OGH 9ObA92/12p

OGH9ObA92/12p29.1.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. H***** M*****, vertreten durch Dr. Roland Gerlach ua, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei E***** GmbH, *****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 16.882,04 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 6.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 29. Mai 2012, GZ 10 Ra 62/11b-32, mit dem den Berufungen beider Streitteile gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 17. Dezember 2010, GZ 29 Cga 26/10w-26, keine Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden im Umfang des Begehrens der klagenden Partei, die beklagte Partei zur Zahlung von 16.882,04 EUR samt 8,38 % Zinsen seit 1. 1. 2010 für schuldig zu erkennen, dahin abgeändert, dass dieses Begehren abgewiesen wird.

Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.778,32 EUR (darin 5,46 EUR Barauslagen, 489,76 EUR USt) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 2.477,05 EUR (darin 739,50 EUR Barauslagen, 289,59 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 906,84 EUR (darin 243 EUR Barauslagen, 110,64 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 15. 9. 1948 geborene Kläger war von 1976 bis 2003 bei der Beklagten oder in einem der Konzernunternehmen in unterschiedlichen Funktionen, zuletzt als Geschäftsführer für Tschechien und die Slowakei, beschäftigt. Er hatte ursprünglich aus der Versorgungsordnung der Beklagten vom 15. 12. 1976 eine Anwartschaft auf eine leistungsorientierte Betriebspension, die männlichen Dienstnehmern unter gewissen Voraussetzungen nach Vollendung des 65. Lebensjahres zustehen sollte. Der Kläger stimmte im Jahr 1999 dem Umstieg von seiner betrieblichen Altersvorsorge auf eine beitragsorientierte Pensionskasse zu, bei dem für ihn der frühere Pensionsanfall zum 55. Lebensjahr von Interesse war. Wäre der Kläger von der Beklagten darüber aufgeklärt worden, dass seine Pension je nach Veranlagungsergebnis der Pensionskasse auch sinken könnte, hätte er die Vereinbarung nicht unterschrieben.

Das Dienstverhältnis wurde mit Vereinbarung vom 4. 3. 2003 per 31. 7. 2003 einvernehmlich beendet, wobei Beweggrund für den Kläger ua der Pensionsbezug ab 55 Jahren war. Die Vereinbarung enthält ua folgende Klauseln:

7. Pension von *****

Der Prozess wird entsprechend den österreichischen Regelungen und Statuten des derzeit gültigen E***** Pensionsplanes abgewickelt. Dem Unternehmen ist bekannt, dass [der Kläger] beabsichtigt, die Leistungen einer Frühpensionierung im Alter von 55 Jahren gemäß den Statuten des Pensionsplanes in Anspruch zu nehmen.

15. Entlastung durch [den Kläger]

Für die in dieser Vereinbarung festgesetzte Gegenleistung mit Ausnahme der Leistungen oder Rechte von [dem Kläger] nach dieser Vereinbarung, entlässt und entbindet er (für sich selbst und seine Erben und Rechtsnachfolger) *****, deren Konzernunternehmen und alle ihre derzeitigen und ehemaligen Vertreter, leitenden Angestellten, Mitarbeiter und bevollmächtigten oder sonstigen Personen, gegenüber welchen [der Kläger] behaupten könnte, dass sie für einen angeblichen Schaden verantwortlich sind, aus bzw von sämtlichen und jeglichen Klagen, Forderungen, Haftungen und Schadenersatzansprüchen, welcher Art auch immer, die er aus oder in Verbindung mit dem Dienstverhältnis von [dem Kläger] mit ***** oder der Beendigung desselben möglicherweise geltend machen kann oder in der Vergangenheit hätte geltend machen können.

In der Folge schloss er mit der Beklagten eine Pensionsantrittsvereinbarung ab, die die Details der Versorgungsleistung enthält. Seit 1. 8. 2004 bezieht er von der Pensionskasse eine Alterspension, deren Höhe sich von 2005 (4.544,27 EUR) bis 2009 (3.674,86 EUR) rückläufig entwickelte. Dies fiel dem Kläger erstmals im Mai 2007 auf, als die Pension um rund 100 EUR gefallen war.

Mit seiner am 29. 1. 2010 eingebrachten Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 16.882,04 EUR sA sowie die Feststellung, dass er Anspruch darauf habe, dass die Beklagte an die V***** Pensionskassen AG einen Nachschuss leiste, der die Fehlbeträge aus der mangelnden Dotierung der Arbeitgeberbeiträge samt den darauf entfallenden Veranlagungserfolgen abdecke und aufgrund dessen die Pensionskasse in die Lage versetzt werde, eine Pensionskassenleistung unter Berücksichtigung der aus den Veranlagungserfolgen ableitbaren Erhöhungen, zumindest aber in der gleichen Höhe, wie sie dem Kläger aufgrund des Status vom 15. 12. 1976 gebührt hätte, auszuschütten; in eventu, dass die Beklagte dem Kläger für den Ersatz aller Schäden hafte, die aus der Übertragung seiner Pensionszusage an die V***** Pensionskassen AG entstünden.

