OGH 1Ob57/13h

OGH1Ob57/13h11.4.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Roland Kometer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Land Tirol, Innsbruck, Wilhelm‑Greil‑Straße 17, vertreten durch Dr. Klaus Riedmüller, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 6.198,88 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 5.339,33 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 30. Jänner 2013, GZ 4 R 234/12m‑15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 25. Oktober 2012, GZ 66 Cg 39/12f‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0010OB00057.13H.0411.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,96 EUR (darin 74,64 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrte aus dem Titel der Amtshaftung den Ersatz von Kosten, die ihm durch seine rechtsfreundliche Vertretung in mehreren Verwaltungsstrafverfahren erwachsen seien. Sämtlichen Berufungen gegen die Straferkenntnisse der Bezirkshauptmannschaft sei nach mündlicher Berufungsverhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Tirol Folge gegeben worden. Die Verfahren seien eingestellt worden, weil entweder keine objektiven Beweismittel vorgelegen seien oder die Straferkenntnisse dem Konkretisierungsgebot nicht entsprochen hätten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von 859,55 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Im Anlassverfahren habe die Erstbehörde gegen die Verbindungspflicht nach § 58a AVG verstoßen und über alle Vorfälle in Einzelbescheiden entschieden. Schon deshalb sei die Beklagte dem Kläger zum Ersatz von Kosten für dessen Vertretung verpflichtet. In drei Fällen seien die Verfahren durch den Unabhängigen Verwaltungssenat jedoch im Zweifel eingestellt worden, weil dem Kläger ein strafbares Verhalten nicht mit der notwendigen Sicherheit nachgewiesen werden habe können. Diese Verfahrenseinstellungen seien aufgrund einer abweichenden Beweiswürdigung durch die Berufungsinstanz erfolgt, was keine Amtshaftungsansprüche auslöse.

Bei der Berechnung der dem Kläger zu ersetzenden Kosten für dessen Vertretung in den übrigen Verfahren legte das Erstgericht § 13 Abs 2 AHK und damit eine Bemessungsgrundlage von 1.450 EUR zugrunde. Daraus errechne sich ein berechtigter Anspruch des Klägers von insgesamt 3.087,36 EUR, worauf die Beklagte bereits 2.227,81 EUR geleistet habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, wobei es ebenfalls die Anwendbarkeit des § 13 Abs 2 AHK bejahte. Die AHK (vormals AHR) stellten ein kodifiziertes Sachverständigengutachten der österreichischen Rechtsanwaltskammern für jene anwaltlichen Leistungen dar, die im Rechtsanwaltstarifgesetz (RATG) nicht geregelt seien. Die reduzierte Bemessungsgrundlage von 1.450 EUR nach § 13 Abs 2 AHK komme zur Anwendung, wenn eine Verwaltungsübertretung nur mit einer Geldstrafe bis zu 730 EUR bedroht sei. Da Verwaltungsstrafvorschriften nur ganz ausnahmsweise die Unzulässigkeit einer Ersatzfreiheitsstrafe vorsähen, sei § 13 Abs 2 AHK so zu lesen, dass diese Regelung auf Verwaltungsstraftatbestände anzuwenden sei, die nur mit einer geringen Strafdrohung, nämlich einer Geldstrafe bis zu 730 EUR und für den Fall ihrer Uneinbringlichkeit einer Ersatzfreiheitsstrafe bedroht seien.

Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil zur Frage, in welchen Fällen § 13 Abs 2 AHK zur Anwendung gelange, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die ordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass auch seinem restlichen Klagebegehren stattgegeben werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Nach § 37 Abs 1 Z 4 RAO (idF BRÄG 2006 BGBl I 164/2005) ist der Österreichische Rechtsanwaltskammertag befugt, Richtlinien zu den Kriterien für die Ermittlung des angemessenen Honorars zu erlassen. Die Anwendbarkeit der von der Vertreterversammlung des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages beschlossenen „Allgemeinen Honorar‑Kriterien“ (AHK) zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage für die dem Kläger im Wege der Amtshaftung zu ersetzenden Kosten ist im Revisionsverfahren nicht strittig. Damit bedarf es aus Anlass des vorliegenden Rechtsmittels keiner Erörterung der Rechtsnatur und Geltung der AHK (zur Vorgängerregelung der Autonomen Honorarrichtlinien [AHR] vgl 7 Ob 201/07w = JBl 2008, 256 = EvBl 2008/9, 64).

2. Zu der vom Berufungsgericht als erheblich erachteten Rechtsfrage beschränken sich die Ausführungen des Revisionswerbers im Ergebnis darauf, dass § 13 Abs 2 AHK nicht zur Anwendung gelange, weil der auf ihn angewendete § 99 Abs 3 StVO nicht nur eine Geldstrafe, sondern auch eine Ersatzfreiheitsstrafe androhe. Sein Ersatzanspruch errechne sich daher nach § 13 Abs 1 lit a der AHK.

