OGH 12Os22/13x

OGH12Os22/13x16.5.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Mai 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Müller als Schriftführerin in der Strafsache gegen Paul G***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 20. November 2012, GZ 152 Hv 147/12w-45, sowie über die Beschwerde gegen den zugleich gefassten Beschluss nach §§ 50, 52 StGB nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur Generalanwältin Dr. Brenner, des Angeklagten Paul G*****, seiner Verteidigerin Mag. Scheed und seines gesetzlichen Vertreters Fabzi G***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in dem Paul G***** betreffenden Strafausspruch einschließlich des erfolgten nachträglichen Ausspruchs der Strafe und demzufolge auch in der die Bewährungshilfe nach §§ 50, 52 StGB anordnenden Entscheidung aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

Paul G***** wird für das Verbrechen des schweren gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB nach dem zweiten Strafsatz des § 130 StGB unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt.

Der Vollzug der verhängten Freiheitsstrafe wird unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das in Ansehung des Erstangeklagten Paul G***** auch rechtskräftige Freisprüche enthält und hinsichtlich des Zweitangeklagten Eryk M***** in Rechtskraft erwachsen ist, wurde Paul G***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB schuldig erkannt und unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG unter Einbeziehung des Schuldspruchs des Urteils des Bezirksgerichts Donaustadt vom 24. August 2012, GZ 18 U 86/12p-8, nach § 15 Abs 1 JGG zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt. Der Vollzug der Strafe wurde für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen und gemäß §§ 50, 52 StGB für den Angeklagten - entgegen § 494 Abs 1 StPO im Urteilsspruch - Bewährungshilfe angeordnet.

Danach haben, verkürzt wiedergegeben, Paul G***** und Eryk M***** in Wiener Schulen und in einer Eishalle teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (A./), teils Paul G***** alleine (B./), von September 2011 bis April 2012 gewerbsmäßig in einer Vielzahl von Angriffen im Urteilsspruch im Einzelnen angeführten Personen fremde bewegliche Sachen in einem insgesamt 3.000 Euro übersteigenden Wert, teilweise durch Einbruch, nämlich unter Verwendung eines widerrechtlich erlangten Schlüssels zu Garderoben von Schülern und Lehrern sowie zu Umkleideräumen von Servicekräften mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Ausschließlich gegen den Paul G***** betreffenden, unter Einbeziehung des Schuldspruchs des Urteils des Bezirksgerichts Donaustadt vom 24. August 2012, GZ 18 U 86/12p-8, nach § 15 Abs 1 JGG erfolgten Strafausspruch richtet sich die von der Staatsanwaltschaft aus § 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO zugunsten des Erstangeklagten erhobene Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) zutreffend ausführt, hätte die gemäß § 494a Abs 1 Z 3 StPO - entgegen dem ausdrücklichen Gebot des § 494a Abs 3 erster Satz StPO ohne Anhörung des Paul G***** - erfolgte Einbeziehung des Schuldspruchs des Urteils des Bezirksgerichts Donaustadt gemäß § 16 Abs 1 JGG eines darauf abzielenden Antrags der öffentlichen Anklägerin bedurft. Da ein solcher aber - wie auch das Erstgericht in den Urteilsgründen einräumt (US 13) - nicht gestellt wurde, überschritt das Jugendschöffengericht durch den auf §§ 15, 16 JGG gestützten nachträglichen Strafausspruch seine Strafbefugnis (RIS-Justiz RS0112915).

Die Staatsanwaltschaft zeigt weiters zu Recht auf, dass Voraussetzung für den nachträglichen Strafausspruch nach § 15 Abs 1 JGG die Verurteilung wegen einer während der nach § 13 Abs 1 JGG bestimmten Probezeit begangenen Straftat ist, weil die Appellfunktion des Schuldspruchs unter Vorbehalt der Strafe erst einsetzt, wenn eine solche Probezeit rechtswirksam bestimmt wurde (RIS-Justiz RS0088791; Schroll in WK2 JGG § 15 Rz 1). Fallbezogen wurden die zur Straffestsetzung im Verfahren AZ 152 Hv 147/12w des Landesgerichts für Strafsachen Wien führenden Diebstähle von Paul G***** nicht während der vom Bezirksgericht Donaustadt mit Urteil vom 24. August 2012 nach § 13 Abs 1 JGG festgesetzten Probezeit, sondern bereits zuvor, nämlich zwischen September 2011 und 26. April 2012 verübt, sodass eine nachträgliche Straffestsetzung nach § 15 Abs 1 JGG aus diesem Grund von vorherein nicht in Betracht kam.

Bei der durch die Aufhebung des Strafausspruchs erforderlichen - nach dem zweiten Strafsatz des § 130 StGB iVm § 5 Z 4 JGG innerhalb eines Rahmens bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorzunehmenden - Neubemessung der Strafe war bei dem im Tatzeitraum teilweise noch 14-jährigen Paul G***** die Vielzahl der Angriffe als erschwerend, die weitgehende Schadensgutmachung und das reumütige Geständnis als mildernd zu werten. Die nunmehr verhängte Sanktion von zwölf Monaten Freiheitsstrafe entspricht dem Unrechtsgehalt der Taten und der Schuld des Angeklagten.

In Anbetracht der Strafdrohung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe und mangels zusätzlicher unrechts- oder schuldmindernder Umstände (vgl Schroll in WK2 JGG § 7 Rz 15) ist die Schuld des Angeklagten Paul G***** bereits als schwer anzusehen, sodass ein diversionelles Vorgehen nach § 7 JGG nicht in Betracht kam.

Ein Vorgehen nach § 12 Abs 1 JGG scheitert daran, dass angesichts der angesprochenen Strafdrohung und der großen Zahl der Tathandlungen nicht von der Verhängung einer geringen - dh für Bagatelldelikte typischen (vgl Schroll in WK2 JGG § 12 Rz 4) - Strafe auszugehen ist.

Die - aus der Vielzahl der diesbezüglichen Zugriffe abzuleitende - geringe Hemmschwelle, sich fremden Eigentums zu bemächtigen, steht schließlich der Anwendung des § 13 Abs 1 JGG entgegen, war doch darob nicht anzunehmen, dass ein Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe allein oder in Verbindung mit weiteren Maßnahmen spezialpräventiven Erfordernissen gerecht wird.

Da über den schuldeinsichtigen, in geordneten sozialen Verhältnissen aufwachsenden und nunmehr eine Berufsausbildung absolvierenden Angeklagten erstmals eine Freiheitsstrafe verhängt wurde, war aber - wie schon im Ersturteil dargestellt - davon auszugehen, dass die bloße Androhung der Vollziehung ausreicht, um ihn von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Die Freiheitsstrafe war daher unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachzusehen.

Die - rechtsfehlerhaft im Urteilsspruch erfolgte - Anordnung von Bewährungshilfe war in Zusammenhang mit der Kassation des Strafausspruchs aufzuheben. Diese wird gegebenenfalls durch das Erstgericht in Beschlussform neu vorzunehmen sein (vgl Schroll in WK² § 50 Rz 16).

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