Soweit im Revisionsverfahren von Relevanz, brachte er vor, die Veranlagungsergebnisse der Pensionskasse seien deutlich hinter den Annahmen zurückgeblieben. Die Beklagte hafte ihm (auch) aus dem Titel des Schadenersatzes, weil sie den Kläger nicht ausreichend über die Risiken eines Pensionskassenbeitritts aufgeklärt habe. Im Zeitraum 1. 8. 2004 bis 31. 12. 2006 habe die Bruttopension ab 1. 1. 2005 die zugesicherte Pension von monatlich 4.531,74 EUR um insgesamt 195,16 EUR überstiegen. Im Zeitraum 1. 1. 2007 bis 31. 12. 2009 habe sie sich um insgesamt 17.077,20 EUR verringert. Unter Berücksichtigung des Vorteilsausgleichs aus den Überschüssen der Vorjahre ergebe sich ein Pensionsschaden von 16.882,04 EUR.

Die Beklagte bestritt dies, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, den Kläger ausreichend über die Funktionsweise der beitragsorientierten Pensionskassenlösung aufgeklärt zu haben. Sie gab die Punkte 7. und 15. der Auflösungsvereinbarung mit dem Vorbringen wieder, dass der Kläger damit die Geltung der Versorgungszusage 1999 akzeptiert und darüber hinaus jeden anderen Anspruch gegen sie ausgeschlossen habe (ON 5 S 8). Im Zeitpunkt der Auslagerung 1999 sei die Pensionskassenlösung ein besonders günstiges Modell gewesen. Nach dem alten Pensionsstatut und aufgrund des Berufsverlaufs des Klägers hätte er erst ab dem Erreichen des 65. Lebensjahres Anspruch auf eine Pension gehabt. Der Kläger bringe einen Vergleich zum alten Pensionsstatut vor. Nach diesem hätte er erst ab dem Jahr 2013 Leistungen erhalten. Der Vergleich gehe damit ins Leere. Das neue Pensionsstatut habe den Kläger nicht nur aus einer Ex-ante-Sicht, sondern auch ex post besser gestellt. Worin damit eine Schlechterstellung bestehen sollte, habe der Kläger erst vorzubringen und unter Beweis zu stellen (ON 5 S 10).

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren des Klägers und dem Eventual-Feststellungsbegehren (Haftung für künftige Schäden) wegen Verletzung von Aufklärungspflichten statt und wies das Haupt-Feststellungsbegehren mangels Nachschusspflicht der Beklagten ab.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Streitteile keine Folge. Zu jener der Beklagten führte es - soweit revisionsgegenständlich - aus, die Beklagte habe sich im erstinstanzlichen Verfahren nicht explizit auf eine vergleichsweise Bereinigung der wechselseitigen Ansprüche berufen, es fehle an einem konkreten Vorbringen, dass es zum Abschluss eines Generalvergleichs gekommen sei. Zudem seien nach dem Wortlaut der Vereinbarung die Rechte und Leistungen nach der Vereinbarung ausdrücklich von der Klausel ausgenommen, wonach der Kläger die Beklagte von allfälligen Schadenersatzansprüchen oder sonstigen Forderungen entbinde. Nachdem auch die Betriebspension eine nach der Vereinbarung zugesicherte Leistung sei, stelle sich die Frage, ob der Anspruch überhaupt von einer allfälligen bereinigenden Wirkung erfasst wäre. Entscheidend sei aber, dass auch eine vergleichsweise Bereinigung nur jene Forderungen erfassen könne, an die die Parteien denken haben können. Nachdem im Zeitpunkt der Auflösungserklärung ein Sinken der Pensionsleistung nicht absehbar gewesen sei, würden die Schadenersatzansprüche des Klägers aus der nicht gehörigen Aufklärung von der Bereinigungswirkung nicht erfasst. Zum Berufungsvorbringen der Beklagten, der Kläger könne gar keinen Schaden haben, weil er nach dem alten Pensionssystem überhaupt erst ab dem 65. Lebensjahr einen Pensionsanspruch gehabt hätte und sein Schaden aktuell daher jedenfalls Null betrage, sei kein erstinstanzliches Vorbringen erstattet worden.

In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer gänzlichen Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr keine Folge zu geben.

Die Revision ist zur Korrektur des Verständnisses vom Vorbringen der Beklagten zulässig und teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Beklagte meint zunächst, die Bereinigungswirkung von Punkt 7. und 15. der Auflösungsvereinbarung erstrecke sich auch auf die gegenständlichen Ansprüche.

