OGH 3Ob240/12h

OGH3Ob240/12h20.2.2013

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen M*****, vertreten durch den Vater E*****, dieser vertreten durch Rechtsanwälte Birnbaum ‑ Toperczer ‑ Pfannhauser in Wien, wegen vorläufiger Entziehung der Obsorge, über den Revisionsrekurs der Mutter U*****, vertreten durch Mag. Marina Breitenecker, Dr. Christine Kolbisch, Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 3. Oktober 2012, GZ 43 R 519/12k‑17, womit über Rekurs der Mutter der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 31. Juli 2012, GZ 1 PS 114/12s‑5, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0030OB00240.12H.0220.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Pflegschaftssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Begründung

Die Eltern des im Februar 2007 geborenen und seither in Österreich lebenden Mädchens sind in aufrechter Ehe verheiratet und leben mit diesem in der Ehewohnung; ein Scheidungsverfahren ist jedoch anhängig. Die Mutter ist mongolische Staatsangehörige, der Vater und das Kind sind österreichische Staatsbürger.

Am 16. Juli 2012 beantragte der Vater, der Mutter die Obsorge (vorläufig) zu entziehen und ihm (vorläufig) allein zu übertragen. Die Mutter habe sich zwar in den ersten zweieinhalb Lebensjahren des Kindes nahezu ausschließlich der Betreuung des Mädchens gewidmet, seither widme sie sich jedoch hauptsächlich ihren eigenen Freizeitvergnügungen, wie nächtelangen Besuchen von Kasinos oder Treffen mit Freundinnen. Dadurch sei es zunehmend zu einer Entfremdung zwischen Mutter und Tochter sowie dem Vater gekommen. Er habe sich auch an den Wochenenden hauptsächlich alleine um seine Tochter gekümmert. In der Vergangenheit habe die Mutter mehrfach Streit vom Zaun gebrochen, in welchen sie den Kindesvater auch in Anwesenheit des Kindes beschimpft und mehrfach mit Selbstmord gedroht habe, offensichtlich um den Vater unter psychischen Druck zu setzen.

Am 12. Juli 2012, an dem die erste Scheidungsverhandlung hätte stattfinden sollen, sei er mittels SMS von Verwandten der Mutter verständigt worden, dass sie Medikamente eingenommen habe und sich in Lebensgefahr befände. Er habe sofort den Notarzt verständigt und die Wohnung aufgesucht. Der Zustand der Mutter sei besorgniserregend gewesen, sie habe verwirrt gewirkt und sei nur schwer ansprechbar gewesen; schließlich hätte sich herausgestellt, dass sie ‑ nach einer Operation am 10. Juli 2012 ‑ Schmerzmittel genommen habe, was vom Notarzt als unbedenklich eingestuft worden sei. Am Abend dieses Tages habe die Mutter den Vater beschimpft, ihm sein Handy entrissen und gegen ihn geworfen.

Am Abend des 16. Juli 2012 habe die Mutter in einem psychischen Ausnahmezustand von einer Auseinandersetzung mit einer Freundin berichtet, bei der diese von ihr verletzt worden sei. Knapp darauf sei die Mutter von der Polizei zu einer Einvernahme aus der Wohnung geholt worden.

Das äußerst bedenkliche Verhalten der Mutter sei nicht mehr kalkulierbar und berechenbar, da sie offenbar unter Medikamenteneinfluss stehe und mit niemandem zu einem Gespräch bereit sei. Auch wegen der in der Vergangenheit ausgesprochenen Selbstmorddrohungen stelle der Aufenthalt in der alleinigen Obhut der Mutter derzeit eine Kindeswohlgefährdung des etwa 5‑jährigen Mädchens dar. Es sei auch zu befürchten, dass die Mutter das Mädchen mit Hilfe ihrer Verwandten, die über ausgezeichnete Kontakte zu mongolischen Behörden verfügten, ins Ausland verbringen könnte, obwohl sich der Reisepass des Kindes in Verwahrung des Vaters befinde. Zur Wahrung des Kindeswohls sei eine vorläufige Regelung geboten, weil eine endgültige Obsorgeentscheidung nicht abgewartet werden könne.

