OGH 10ObS71/13h

OGH10ObS71/13h28.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, zuletzt wohnhaft *****, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15‑19, wegen Kostenerstattung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Ehegatten der Klägerin A*****, vertreten durch Dr. Franz Kienesberger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 2012, GZ 7 Rs 58/12v‑22, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:010OBS00071.13H.0528.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

B e g r ü n d u n g :

Die Klägerin befand sich seit 1993 durchgehend in stationärer Pflege eines Pflegeheims und wurde zuletzt mittels einer Magensonde ernährt.

Mit ihrer am 21. 4. 2011 eingebrachten Klage beantragte sie die Feststellung, dass die beklagte Gebietskrankenkasse ihr seit 19. 7. 2010 und auch in Hinkunft die Kosten für Sondennahrung zu ersetzen habe; weiters begehrte sie den Ersatz der von ihr bereits bis zur Rechtskraft dieses Urteils bezahlten Kosten der Sondennahrung.

Während des laufenden Verfahrens verstarb die Klägerin am 4. 10. 2011.

Mit (deklarativem) Beschluss vom 25. 10. 2011 (ON 9) stellte das Erstgericht fest, dass das Verfahren wegen Todes der Klägerin seit 4. 10. 2011 unterbrochen sei.

Mit Schriftsatz vom 25. 11. 2011 beantragte der Ehegatte der Klägerin, das Verfahren „gemäß § 155 Abs 2“ (gemeint offensichtlich ZPO) wieder aufzunehmen und fortzusetzen und brachte dazu vor, dass er ‑ neben dem bisherigen Klagevertreter ‑ auch Prozessbevollmächtigter seiner verstorbenen Gattin sei. Zugleich sei er neben seinem Sohn der einzige Erbe nach seiner Gattin.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Fortsetzung des unterbrochenen Verfahrens zurück. Es stellte über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus fest, dass gemäß dem Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 7. 2. 2012, AZ 10 A 157/11h, die Verlassenschaftsabhandlung gemäß § 153 Abs 1 AußStrG mangels Aktiven der Verlassenschaft unterblieben und kein Kurator bestellt worden sei. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass auf die vorliegende Rechtsstreitigkeit § 76 ASGG zur Anwendung komme, nach dem das Verfahren durch den Tod des Klägers (der Klägerin) in jeder Lage des Verfahrens unterbrochen werde (§ 76 Abs 1 ASGG). Zur Aufnahme eines nach § 76 Abs 1 ASGG unterbrochenen Verfahrens seien nacheinander der Ehegatte, die leiblichen Kinder, die Wahlkinder, die Stiefkinder, die Eltern und die Geschwister berechtigt, alle diese Personen aber nur dann, wenn sie mit dem Kläger zur Zeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben. Letztlich seien die Verlassenschaft nach dem Versicherten bzw dessen Erben fortsetzungsberechtigt (§ 76 Abs 2 ASGG). Infolge des seit 1993 andauernden stationären Pflegeheimaufenthalts der Klägerin sei zur Zeit deren Todes die von § 76 Abs 1 ASGG vorausgesetzte häusliche Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehegatten nicht mehr vorgelegen gewesen. Dessen Fortsetzungsberechtigung sei deshalb zu verneinen. Die Fortsetzungsberechtigung des Nachlasses nach § 76 Abs 2 ASGG sei inhaltlich nicht zu prüfen gewesen, weil es an der Vertretungsbefugnis mangle.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Ehemanns der Klägerin nicht Folge. Da Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits der Umfang eines Anspruchs auf eine Versicherungsleistung sei, liege eine Sozialrechtssache nach § 65 Abs 1 Z 1 ASGG vor, auf die nicht § 155 Abs 2 ZPO, sondern § 76 ASGG zur Anwendung komme. Dieser regle die verfahrensrechtlichen Konsequenzen der im materiellen Sozialversicherungsrecht enthaltenen, von den Bestimmungen des Erbrechts abweichenden Sonderrechtsnachfolge. Ob der Versicherte im Verfahren vertreten gewesen sei, spiele deshalb keine Rolle. Da unbestritten feststehe, dass die Klägerin seit vielen Jahren in einem Pflegeheim gelebt habe, habe zwischen ihr und ihrem Ehemann keine häusliche Gemeinschaft iSd § 76 Abs 2 ASGG mehr bestanden. Eine Fortsetzungsbefugnis als Erbe der verstorbenen Klägerin werde im Rekurs nicht mehr ins Treffen geführt. Habe mangels eines Nachlassvermögens keine Verlassenschaftsabhandlung stattgefunden, wäre aber nur die hinreichend ‑ etwa durch einen Verlassenschafts-kurator ‑ vertretene Verlassenschaft fortsetzungsberechtigt, nicht aber ein präsumptiver Erbe.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der Revisionsrekurs gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG jedenfalls unzulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Beschluss des Rekursgerichts erhobene, als „außerordentlich“ bezeichnete und ausgeführte Revisionsrekurs des Ehemanns der Klägerin ist entgegen dem ‑ weder die Gerichte noch die Parteien bindenden ‑ (belehrenden) Ausspruch des Rekursgerichts nicht gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig, weil die Bestätigung der Ab‑(Zurück‑)weisung des Antrags auf Fortsetzung eines unterbrochenen Verfahrens der Klagezurückweisung iSd § 528 ZPO gleichzuhalten ist (RIS‑Justiz RS0103702 [T1, T2]; RS0105321 [T7]; Zechner in Fasching/Konecny ² § 528 ZPO Rz 98 mwN).

