OGH 13Os25/13w

OGH13Os25/13w16.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Mai 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wancata als Schriftführer in der Strafsache gegen Zsolt K***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Zsolt K*****, Alexander V*****, Gabriel V***** und Zoltan V***** gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 21. Jänner 2013, GZ 24 Hv 60/12x-200, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Sämtlichen Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden relevant, wurden mit dem angefochtenen Urteil Zsolt K*****, Alexander V*****, Gabriel V***** und Zoltan V***** jeweils des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach haben sie gemeinsam am 9. Juni 2012 in Linz Günther S***** dadurch, dass Zoltan V***** ihn zu Boden stieß und jeder der vier Angeklagten dem am Boden liegenden Opfer jeweils mehrere Fußtritte, insbesondere gegen den Kopf (Schädel- und Gesichtsregion) versetzte, wodurch Günther S***** im Ersturteil näher bezeichnete multiple Hirnblutungen und andere Verletzungen erlitt, eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zugefügt, wobei die Tat am 15. Juni 2012 dessen Tod zur Folge hatte.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die sie betreffenden Schuldsprüche ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten gehen fehl.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Zsolt K***** (§ 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a und 10 StPO):

Entgegen dem Einwand von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) waren die Tatrichter dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend nicht verhalten, das molekularbiologische Sachverständigengutachten (ON 82/II) zum fehlenden Nachweis des DNA-Profils des Opfers auf den Schuhen des Angeklagten explizit zu erörtern. Denn mangels empirischen Erfahrungssatzes, dass bei Fußtritten gegen den Körper eines anderen stets biologische Spuren mit einem für eine Auswertung qualitativ hinreichenden DNA-Profil auf den Schuhen des Täters vorhanden sind, ist dieses Verfahrensergebnis (das demnach weder für noch gegen eine Täterschaft des Beschwerdeführers spricht) für die Feststellung über Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache nicht von Bedeutung und damit kein erheblicher Umstand (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 409).

Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) wird durch einen Vergleich von (Beweisergebnisse nicht zitierenden) Urteilsfeststellungen mit Verfahrensergebnissen nicht aufgezeigt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 467 f).

Weiterer Kritik (der Sache nach Z 5 vierter Fall, nominell teils Z 5 fünfter Fall) zuwider haben die Tatrichter mängelfrei dargelegt, weshalb sie den Nichtigkeitswerber entlastenden Angaben des Kevin So***** nicht gefolgt sind (US 7), und haben ebenso logisch und empirisch einwandfrei die festgestellte, auf die Zufügung einer schweren Körperverletzung gerichtete Absicht des Angeklagten aus dem objektiven Geschehen gleichzeitiger, massiver und über eine erhebliche Zeitspanne öfters wiederholter Fußtritte von vier Angreifern insbesondere gegen die Gesichtsregion des bereits am Boden liegenden Opfers abgeleitet (US 11).

Widersprüche in den Angaben der (Tat-)Zeugin Daniela P***** bezüglich (im dargelegten Sinn) erheblicher Umstände hat der Schöffensenat mängelfrei und im Sinn des § 270 Abs 2 Z 5 StPO zureichend erörtert (US 6 f), wohingegen - dem Beschwerdestandpunkt (Z 5 zweiter Fall) zuwider - Divergenzen von Aussagen dieser Zeugin zur Bekleidung des Nichtigkeitswerbers am Tattag gegenüber der in einem Amtsvermerk der Polizei festgehaltenen Beschreibung (ON 37) unerheblich und solcherart nicht gesondert erörterungsbedürftig waren.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit eigenständiger beweiswürdigender Kritik an den im Übrigen nicht in ihrer Gesamtheit in den Blick genommenen Begründungserwägungen des Erstgerichts auf der Aktengrundlage keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen zur Täterschaft des Beschwerdeführers hervorzurufen.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) unterlässt mangels methodengerechter Ableitung aus dem Gesetz (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588), weshalb es ungeachtet des von § 87 Abs 1 StGB verlangten Vorsatzerfordernisses der Absicht (§ 5 Abs 2 StGB) auch noch expliziter Feststellungen „hinsichtlich der Wissenskomponente“ bedurft hätte (vgl im Übrigen RIS-Justiz RS0089297, RS0088886 [T1]; Kienapfel/Höpfel/Kert, AT14 Z 11 Rz 5), die Ausrichtung am Verfahrensrecht. Soweit die festgestellte, auf die Zufügung einer schweren Körperverletzung gerichtete Täterabsicht (US 5) bestritten wird, verfehlt die Rüge den im konstatierten Sachverhalt gelegenen Bezugspunkt (RIS-Justiz RS0099810).

