinobsorge eines Elternteils oder die Obsorge beider Eltern dem Wohl des Kindes besser entspricht. Eine sinnvolle Ausübung der Obsorge beider Eltern setzt ein gewisses Mindestmaß an Kooperations‑ und Kommunikationsfähigkeit beider voraus. Um Entscheidungen gemeinsam im Sinn des Kindeswohls treffen zu können, ist es erforderlich, in entsprechend sachlicher Form Informationen auszutauschen und gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Daher ist von entscheidender Bedeutung, ob eine entsprechende Gesprächsbasis zwischen den Eltern vorhanden ist oder zumindest in absehbarer Zeit (wieder) hergestellt werden kann (4 Ob 32/13d mwN).
Im konkreten Fall steht zwar fest, dass der Minderjährige weiter bei seinem Vater wohnen will und in diesem Zusammenhang dessen (alleinige) Obsorge anstrebt. Die Möglichkeit der gemeinsamen Obsorge ‑ auch gegen den erklärten Willen eines Elternteils ‑ blieb bislang unberücksichtigt. Das Erstgericht wird mit den Eltern die neue Rechtslage zu erörtern und die Möglichkeiten und Voraussetzungen für eine Verbesserung der für eine gemeinsame Obsorge erforderlichen Gesprächsbasis zu prüfen haben. Ob dafür eine weitere Einvernahme der Eltern genügt, eine ergänzende Begutachtung erforderlich ist, oder Aufträge nach § 107 Abs 3 Z 2 oder 3 AußStrG zu erteilen sind, obliegt der am konkreten Kindeswohl orientierten Beurteilung der Vorinstanzen. Gleiches gilt für die Frage, ob eine Phase der vorläufigen elterlichen Verantwortung anzuordnen ist (vgl 4 Ob 32/13d). Diese Erwägungen führen zur Aufhebung in die erste Instanz.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)