Das Erstgericht forderte die Mutter zur Stellungnahme binnen drei Tagen auf (Zustellung am 27. Juli 2012), eine solche wurde jedoch bis zur Beschlussfassung des Erstgerichts am 31. Juli 2012 nicht erstattet. Die Beweisaufnahme des Erstgerichts beschränkte sich auf die Einvernahme des Vaters und dessen Bruders am 25. Juli 2012.

Das Erstgericht entzog der Mutter die Obsorge vorläufig und übertrug sie vorläufig dem Vater allein. Weiters sprach es aus, den Beschluss sofort in Vollzug zu setzen und dass einem Rechtsmittel dagegen keine aufschiebende Wirkung zukomme.

Ausschließlich aufgrund der „glaubwürdigen und nachvollziehbaren Angaben“ des Vaters stellte das Erstgericht nachstehenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Nachdem sich die Mutter in den ersten zweieinhalb Lebensjahren des Kindes nahezu ausschließlich selbst um die gemeinsame Tochter kümmerte und versuchte, den Vater von der Betreuung der Minderjährigen gänzlich auszuschließen, änderte sie ihre Verhaltensweise in etwa ab dem Kindergarteneintritt. Sie kapselte sich teilweise von dem Kind ab, traf sich häufig mit Freundinnen oder sonstigen Bekannten und suchte regelmäßig Kasinos auf, wobei sie oft erst zwischen Mitternacht und 4:00 Uhr in der Früh in die Ehewohnung zurückkehrte. Der Vater übernahm immer mehr die Betreuung des Kindes. Auch an den Wochenenden unternahm vorwiegend er diverse Aktivitäten mit seiner Tochter, an denen sich die Mutter meistens nicht beteiligen wollte.

Im Zuge diverser Auseinandersetzungen zwischen den Eltern drohte die Mutter auch im Beisein des Mädchens mehrmals mit Selbstmord, wobei sie einmal sogar einen Abflussreiniger trank, wodurch sie jedoch keine Verätzungen, sondern lediglich Magenkrämpfe erlitt. Mehrfach äußerte sie dem Vater gegenüber, sie würde zum Döblinger Steg gehen und in die Donau springen. Die Kindesmutter ist Nichtschwimmerin und hörte auch die Minderjährige diese Äußerungen.

Am 12. Juli 2012 erhielt der Vater per SMS die Mitteilung, dass die Mutter angeblich Tabletten genommen habe und er den Notarzt informieren solle. Er fuhr sofort zur Ehewohnung und verständigte gleichzeitig den Notarzt. Die Mutter war nur teilweise ansprechbar, meinte immer, sie wolle schlafen und nahm keinerlei Anrufe ihrer Verwandten aus der Mongolei entgegen. Sie weigerte sich, mit dem Notarzt mitzukommen. Schließlich konnte eruiert werden, dass sie mehrere schmerzstillende Tabletten genommen hatte.

Mehrfach äußerte die Mutter auch die Drohung, gemeinsam mit der Minderjährigen in die Mongolei zurückkehren zu wollen. Zuletzt forderte sie den Vater mehrmals per SMS auf, ihr sowohl das Mädchen als auch deren Pass zu bringen, da sie mit ihr wegfahren möchte. Seit einigen Tagen halten sich auch die mütterliche Großmutter und die Schwester der Mutter aus der Mongolei in Österreich auf.

Am Abend des 16. Juli 2012 brachte die Mutter ihre Tochter vom Kindergarten nach Hause, verließ die Ehewohnung jedoch sofort wieder, da sie sich mit einer Freundin treffen wollte. Nach ca eineinhalb Stunden kam sie in einem verstörten Zustand nach Hause zurück; der Vater konnte von ihr erfahren, dass es mit der Freundin zu einer Auseinandersetzung gekommen war, im Zuge dessen die Freundin mit einem Messer hinter ihr gestanden und im Zuge des daran anschließenden Handgemenges sie ihre Freundin im Brustbereich oder an der Hand verletzt hatte. Gegen 20:45 Uhr kam ein Polizeibeamter zur Ehewohnung und nahm die Mutter zur Einvernahme mit.

Der Vater hält sich derzeit teilweise in einem Hotel, teilweise bei der väterlichen Großmutter auf, da er aufgrund des Verhaltens der Kindesmutter in großer Sorge um das Wohl der Minderjährigen ist.