3.1 Die in den AHK enthaltenen Kriterien dienen nach ihrem § 2 im Interesse der Rechtspflege insbesondere zum Schutz der Auftraggeber zur Beurteilung der Angemessenheit des Honorars eines Rechtsanwalts. Für Leistungen eines Rechtsanwalts in einem Verwaltungsstrafverfahren gilt § 13 AHK. Absatz 1 dieser Bestimmung verweist unter lit a für Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen, die mit einer Geldstrafe bis zu 2.180 EUR bedroht sind, auf die sinngemäße Anwendung des § 9 Abs 1 Z 1 AHK und enthält in lit b für Strafdrohungen von 2.180 EUR bis 4.360 EUR einen Verweis auf § 9 Abs 1 Z 2. Für Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen, die mit einer Geldstrafe von mehr als 4.360 EUR oder mit Haft bedroht sind, gilt nach Abs 1 lit c § 9 Abs 1 Z 3 AHK sinngemäß. In den Fällen des § 13 Abs 1 AHK richtet sich die angemessene Entlohnung somit danach, welche Honorarsätze gemäß § 9 AHK in „offiziosen Strafsachen“ angemessen sind.

3.2 Für geringe Geldstrafen sieht dagegen § 13 Abs 2 AHK eine Sonderregelung vor. Danach ist es in Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen, die nur mit Geldstrafe bis zu 730 EUR bedroht sind, angemessen, die Leistung eines Rechtsanwalts unter Zugrundelegung einer Bemessungsgrundlage von 1.450 EUR nach den Bestimmungen des RATG zu entlohnen. Sind mehrere Verwaltungsstrafsachen Gegenstand eines gemeinsamen Verfahrens, so ist für die Honorarberechnung die höchste der einzeln angedrohten Strafen maßgebend.

4.1 Die konkrete Strafart und der Strafsatz für eine Verwaltungsübertretung richten sich gemäß § 10 Abs 1 VStG nach den Verwaltungsvorschriften. Das VStG enthält demgegenüber allgemeine Regelungen über Freiheitsstrafen (primäre Freiheitsstrafe und Ersatzfreiheitsstrafe) sowie Geldstrafen und deren Bemessung. Die Ersatzfreiheitsstrafe unterscheidet sich von der primären Freiheitsstrafe dadurch, dass sie bloß für den Fall der Uneinbringlichkeit einer Geldstrafe zu verhängen ist. Sie hat lediglich Ersatzfunktion ( Hengstschläger , Verwaltungsverfahrensrecht 4 , Rz 737), und ist damit im Gegensatz zur primären Freiheitsstrafe im Sinne des § 11 VStG keine eigenständige Strafe, sondern ein prozessuales Sicherungsinstrument ( N. Raschauer/W. Wessely , Der allgemeine Teil des Verwaltungsstrafrechts, JAP 2005/2006, 23). Ihr Vollzug setzt gemäß § 54b Abs 2 VStG die Uneinbringlichkeit der Geldstrafe oder deren begründete Annahme voraus.

4.2 Nach dem System des Verwaltungsstrafrechts ist zugleich mit der Verhängung einer Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe festzusetzen. Das gilt gemäß § 16 Abs 1 VStG grundsätzlich auch dann, wenn in den Verwaltungsgesetzen eine Erstzfreiheitsstrafe nicht ausdrücklich angeordnet ist. Sofern die Verwaltungsvorschriften nichts Gegenteiliges bestimmen, gibt es im Verwaltungsstrafrecht daher keine Geldstrafe ohne gleichzeitige Festsetzung einer Ersatzfreiheitsstrafe ( Thienel , Ablehnung von Beschwerden durch den VwGH ‑ einige Probleme, ZVR 1993, 257 ff; Thienel/Schulev-Steindl , Verwaltungsverfahrensrecht 3 , 432). In den Verwaltungsvorschriften ist die Festsetzung einer Ersatzfreiheitsstrafe nur ausnahmsweise ausgeschlossen (siehe die Beispiele bei Sander in N. Raschauer/W. Wessely , Kommentar zum Verwaltungsstrafgesetz, § 16 Rz 2).

5.1 Dem Kläger wurde in den von der Bezirkshauptmannschaft erlassenen Straferkenntnissen die Übertretung des § 82 Abs 1 StVO angelastet, weil er eine Straße ohne Bewilligung zu verkehrsfremden Zwecken benützt habe. Danach habe er eine Verwaltungsübertretung gemäß § 93 Abs 3 lit d leg cit begangen, die mit einer Geldstrafe bis zu 730 EUR, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest bis zu zwei Wochen, zu bestrafen ist.