Gleiches gilt für die eine Unterstellung der Tat nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB fordernde Subsumtionsrüge (Z 10).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Alexander V***** (§ 281 Abs 1 Z 5, 5a und 10 StPO):

Soweit die Rüge einen „für eine mögliche Anwendung des § 287 StGB“ maßgeblichen Feststellungsmangel „zum Grad der Alkoholisierung“ des Nichtigkeitswerbers behauptet (nominell Z 5, der Sache nach Z 10), verfehlt sie mangels Hinweises auf ein entsprechendes Sachverhaltssubstrat in der Hauptverhandlung die prozessordnungskonforme Ausführung (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 600; RIS-Justiz RS0118580 [T15]).

Die Tatsachenrüge (Z 5a) erweckt mit eigenständigen Schlussfolgerungen aus nicht an der Gesamtheit der beweiswürdigenden Erwägungen des Erstgerichts gemessenen Verfahrensergebnissen (dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 487) keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zu Grunde liegenden entscheidenden Tatsachen.

Die Subsumtionsrüge (Z 10), die eine Unterstellung der Tat nach § 91 Abs 2 StGB fordert, macht nicht klar (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 588), welche weiteren Feststellungen über die konstatierte, auf die Zufügung einer schweren Körperverletzung gerichtete Täterabsicht hinaus zur - solcherart bloß vermeintlich rechtsirrig angenommenen - Verwirklichung des § 87 Abs 1 StGB in subjektiver Hinsicht erforderlich gewesen sein sollten.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Gabriel V***** (§ 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO):

Gesetzmäßiges Ausführen einer Mängelrüge (Z 5) erfordert, an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß zu nehmen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394). Dem wird die jeweils isoliert auf die Begründungserwägungen zu Depositionen der Zeugen Kevin So***** und Abidaal Sheikh H***** gestützte Rüge offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zur Täterschaft des Nichtigkeitswerbers nicht gerecht. Demgegenüber haben die Tatrichter bei der gebotenen Gesamtsicht der Entscheidungsgründe die in Rede stehende Feststellung aus den Angaben der beiden genannten Zeugen im Zusammenhalt mit jenen der Daniela P***** logisch und empirisch einwandfrei abgeleitet (US 6 ff).

Die auf andere als jene im Urteil zitierten Depositionen der Zeugen P***** und So***** gestützten Beschwerdeeinwände von Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) versagen, weil die im Urteil bezeichneten Aussagen (P*****: ON 185 S 4 [US 6] und So*****: ON 185 S 15 [US 7]) jeweils richtig wiedergegeben wurden. Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mit Beziehung auf die in der Rüge relevierten Angaben der Zeugin P***** (ON 185 S 11) wird nicht geltend gemacht, womit hier nur der Vollständigkeit halber anzumerken ist, dass sich die Tatrichter mit Widersprüchen in den Angaben der genannten Zeugin auseinandergesetzt und die im Urteil erörterte Belastung des Nichtigkeitswerbers in der Hauptverhandlung durch entsprechend dezidierte Angaben im Ermittlungsverfahren bestätigt gefunden haben (US 6 f). Zu den in der Beschwerde bezeichneten Angaben des Zeugen So***** (ON 185 S 22) bleibt festzuhalten, dass der Zeuge - entgegen beweiswürdigenden Erwägungen des Nichtigkeitswerbers - ausdrücklich klargestellt hat, dass er diesen als einen der vom Tatort Flüchtenden identifizierte (ON 185 S 15).