Rechtlich argumentierte die Erstrichterin, allein aus den mehrfachen Selbstmorddrohungen erhelle sich, dass die Mutter ihren Erziehungsaufgaben nicht ausreichend gewachsen und nicht bereit sei, ihre Verantwortung für das Kind zu übernehmen. Dies zeige sich ebenso in ihrem Verhalten, die eigenen Freizeitaktivitäten in den Vordergrund zu stellen und die Betreuung ihrer Tochter zu vernachlässigen und hauptsächlich in die Hände des Vaters zu legen. Andererseits sei jedoch auch zu befürchten, dass sie unter Mitnahme des Mädchens Österreich verlassen könnte, wodurch diese vollkommen aus ihrem sozialem Umfeld heraus gerissen werden würde. Insgesamt liege sohin eine Kindeswohlgefährdung durch die Verhaltensweisen der Mutter vor. Im Einklang mit § 107 AußStrG sei wegen der Dringlichkeit im Interesse des Kindes von der Einholung einer Stellungnahme des Jugendwohlfahrtsträgers abgesehen worden.

Die Mutter erhob dagegen Rekurs wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens (zu kurze Äußerungsfrist, keine Bekanntgabe der Rechtsfolgen einer Versäumung, Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes zu den Ausreisemöglichkeiten und zu den Selbstmorddrohungen) und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (aus den unpräzisen Feststellungen sei keine akute Gefährdung des Kindeswohls als Voraussetzung für die äußerste Notmaßnahme eines Entzugs der Obsorge abzuleiten) mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Abweisung, hilfsweise Aufhebung.

Im Zuge einer Tagsatzung im Scheidungsverfahren am 3. September 2012 schlossen die Eltern eine pflegschaftsgerichtlich genehmigte Vereinbarung zum Besuchsrecht der Mutter, wonach sie das Mädchen jeden Montag und Mittwoch nach dem Kindergarten ab 16:00 Uhr und jeden Donnerstag ab 16:45 Uhr bis 18:45 Uhr zu sich alleine auch außerhalb der Wohnung nehmen und zu Bett bringen kann sowie weiters jeden 2. Sonntag allein bis 19:00 Uhr mit ihm verbringen kann. Gleichzeitig verpflichtete sich die Mutter, für die Dauer des Obsorgeverfahrens Österreich nicht mit dem Kind zu verlassen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter nicht Folge und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Dass das Recht der Mutter auf rechtliches Gehör unzulässig verkürzt worden sei, könne aus folgenden Gründen nach § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG dahinstehen. Unbestritten sei geblieben, dass die Mutter in Anwesenheit des Kindes mit Selbstmordabsichten drohte und auch einmal einen Abflussreiniger trank. Die Einschätzung des Vaters, das Kind habe dies nicht verstanden, ändere nichts daran, dass ein derartiges Verhalten in Anwesenheit des Kindes eine massive Bedrohung des Kindeswohls darstelle, ohne dass es darauf ankomme, ob die Mutter tatsächlich in Anwesenheit des Kindes Selbstmord begehen könnte. Selbst wenn das Kind bisher nicht verstanden haben sollte, dass die Mutter mit Selbstmord drohe, könne sich dies jederzeit ändern. Allein die Vorbildwirkung des Trinkens von Abflussreiniger vor der Fünfjährigen rechtfertigt für sich schon die Einschätzung des Erstgerichts, das Kindeswohl sei durch die Mutter gefährdet. Auf das Vorbringen zu Verfahrensmängeln habe daher nicht eingegangen werden müssen. Die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts sei nicht zu beanstanden. Rechtsfragen der in § 62 Abs 1 AußStrG genannten Qualifikation würden nicht vorliegen.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Antragsabweisung, hilfsweise auf Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen und Zurückverweisung an das Erstgericht. Als erhebliche Rechtsfrage und als Rechtsmittelgründe macht die Mutter das Abgehen des Rekursgerichts von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu den strengen Voraussetzungen eines Obsorgeentzugs wegen näher bezeichneter sekundärer Feststellungsmängel und die Missachtung von Verfahrensgrundsätzen nach dem AußStrG ua wegen der Ansicht des Berufungsgerichts geltend, weitere Erhebungen seien nicht erforderlich gewesen, weil Selbstmorddrohungen in Anwesenheit des Kindes unstrittig seien.