5.2 Richtig ist, dass in § 13 Abs 2 AHK, so wie auch in den Fällen des Absatz 1 dieser Bestimmung, die Ersatzfreiheitsstrafe nicht erwähnt wird. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Ersatzfreiheitsstrafe im Kontext des Art 13 AHK ist im Hinblick auf § 16 Abs 1 VStG auch nicht erforderlich. Dass es sich dabei nicht etwa um ein Redaktionsversehen handelt, zeigt der Umstand, dass § 13 Abs 1 lit c AHK die Haft ausdrücklich als eigenständigen Anknüpfungspunkt für die Ermittlung der Bemessungsgrundlage nennt und damit deutlich macht, dass es für die Angemessenheit der Honorierung von Leistungen eines Rechtsanwalts, die unter § 13 Abs 1 oder 2 AHK fallen, nur auf die Höhe der angedrohten Geldstrafe oder die Androhung einer primären Strafhaft ankommen soll.

5.3 Wollte man der Argumentation des Klägers folgen, bliebe § 13 Abs 2 AHK nur in dem seltenen Fall anwendbar, dass eine Geldstrafe von nicht mehr als 750 EUR angedroht ist und die Verwaltungsvorschrift die Verhängung der Ersatzfreiheitsstrafe ausdrücklich ausschließt. Damit hätte diese Bestimmung nahezu keinen Anwendungsbereich. Man kann dem Rechtsanwaltskammertag aber nicht unterstellen, dass er mit § 13 Abs 2 AHK eine weitgehend bedeutungslose Bestimmung schaffen wollte. Die Verwendung des Wortes „nur“ in Abs 2 bedeutet daher nicht, dass diese Bestimmung schon dann nicht anzuwenden wäre, wenn neben einer 730 EUR nicht übersteigenden Geldstrafe auch eine Ersatzfreiheitsstrafe angeordnet wird. Die Wendung „nur mit einer Geldstrafe bis zu 730 EUR bedroht“ in § 13 Abs 2 AHK betont vielmehr die Geringfügigkeit der Strafdrohung im Vergleich zu dem in § 13 Abs 1 lit a angeführten Betrag von 2.180 EUR.

5.4 Zusammengefasst kann daher festgehalten werden, dass der Begriff „nur mit einer Geldstrafe“ in § 13 Abs 2 AHK die Fälle der nahezu ausnahmslos gemäß § 16 VStG bei Verhängung einer Geldstrafe festzusetzenden Ersatzfreiheitsstrafe einschließt. Im Anwendungsbereich der AHK sind die Leistungen eines Rechtsanwalts in Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretungen, die mit einer Geldstrafe bis zu 750 EUR bedroht sind, daher gemäß § 13 Abs 2 AHK auf einer Bemessungsgrundlage von 1.450 EUR nach den Bestimmungen des RATG zu entlohnen, unabhängig davon, ob für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe auch eine Ersatzfreiheitsstrafe angedroht ist.

6.1 Auch sonst ist die Revision des Klägers nicht berechtigt.

6.2 Losgelöst davon, ob man mit dem Berufungsgericht die Ausführungen des Erstgerichts im Rahmen der rechtlichen Beurteilung, wonach der unabhängige Verwaltungssenat drei Verfahren lediglich im Zweifel eingestellt habe, als Feststellungen betrachtet, an die der Oberste Gerichtshof, der Rechts- und nicht Tatsacheninstanz ist, gebunden wäre (vgl RIS-Justiz RS0108449; RS0123663 ua), oder darin, wie der Revisionswerber meint, eine rechtliche Beurteilung erblickt, sind mit den damit im Zusammenhang stehende Revisionsausführungen Fragen der Beweiswürdigung der Tatsacheninstanz im Verwaltungsverfahren angesprochen. Das räumt auch der Revisionswerber ein, wie sein Hinweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur freien Beweiswürdigung verdeutlicht. Aus der unrichtigen Beweiswürdigung einer Tatsacheninstanz kann mangels rechtswidrigen Organverhaltens ein Ersatzanspruch nach dem AHG aber grundsätzlich nicht abgeleitet werden (1 Ob 181/03d = SZ 2004/74; 1 Ob 20/02a mwN). Nur ein willkürliches Organverhalten könnte in diesem Zusammenhang zur Haftungsbegründung führen (vgl 1 Ob 20/02a). Willkür spricht der Kläger mit seinem Hinweis, die Erstbehörde hätte kein mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt und keine rechtmäßig erstellte Sachverhaltsgrundlage hergestellt, aber auch in seiner Revision nicht an.

Der Revision ist damit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 Abs 1 iVm § 50 Abs 1 ZPO.

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