OGH 12Os154/12g

OGH12Os154/12g31.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Jänner 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Pausa als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rupert H***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 28 U 90/12g des Bezirksgerichts Salzburg, über die von der Generalprokuratur gegen eine Verfügung dieses Gerichts vom 3. Mai 2012 erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Ulrich, und des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der in der in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Hauptverhandlung vom 3. Mai 2012 vorgenommene Vortrag der ON 2 und ON 5 verletzt § 252 Abs 1 Z 4, Abs 2a StPO iVm § 447 StPO.

Das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 3. Mai 2012, GZ 28 U 90/12g-7, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Salzburg verwiesen.

Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Berufung hierauf verwiesen.

Text

Gründe:

Am 27. Februar 2012 erhob die Staatsanwaltschaft Salzburg zu AZ 28 U 90/12g des Bezirksgerichts Salzburg Strafantrag gegen den (unvertretenen) Rupert H***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (ON 3).

Der am 7. März 2012 persönlich zugestellten (ON 6 S 1) Ladung zur Hauptverhandlung am 3. Mai 2012 kam Rupert H***** unentschuldigt nicht nach, sodass der Einzelrichter des Bezirksgerichts Salzburg in dieser Hauptverhandlung den Beschluss auf „Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten“ fasste und dessen Aussage verlas (ON 6 S 2). Weiters wurden - nach Eröffnung des Beweisverfahrens - die ON 2 (Abschlussbericht der Polizeiinspektion A***** vom 9. Dezember 2011 samt Beilagen) und 5 (Strafregisterauskunft des Angeklagten) „dargetan“ (ON 6 S 2).

Mit Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Salzburg vom selben Tag, GZ 28 U 90/12g-7, wurde der Angeklagte des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 8. November 2011 in S***** Franz C***** durch das Versetzen eines Faustschlages, der eine Kopfprellung und eine Abschürfung an der Stirn zur Folge hatte, am Körper verletzt hat, und hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Wochen sowie zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.

Die getroffenen Feststellungen gründete das Erstgericht auf den Abschlussbericht der Polizei, jedoch „ohne die Aussagen von Zeugen“ (US 5), wobei es den Angaben des Angeklagten, sich infolge seiner starken Alkoholisierung (nur) noch daran erinnern zu können, mit Franz C***** anlässlich eines Trinkgelages in Streit geraten zu sein und es sein könne, dass er bei der daraus entstandenen Rangelei Franz C***** im Gesicht getroffen, dabei aber dessen Verletzung nicht beabsichtigt habe, folgte (ON 2 S 25, US 3), jedoch seiner Verantwortung, sich nur gewehrt zu haben (ON 2 S 25), mit Blick auf dessen „vielfache Vorstrafen wegen Körperverletzung“ als bloße Schutzbehauptung nicht überzeugend befand (US 3).

Über die fristgerecht gegen dieses Urteil erhobene Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe durch die Staatsanwaltschaft Salzburg (ON 10) wurde bisher nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorgangsweise des Bezirksgerichts Salzburg verletzt - wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes im Ergebnis zutreffend aufzeigt - das Gesetz:

Aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung am 3. Mai 2012 ist mit Blick auf die Formulierung „dargetan“ (ON 6 S 2) ersichtlich, dass der Abschlussbericht der Polizeiinspektion A***** vom 9. Dezember 2012 (ON 2), welcher auch die Protokolle der Vernehmungen der Zeugen Gertraud K***** und Franz C***** (ON 2 S 27 ff) samt einer Zusammenfassung deren Angaben (ON 2 S 5) sowie die Verletzungsanzeige des Unfallkrankenhauses Salzburg (ON 2 S 47, 49) enthält, und die Strafregisterauskunft des Angeklagten (ON 5) vorgetragen wurden, obwohl die durch § 252 Abs 2a StPO ermöglichte - gemäß § 447 StPO auch im Verfahren vor dem Bezirksgericht zulässige - Abstandnahme von der Vorlesung oder Vorführung von Aktenstücken nach § 252 Abs 1 (insbesondere nach Z 4 leg cit) und 2 StPO zu Gunsten eines zusammenfassenden Vortrags ihres Inhalts durch den die Verhandlung leitenden Richter unter anderem an die Zustimmung des Angeklagten gebunden ist. Da aus dem Nichterscheinen des Angeklagten zur Hauptverhandlung dessen Einverständnis iSd § 252 Abs 1 Z 4 und Abs 2a StPO nicht abgeleitet werden kann (RIS-Justiz RS0117012; Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 103, 147; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 234; Bauer/Jerabek, WK-StPO § 427 Rz 13), war der Vortrag des Akteninhalts fallbezogen unzulässig. Solcherart vorgetragene Beweismittel sind damit - mangels förmlicher Verlesung oder zulässigen Vortrags - gemäß § 258 Abs 1 StPO iVm §§ 252 Abs 1 Z 4, Abs 2a, 447 StPO in der Hauptverhandlung gar nicht vorgekommen und dürfen nicht verwertet werden (Fabrizy, StPO11 § 252 Rz 24; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 460).

Das erkennende Bezirksgericht hat in den Urteilsgründen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die vorgetragenen Zeugenaussagen bei der Beweiswürdigung keine Berücksichtigung fanden (US 3). Aus dem Blickwinkel der aufgezeigten Gesetzesverletzung bleibt aber zweifelhaft, ob der Inhalt dieser unzulässigerweise vorgekommenen (belastenden) Beweisergebnisse das Gericht bei der Entscheidung über die Frage der Schuld des Angeklagten und bei der Ablehnung der von diesem behaupteten Notwehrsituation, nicht doch für diesen nachteilig beeinflussen konnte (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 740; 14 Os 62/98).

Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, die aufgezeigte Gesetzesverletzung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO), das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom 3. Mai 2012, GZ 28 U 90/12g-7, aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an dieses zu verweisen.

Die gegen das Urteil erhobene Berufung der Staatsanwaltschaft ist damit gegenstandslos.

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