In der ihm freigestellten Beantwortung des Revisionsrekurses bestritt der Vater sowohl dessen Zulässigkeit als auch dessen Berechtigung.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinn des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags berechtigt, weil die Entscheidung des Rekursgerichts aus Gründen der Rechtssicherheit zu korrigieren ist.

1. Die von den Vorinstanzen implizit bejahte (und ungerügt gebliebene) internationale Zuständigkeit des Erstgerichts ergibt sich aus Art 8 Brüssel IIa‑VO (auch EuEheKindVO), weil der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes in Österreich liegt. Die (ebenso unbeanstandet gebliebene) Anwendung österreichischen Sachrechts folgt aus Art 15 Abs 1 iVm Art 4 Abs 1 KSÜ, weil sich im konkreten Fall die Zuständigkeit auch aus dem KSÜ ergeben würde (Nademleinsky/Neumayr, Internationales Familienrecht Rz 08.89; vgl auch Pesendorfer in Fasching/Konecny² V/2 Art 8 EuEheKindVO Rz 73 f).

2. Das Rekursgericht hat seine Entscheidung letztendlich allein auf die seines Erachtens unbestrittene Feststellung gestützt, die Mutter habe in Anwesenheit ihrer Tochter mit Selbstmordansichten gedroht und auch einmal einen Abflussreiniger getrunken. Das ist in zweifacher Hinsicht verfehlt.

Den Sachverhaltsannahmen des Erstgerichts lässt sich nämlich nicht mit der notwendigen Klarheit entnehmen, dass es von der Anwesenheit des Mädchens beim Trinken des Abflussreinigers durch seine Mutter ausgeht; da die Feststellungen ausschließlich auf die Aussage des Vaters gegründet wurden und dieser von der Anwesenheit des Kindes keine Erwähnung machte, führt eine Auslegung der Feststellungen des Erstgerichts vielmehr zum gegenteiligen Ergebnis.

Es besteht aber auch kein Anlass, den genannten Sachverhalt als unbestritten anzusehen, weil die Mutter zwar keine Beweisrüge erhob, jedoch das erstgerichtliche Verfahren als grundlegend mangelhaft rügte. Ohne Verneinung dieser geltend gemachten Verfahrensmängel durfte daher der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt nicht als unstrittig im Sinn von unbeanstandet angesehen werden; eine erfolgreiche Mängelrüge hätte ja die Aufhebung der Entscheidung und daher auch die Beseitigung des festgestellten Sachverhalts zur Folge, ohne dass dies einer Beweisrüge bedürfte. Ohne Verwerfung der im Rekurs erhobenen Mängelrügen (jedenfalls soweit diese auch die vom Rekursgericht als entscheidend angesehene Feststellung berührten) fehlte es dem Rekursgericht aber an einer bindenden Tatsachengrundlage, um eine rechtliche Beurteilung vornehmen zu können.

Schon aus diesen Gründen kommt eine Bestätigung der angefochtenen Entscheidung nicht in Betracht.

3. Dennoch bedarf es nicht (nur) der Aufhebung der Rekursentscheidung und der Zurückverweisung an das Rekursgericht.

3.1. Obsorgeentscheidungen haben eine zukunftsbezogene Rechtsgestaltung zum Inhalt. Sie können nur dann sachgerecht sein, wenn sie auf einer aktuellen bis in die jüngste Gegenwart reichenden Tatsachengrundlage beruhen (RIS‑Justiz RS0106312). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Kindeswohlgefährdung ist daher der Zeitpunkt der letztinstanzlichen Entscheidung, sodass alle während des Verfahrens eintretenden Änderungen zu berücksichtigen sind (RIS‑Justiz RS0106313; RS0006893; RS0048056).