Die Auslegung des Berufungsgerichts ist diesbezüglich jedoch nicht korrekturbedürftig, sodass darauf verwiesen wird (§ 510 Abs 3 ZPO). Ergänzend ist auf die Entscheidung 9 ObA 96/92 (= RIS-Justiz RS0032453 [T14]) hinzuweisen. In dieser wurde ausgesprochen, dass die Bereinigungswirkung eines anlässlich der Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses abgeschlossenen Vergleichs zwar im Zweifel auch solche Ansprüche umfasst, an die die Parteien im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses denken konnten, doch bilden grundsätzlich nur die Verhältnisse zur Zeit des Vergleichsabschlusses den Gegenstand des Vergleichs und damit auch seiner Bereinigungswirkung. In diesem Sinn wurde erkannt, dass die Anwartschaft auf eine später anfallende Firmenpension regelmäßig nicht von einem Vergleich erfasst sei, nach dem „sämtliche wechselseitigen Ansprüche erledigt seien“, weil der Anspruch auf die Firmenpension beim Vergleichsabschluss noch nicht aktuell gewesen, sondern erst danach entstanden sei. Eine andere Auslegung der allgemeinen Bereinigungsklausel laufe nicht auf einen echten Vergleich, sondern auf einen Verzicht des Klägers auf unabdingbare Ansprüche hinaus.

Auch im vorliegenden Fall hatte der Kläger bei Abschluss der Beendigungsvereinbarung noch keinen aktuellen Pensionsanspruch. Darüber hinaus konnte er im Zeitraum bis Ende 2006 anhand der von der Pensionskasse geleisteten Zahlungen keinen Schaden erkennen. Hervorzuheben sind schließlich die Ausführungen des Obersten Gerichtshofs aus dem Parallelverfahren 8 ObA 81/11m, dass „aus der Unterfertigung des zweiten Vertrags durch die (dort:) Klägerin in der Annahme einer bloßen Umsetzungsmaßnahme auch kein Verzicht auf - für die Klägerin damals noch gar nicht erkennbare - Schadenersatzansprüche abgeleitet werden“ kann. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann Punkt 15. der Auflösungsvereinbarung daher keine Bereinigungswirkung bezüglich solcher Schäden entnommen werden, die ihre Ursache in der Verletzung von Aufklärungspflichten über den Pensionskassenumstieg haben, im Vereinbarungszeitpunkt aber noch nicht realisiert waren.

2. Beachtlich ist aber das Vorbringen der Beklagten, dass dem Kläger noch gar kein Schaden entstanden sei, weil das neue Pensionsmodell für ihn günstiger gewesen sei und er nach dem bisherigen Pensionsmodell erst ab dem 65. Lebensjahr, sohin erst ab dem Jahr 2013 einen Leistungsanspruch gehabt hätte. Wie oben dargelegt, hat die Beklagte dieses Vorbringen bereits in erster Instanz erstattet.

Die Verletzung einer Aufklärungspflicht berechtigt zum Ersatz des Vertrauensschadens (negatives Vertragsinteresse). Dieser berechtigt den Geschädigten, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn die Pflichtverletzung nicht begangen worden wäre (RIS-Justiz RS0016374).

Vom Kläger wurde - jedenfalls im erstinstanzlichen Verfahren - nicht bestritten, dass er nach dem alten Pensionsmodell erst ab dem 65. Lebensjahr pensionsberechtigt gewesen wäre, sodass er davor tatsächlich keine Pensionsleistungen beziehen hätte können. Dennoch kann auch der Wegfall der „alten“ Betriebspension vor dem 65. Lebensjahr des Klägers einen Schaden begründen, stellt doch bereits der Verlust der Anwartschaft auf diese Pension einen kapitalisierbaren Nachteil im Vermögen des Klägers dar. Der Kläger hat jedoch weder einen substantiierten Einwand gegen das Vorbringen der Beklagten zum fehlenden Schaden erhoben noch überhaupt einen seinem eigenen Vorbringen zur mangelhaften Aufklärung entsprechenden Vertrauensschaden darlegt. Die Bezifferung des Leistungsbegehrens erfolgte vielmehr in der Annahme, dass die Beklagte eine Erfüllungszusage für eine Pensionskassenleistung in Höhe der ursprünglichen Betriebspension gegeben hätte (Nichterfüllungsschaden). Eine solche Zusage ist jedoch nicht erwiesen, sodass auch kein Anspruch auf das geltend gemachte Erfüllungsinteresse besteht. Ein anderer Schaden lässt sich dem Klagsvorbringen aber nicht schlüssig entnehmen. Er wird hier auch nicht mit dem pensionsbedingten Wegfall des Lohnanspruchs begründet, weil dieser erst aus der Auflösungsvereinbarung vom 4. 3. 2003 resultiert, deren Geltung vom Kläger aber nicht erfolgreich bekämpft wurde. Das erübrigt auch Erwägungen dazu, ob der Entfall des Lohnanspruchs durch das Unterbleiben der Arbeitsleistung kompensiert würde.

3. Insgesamt erweist sich die Revision daher im Hinblick auf das Eventual-Feststellungsbegehren als nicht berechtigt, im Hinblick auf das Leistungsbegehren jedoch als berechtigt, sodass ihr im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang Folge zu geben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs 1, 50 ZPO, hinsichtlich der Berufung des Klägers auf den §§ 41, 50 ZPO, wobei insgesamt von einem Obsiegen des Klägers mit rund einem Viertel auszugehen war und nach § 43 Abs 1 Satz 3 ZPO die besonderen Barauslagen zu berücksichtigen waren.

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