Der Einwand eines aktenwidrigen Zitats der Aussage des Zeugen Mirzet Se*****, wonach (auch) der Nichtigkeitswerber „dabei war“ (US 10 f), beruht auf der Spekulation, das Erstgericht habe dies auf den inkriminierten Tatangriff bezogen. Nach dem maßgeblichen Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe, nämlich im Zusammenhalt mit der Feststellung einer kurz vor dem inkriminierten Tatangriff geübten Attacke (auch) gegen den genannten Zeugen (US 4), ergibt sich hingegen eindeutig, dass sich die bezeichnete Aussage aus der - aktenkonformen (vgl ON 185 S 24) - Sicht der Tatrichter auf diese Attacke bezog.

Die prozessordnungsgemäße Geltendmachung eines Feststellungsmangels erfordert die auf Basis des Urteilssachverhalts vorzunehmende Argumentation, dass sich aus einem nicht durch Feststellungen geklärten, aber durch in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweise indizierten Sachverhalt eine vom Erstgericht nicht gezogene rechtliche Konsequenz ergebe, weil das Gericht ein Tatbestandsmerkmal, einen Ausnahmesatz oder eine andere rechtliche Unterstellung bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat (RIS-Justiz RS0118580 [T15]).

Diesen Anforderungen wird die einen Feststellungsmangel zu einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Alkoholrausch des Nichtigkeitswerbers mit dem Ziel einer Unterstellung der Tat nach § 287 Abs 1 StGB reklamierende Subsumtionsrüge (Z 10) nicht gerecht. Denn die relevierte Aussage des Zeugen So*****, wonach die Angeklagten „schon gescheit bedient waren“, indiziert keineswegs ohne weiteres einen Vollrausch. Solcherart spricht die Rüge kein relevantes Beweisergebnis an und vernachlässigt überdies die vom genannten Zeugen geschilderte - einen Vollrausch psycho-physisch gerade nicht nahelegende - Fähigkeit des Nichtigkeitswerbers zur raschen Flucht (ON 185 S 15; siehe auch die Ausführungen des gerichtsmedizinischen Sachverständigen ON 185 S 35). Mit dem isolierten Hinweis auf Wahrnehmungen des Zeugen Se***** zum Alkoholisierungsgrad des Angeklagten wird hinwieder die von diesem Zeugen geschilderte Fähigkeit zu einem - auch strukturiert-verbal unterstützten - tätlichen Angriff gegen ihn (ON 185 S 25) übergangen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Zoltan V***** (§ 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO):

Der auf die Begründungspassage, wonach „die drei V*****s offensichtlich immer gemeinsam aufgetreten sind“ (US 7), bezogene Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) verfehlt die gebotene Orientierung an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe, weil damit die unmittelbar nachfolgende Erwägung zur Aussage des Zeugen So***** zum gemeinsamen Auftreten der Genannten außer Acht gelassen wird (vgl im Übrigen auch US 10 f zur Aussage des Zeugen Se*****).

Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) wird mit Beziehung auf die kein Zitat enthaltende Würdigung des Gutachtens des gerichtsmedizinischen Sachverständigen als „klar und deutlich sowie in sich widerspruchslos“ (US 11) nicht geltend gemacht (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 467 f). Der Kritik betreffend einen vermeintlichen Widerspruch in den Ausführungen des Sachverständigen zur Frage der Herbeiführung einer erhöhten Blutungsneigung durch die Verabreichung blutverdünnender Mittel an das Tatopfer ist daher nur der Vollständigkeit halber zu erwidern, dass dem Experten zufolge die blutverdünnende Medikation „sicherlich nicht todesursächlich oder beitragend im Verlauf“ und die „erhöhte Blutungsneigung nicht ausschlaggebend“ für den Tod des Opfers war (ON 185 S 32 f; vgl im Übrigen zu Mitkausalität von Drittursachen Burgstaller, WK-StGB § 80 Rz 68, Fabrizy, StGB10 Einführung Rz 49, Fuchs, AT8 13/4 jeweils zur Äquivalenztheorie).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) bezieht sich schließlich mit der Kritik, es fehle an Feststellungen zu einem auf die Ausnützung der Wehr- und Hilflosigkeit des Opfers (§ 33 Abs 1 Z 7 StGB) gerichteten Vorsatz des Angeklagten, nicht auf für den Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) entscheidende Tatsachen und orientiert sich solcherart nicht am Verfahrensrecht.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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