Der Revisionsrekurs ist jedoch mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

1. Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Meinung sind im sozialrechtlichen Verfahren zufolge des § 76 ASGG nicht die allgemeinen Verfahrensbestimmungen über die Unterbrechung des Verfahrens durch den Tod einer unvertretenen Partei und die Fortsetzungsberechtigung der Rechtsnachfolger gemäß den §§ 155 f ZPO anzuwenden, sondern wird das Verfahren durch den Tod des Klägers in jeder Lage des Verfahrens zwingend kraft Gesetzes unterbrochen. Die Unterbrechung erfolgt also auch dann, wenn die verstorbene Partei durch einen Rechtsanwalt oder eine andere von ihm mit Prozessvollmacht ausgestattete Person vertreten war (RIS‑Justiz RS0116063; Gitschthaler in Rechberger , ZPO 3 Vor § 155 Rz 5).

2. Es entspricht auch der herrschenden Meinung, dass eine zur Zeit des Todes des Klägers (der Klägerin) gegebene häusliche Gemeinschaft iSd § 76 Abs 2 ASGG bei vorübergehender Abwesenheit (Urlaub, Krankenhaus oder Kuraufenthalt) weiter anzunehmen ist, nicht aber bei dauernder Unterbringung in einem Seniorenheim ( Neumayr in ZellKomm² § 76 ASGG Rz 5; Kuderna , ASGG² 495).

2.1. § 76 ASGG folgt dem die Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens vor dem Versicherungsträger durch nahe Angehörige regelnden § 408 ASVG (ErläutRV 7 BlgNR 16. GP 55) und wird auch als „Parallelnorm“ zu § 408 ASVG für das sozialgerichtliche Verfahren bezeichnet ( Neumayr in SV‑Komm § 408 ASVG Rz 5). Es kann daher auf die zu § 408 ASVG ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Nach dieser liegt eine häusliche Gemeinschaft mit dem Versicherten dann vor, wenn eine wirtschaftliche und finanzielle Interessengemeinschaft mit dem Ziel besteht, die Kosten der Lebenshaltung durch Zusammenwirtschaften zu vermindern (SchG Wien 7 C 5444/54, SVSlg 4133). Ein gewisses Maß an Zusammenwohnen ist notwendig, sodass eine bloß gemeinsame Einnahme der Mahlzeiten (OLG Wien 35 R 88/83, SSV 23/64) oder die Mitfinanzierung des Haushalts nicht ausreicht ( Neumayr in SV‑Komm § 408 ASVG Rz 12) . Dass ‑ wie der Revisionsrekurswerber vorbringt ‑ der Aufenthalt seiner Frau im Pflegeheim nur krankheitshalber erzwungen gewesen sei und er sich um sie auch während dieses Aufenthalts jahrelang, beinahe täglich gekümmert habe, kann der von § 76 Abs 2 ASGG vorausgesetzten häuslichen Gemeinschaft demnach nicht gleichgesetzt werden.

3. Nach den Gesetzesmaterialien zu § 408 ASVG in der Stammfassung des ASVG (599 BlgNR 7. GP 117 f) liegt dem Umstand, dass in § 408 ASVG auf jene nahen Angehörigen abgestellt wird, die zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten mit diesem in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, die Annahme des Gesetzgebers zu Grunde, dass jener Leistungsanspruch, der beim Tod des Anspruchswerbers noch nicht zuerkannt war, in den gemeinsamen Haushalt eingeflossen wäre und mittelbar daher auch den Angehörigen zugute gekommen wäre, insbesondere wenn diese Personen mittlerweile den Unterhalt des Anspruchswerbers bestritten haben. Sie sollen daher berechtigt sein, das Verfahren fortzusetzen, um zur Deckung der von ihnen möglicherweise getätigten Aufwendungen zu gelangen (10 ObS 163/87; Neumayr in SV‑Komm § 408 ASVG Rz 4). Bei § 408 ASVG und der Parallelbestimmung des § 76 Abs 2 ASGG handelt es sich nach dem Willen des Gesetzgebers somit um ‑ den besonderen Belangen des Sozialversicherungsrechts Rechnung tragende ‑ Schutzbestimmungen für diejenigen mit dem Versicherten in Hausgemeinschaft lebenden Verwandten, die sich zur Zeit dessen Todes um ihn gekümmert und möglicherweise Auslagen für ihn getragen haben. Dass die Berechtigung zur Fortführung des Verfahrens abweichend von der ZPO geregelt ist, stellt demnach keine unsachliche Differenzierung dar und begründet keine Gleichheitswidrigkeit. Der erkennende Senat sieht sich deshalb zu der vom Revisionsrekurswerber angeregten Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens zu § 76 ASGG beim Verfassungsgerichtshof nicht veranlasst.

Mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO ist der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

Einer Berichtigung des Beschlusses des Rekursgerichts durch den Nachtrag eines Zulässigkeitsausspruchs iSd § 528 Abs 1 ZPO bedurfte es nicht, weil der Revisionsrekurs ohnedies als außerordentliches Rechtsmittel ausgeführt wurde (RIS‑Justiz RS0042424 [T2]).

Die Zuständigkeit des Dreiersenats gründet sich auf § 11a Abs 3 Z 2 ASGG.

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