3.2. Eine solche wesentliche Änderung der Tatsachengrundlage ist in der Besuchsrechtsvereinbarung der Eltern vom 3. September 2012 (ON 13) aktenkundig geworden:

Der Vater hat seinen Antrag auf (vorläufige) Entziehung und Übertragung der Obsorge vor allem darauf gestützt, dass die Kindeswohlgefährdung darin liege, dass sich die gemeinsame Tochter in der alleinigen Obhut ihrer Mutter befinde, weil deren Verhalten unberechenbar sei und die Gefahr einer Verbringung des Mädchens ins Ausland bestehe. Dennoch stimmte er mit der genannten Vereinbarung einem Aufenthalt des Kindes bei der Mutter allein und auch außerhalb der Ehewohnung in einem nicht zu vernachlässigenden Ausmaß (ua jeden zweiten Sonntag ganztägig) zu. Das widerspricht der Antragsbegründung diamentral und legt den Schluss nahe, der Vater habe seine Einschätzung des (zukünftigen) Verhaltens der Mutter und der Gefährdung des Kindeswohls (zum Positiven) geändert. Dazu kommt weiters die Verpflichtung der Mutter im Vergleich, Österreich mit dem Kind vorerst nicht zu verlassen, die eine neue Einschätzung der als Begründung für die vorläufige Maßnahme herangezogen Gefahr einer Verbringung des Kindes ins Ausland durch die Mutter verlangt.

Es sind daher jedenfalls nunmehr Zweifel daran angebracht, ob (zumindestens) derzeit eine akute und massive Gefährdung des Kindeswohls (vgl Punkt 4.1.) bei einem Aufenthalt des Mädchens nur bei der Mutter (weiter‑)besteht.

4. Für das in erster Instanz fortzusetzende Verfahren wird Folgendes zu bedenken sein:

4.1. Zutreffend weist die Mutter darauf hin, dass eine Änderung der Obsorgeverhältnisse nur unter Anlegung eines strengen Maßstabs (RIS‑Justiz RS0048699) und nur als äußerste Notmaßnahme angeordnet werden darf (RIS‑Justiz RS0047841 [T10]; RS0085168 [T5]). Ein Eingriff in ein bestehendes Obsorgerecht setzt nach § 176 Abs 1 ABGB eine Gefährdung des Kindeswohls durch Verhalten des Obsorgeberechtigten voraus. Eine Gefährdung des Kindeswohls liegt vor, wenn Obsorgepflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt oder sonst schutzwürdige Interessen des Kindes ernstlich und konkret gefährdet werden (RIS‑Justiz RS0048633).

Die Zulässigkeit, die Art und der Umfang von Provisorialentscheidungen im außerstreitigen Verfahren ergeben sich aus der Verpflichtung des Pflegschaftsrichters, den Unterhalt sowie die Pflege und Erziehung der Kinder in deren Interesse zu sichern (RIS‑Justiz RS0007009). Liegt eine konkrete und schwere Gefährdung des Kindeswohls vor, die sofortige und rasche Maßnahmen erfordert, ist eine einstweilige Anordnung nach § 107 Abs 2 AußStrG zu treffen (zuletzt 2 Ob 19/11z mwN). Voraussetzung einer solchen vorläufigen gerichtlichen Maßnahme als Provisorialentscheidung ‑ bis zur endgültigen Entscheidung nach § 176 ABGB ‑ ist daher eine akute Gefährdung des Kindeswohls nach § 176 ABGB (3 Ob 74/09t = RIS‑Justiz RS0007035 [T14]). Voraussetzung für eine vorläufige Maßnahme ist beispielsweise, dass die Belassung des Kindes in der bisherigen Umgebung eine solche konkrete Gefährdung für das Kind mit sich bringt, dass Sofortmaßnahmen in Form einer Änderung des bestehenden Zustands zwingend geboten erscheinen; es muss aufgrund eines bestimmten Verhaltens der Eltern oder eines Elternteils, in dem die objektive Nichterfüllung oder Vernachlässigung elterlicher Pflichten zu erblicken ist, zu befürchten sein, dass das Wohl des Kindes beeinträchtigt werden wird. In Ermangelung der Voraussetzungen für eine vorläufige Maßnahme bedeutet deren gleichwohl erfolgte Anordnung eine Verletzung des Kindeswohls (3 Ob 74/09t mwN), die schon aus Gründen der Kontinuität der Erziehung vermieden werden muss (vgl auch RIS‑Justiz RS0007013).

