OGH 14Os122/12s

OGH14Os122/12s29.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Jänner 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fruhmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dominic S***** wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Geschworenengericht vom 6. September 2012, GZ 609 Hv 2/12g-44, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Dominic S***** des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (A) sowie je eines Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (B), der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB (C) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB (D) schuldig erkannt.

Danach hat er - soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant - am 14. Mai 2012 in Wien Lisa Si***** durch Versetzen von zumindest fünf wuchtigen Schlägen mit einer 615 Gramm schweren Beißzange gegen den Kopf zu töten versucht (A).

Rechtliche Beurteilung

Die ausschließlich gegen den Schuldspruch A aus Z 6, 8 und 10a des § 345 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert das Unterbleiben einer Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB).

Die begehrte Fragestellung setzt voraus, dass in der Hauptverhandlung entsprechende Tatsachen vorgebracht worden sind (§§ 313 und 314 StPO). Darunter ist nichts anderes zu verstehen als das Vorkommen einer erheblichen Tatsache, einer solchen also, die, wäre sie im schöffengerichtlichen Verfahren vorgekommen, bei sonstiger Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 5 zweiter Fall StPO erörterungsbedürftig gewesen wäre. Demgemäß bedarf es zur prozessordnungskonformen Darstellung einer Rüge aus Z 6 des konkreten Hinweises auf derartige Tatsachen (Ratz, WK-StPO § 345 Rz 23, 42).

Mit der Berufung auf einzelne - isoliert und aus dem Zusammenhang gerissen (vgl RIS-Justiz RS0120766, Schindler, WK-StPO § 313 Rz 14 f) und ohne Angabe der Fundstelle in den Akten (vgl RIS-Justiz RS0124172) zitierte - Passagen aus der Verantwortung des Beschwerdeführers, wonach er nicht mit Tötungsvorsatz handelte, sondern „im Tatzeitpunkt unter dem Einfluss eines 'black out' stand“, spricht die Rüge - ihrem auf allgemeinen Überlegungen zur Bedeutung des Begriffs „Black-Out“ basierenden Standpunkt zuwider - kein die begehrte Fragestellung nach gesicherter allgemeiner Lebenserfahrung ernsthaft indizierendes Verfahrensergebnis (konkret für das Vorliegen eines in § 11 StGB beschriebenen, die Dispositionsfähigkeit oder Diskretionsfähigkeit ausschließenden Ausnahmezustands; vgl dazu auch RIS-Justiz RS0100527, RS0100622) an und ist solcherart einer sachbezogenen Erwiderung nicht zugänglich.

Im Übrigen hat der Angeklagte die Gegebenheiten vor und nach der Tat in Einzelheiten (ON 2 S 61, ON 4 S 5, 7 und 9, ON 43 S 12 ff) geschildert und zum Tathergang ausgesagt, er habe - wenngleich ohne Tötungsvorsatz - mit einer Zange auf Lisa Si***** eingeschlagen (ON 43 S 12 f). Dass er zudem angab, er sei gekränkt gewesen, habe eine „Art black out“ (ON 2 S 61) und „sich nicht mehr unter Kontrolle“ gehabt und in einer „Kurzschlussreaktion“ gehandelt (ON 43 S 13 ff), beschreibt eine Spontanität seines Handelns, der durch die Eventualfrage 2 in Richtung Totschlag nach §§ 15, 76 StGB Rechnung getragen wurde.

Die in diesem Zusammenhang weiters thematisierte Einschätzung des Augenzeugen Christoph Sc*****, der zufolge der Angeklagte „wütend“ gewirkt (ON 17 S 7) und sich in einem „schwer zu beschreibenden Ausnahmezustand“ befunden habe (ON 43 S 21), sowie dessen Vermutung, dem Angeklagten dürfte erst bei Wahrnehmung seiner Person „zu Bewusstsein gekommen sein, was passiert ist“, bringen hinwieder keine als Beweismittel relevanten sinnlichen Wahrnehmungen, sondern subjektive Meinungen zum Ausdruck, die nicht Gegenstand einer Zeugenaussage sein können (RIS-Justiz RS0097540, RS0097573, RS0097545).

Die Kritik der Instruktionsrüge am Unterbleiben einer Belehrung der Geschworenen (auch) über tiefgreifende Bewusstseinsstörungen aufgrund schwerer Affektzustände lässt außer Acht, dass die Rechtsbelehrung nur hinsichtlich der den Geschworenen tatsächlich gestellten Fragen aus Z 8 erfolgreich beanstandet werden kann (§ 321 Abs 2 StPO; Philipp, WK-StPO § 321 Rz 19; RIS-Justiz RS0101085).

Die hinsichtlich der Instruktion zur Zusatzfrage 3 nach strafbefreiendem Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs 1 StGB) vermisste Belehrung der Geschworenen (Z 8), über konkrete Umstände des in Rede stehenden Einzelfalls bezieht sich auf Tatfragen, die nicht Gegenstand der - nach abstrakten Gesichtspunkten abzufassenden - schriftlichen Rechts-belehrung (§ 321 StPO) sind, sondern der gemäß § 323 Abs 2 erster Satz StPO abzuhaltenden Besprechung vorbehalten sind (vgl RIS-Justiz RS0109476).

Soweit die Tatsachenrüge aus den Verfahrensergebnissen für den Angeklagten günstigere Schlüsse zieht, erweckt sie keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten Tatsachen, sondern zielt auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung außerhalb der von Z 10a erfassten Sonderfälle ab.

Die unter Berufung auf den Grundsatz materieller Wahrheitsforschung erhobene Kritik der Aufklärungsrüge (Z 10a), „zur eindeutigen Abklärung wäre ein gerichtspsychiatrisches Gutachten erforderlich gewesen“, legt nicht dar, wodurch der Rechtsmittelwerber an der Ausübung seines Rechts, allfällige weitere Beweisaufnahmen in der Hauptverhandlung sachgerecht zu beantragen, gehindert gewesen sein sollte (RIS-Justiz RS0115823).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 344, 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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