4.2. Da sich die bisherige Beweisaufnahme des Erstgerichts ‑ ohne dass eine ausreichende Rechtfertigung dafür bestanden hat, da sich das Mädchen ohnehin faktisch beim Vater befunden hat und deshalb eine akute Gefährdung dessen Wohls, die eine sofortige Änderung des Zustands verlangte, zu verneinen war ‑ im Wesentlichen auf die Einvernahme des Vaters beschränkte, werden nach der derzeitigen Aktenlage noch weitere Beweisaufnahmen (vgl auch §§ 105 und 106 AußStrG) folgen müssen. Das lässt es zweckmäßig erscheinen, die Sache an das Erstgericht zurück zu verweisen.

Das Erstgericht wird im fortzusetzenden Verfahren ‑ nachdem es den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen gegeben haben wird ‑ die aktuelle Lebenssituation der Minderjährigen zu ermitteln und unter Beiziehung sämtlicher Beteiligter eine aktuelle, vollständige und auch zeitlich präzise Tatsachengrundlage zu schaffen haben, nach der beurteilt werden kann, ob die strengen Voraussetzungen für den (vorläufigen) Entzug der Obsorge der Mutter und deren Übertragung auf den Vater im neuerlichen Entscheidungszeitpunkt vorliegen.

5. Zur Klarstellung ist anzumerken, dass die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen eine solche Notmaßnahme nicht rechtfertigten. Denn die nächtlichen Aktivitäten der Mutter sind mit einer Gefährdung des Kindeswohls nicht gleichzusetzen, solange während dieser Zeiten eine Betreuung/Beaufsichtigung des Kindes ‑ wie hier offensichtlich durch den Vater ‑ sichergestellt ist.

Nicht ernst gemeinte Selbstmorddrohungen, um ‑ wie der Vater vorbrachte ‑ ihn unter psychischen Druck zu setzen, mögen charakterliche Schwächen der Mutter offenbaren, nicht jedoch eine akute Gefährdung des Kindeswohls (im Sinn einer Erziehungsunfähigkeit) zu verwirklichen, jedenfalls solange nicht feststeht, dass ein anwesendes Kleinkind derartige Äußerungen/Vorgänge überhaupt verstanden hat (wovon hier nicht einmal der Vater ausgeht [vgl S 2 der ON 4]). Da aufgrund eines bestimmten Verhaltens der Eltern oder eines Elternteils, in dem die objektive Nichterfüllung oder Vernachlässigung elterlicher Pflichten zu erblicken ist, zu befürchten sein muss, dass das Wohl des Kindes beeinträchtigt werden wird (RIS‑Justiz RS0048633 [T15]), bedarf es auch der ‑ hier den Feststellungen nicht zu entnehmenden ‑ Kenntnis der näheren Umstände und wahren Motive sowie einer zeitlichen Einordnung der Drohungen und allfälligen Versuche, um eine solche negative Prognose aktuell treffen zu können.

Schon deshalb bildet das festgestellte Trinken eines Abflussreinigers für sich allein keinen tauglichen Grund für eine (sofortige) Entziehung der Obsorge, zumal weder die Kenntnis des Mädchens davon und deren Verständnis des Vorgangs gesichert (und auch nicht behauptet) ist noch eine nähere zeitliche Einordnung vorgenommen wurde (nach den Feststellungen kommt dafür ein Zeitraum von Herbst 2009 [Änderung des Verhaltens der Mutter] bis zur Antragstellung im Juli 2012 in Frage, also mehr als zweieinhalb Jahre [!]).

Die ‑ im Zusammenhalt mit dem beim Vater verbliebenen Reisepass des Kindes ohnehin zu relativierende ‑ stets gegebene faktische Gefahr der Verbringung des Kindes in die Mongolei durch die Mutter muss schon wegen ihrer nunmehr eingegangenen Verpflichtung im Besuchsrechtsvergleich neu beurteilt werden.

Schließlich hat schon das Erstgericht zu Recht das festgestellte Verhalten der Mutter am Abend des 16. Juli 2012 rechtlich nicht im Sinn einer damit bewirkten Gefährdung des Kindeswohls verwertet.

Ein ‑ nach der Ansicht des Vaters gegebener psychischer Ausnahmezustand der Mutter im Juli 2012 ist nach den Feststellungen weder bescheinigt noch erwiesen.

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